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'Das Licht will den Tag nicht loslassen. Der Himmel glüht orange und hell-lila. In manchen der verzierten Fenster sieht Jonas Gesichter und Augen, halb hinter den Gardinen versteckt. Nein, oft kommen sicher keine Fremden hierher, denkt er.' Als Jonas' Mutter stirbt, findet er in ihren Unterlagen einen Brief, der ihn in tiefe Verwirrung stürzt: Sein Vater, von dem er nur wusste, dass er tot ist, floh in den siebziger Jahren aus einem russischen Arbeitslager und kam wahrscheinlich auf der Flucht ums Leben. Jonas macht sich auf den Weg in die Taiga, um dort nach Spuren seines Vaters und somit…mehr

Produktbeschreibung
'Das Licht will den Tag nicht loslassen. Der Himmel glüht orange und hell-lila. In manchen der verzierten Fenster sieht Jonas Gesichter und Augen, halb hinter den Gardinen versteckt. Nein, oft kommen sicher keine Fremden hierher, denkt er.' Als Jonas' Mutter stirbt, findet er in ihren Unterlagen einen Brief, der ihn in tiefe Verwirrung stürzt: Sein Vater, von dem er nur wusste, dass er tot ist, floh in den siebziger Jahren aus einem russischen Arbeitslager und kam wahrscheinlich auf der Flucht ums Leben. Jonas macht sich auf den Weg in die Taiga, um dort nach Spuren seines Vaters und somit nach der Geschichte seiner Familie zu suchen. Irgendwo dort im Permafrost muss es ein Grab des Vaters geben. Russland verändert Jonas - er wird konfrontiert mit den Greueltaten der stalinistischen Gewaltherrschaft, trifft aber gleichzeitig auf eine faszinierend schöne Landschaft und warmherzige Bewohner, allen voran den Priester Adarin und die Lehrerin Oksana, bei der Jonas wohnt und für die er bal d mehr als freundschaftliche Nähe empfindet. ivind H nes hat einen ganz besonderen Roman geschrieben: Eine Reise in eine Welt, die Atmosphäre atmet, und in der trotz ihrer grausamen Vergangenheit eine heitere und ehrliche Menschlichkeit zu Hause ist. Ein lange nachwirkendes Buch, das den Leser durch ein Wechselbad der Gefühle schickt und am Ende getröstet zurück lässt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der Rezensent Aldo Keel scheint recht angetan zu sein von Oivind Hanes' Roman "Permafrost". Der norwegische Schriftsteller erzählt darin die Geschichte eines jungen norwegischen Botanikers, den die Suche nach seinem verschollenen Vater in das Goldbergbaugebiet Kolyma im nordöstlichen Sibirien führt, wo sein Vater auf der Flucht aus einem Strafgefangenenlager aller Wahrscheinlichkeit nach erschossen wurde. Trotz des Pessimismus verheißenden Titels erblickt der Rezensent in "Permafrost" Spuren von Hoffnung. Etwas vom Geist Bjornstjerne Bjornsons, des norwegischen Nationalpoeten, dessen Lieblingsmonat der wilde April war, schwebe über Hanes' Roman, findet der Rezensent. So gelingen dem Autor "eindringliche Bilder vom Tauwetter" und "vom tosenden Erwachen des Frühlings". Doch darin liegt eine Ambivalenz. Denn das Erwachen des Frühlings bedeutet zugleich die Zerstörung der von Strafgefangenen mühsam errichteten Brücken, die vor den Augen der Gepeinigten von Eismassen zertrümmert werden. In "Permafrost", so der Rezensent zusammenfassend, erfahre man die "Tiefe des Raums, die hypnotische Monotonie der Landschaft und den Horror der Geschichte".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2001

Seelenstoff und Nordlichtblicke
Trostbeule: Øivind Hånes sucht das ewige Leben im ewigen Eis

Auch wenn Geschichtsschreibung und Tagesschau ein ganz anderes Bild vermitteln, ist der Glauben vieler Menschen an ein Gleichgewicht zwischen Gut und Böse in der Welt ungebrochen. Der norwegische Schriftsteller Øivind Hånes ist ein solcherart Gläubiger, und er begründet diese Balance durch einen Ausgleich von Quantität und Qualität. Je länger, kälter und dunkler der Winter ist, desto intensiver wird das Erlebnis des Sommers sein, der für kurze Zeit Wärme und Licht bringt.

In der russischen Taiga, in der Nähe des Flusses Kolyma, wo ein großer Teil seines zweiten auf deutsch erschienenen Romans spielt, ist der Winter ganz besonders lang und die Kälte so bitter, daß der Boden ab einer bestimmten Tiefe das ganze Jahr über gefroren ist. Man nennt dieses Phänomen Permafrost. Doch nicht nur aus meteorologischer Sicht hat dieses ehemals sowjetische Hinterland Extreme anzubieten, hier befanden sich auch die härtesten stalinistischen Arbeitslager. Hier wurde der Reichtum des einstigen Weltreiches auf riesigen Goldvorkommen und Bergen von Leichen errichtet.

Der in Skandinavien lebende Botaniker Jonas Budrys wird unvermittelt mit den Grausamkeiten der Gulags konfrontiert, als er, zurückgekehrt von einer Reise in die Schweiz, vom überraschenden Tod seiner Mutter erfährt. Beim Sichten ihrer Hinterlassenschaften stößt er auf einen Brief eines ehemaligen Arbeitskollegen seines Vaters, der ihn dazu bringt, sich die eigene Familiengeschichte ins Gedächtnis zu rufen. Von den Entwicklungen in der Sowjetunion enttäuscht, war die Familie Budrys in den siebziger Jahren von Vilnius nach Norwegen ausgereist. Als der Vater noch einmal in die Heimat zurückkehrt, wird er verhaftet. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Erst der Brief klärt Jonas darüber auf, daß er wahrscheinlich bei der Flucht aus einem russischen Arbeitslager ums Leben gekommen ist. Jonas macht sich auf in die Taiga, um Näheres zu erfahren.

Ob er dort seinen Vater findet oder nicht, soll an dieser Stelle nicht verraten werden, die Frage gerät ohnehin bald in den Hintergrund und wird für Jonas zu einer Ausrede, den lichtdurchfluteten Sommer im hohen Norden zu genießen und das einfache, aber schöne Leben mit den einfachen, aber schönen Seelen der unwirtlichen Steppe zu teilen. Dazu gehören der Pope Adarin, der gerne nackt im Eiswasser badet, ebenso wie die Lehrerin Oksana und die bisweilen vorbeihuschenden Geister der Verstorbenen. Die Grenzen zwischen unserer Welt und einer anderen, besseren, verschwimmen für Jonas mit seinem ausgeprägten Hang zum Visionären im Licht der Mitternachtssonne, sie werden durchlässig.

Jonas' Visionen lassen ihn die Lager als Gestalt gewordene Todesmaschinerie erblicken, als einen leiberzerfetzenden "Riesensaurier mit metallenen Flügeln, die bis in den Weltraum hinauf reichten". Als Trost bietet er eine Vision versöhnlicherer Art an: das "Seelenstoffbassin", mit dessen Erscheinen sich der Roman endgültig auch als mystisch-religiöses Traktat ausweist. "Ein Ort, an dem die Erfahrungen sämtlicher Geschöpfe ineinander aufgehen können", ist das Seelenstoffbassin, sozusagen ein gelber Sack für das Transzendente am Menschen.

Øivind Hånes entwickelt eine nordisch karge Privatmystik, für die er Elemente aus Spiritismus, Animismus, Buddhismus und Christentum entleiht und ein komplexes Netz von Zeichen und Symbolen aufbaut, zu dem neben den klimatischen Verhältnissen der Taiga auch von Marc Chagall gestaltete Kirchenfenster und das Saatgutarchiv der Nordischen Samenbank in Spitzbergen gehören.

Vom Christentum übernimmt er unter anderem eine bedrückende Version der Auferstehung des Fleisches. Die im Permafrostboden begrabenen Toten der Arbeitslager haben sich über Jahrzehnte unverändert erhalten. Wenn Angehörige auf der Suche nach den Verschollenen sie an die Luft holen, sehen sie unvermittelt der Vergangenheit ins Gesicht, bevor diese sich innerhalb weniger Stunden vollkommen auflöst. Vielleicht ist jene Gegend deswegen von den Schatten der Toten bevölkert, die die Lebenden beobachten und darauf warten, endlich auch in das Nirvana des Bassins eingehen zu können.

Was fängt man nun an mit einem solchen Trostbüchlein aus dem hohen Norden? Der Autor hat sich durch einen nüchternen, nur gelegentlich lyrisierenden Erzählstil alle Mühe gegeben, so unaufdringlich wie möglich zu sein mit seiner Heilsbotschaft, so daß man sie ihm, ob man es glaubt oder nicht, kaum übelnehmen kann. Der Geschichte, die er erzählt, stand sie zwar ein paarmal im Weg, allerdings ohne ihren unaufgeregten Fluß je ganz stoppen zu können, und so mag ein jeder diesen Text nach seiner Façon lesen.

SEBASTIAN DOMSCH

Øivind Hånes: "Permafrost". Roman. Aus dem Norwegischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 176 S., geb., 34,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Manchmal witzig-ironisch, manchmal glasklar und poetisch. Mit seiner andersartigen, musikalischen und eleganten Sprache, mit seinen überraschenden Bildern und unerwarteten Darstellungen gehört Oeivind Hanes zu den interessantesten und lesenswertesten jungen norwegischen Autoren." (Erik Fosnes Hansen)