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Fußball im dritten Jahrtausend. Wo Meinung war, wird Wissen sein.
Christoph Biermann hat ein so außergewöhnliches wie verblüffendes Fußballbuch geschrieben. Auf der Suche nach dem perfekten Spiel hat er mit Meistertrainer Felix Magath Fußball und Schach verglichen, ist in die Welt der Fußballdaten eingetaucht und hat das geheimnisvolle Laboratorium des AC Mailand besucht. Mit Lionel Messi hat er über Computerspiele gesprochen und einen Ökonom gefunden, der Fußball berechenbar machen will. Fußball ist das beste Spiel, weil es so einfach ist. Zugleich aber sind seine Möglichkeiten…mehr

Produktbeschreibung
Fußball im dritten Jahrtausend. Wo Meinung war, wird Wissen sein.

Christoph Biermann hat ein so außergewöhnliches wie verblüffendes Fußballbuch geschrieben. Auf der Suche nach dem perfekten Spiel hat er mit Meistertrainer Felix Magath Fußball und Schach verglichen, ist in die Welt der Fußballdaten eingetaucht und hat das geheimnisvolle Laboratorium des AC Mailand besucht. Mit Lionel Messi hat er über Computerspiele gesprochen und einen Ökonom gefunden, der Fußball berechenbar machen will. Fußball ist das beste Spiel, weil es so einfach ist. Zugleich aber sind seine Möglichkeiten unerschöpflich und in den letzten Jahren immer weiter erforscht worden. Fußball hat seine digitale Wende erlebt und eine Invasion der Wissenschaftler. Das Spiel ist dadurch schneller geworden, taktisch anspruchsvoller und aufregender. Dieses Buch beschreibt den Stand der Dinge und dringt zugleich in die Grenzbereiche der neuen Fußballwissenschaft vor.Der Leser erfährt so, warum die wahre Fußballkunst in der Offensive liegt, und wie man sie am besten erlernt. Biermann erklärt, wie man einen Elfmeter schießen sollte, warum die Drei-Punkte-Regel den Fußball defensiver gemacht hat, und wie Klubs grobe Fehler bei Spielertransfers vermeiden können. Wir werden beim Lesen von überkommenen Meinungen Abschied nehmen müssen, aber in den allgegenwärtigen Diskussionen über Fußball smartere Antworten darauf geben können, wie es zu Sieg und Niederlage kommt. Christoph Biermann gehört schon lange zu den profiliertesten Fußballjournalisten Deutschlands. In seinen Artikeln und Büchern hat er den Lesern immer wieder neue Aspekte des Fußballs erklärt. Er beschäftigte sich mit der Welt der Fans, als diese noch abschätzig betrachtet wurden, und beschrieb die Entwicklung der Fußballtaktik, als »Viererkette« in Deutschland noch ein Kampfbegriff war. Auch »Die Fußball-Matrix« betritt wieder neues Terrain. Doch was heute noch teilweise wie Science Fiction klingt, wird schon bald überall im Fußball selbstverständlich sein.
Autorenporträt
Christoph Biermann, geboren 1960 in Krefeld, lebt in Berlin und arbeitete für die taz, Stern, Die Zeit und war Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung und beim SPIEGEL. Seit 2010 beim Fußballmagazin 11Freunde, inzwischen als Reporter. Biermann gehört seit Jahren zu den profiliertesten Fußballjournalisten Deutschlands und hat zahlreiche Bücher zum Thema Fußball veröffentlicht. 'Die Fußball-Matrix' und 'Wenn wir vom Fußball träumen' wurden jeweils zum 'Fußballbuch des Jahres' gewählt. Zuletzt erschien von ihm 'Wir werden ewig leben' (KiWi 1813), 2020. 
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2009

Der Ball bleibt rund

Christoph Biermann beschreibt in seinem Buch "Die Fußball-Matrix", wie die Digitalisierung das Spiel verändert hat, und er weiß auch, warum der Playstation-Messi besser spielt als der reale Messi

Auch wer sich nur mäßig für Fußball interessiert, wird davon gehört haben: Louis van Gaal, der neue Bayern-Trainer, hat ein Problem. Mit Franck Ribéry, seinem Star, der beim ersten Kurzeinsatz nach seiner Verletzungspause gleich zeigte, dass er nicht spielen will, was er spielen soll. Van Gaal sieht ihn als zentralen Spielgestalter in einer Mittelfeldraute, Ribéry sieht sich als freien Radikalen und zieht es vor, über links zu agieren. Ribéry stellt also die Systemfrage, welche zugleich eine Machtfrage ist. Er kann divenhaft auf seinem Standpunkt beharren, der sture Niederländer kann sich gewohnt autoritär geben - oder sein System entsprechend umstellen, was nicht ohne Gesichtsverlust abginge.

Der Konflikt ist nicht neu, die Älteren werden sich noch an das Duell Netzer vs. Weisweiler erinnern, aber die Mittel, über diesen Konflikt zu urteilen, haben sich seit Netzers Zeiten drastisch verändert, auch wenn dessen aktuelles Moderatoren-Ego das noch nicht begriffen hat. Man könnte zum Beispiel Daten sammeln, Daten zu Pässen, Zweikämpfen, Flanken, Laufverhalten, man könnte mit der entsprechenden Software die Vielfalt und Effizienz der Konstellationen vergleichen, die ein Team mit einem zentral und einem primär über links agierenden Ribéry hervorbringt. Das löste zwar die Machtfrage nicht, aber es objektivierte den Blick auf das Spiel.

"Wissensbasiert" nennt Christoph Biermann diese Perspektive in seinem Buch "Die Fußball-Matrix. Auf der Suche nach dem perfekten Spiel" - das Gegenmodell heißt "produktionsmittelbasiert", weil es sich weniger um wissenschaftlich gestützte Erkenntnisse kümmert und auf die individuelle Klasse der einzelnen Spieler setzt. Biermann ist kein Platoniker, er ist auch kein Science-Fiction-Autor. Die Matrix, die er meint, ist nichts, was das Spiel eisern im Griff hielte wie die Maschinen im gleichnamigen Film die Vorstellungswelt der Menschen; es gibt auch keine ewige Fußballidee, an der die jeweiligen Erscheinungsweisen des Spiels in unterschiedlichem Maße teilhätten.

Aber Biermann hat in seinem Buch, in das Artikel und Porträts der letzten Jahre eingeflossen sind, versucht, die Grundzüge der veränderten Fußballwelt zu beschreiben; jene Entwicklung, die Traditionalisten mit verächtlichem Unterton "Verwissenschaftlichung" nennen, wogegen sie dann wolkige Begriffe wie Kreativität, Spontaneität oder Spielwitz mobilisieren, welche dem Konzept- oder Systemfußball angeblich abhandenzukommen drohen.

Fußball ist längst zu einem "Spiel der Zahlen" geworden, von den Laktatwerten bis hin zur Ballbesitzstatistik, doch man sollte das nicht verwechseln mit den Milchmädchenrechnungen des Fernsehens, wenn der Kommentator düster raunt, Mainz 05 habe schon seit 17 Jahren nach einer Ecke von rechts kein Kopfballtor in Bochum mehr erzielen können.

Es geht um methodisch ausgefeilte Analysen, die auf der Digitalisierung beruhen, um riesige Datensätze, die das menschliche Auge gar nicht erheben könnte, und um die Schlüsse, welche gutbezahlte Experten daraus ziehen und für den Trainerstab einer Mannschaft zielgerichtet aufbereiten. Es geht darum, Meinungen, die es gerade im Fußball gibt wie Sand am Meer, durch Wissen zu ersetzen. Und das Erfrischende ist, dass Biermann sich bei seinen Exkursen nie fragt, ob das nun die Zukunft oder der Ruin des Fußballs sei.

Als langjähriger Fußballversteher bringt der 48-Jährige eine unverwüstliche theoretische Neugierde mit. Er schildert die Herkunft der Statistikspiele aus der Baseballwelt und erzählt auch von lustig-fatalen Irrtümern, wie dem des britischen Luftwaffenoffiziers, der glaubte, aus seinen aufwendigen Erhebungen zur Anzahl der Pässe, welche einem Tor vorausgehen, die Überlegenheit des Kick-and-Rush-Spiels herleiten zu können - wobei sich belegen lässt, dass der Mann seine Zahlen hartnäckig falsch interpretiert hat und wozu auch die kleine Pointe gehört, dass Mannschaften wie die norwegische Nationalelf der neunziger Jahre mit dem Kick-and-Rush-Stil durchaus befristet Erfolg haben konnten.

Manchmal ist es für den strukturkonservativen Fan auch leichter, über den Stadionrand hinauszuschauen. In die Kunst zum Beispiel, die latent zugleich eine Form des Wissens enthalten kann. Als Andreas Gursky bei der Europameisterschaft 2000 seine Kamera unter dem Dach des Amsterdamer Stadions installierte und seine beiden großformatigen (276 x 206 cm) Fotografien "EM Arena I und II" machte, zeigte er die Raumordnung des Spiels in einer Weise, welche die Optik der Taktikbildschirme vorwegnahm. Und als Harun Farocki bei der Documenta 2007 seine Installation "Deep Play" vorführte, in welcher auf zwölf Monitoren das WM-Finale 2006 durch das Raster verschiedener Software seziert wurde, erzählte er zugleich davon, dass die Digitalisierung dem Fußball zwar seine Unschuld genommen hat, aber auch zu einem unentbehrlichen Werkzeug geworden ist, um sein Funktionieren besser zu verstehen. Man erkennt diese Entwicklung leicht daran, welche Begriffe aus der Fachsprache sich längst im gemeinen Fußballdiskurs ganz selbstverständlich sedimentiert haben, von Ballbesitz und Viererkette bis zu One-Touch-Fußball, Automatismen und Spiel gegen den Ball.

Biermanns Buch folgt der plausiblen Arbeitshypothese, dass "jedes Geschäft eine Matrix hat", dass es also nachweisbare Muster gibt, Matrizen, die bestimmte Bewegungsgesetze und Mechanismen des Spiels ausmachen. Ihre Erforschung erlaubt nicht nur die Fehleranalyse, wie sie früher mühsam anhand von Videokassetten betrieben wurde, sondern erschließt ein Potential, das Spiel strategisch zu durchdringen und angemessene Trainingsmethoden zu entwickeln. Und zum Wunsch nach immer mehr Kontrolle gehören natürlich auch, wie ein dunkler Schatten, Wettbetrug, Bestechung und Doping, weil hier Steuerungsdrang und wirtschaftliche Interessen auf besondere Weise ineinandergreifen.

Weil es Biermann weniger um steile Thesen geht als um eine Bestandsaufnahme, bleibt auch offen, ob das Spiel womöglich doch zu komplex ist, zu sehr von Emergenzen, also unerwartet innerhalb eines Systems auftauchenden Situationen, geprägt ist, um es mathematisch in den Griff zu bekommen. Platonisch ausgedrückt: Die ontologische Differenz zwischen dem perfekten Spiel und seinen defizitären, von verspringenden Bällen und anderen kontingenten Umständen charakterisierten Erscheinungen ist viel zu groß, als dass man eines Tages eine perfekte Formel erwarten dürfte. Es ist zumindest so unwahrscheinlich wie der Anspruch der britischen Firma Epagogix, aus der mikroskopischen Zerlegung von Drehbüchern in Korrelation mit Einspielergebnissen die Formel für den perfekten Film zu entwickeln. Nichts illustriert diese Differenz treffender als die lakonische Antwort Lionel Messis, der bloß nickte, als Biermann ihn fragte, ob Messi, wenn er an der Playstation seinen Bildschirm-Avatar spielt, denn besser spiele als der reale Messi. Man muss jetzt also niemanden wie beim Zahnarzt beruhigen: Tut gar nicht weh! Es ist ja auch nicht so, dass die erhöhte Transparenz Fußball zum Scheinspiel gemacht hätte, das sich zu seiner bisherigen Gestalt verhielte wie Analogkäse zu echtem Käse. Die Lebenswelt des Fußballbetrachters, des Zuschauers im Stadion und vorm Bildschirm, hat sich auch nicht erst seit ein paar Jahren verändert; das Fernsehen und die kommerziellen Imperative haben das Spiel schon lange nach ihren Bedürfnissen zu formen versucht.

Bislang jedoch vertragen sich Stehplatzromantik und nüchterne Diagramme noch immer ganz gut. Und wie über Fußball, wie etwa über den Konflikt van Gaal vs. Ribéry, berichtet wird, daraus spricht noch immer der Wunsch, dass das Spiel und sein Umfeld sich am Ende in so etwas wie eine Erzählung verwandeln, in welcher die Dramaturgie, der Wunsch nach Tränen, Toren, Tragik und Rausch sich nicht einfach durch Punkte, Linien und Zahlen ersetzen lassen. Es ist diese "Neigung zu Instabilität und Chaos", wie Christoph Biermann das nennt, die ihn eher gelassen auf die schöne neue Fußballwelt schauen lässt. Und uns auch.

PETER KÖRTE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Jens-Christian Rabe empfiehlt den Sportjournalisten Christoph Biermann als einen der anerkanntesten im Land, und von dessen neuem Buch glaubt der Rezensent, dass selten "radikaler und zugleich zugänglicher" für eine neue Sichtweise auf den Fußball plädiert worden ist. Biermann hat mit Trainern, Medizinern, Software-Entwicklern und Wettbüro-Betreibern gesprochen und unzähligen Statistiken ausgewertet und kann jetzt sämtliche liebgewonnenen Fußballweisheiten widerlegen, frohlockt Rabe: Es gewinnt überhaupt nicht die Mannschaft das Spiel, die auch die meisten Zweikämpfe gewinnen, ausschlaggebend ist nicht der Ballbesitz, und es gibt auch keinen psychologisch günstigen Zeitpunkt. Worauf dagegen die Wettbüros achten, das sei, wieviel kleine, mittlere und große Torchancen es in einem Spiel gegeben hat.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2009

Der Plot jenseits der Tabellenplätze
Auf der Suche nach perfektem Spiel: Christoph Biermann will das letzte metaphysische Biotop trockenlegen: den Fußball Von Jens-Christian Rabe
Suchte man nach dem letzten unhinterfragten metaphysischen Biotop der Gegenwart, nach der großen Bühne, auf der täglich noch unwidersprochen dunkel geraunt und hemmungslos das überzeitlich Gültige, das ewig Wahre beschworen werden darf – nein, nein, man landete nicht im Vatikan. Den weht schließlich längst von allen Seiten der raue Wind des Zweifels an. Man landete natürlich auf dem Fußballplatz.
Wer die meisten Zweikämpfe gewinne, gewinne das Spiel, hörte man dann da, und wer am häufigsten in Ballbesitz sei, habe den größten Erfolg. Wer seine Torchancen am konsequentesten nutze, stehe am Ende ganz oben und außerdem gebe es selbstverständlich einen psychologisch günstigen Zeitpunkt, um ein Tor zu erzielen. Mannschaften seien besonders in Gefahr, ein Gegentor zu kassieren, wenn sie selbst eben erst ein Tor erzielt hätten und Stürmer hätten nun einmal so etwas wie Glückssträhnen – oder eben nicht.
Wäre etwas richtiger, je häufiger es gesagt würde – Fußballreporter, Funktionäre, Trainer und Spieler, insbesondere die, die im deutschen Fernsehen auftreten, wären längst Propheten.
Der Kölner Autor Christoph Biermann, der spätestens seit seinem 1999 erschienenen (und gemeinsam mit Ulrich Fuchs verfassten) Buch „Der Ball ist rund, damit das Spiel die Richtung ändern kann – Wie moderner Fußball funktioniert” zu den angesehensten Sportjournalisten des Landes zählt, hat sich nun eindrucksvoll daran gemacht, dem Unfug Einhalt zu gebieten. Man muss sein neues Buch „Die Fußball-Matrix - Auf der Suche nach dem perfekten Spiel” als Versuch lesen, das metaphysische Biotop Fußball trockenzulegen. Mit aller Liebe zum Gegenstand zwar, aber gründlich. Als eigenhändig tüftelnden Forscher darf man sich Biermann dabei allerdings nicht vorstellen. Vielmehr als umsichtigen und gewandten Erzähler und so unermüdlichen wie klugen und kritischen Sammler von Informanten und Informationen.
Bei der Widerlegung etwa der schon genannten Mythen des Spiels, beruft er sich auf Roland Loy. Der Münchner Sportwissenschaftler wertete 3000 Fußballbegegnungen aus, um den Weisheiten einmal systematisch auf den Grund zu gehen und kam zu verblüffenden Erkenntnissen. 60 Prozent aller Spiele gewinnen demnach nicht die Teams mit der besseren, sondern die mit der schlechteren Zweikampfbilanz. Auch ein längerer Ballbesitz muss nicht zwangsläufig spielentscheidend sein. Nur ein Drittel der Mannschaften, die während eines Spiels häufiger am Ball sind, gehen am Ende auch als Sieger vom Platz. Ebenso wenig gibt es wohl so etwas wie einen psychologisch günstigen Zeitpunkt für ein Tor. Britische Psychologen, so Biermann, die gut 350 Spiele der englischen Premier League ausgewertet haben, konnten beweisen, dass es für die Siegwahrscheinlichkeit keine Rolle spielt, ob man nun kurz vor der Pause trifft (dem vielbesungenen richtigen, weil den Gegner vermeintlich schwer demoralisierenden Moment) oder gleich zu Beginn der ersten Halbzeit. Genauso wenig ist ein Team nach einem Torerfolg – im Taumel des Glücks – anfälliger für ein direktes Gegentor. Ganz zu schweigen davon, dass ein Spieler, der in einem Spiel ein Tor erzielte, dies nicht mit höherer Wahrscheinlichkeit auch im folgenden tun wird.
Noch lieber liest man all dies zudem, weil man ganz nebenbei auch noch erfährt, dass Loy nicht nur schon bei der Weltmeisterschaft 1990 sportlicher Berater des damaligen Teamchefs und oberweisen Platitüdenkönigs Franz Beckenbauer war, sondern heute auch Berater der ZDF-Sportredaktionen bei Länderspielen und großen Turnieren ist. Wenn man Biermann glauben darf, dann leidet der streitbare Aufklärer bei diesen Anlässen, bei denen er die Moderatoren und Experten vor der Kamera mit Detailinformationen beliefert, nicht selten wie ein geprügelter Hund.
Wo die Messlatte für ein Buch wie die „Fussball-Matrix” liegt, wird natürlich trotz aller theoretischer Zurückhaltung nicht verschwiegen. Zum Glück. Denn es zeigt vor allem die Möglichkeiten, die in der kontrollierten Erforschung des Spiels stecken könnten. Die Messlatte ist das 2003 erschienene Buch „Moneyball” des amerikanischen Journalisten Michael Lewis. Es gilt als einflussreichstes Sportbuch, das bislang geschrieben wurde, weil es nachhaltig eine ganze Sportart veränderte: den Baseball.
Lewis hatte monatelang Billy Beane begleitet, den General Manager der Oakland Athletics, eines populären, aber erfolglosen amerikanischen Profi-Baseballteams. Beane wiederum hatte sich als erster dazu entschlossen Erkenntnisse des extrem fleißigen und kreativen, aber von den Verantwortlichen der Teams konsequent missachteten Baseball-Statistikers Bill James ernstzunehmen. Lewis beschrieb schließlich in seinem Buch nicht nur, „auf welche neue Weise Beane die Auswahl seiner Spieler betrieb. Er konnte auch davon berichten, dass sie in den Spielen selbst anders eingesetzt wurden als zuvor. So dämmerte es allen Managern, Trainern und Scouts, dass es wohl an der Zeit war, althergebrachte Wahrheiten über Bord zu werfen, die offensichtlich keine mehr waren. Der nach Football populärste Sport in den USA trat in eine neue Ära ein, in der neben sentimentalen Momenten im sommerlichen Ballpark auch Computerprogramme eine Bedeutung hatten”. Und alles nur, weil ein Neugieriger wissen wollte, was nun wirklich ausschlaggebend für den Erfolg im Baseball ist und deshalb darauf kam, dass Schlagmänner, die den Ball nicht aufsehenerregend aus dem Stadion donnerten, dramatisch unterschätzt würden.
Eine ähnlich spektakuläre Entwicklung ist in Deutschland vorerst wohl leider nicht zu erwarten. Gegenüber amerikanischen Baseball-Statistiken verhalten sich insbesondere deutsche Fußball-Statistiken schließlich noch immer wie, sagen wir, ein Müllberg zum K2. Aus Mannschaftsaufstellungen, Auswechslungen, Verwarnungen, Platzverweisen, Torschützen und Zuschauerzahlen lässt sich keine grundstürzende Theorie des Fussballs destillieren.
Aber es ist eine der wunderbaren Überraschungen des Buches, dass Biermann vielversprechende Ansätze einer solchen Theorie dort findet, wo man sie vielleicht nicht unbedingt vermuten würde: im Wettbüro. So reiste er nicht nur zu den bekannten Laboratorien der berühmten Clubs und sprach mit den festangestellten Trainern, Medizinern, Analytikern und Computersoftware-Entwicklern, sondern besuchte auch einen Mann, in dessen Londoner Firmenzentrale, der sich Jim Towers nennt. Der ehemalige Börsenspekulant und nun außergewöhnlich erfolgreiche Fussballwetter hält das, was die Fussball-Öffentlichkeit für wichtig hält für völlig unwichtig. Um die Form einer Mannschaft zu bewerten, so Biermann, benutze Towers vor allem einen Dienst, der ihm kontiniuerlich Live-Informationen darüber liefert, ob es bei einem Spiel kleinere, mittlere, größere oder riesengroße Torchancen gegeben hat. Für Außenstehende mag das sehr selbstverständlich klingen. Tatsächlich interessiert sich die Mehrheit der Meute nach wie vor nur für Siegesserien, Tabellenplätze und dafür, ob ein Team gerade ausgeruht oder belastet ist. Towers ist im Grunde sogar das Ergebnis eines Spiels egal. Zu wenig aussagekräftig.
Es dürfte sehr spannend sein, zu beobachten, was aus der „Fußball-Matrix” wird. Ein Buch, dass radikaler und zugleich zugänglicher, eleganter für eine vollkommen neue Sichtweise des populärsten Sports der Welt plädiert, hat es noch nicht gegeben. Am wahrscheinlichsten dürfte sein, dass es einen gewissen Einfluss auf das Schreiben und Nachdenken über den Sport in den anspruchsvolleren Zeitungen und Zeitschriften hat. Not täte es. Denn selbst dort, wo anderes möglich wäre, liest man in der Regel banale Mutmaßungen und arge Kurzschlüsse. Die Geschichte eines Spiels wird meist zwar mit vielen Protagonisten erzählt, aber ohne ein tieferes Verständnis des Plots, der Zusammenhänge.
Wem bei alldem das unvorhersehbare Moment des Fußballs zu kurz kommt, dem dürfte der Schluss gefallen. Natürlich, so Biermann, bliebe das Spiel „ein System mit Neigung zur Instabilität”. Aber natürlich ist es kein Zufall, das genau hier, im allerletzten kurzen Absatz, von Wahrheit keine Rede mehr ist.
Also: Man tut das ja eigentlich nicht, Bücher verschreiben. Aber diesmal muss es sein, ausnahmsweise: Wer sich wirklich für Fußball interessiert, der möge dieses großartige Buch lesen. Und alle anderen ebenso. Man entkommt dem Sport ja nicht in diesem Land. Wer allerdings auch noch im Fernsehen über Fußball sprechen muss, der lese es zweimal, nein, besser: dreimal. Und dann nochmal von vorne. Bitte!
Christoph Biermann
Die Fußball-Matrix - Auf der Suche nach dem perfekten Spiel
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 255 Seiten, 16,95 Euro.
Würde etwas richtiger, je öfter es gesagt würde, wären Sportreporter längst Propheten
Das Ergebnis eines Spiels ist Towers im Grunde egal. Zu wenig aussagekräftig
Spiel ohne Ball: Selbst dort, wo anderes möglich scheint, liest man in der Regel banale Mutmaßungen und arge Kurzschlüsse. Die Geschichte eines Spiels wird meist zwar mit vielen Protagonisten, aber ohne tieferes Verständnis des Plots erzählt. Amateurbegegnung in der Toskana. Foto: Hans Madej / Bilderberg
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» Dem Sportjournalisten gelingt es, den modernen Fußball zu entschlüsseln, ohne den Sport zu entzaubern.« Tilmann P. Gangloff Südkurier 20200227