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Seit dem späten 19. Jahrhundert ist zu beobachten, wie in Europa und Nordamerika eine diffuse Angst um sich griff, die Angst vor einer namenlosen, in der Deckung operierenden Supermacht, die das staatliche Gewaltmonopol unterläuft: die verbundene juristische Person. Da ein institutioneller Wandel - anders als ein technologischer - sich der unmittelbaren Anschauung entzieht, müssen dessen Merkmale visualisiert, sinnlich erschlossen werden. Anhand der gebräuchlichsten Sinn stiftenden "Konzernbilder" lässt sich ein Psychogramm der (Hoch-) Moderne erstellen, das die Ängste, Ambitionen und Visionen…mehr

Produktbeschreibung
Seit dem späten 19. Jahrhundert ist zu beobachten, wie in Europa und Nordamerika eine diffuse Angst um sich griff, die Angst vor einer namenlosen, in der Deckung operierenden Supermacht, die das staatliche Gewaltmonopol unterläuft: die verbundene juristische Person. Da ein institutioneller Wandel - anders als ein technologischer - sich der unmittelbaren Anschauung entzieht, müssen dessen Merkmale visualisiert, sinnlich erschlossen werden. Anhand der gebräuchlichsten Sinn stiftenden "Konzernbilder" lässt sich ein Psychogramm der (Hoch-) Moderne erstellen, das die Ängste, Ambitionen und Visionen der Epoche dokumentiert und den Blick öffnet für verdeckte Denkmuster und Leitbilder in der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft des 20. Jahrhunderts. "Gäbe es einen Nobelpreis für juristische Literatur, Daniel Damler hätte ihn verdient." FAZ
Autorenporträt
Damler, DanielDaniel Damler ist assoziierter Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main und als Anwalt für Gesellschaftsrecht in Mannheim tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2017

Im Würgegriff des Oktopus

Geniestreich: Daniel Damler untersucht, welche Metaphern und Bilder den schlechten Ruf vernetzt agierender Konzerne prägen.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Begriff "Konzern" zum Unwort des Jahres gekürt werden wird. Das Gesellschaftsrecht definiert ihn zwar nüchtern als die Zusammenfassung eines herrschenden und eines oder mehrerer abhängiger Unternehmen unter der einheitlichen Leitung des Ersteren. Meist werden die so verbundenen Organismen dabei von Kapitalgesellschaften, das heißt juristischen im Gegensatz zu natürlichen Personen, getragen. Dafür kann es gute Gründe geben, vom Wunsch nach Haftungsbeschränkung bis hin zur Börsentauglichkeit. In der öffentlichen Wahrnehmung scheint der Konzern inzwischen allerdings zur Metapher für finstere Mächte jeder Art geworden zu sein.

Diese Mächte verbergen ihre Gesichter hinter einem dicht gewebten Schleier aus feinen juristischen Fäden, operieren aus der Deckung von Briefkästen in Panama oder auf den Cayman Islands, stellen das staatliche Gewalt- und Rechtsprechungsmonopol durch Schiedsgerichte in Frage, unterlaufen die demokratisch legitimierten Institutionen des Rechtsstaats qua wirtschaftlicher Macht und kanalisieren Geldströme so geschickt, dass sie sich, wo immer es geht, der Besteuerung entziehen. So werden sie zur Quelle des sagenhaften Reichtums turbokapitalistischer Oligarchen und gerissener Hedgefondsmanager.

Lange war es vornehmlich linker, alternativer oder schlimmstenfalls kirchlicher Habitus, global agierende Konzerne für alles in Haft zu nehmen, was an Land oder zur See an Elend, Korruption, Ausbeutung oder Schmutz existierte. Heute hingegen geht die Kritik quer durch alle Reihen. Gleichviel ob die Ölriesen, Banken, Automobil- und Rüstungshersteller, ob Google oder Facebook, ob Apple, Microsoft oder Starbucks - Politiker aller Couleur heben die Zeigefinger. Mangelnde Transparenz, arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindliche Unternehmenspolitik, unsolidarisches Steuergebaren und fehlende Ethik in den Führungsetagen werden beklagt.

Monströse Zuschreibungen sind gang und gäbe. Von Finanzhaien, Heuschrecken und Datenkraken ist die Rede. Auch Lobbyisten, die gewöhnlich nicht im Verdacht besonderer Monopol- und Kapitalismusfeindlichkeit stehen, melden sich zu Wort. In seiner Grußbotschaft zum neuen Jahr schreibt der Präsident des Deutschen Notarvereins - notabene unter Hinweis auf Goyas berühmte Radierung mit dem Titel "Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer" -, dass die Kapitalgesellschaft zu "Leichtsinn auf Kosten anderer" verführe. Die Allgemeinheit müsse daher auf Transparenz bestehen, wolle sie nicht "Volksvermögen zur Plünderung" freigeben. Das sind starke Worte.

Woher kommen die diffusen Ängste, die Kapitalgesellschaften und ihre Verbindung zu Konzernen auslösen? Sind sie das Ergebnis juristischen Versagens, oder ist Konzernkritik in Gestalt der Monster-Metaphorik das Ergebnis einer Kette ökonomischer, sozialer und politischer Entwicklungen, die, gestützt auf populistisch geschürte Wahnvorstellungen, am Ende gar antiliberalen Regelungs- und Herrschaftsmodellen Vorschub leisten?

Diesen Fragen geht Daniel Damler in seinem Buch nach. Am Beispiel der verbundenen juristischen Person in der visuellen Kultur zwischen 1880 und 1980 untersucht er, inwieweit das Denken eines Zeitalters durch die Vorliebe für bestimmte Metaphern charakterisiert werden kann und ob es Zusammenhänge zwischen diesen Bildern und konkreten Rechtsentwicklungen gibt. Der Autor ist für sein Thema prädestiniert: studierter Historiker, Anwalt in einer renommierten Wirtschaftskanzlei, auf Gesellschaftsrecht und Unternehmensübernahmen spezialisiert, vielsprachig und überdies seit langen Jahren dem Frankfurter Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte verbunden.

Ausgangspunkt von Damlers Arbeit sind zwei Fallstudien. Die erste befasst sich mit Rockefellers Standard Oil Company. Es ist die Geschichte der Entwicklung einer gleichsam byzantinischen Konzernstruktur, die auf der Ausnutzung von Gesetzeslücken durch eine "Prätorianergarde erstklassiger Juristen" beruhte. Die zweite schildert die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur von New York um 1900 und die dazu erforderliche Kapitalbeschaffung durch abenteuerliche Syndikate, deren Komplexität in Verbindung mit Korruption ein solches Ausmaß erreichte, dass nur noch der aus der Anti-Trust-Bewegung entstandene investigative Journalismus in der Lage war, das Recht auf dem Weg über die Öffentlichkeit zu schützen.

Spannend ist dabei, dass die Skandalberichterstattung das unsichtbare Phänomen der verbundenen Kapitalgesellschaft erstmals versinnbildlichte. Egal ob durch monströs beleibte Männer, Schlangen, Spinnen oder den Kraken: Die Visualisierung des Konzerns als Organismus machte klar, dass er als reales Phänomen existierte und Einfluss auf die ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse nahm. Tatsächlich ist festzustellen, dass die Karikaturisten das Phänomen des Konzerns schon erfasst hatten, bevor es die Juristen und der Gesetzgeber definieren und die spezifischen Rechtsfragen, die mit der Beherrschung einer Gesellschaft durch eine andere einhergehen, in Angriff nehmen konnten. Die heute gängige Veranschaulichung des korporativen Kapitalismus durch Organigramme oder vergleichbare Schaubilder erfolgte deutlich später als die Karikatur. Es war das Ungeheuer vor allem in Gestalt des Kraken, das für die Assoziation zwischen dem verbundenen Unternehmen und dem Bösen sorgen sollte, mit nachhaltiger Wirkung.

Damler bleibt beim Kraken jedoch nicht stehen. Was folgt, ist ein Parforceritt durch ungezählte Felder moderner Konzernmetaphorik. Da geht es nicht nur um das von Lenin 1917 in seiner Schrift "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" aufgegriffene Bild des Konzerns als Kolonialreich eigener Art. Da geht es auch um Familienbilder, die verbundene Unternehmen zu Mitgliedern einer Solidargemeinschaft stilisieren, um biologistische Deutungen des Verhältnisses von Mutter- und Tochtergesellschaften und um die GmbH & Co. KG als den hässlichen Bastard des deutschen Gesellschaftsrechts. Für Damler ist der Bastard ein Anthropomorphismus, der korporative Sachverhalte nicht nur an rechtlichen, sondern auch an ästhetischen Maßstäben misst "und letztere anschließend zu rechtlichen Normen stilisiert." Ein deutlicher Befund, obschon durchaus angreifbar.

Zu den Glanzstücken von Damlers Arbeit gehören indes seine Gedanken zu den Auswirkungen der klassischen Moderne - insbesondere des Bauhauses - auf juristische Positionen. Die Idee eines klaren, einfachen Designs, das vornehmlich mit glatten, glänzenden oder transparenten Materialien wie Stahl, Chrom oder Glas arbeitete, hatte sich gegen Ende der Weimarer Republik so tief ins kollektive Bewusstsein gegraben, dass die Ideale der "Form um 1930" (Gert Selle) auch zu Leitbildern einer guten Ordnung in gesellschaftspolitischen und juristischen Fragen wurden. Wie solche Denkmuster die Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft in der Zeit des Nationalsozialismus und in der jungen Bundesrepublik beeinflussten, kann man bei Damler in aller Tiefe studieren. Man lernt dabei, dass die im Gegensatz zum verschwommenen Bild der verbundenen juristischen Person klaren Formen des Designs und der Architektur vor allem nach 1933 "von niemandem bemerkt und beabsichtigt den Boden bereiteten für radikale politische und juristische Positionen, die auf die Implementierung einer ,totalen' Transparenz und Sterilität menschlicher Interaktionen zielten".

Damlers Buch ist in Wissen getränkt. Historische, kunsthistorische, philosophische, ökonomische und politikwissenschaftliche Erwägungen verknüpfen sich mit rechtlichen und rechtsvergleichenden Ausführungen. Fast neunzig Abbildungen illustrieren einen Text, dessen Sprache nur als virtuos bezeichnet werden kann. Gäbe es einen Nobelpreis für juristische Literatur, Daniel Damler hätte ihn verdient.

PETER RAWERT

Daniel Damler: "Konzern und Moderne". Die verbundene juristische Person in der visuellen Kultur 1880-1980.

Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2016. 372 S., br., 79,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Gäbe es einen Nobelpreis für juristische Literatur, Daniel Damler hätte ihn verdient." FAZ "Rechtswissenschaftliche Meisterschaft [...]. Das Buch beeindruckt durch die kultur- und geistesgeschichtliche Raffinesse des Textes, durch seinen assoziationsreichen [...] ironisierten Ernst. Hier hat ein Autor der legendären "Kulturgeschichte der Neuzeit" eine exemplarische [...] "Kulturgeschichte des Industriezeitalters" nachgereicht und sie bis hinein in die so häufig berufene "Postmoderne" fortgeschrieben." Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht