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Jörg Osterloh zeichnet die Geschichte der allmählichen Entrechtung, Enteignung, Verfolgung und schließlich der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im so genannten Reichsgau Sudetenland nach und ergründet den spezifischen Charakter der Judenverfolgung in den 1938 von der Tschechoslowakei abgetrennten Gebieten. Alle Akteursebenen von der Berliner Regierung über regionale Entscheidungsträger bis hin zur Bevölkerung müssen dafür in den Blick genommen werden. Entscheidend sind außerdem die Abläufe der "Arisierung" und die Spannungen, die sich zwischen Reichs- und Sudetendeutschen auf dem Feld…mehr

Produktbeschreibung
Jörg Osterloh zeichnet die Geschichte der allmählichen Entrechtung, Enteignung, Verfolgung und schließlich der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im so genannten Reichsgau Sudetenland nach und ergründet den spezifischen Charakter der Judenverfolgung in den 1938 von der Tschechoslowakei abgetrennten Gebieten. Alle Akteursebenen von der Berliner Regierung über regionale Entscheidungsträger bis hin zur Bevölkerung müssen dafür in den Blick genommen werden. Entscheidend sind außerdem die Abläufe der "Arisierung" und die Spannungen, die sich zwischen Reichs- und Sudetendeutschen auf dem Feld wirtschaftlicher Interessen sowie auf der Parteiebene und im Alltag äußerten. Der umfangreiche Anhang des Buches enthält neben Fotografien und statistischem Material auch eine tschechische Zusammenfassung der Forschungsergebnisse.
Autorenporträt
Jörg Osterloh, geboren 1967, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.07.2006

Musterfall der Entrechtung
Die Judenverfolgungen im Sudetenland
Die umfassende Darstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung im Sudetenland durch Jörg Osterloh ist eine vorbildliche Fallstudie über einen Gegenstand, der zu Unrecht über die spätere Vertreibung der deutschen Bevölkerung in Vergessenheit geraten ist, aber paradigmatische Bedeutung besitzt. Am Beispiel der Region des „Reichsgaus Sudetenland”, der die auf Grund des Münchner Abkommens 1938 an das Deutsche Reich abgetretenen nordböhmischen Gebiete umfasste, schildert Osterloh die einzelnen Stufen der Verfolgung und Deportation der jüdischen Bevölkerung.
Einleitend wird die Stellung der Juden in der sudetendeutschen Gesellschaft von 1918 bis 1933 eindrucksvoll geschildert. Es werden die demografischen Bedingungen, die Haltung der sudetendeutschen Parteien und Verbände zum Antisemitismus, die Auswirkungen des „Anschlusses” und der vom Deutschen Reich auf die jüdische Bevölkerung ausgeübten Druck aufgezeigt. Dabei analysiert der Autor die Rolle des rassischen Antisemitismus in der Henlein-Bewegung, desgleichen bei den sudetendeutschen Studenten, wobei sich eine eigentümliche Verknüpfung zwischen der antisemitischen und der antitschechischen nationalistischen Rhetorik zeigt.
Im Mittelpunkt der Darstellung steht die nach der Eingliederung des Sudetenlandes in das Deutsche Reich sich kontinuierlich verschlechternde Lage der jüdischen Bevölkerung, die das Novemberpogrom weit gehend vorwegnimmt. In der Folge wird der neu geschaffene Reichsgau Sudetenland geradezu zum Musterfall für die systematische Entrechtung und Enteignung der Juden, wobei die Bürokratie die bisher im Altreich gewonnenen Erfahrungen in eine flächendeckende Verfolgung umsetzt, während den Opfern nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei ein „natürlicher Fluchtraum” versperrt war. Sie waren noch stärker als das Judentum im Altreich auf Gedeih und Verderb dem Terror der konkurrierenden NS-Behörden ausgesetzt.
Der Autor beleuchtet detailliert und materialreich den Prozess der fortschreitenden Arisierung des jüdischen Eigentums in den einzelnen wirtschaftlichen Sektoren. Das Zusammenwirken der Behörden im Ausschaltungsprozess wird dabei ebenso wie der zunehmende Einfluss des Reichswirtschaftsministeriums gegenüber den vom Reichskommissar Konrad Henlein repräsentierten regionalen Interessen eindrücklich dargestellt. Osterloh kommt zu dem Ergebnis, dass die Arisierung des jüdischen Eigentums, darunter des Wohnraums und der Landwirtschaft, keine relevante Förderung der einheimischen Wirtschaft mit sich brachte und sich vielfach zugunsten reichsdeutscher Unternehmer vollzog. Er beschreibt im Einzelnen die fortschreitende Isolation und Konzentration der restlichen jüdischen Bevölkerung, deren Heranziehung zum Arbeitseinsatz, deren unsäglichen Wohnverhältnisse, zugleich die alltägliche Verfolgung.
Die Beteiligung der verschiedenen Behörden, die verhängnisvolle Rolle einer gnadenlosen Justiz, die Mitwirkung der Sparkassen und Banken, die Mitarbeit der einheimischen Geschäftswelt lassen einen erschreckenden Verlust von moralischen Kriterien und humanen Einstellungen erkennen. So wurden die im Vergleich zum Reichsgebiet etwas verspäteten Deportationen reibungslos abgewickelt, und das Gleiche gilt für die Verwertung des jüdischen Vermögens. Die vor allem im Zusammenhang mit den Deportationen nach Theresienstadt üblichen „Heimeinkaufsverträge” waren ein Mittel unter vielen anderen, um die vollständige Enteignung der Deportierten reibungslos sicherzustellen. Unter den gegebenen Bedingungen regte sich in der sudetendeutschen Bevölkerung, zumal nur noch vereinzelte Juden geblieben waren, kein erkennbarer Widerspruch, vielmehr dominierten immer wieder Denunziationen gegen jüdische Mitbürger mit in der Regel fatalen Folgen.
Die mit größter Sorgfalt erarbeitete Studie - hier sei nur auf die angefügten Karten und Tabellen zur sozialen und beruflichen Struktur der einheimischen jüdischen Bevölkerung, der jüdischen Unternehmen der demografischen Verteilung, der Transporte nach Theresienstadt sowie auf das umfassende Quellen- und Literaturverzeichnis hingewiesen - ist weit mehr als eine Regionalstudie. Sie ermittelt ein durch die zeitliche Raffung profiliertes gerafftes Abbild der Judenverfolgung im Dritten Reich, das sich durch bemerkenswerte Präzision und Quellennähe auszeichnet, zugleich aber die kollektiven Prozesse aufdeckt, die den Holocaust erst möglich gemacht haben.
HANS MOMMSEN
JÖRG OSTERLOH: Nationalsozialistische Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland 1938-1945 (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, Bd. 105). R. Oldenbourg Verlag, München 2006. 721 Seiten, 59,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als mustergültige Studie über die nationalsozialistische Judenverfolgung im Sudetenland würdigt der Historiker Hans Mommsen diese Arbeit seines Kollegen Jörg Osterloh. Im Mittelpunkt der Untersuchung findet Mommsen die sich zunehmend verschlimmernde Lage der jüdischen Bevölkerung nach der Eingliederung des Sudetenlands ins Deutsche Reich. Dabei bescheinigt er dem Autor, die Arisierung des jüdischen Eigentums, der miserablen Lebensverhältnisse, alltäglichen Verfolgung, Isolation und Konzentration und schließlich der Deportation der Juden eindrucksvoll zu schildern. Außerordentlich lobend äußert sich Mommsen über die "bemerkenswerte Präzision" und die "Quellennähe" der Arbeit. Er hebt in diesem Zusammenhang auch die Karten und Tabellen zur sozialen und beruflichen Struktur der einheimischen jüdischen Bevölkerung, der jüdischen Unternehmen der demografischen Verteilung, der Transporte nach Theresienstadt im Anhang hervor. Insgesamt sieht Mommsen in dem Buch "weit mehr" als nur eine Regionalstudie: ein "Abbild der Judenverfolgung" im Dritten Reich.

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