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Band - enthält neben einer gründlich revidierten Neuedition von Hobbes politische Wissenschaft vier unveröffentlichte Arbeiten zu Hobbes, darunter Die Religionskritik des Hobbes. Der zweite Teil macht auf 400 Druckseiten erstmals die Briefwechsel von Leo Strauss mit Gerhard Krüger, Jacob Klein, Karl Löwith und Gershom Scholem zugänglich, die zu den philosophisch bedeutendsten Korrespondenzen des 20. Jahrhunderts zählen.
Rezension:
Meier zufolge kann jedes von Strauss` Büchern seit 1935 ein theologisch-politischer Traktat genannt werden. In jedem dieser Bücher macht er die theologische
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Produktbeschreibung
Band - enthält neben einer gründlich revidierten Neuedition von Hobbes politische Wissenschaft vier unveröffentlichte Arbeiten zu Hobbes, darunter Die Religionskritik des Hobbes. Der zweite Teil macht auf 400 Druckseiten erstmals die Briefwechsel von Leo Strauss mit Gerhard Krüger, Jacob Klein, Karl Löwith und Gershom Scholem zugänglich, die zu den philosophisch bedeutendsten Korrespondenzen des 20. Jahrhunderts zählen.

Rezension:
Meier zufolge kann jedes von Strauss` Büchern seit 1935 ein theologisch-politischer Traktat genannt werden. In jedem dieser Bücher macht er die theologische und politische Herausforderung so stark, wie er sie eben machen kann. Und ebenso durchgängig betont er den unaufhebbaren Gegensatz, der zwischen dem philosophischen Leben und dessen mächtigstem Gegenüber, dem Offenbarungsglauben, besteht. Information Philosophie
Dass diese Ausgabe jetzt erscheint und einen der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts in seinen wichtigsten und vielen entlegenen Texten vorstellt, ist als herausgeberische Leistung hoch genug zu rühmen. Der Tagesspiegel
Eine ehrgeizige Werkausgabe (FAZ) deren erster Band editorische Maßstäbe gesetzt hat. (SZ)
Die Veröffentlichung der Briefe muss aus Sicht der sich intensivierenden Strauss-Forschung unbedingt begrüsst werden... Zeitschrift für Politik
...vor diesem Hintergrund könnte der jetzt vorgelegte 3. Band von Strauss´Gesammelten Schriften einen weiteren entscheidenden Schritt bei der Wieder- bzw. Neuentdeckung seiner politischen Philosophie darstellen, und zwar vor allem wegen des darin enthaltenen Briefwechsels von Strauss mit Gerhard Krüger, Karl Löwith, Jacob Klein und Gersholm Scholem. Frankfurter Rundschau
Als letzten der bislang erschienenen Bände haben Heinrich und Wiebke Meier den um Strauss` Beschäftigung mit Thomas Hobbes zentrierten Band vorgelegt. Er bildet das Zentrum jener Etappe des Straussschen Denkwegs, auf der er sich zunächst mit Spinoza und schließlich mit Machiavelli auseinander gesetzt hat und während der er zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Anfänge des politischen Denkens der Neuzeit keine tragfähige Grundlage für eine politische Philosophie darstellen und deswegen hinter sie zurückgegangen und die politische Philosophie der Antike, insbesondere die Platons, als Basis politischen Philosophierens aufgesucht werden müsse. Deutsche Zeitschrift für Philosophie
Autorenporträt
Leo Strauss, geb. 1899 in Kirchhain/ Hessen, gest. 1973 in Annapolis/Maryland. 1921 Promotion bei Cassirer in Hamburg, anschließend Studien bei Husserl und Heidegger in Freiburg. 1932-1934 Rockefeller Stipendiat in Paris und Cambridge. Hobbes-Forschungen in England. 1938 Übersiedlung in die USA. Lehre an der New School for Social Research in New York. 1949 Ruf als Professor für Politische Philosophie an die University of Chicago, die während der zwei Jahrzehnte seiner Lehr- und Forschungstätigkeit zum wichtigsten Ort der Neubelebung der Politischen Philosophie wird.

Heinrich Meier, geb. 1953; leitet die Carl Friedrich von Siemens Stiftung in München; seine Arbeiten zur Politischen Philosophie umfassen u. a. das 1988 bei J. B. Metzler erschienene Buch "Carl Schmitt, Leo Strauss und "Der Begriff des Politischen"", das inzwischen auch in französischer, japanischer und amerikanischer Übersetzung vorliegt, sowie seine 1994 ebenfalls bei J. B. Metzler veröffentlichte Kritik der Politischen Theologie "Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie".
Rezensionen
"Meier zufolge kann jedes von Strauss` Büchern seit 1935 ein theologisch-politischer Traktat genannt werden. In jedem dieser Bücher macht er die theologische und politische Herausforderung so stark, wie er sie eben machen kann. Und ebenso durchgängig betont er den unaufhebbaren Gegensatz, der zwischen dem philosophischen Leben und dessen mächtigstem Gegenüber, dem Offenbarungsglauben, besteht." - Information Philosophie

"Dass diese Ausgabe jetzt erscheint und einen der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts in seinen wichtigsten und vielen entlegenen Texten vorstellt, ist als herausgeberische Leistung hoch genug zu rühmen." - Der Tagesspiegel

"Eine ehrgeizige Werkausgabe" - FAZ deren erster Band "editorische Maßstäbe" - gesetzt hat." - SZ

"Die Veröffentlichung der Briefe muss aus Sicht der sich intensivierenden Strauss-Forschung unbedingt begrüsst werden..." - Zeitschrift für Politik

"...vor diesem Hintergrund könnte der jetzt vorgelegte 3. Band von Strauss´Gesammelten Schriften einen weiteren entscheidenden Schritt bei der Wieder- bzw. Neuentdeckung seiner politischen Philosophie darstellen, und zwar vor allem wegen des darin enthaltenen Briefwechsels von Strauss mit Gerhard Krüger, Karl Löwith, Jacob Klein und Gersholm Scholem." - Frankfurter Rundschau

"Als letzten der bislang erschienenen Bände haben Heinrich und Wiebke Meier den um Strauss` Beschäftigung mit Thomas Hobbes zentrierten Band vorgelegt. Er bildet das Zentrum jener Etappe des Straussschen Denkwegs, auf der er sich zunächst mit Spinoza und schließlich mit Machiavelli auseinander gesetzt hat und während der er zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Anfänge des politischen Denkens der Neuzeit keine tragfähige Grundlage für eine politische Philosophie darstellen und deswegen hinter sie zurückgegangen und die politische Philosophie der Antike, insbesondere die Platons, als Basis politischen Philosophierens aufgesucht werden müsse." - Deutsche Zeitschrift für Philosophie…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.1996

Verfolgung und die Kunst des Schreibens
Die Moderne ist antiker, als sie glaubt: Eine Renaissance von Leo Strauss? / Von Rüdiger Bubner

Gottes Mühlen mahlen langsam. So wird der bis heute schmerzliche Verlust, den die deutsche Kultur in einem Jahrzehnt entsetzlicher Verblendung sich selbst zufügte, indem sie produktive jüdische Geister aus allen Feldern der Literatur, Musik und Wissenschaft ins Exil schickte, zwar nicht korrigiert, aber doch gemildert durch sukzessive Wiedererinnerung. Es mag paradox klingen, aber manches kam erst durch Emigration verspätet zur Breitenwirkung.

Leo Strauss hat davon kaum profitiert, denn er paßte nicht in das Bild einer erwünschten Anknüpfung an westliche Rationalität und liberale Gesellschaftsstrukturen. Wem Aufklärung als Parole genügte, dem mußte Strauss mit seiner tief nachgrübelnden Aufdeckung vormoderner und historisch überdauernder Traditionsbestände unwillkommen sein. Immerhin verkündete Strauss, das Wesen des Politischen stecke in den alten und teilweise wenig oder nur oberflächlich gelesenen Texten. "Naturrecht" lautete dafür das Stichwort, auf das kein Modernist mehr vorbereitet war. Denn diese Lesart des Naturrechts speiste sich klar aus jüdischer Theologie, die das Wort, das letztlich immer das Wort Gottes war und sein mußte bis in den äußersten existentiellen Ernst wörtlich zu nehmen entschlossen ist.

Man sieht leicht, daß solche Intentionen dem im Westen herrschenden Liberalismus widersprechen, der auf das Prinzip lockerer Bindungen setzt und das Individuum mit seinem Wohlbefinden privilegiert. Strauss hat früh entdeckt, daß der Epikureismus, der das "Glück" des einzelnen zum Ziel aller Theorie macht, in die Ahnenschaft neuzeitlicher Aufklärung gehöre. Auch dies widerspricht unserer allgemein verbreiteten Auffassung, der zufolge der Kampf gegen die Vorurteile wesentlich der Erkenntnis diene und durchgreifende Rationalisierung das weltgeschichtliche Entwicklungsziel darstelle. Dem Rückverweis auf das hedonistische Motiv des Epikureismus korrespondiert eine fundamentale Bindung des Politischen an die Theologie, die ihrerseits über rationale Verfahren hinausgeht. Darin erkannte der frühe Strauss, wie Heinrich Meier gezeigt hat, eine Nähe zu Carl Schmitt.

Eine solche Koalition konnte Strauss in der alten Bundesrepublik nur verdächtig machen. Außerdem hatten seine amerikanischen Schüler Einfluß in Washington genommen und bis zu einem gewissen Grade Gehör in einer früheren, nicht gut beleumdeten Administration gefunden. Auch das war keine Empfehlung diesseits des Atlantiks. Der in der Tat erstaunliche Erfolg im pragmatisch gesonnenen Geschäftsbetrieb des politischen Systems der Vereinigten Staaten hat vermutlich gerade mit dem entschlossenen Kontrast zu tun, den die Strauss-Schule dem allgegenwärtigen Common sense entgegenhält, indem sie auf einer absoluten Wertfrage insistiert, die weder historisch noch empirisch zu relativieren sei.

Ganz anders hatte sich seit der Nachkriegszeit das Schicksal der Wiedereingliederung der linken Emigration in Westdeutschland gestaltet. Voran ging die Frankfurter Schule. Adorno bereitete in den fünfziger Jahren der Rezeption Benjamins den Boden, die ihn später überholte und in Grenzen bis heute anhält. Heftig umkämpft war in den sechziger Jahren die Frage, wer der bessere Marxist gewesen sei - der theologisch inspirierte Tiefenhermeneutiker Benjamin oder der universale Kulturkritiker Adorno. Gershom Scholem spottete mit der Autorität seiner immensen Gelehrsamkeit über die Kontroverse um einen "marxistischen Rabbi". Weiterhin zu nennen ist natürlich Ernst Bloch, dessen Hoffnungsutopie die Gemüter nach seiner Vertreibung aus der DDR erst recht bewegte. Herbert Marcuse, der umschwärmte Großvater der Studentenbewegung, hat bei größtem Eklat in der Aktualität die geringsten Spuren auf Dauer hinterlassen.

Doppelt legitimiert schien gerade die sozialistische Linie, weil sie allgemeine Menschheitshoffnungen verkündete und im besonderen die Emigration erleiden mußte. Im öffentlichen Bewußtsein begann sie allerdings an Kredit zu verlieren, als die Theorie in marxistischer Scholastik erstickte, während die Praxis sich in den Terrorismus verrannte. Da schlug in den siebziger Jahren die Stunde von Norbert Elias. Er war Schüler von Karl Mannheim gewesen und kehrte nun ebenfalls aus der Emigration zurück, nachdem die Frankfurter Schule, welche Mannheims Wissenssoziologie als Marxismus ohne Biß deklassierte, nicht mehr den Ton angab.

Die freundliche "Menschenwissenschaft" von Elias bot der ihrer revolutionären Impulse beraubten Soziologenzunft und der breiten Gefolgschaft Wohlmeinender eine gern gehörte Botschaft. Dies alles ist nun Geschichte, wie wir spätestens seit 1989/90 nolens volens zu registrieren begonnen haben. Gelernt haben wir dabei, daß Geschichte eine eigene Macht entfalten kann. Offenkundig ist sie mehr als der adäquate Diskussionsgegenstand von Intellektuellen, die als Bußprediger, als Sozialerzieher, als Männer und Frauen des medienwirksamen Wortes auftreten, je nach Lage Friedfertigkeit oder Betroffenheit spendend.

Ob diese epochale Umstellung uns überfordert, wissen wir noch nicht. Daß die alten Gebetsmühlen klappern, hört inzwischen jeder Aufmerksame. Inwiefern das entrückte Werk von Leo Strauss in diese Situation eingreifen kann, scheint unentschieden. Offensichtlich aber kommt dem Bemühen, nun verspätet seine Rezeption in Gang zu bringen, die unsichere Lage einer neu geforderten Orientierung entgegen. Eine ehrgeizige Werkausgabe beginnt zu erscheinen, die auf sechs Bände angelegt ist. Sie wird von Heinrich Meier betreut, dessen Kompetenz wenige erreichen dürften. Zugleich legt Meier als eine Art Einleitung gesondert seine Studie "Die Denkbewegung von Leo Strauss" vor, die aus einem in Amerika gehaltenen Vortrag entstanden ist.

Die Werkausgabe schiebt, der Chronologie entsprechend, die aus dem Englischen bekannten Schriften zur politischen Theorie auf und beginnt mit dem frühen, noch deutsch geschriebenen Werk von Strauss über die "Religionskritik Spinozas". Das Publikum wird so mit einem nahezu vergessenen, hoch bedeutsamen Text konfrontiert. Leider verbinden uns damit nur noch schmale Brücken. Zwar ist Spinoza über Goethe und den deutschen Idealismus dem Gebildeten präsent. Es handelt sich dabei aber um den pantheistischen Metaphysiker der "Ethica ordine geometrico demonstrata". Schon der Titel einer nach Euklids Methode bewiesenen Ethik rief den Scharfsinn der Exegeten auf den Plan. Indes stellt Strauss mit seinem Frühwerk aus dem Jahre 1930 den Autor des "Tractatus theologico-politicus" ins Zentrum. Er tut dies auf der Basis einer spezialisierten Gelehrsamkeit, die vom allgemein interessierten Leser heutigen Zuschnitts nicht zu erwarten sind und schon beim Erscheinen des Buches die Lektüre auf Fachleute einschränkte.

Spinoza wollte mit seiner Abhandlung die alte Konkurrenz zwischen göttlicher Prophezeiung und menschlicher Vernunft schlichten. Das hatte eine rationale Bestreitung der politischen Aspirationen eines "auserwählten" Volkes zur Folge. Straussens Auseinandersetzung mit Spinoza steht im Kontext einer jüdischen Selbstverständigung nach dem Ersten Weltkrieg und vor der Katastrophe. Die Debatte bewegte sich zwischen den Extremen des Zionismus, der einen säkularen Staat für das Volk Israel forderte, und der Assimilation, die dank der Taufe einen Weg ins christliche Kulturmilieu suchte.

Bezugspunkte liegen in der späten Wendung des Neukantianers der Marburger Schule, Hermann Cohen, auf seine jüdischen Ursprünge, in der Lehrtätigkeit Martin Bubers zur Wissenschaft vom Judentum sowie in der Systematik des "Sterns der Erlösung" von Franz Rosenzweig. Über dreißig Jahre nach der deutschen Veröffentlichung schickt Strauss der amerikanischen Übersetzung seines Buches eine breit angelegte Einleitung voraus, die all jene Kenntnisse entfaltet, die in den Weimarer Jahren den Eingeweihten wohl gegenwärtig waren. Den amerikanischen Lesern dürften diese Erläuterungen die Sache vermutlich noch dunkler haben erscheinen lassen.

Für den Nachgeborenen erwächst hier immerhin ein völlig neuartiger Zugang, wenngleich man sich mit Wehmut gestehen muß, wie die Galaxien auseinandergetrieben sind. Während wir uns sonst gern einbilden, die Hauptakzente der zwanziger Jahre seien uns vertraut, muß man jetzt konstatieren, daß mit Ausnahme Heideggers der Grund, aus dem Strauss damals schöpfte, sich unserer selektiven Optik entzieht. Der Versuch, das zu vertuschen, kann nur mißlingen.

Lehrreich tritt uns jedoch ein anderer Zug entgegen. Aus dem mit weiteren Materialien angereicherten Spinoza-Buch in der Neuausgabe spricht das Potential einer Aufklärungskritik, das sowohl die Karriere des Straussianismus in Amerika gemäß dem genannten Kontrast befördert als auch seine Rezeption in Deutschland kraft der hiesigen Selbstverständlichkeiten behindert hat. Der Hauptstrang von Straussens Argumentation beruht auf der Annahme, daß Religion und ihre Kritik ein und derselben Wurzel entstammen.

Etwas Vergleichbares hatte Hegel in seiner "Phänomenologie des Geistes" aus dialektischen Erwägungen heraus behauptet. Die Welt des "Aberglaubens", der Mythologie, der dogmatisierten Vorurteile stellt ebenso wie der entschlossene "Kampf" dagegen zugunsten des Lichtes der Vernunft eine wechselseitige Abstraktion dar. Das Zeitalter, das durch diesen Kampf gekennzeichnet wird, bringt im Überblick übers Ganze erst den tieferen Zusammenhang zutage. Der zählebige Kampf perenneriert sich, solange unentschieden bleibt, wie sehr die eine Seite die andere jeweils zur Selbstbestätigung braucht. Aberglauben gebiert Aufklärung, aber das Umgekehrte gilt gleichfalls!

Hegel liefert eine glänzende Analyse doppelt verschränkter Selbstmißverständnisse, deren Signatur nicht bloß das Siècle des lumières erfaßt. Die frohgemute Aufklärungsrhetorik durchzieht die Geschichte der alten Bundesrepublik ähnlich wie die der ehemaligen DDR, weil sich im Schreckgespenst des Faschismus, seinen Verkleidungen, Nachfolgern und Wiederholungen automatisch Opponenten einstellten. Diese Spätform einer "Deutschen Ideologie" wäre mit Hegels begrifflichen Mitteln annäherungsweise zu fassen.

Strauss zielt aber viel weiter und tiefer. Er sieht die Aufklärung als eine epochenübergreifende Kritikinstanz, die seit der Antike am Werke ist. Die Moderne ist nicht so modern, wie sie glaubt, und der Kampf um die Treue zur Tradition erweist sich als die eigentliche Form dieser Treue. Es gibt also nicht zuerst eine Tradition, die unbefangen weitergereicht wird, bis die Säure der erwachten Kritik ihr zuzusetzen beginnt. Stiftung und Erhaltung von Tradition vollziehen sich vielmehr von Anbeginn an und fortwährend zwischen Oberfläche und Grundsubstanz. Wer der Überlieferung nur äußerlich anhängt, verrät sie in Wahrheit. Deshalb hat der authentische Traditionalist gegen seinen leichtgläubigen Doppelgänger anzukämpfen. Das ernste Spiel, das zwischen Glauben und Kritik seit Beginn der Neuzeit scheinbar von zwei getrennten Partnern untereinander ausgetragen wird, ist in einem wesentlicheren Sinne der Vorgang des Tradierens des Echten selber.

Strauss hat dieser Einsicht später mit der treffenden Formel "Persecution and the Art of Writing" Ausdruck verliehen. Die typische Situation stellt dafür die Zensur dar, die alle unverstellte Äußerung der Wahrheit unterbindet. Aber in einem weiteren Sinne gilt die Differenz des Esoterischen und Exoterischen immer. Strauss spricht von einer "Soziologie der Philosophie". Denn jede Formulierung verlangt Rücksicht auf die Umstände und diese beeinträchtigen immer die Authentizität. Daraus läßt sich bis zu Derrida und seiner Schule einer dekonstruktivistischen, das heißt negativen Hermeneutik, die Entzifferungsmaxime ableiten, daß die Wahrheit des Textes unter seiner Oberfläche zu suchen sei. Was der Text offen sagt, verbirgt seinen Gehalt.

Verstehen heißt also nicht nur, das einmal Gesagte in neuer Situation anders zu verstehen, sondern verlangt produktives Mißverstehen der Wörtlichkeit. Abkehr vom logischen Schein der Wörtlichkeit führt zur existenzberührenden Treue zum Wort als Gesetz. Dahinter steht das Modell der Offenbarung und dahinter der anfängliche und durch hermeneutische Exerzitien nicht zu erschütternde Glaube an Gott als einen, der zu uns spricht, um in allem explizit Gesagten sich als er selbst zu entziehen. Radikal gefaßt, zwingt das Wort Gottes zu einem Hören über das Vernehmen der Botschaft hinaus. Es zwingt zum Gehorchen, und das verlangt methodischen Verzicht auf literarische Exegese.

Wenn das jedoch zutrifft, fallen alle "Geisteswissenschaften" bei der Auseinandersetzung mit dem Buch der Bücher und weiterhin dem Kanon der Klassiker zurück. Es geht darum, die Lehre ins Leben einzufügen. Bis zu diesem Punkt darf eine Konvergenz zwischen den Intentionen von Strauss und dem frühen Heidegger angenommen werden. Aber Strauss treibt die Lebensbedeutsamkeit des Kanons der Klassiker über Heideggers Entwurf einer "Fundamentalontologie" entschlossen ins Reich des Politischen weiter. Das hängt auf verwickelte Weise mit der aufs Wort gegründeten Identität des jüdischen Volkes zusammen. Was den Hörenden autoritativ gesagt ist, und sie als Gehorchende über alle Zeitabstände hinweg verpflichtet, ist der einzige Grund einer Lebensgemeinschaft mit Identitätsversprechen. In diese Richtung eines politischen Substanzialismus hat Strauss die Heideggerschen Anregungen schon früh ausgeweitet. Das Buch über Spinozas Religionskritik handelt souverän über diesen Gegenstand und ruft in einer Tiefenschicht unter der historischen Interpretation den engen Zusammenhang von Offenbarung und Politik in Erinnerung.

Am deutlichsten wird das wohl an entlegener Stelle in "Philosophie und Gesetz". Unter dem Titel erschienen Aufsätze von Strauss zu Maimonides, dem "mittelalterlichen Aufklärer", im Schocken Verlag zu Berlin 1935, während der Autor schon längst außer Landes war. Die jetzt entstehende Werkausgabe kündigt den Text an, den ich hinsichtlich der Intentionen von Strauss für wesentlicher halte als die Abhandlung über Spinoza. Man darf auf das Echo dieses zweiten Bandes gespannt sein.

Übrigens hat Strauss in der neuen Umgebung Englands und Amerikas seinerseits die Kunst geübt, so zu schreiben, daß die Elite versteht, während nach außen die Sache plausibel klingt. Das in Deutsch geschriebene und in Oxford übersetzte Buch zu Hobbes erscheint 1936 nahezu zeitgleich mit "Philosophie und Gesetz", aber durch mehr als nur die räumliche Distanz getrennt. Das Buch über den englischen Staatstheoretiker des "Leviathan" hat bis heute seinen Rang als herausragende wissenschaftliche Studie verteidigt. Man darf es eine konventionelle Arbeit nennen, ohne ihm unrecht zu tun. Es paßt sich nämlich den Gegebenheiten an und leidet am wenigsten unter der Idiosynkrasie eines Straussianismus, der manche der zahlreichen späteren Werke kennzeichnet, und die Schule hier und da in Verruf gebracht hat. Auch dies ein Kapitel der Soziologie der Philosophie.

Daß Politik auf Theologie gründe, weil Gott uns uranfänglich ein Gesetz gegeben hat, das die Propheten verkündeten und die Schriftgelehrten über die Zeiten hinweg nur zu Gehör bringen, - darin liegt sicher die härteste Zumutung, die Strauss für das heutige Bewußtsein darstellt. Daß hingegen Politik sich in Formalitäten und Prozeduren, Bürokratie und Verteilungsgerechtigkeit, Rechtsansprüchen und Rechtswegen erschöpfen werde, ist uns im Rahmen einer plötzlich wiedervereinten Nation doch fraglich geworden. Die größere Allgemeinheit eines noch zu vereinenden Kontinents Europa wird die Probleme mangelnder Kohäsion nicht beseitigen, sondern steigern.

Daß auf Dauer lebbare Lebensformen an dauerhaft bereits gelebte Lebensformen anknüpfen müssen, daß also Zukunft sich auf Vergangenheit stützt und nicht mit dem guten Gewissen der Sozialtechnik im Nichts beginnt, bleibt jedenfalls ein Wahrheitsmoment an Straussens lebenslanger Erinnerung an ein unvordenkliches "Naturrecht". Man wird den Gedanken allerdings gegen Strauss historisch einbetten müssen, um der puren Verblüffung durch Paradoxie zu entgehen. Denn verbindliche Lebensformen, die nicht zur Disposition individueller Einschätzungen eines subjektiven "Glücks" gestellt werden, stammen für unsere Auffassungsgabe nicht von Propheten oder Philosophenkönigen. Sie sind Produkte der Geschichte, sie waren und bleiben historische Größen.

Leo Strauss: "Gesammelte Schriften". Band I: Die Religionskritik Spinozas und zugehörige Schriften. Unter Mitwirkung von Wiebke Meier herausgegeben von Heinrich Meier. 434 S., geb., 90,- DM, bei Gesamtbezug des Werkes 78,- DM.

Heinrich Meier: "Die Denkbewegung von Leo Strauss". Die Geschichte der Philosophie und die Intentionen der Philosophen. Mit einer Bibliographie von Leo Strauss. 66 S., br., 16,80 DM. Beide Bücher sind im J. B. Metzler Verlag, Stuttgart, 1996 erschienen.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

In Deutschland ist der 1899 bei Marburg geborene und während des Nationalsozialismus in die USA emigrierte Philosoph Leo Strauss für lange Zeit in Vergessenheit geraten, weiß Herfried Münkler und zeigt sich allein schon deswegen erfreut, dass nun nach und nach dessen Schriften veröffentlicht werden. In den USA, wo Strauss in New York und Chicago politische Philisophie gelehrt hatte, informiert der Rezensent weiter, habe Strauss sich hingegen einen großen Ruf erworben. Besonders interessant scheint Münkler an diesem Denker zu finden, dass er sich jeglichem "Mainstream des liberalen Denkens" konsequent widersetzt habe. Das habe ihm zwar den Ruf eines "Rechtsintellektuellen" eingebracht, so der Rezensent, ändere aber nichts an dessen gelungener intensiver Auseinandersetzung mit der griechischen Antike, in der er den "Schlüssel allen politischen Philosophierens" gesehen habe. Der vorliegende Band jedenfalls sei, ist der Rezensent sicher, gerade wegen der darin enthaltenen Briefwechsel mit Gerhard Krüger, Karl Löwith, Jacob Klein und Gershom Scholem von großer Wichtigkeit für die Strauss-Forschung.

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