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Joe Gould stammte aus einer der ältesten Familien Massachusetts, und als erfolgreichem Harvard-Absolventen schien ihm ein geordnetes bürgerliches Leben vorherbestimmt. Doch mit Mitte 20 brach er mit allem. Ein charmanter Schnorrer und spleeniger Träumer, lebte er von Luft, Zigarettenkippen und Ketchup, in Absteigen und auf der Straße. Mit seinem bekleckerten Mantel und seiner Aktentasche voller Notizbücher gehörte er zum Straßenbild von Greenwich Village. Fast 30 Jahre lang, bis kurz vor seinem Tod Anfang der 50er Jahre. Und er schrieb auf, was er um sich herum hörte, füllte 75 schmierige…mehr

Produktbeschreibung
Joe Gould stammte aus einer der ältesten Familien Massachusetts, und als erfolgreichem Harvard-Absolventen schien ihm ein geordnetes bürgerliches Leben vorherbestimmt. Doch mit Mitte 20 brach er mit allem. Ein charmanter Schnorrer und spleeniger Träumer, lebte er von Luft, Zigarettenkippen und Ketchup, in Absteigen und auf der Straße. Mit seinem bekleckerten Mantel und seiner Aktentasche voller Notizbücher gehörte er zum Straßenbild von Greenwich Village. Fast 30 Jahre lang, bis kurz vor seinem Tod Anfang der 50er Jahre. Und er schrieb auf, was er um sich herum hörte, füllte 75 schmierige Notizbücher. Zäh und unverdrossen arbeitete er an seinem großen Werk "Eine erzählte Geschichte unserer Zeit", einem epochalen Buch, elfmal so lang wie die Bibel. Aber nur wenige Auserwählte durften kleine Stücke davon lesen. Joseph Mitchell, Journalist beim "New Yorker", fasziniert von Gould und seinem Projekt, läßt sich immer wieder von ihm ausnehmen und düpieren, um über ihn schreiben zu k önnen. Aber schließlich gelingt es ihm, das Geheimnis von Goulds großem Werk zu lüften...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2000

Von Kopf bis Fuß 1,62 Meter
Joseph Mitchell schrieb Joe Gould groß, doch der Journalist wurde von dem Schriftsteller verhext / Von Mechthild Küpper

An Joseph Mitchells Stelle hätte er das Porträt einfach "Joe Gould" genannt, denn mit dem "Geheimnis" sei es nicht weit her, es werde hundert Seiten vor der Enthüllung jedem offenkundig. Das schrieb ein begeisterter amerikanischer Leser der Internet-Buchhandlung Amazon. Er wolle gewiss niemanden davon abhalten, das Buch zu lesen, nur müsse man wissen, dass es eine Biografie sei, kein Krimi. Ein anderer Leser schrieb, Joe Gould habe sein Leben verändert. Der dicke Sammelband mit Joseph Mitchells Reportagen aus dem "New Yorker" ("Up in the Old Hotel") gehöre zu den Büchern, die Eltern ihren Kindern hinterlassen sollten, mit einem Augenzwinkern oder einem Achselzucken. Denn unsere Welt, "in der ganz entschieden nicht alles in Ordnung ist", brauche gelegentlich eine Erinnerung daran, dass "das Leben weitergeht" und "dass es wirklich gut ist".

Solch naive Zugänge zu Joseph Mitchells Buch "Joe Goulds Geheimnis" sind eine Erlösung. Denn die beiden Reportagen, die jetzt in deutscher Sprache vorliegen, sind in Amerika - nun ja, in New York jedenfalls - heilige Klassiker der literarischen Reportage. Sie gelten sogar als äußerer Anlass und tiefe Ursache für das Verstummen dieses Autors. 1942 veröffentlichte Mitchell "Professor Möwe", ein dreißig Druckseiten starkes Porträt, im "New Yorker": "Joe Gould ist ein fröhlicher und ausgemergelter kleiner Mann, der seit einem Vierteljahrhundert in den Cafeterias, Diners, Bars und Kaschemmen von Greenwich Village eine bekannte Gestalt ist." Das Stück machte den Porträtierten, einen obdachlosen Trinker und Bohemien, bekannt und hielt ihn einige Jahre ganz gut über Wasser.

1957 starb Gould, und Anfang der sechziger Jahre beschloss Mitchell, sich ihm noch einmal zu nähern. Am 19. und am 26. September 1964 erschien "Joe Goulds Geheimnis" in zwei Teilen im "New Yorker", 1965 erschien der Text als Buch. Dieses zweite Porträt ist fast fünfmal umfangreicher als das erste. Mitchell war siebenundfünfzig Jahre alt, als es erschien, er war Redakteur des "New Yorker" seit 1938 und blieb es auf gewisse Weise bis zu seinem Tod 1996. Er veröffentlichte nie wieder etwas. Was unter seinem Namen als Buch erschien, waren neue Sammlungen alter Reportagen. "Joe Goulds Geheimnis" ist Joseph Mitchells Geheimnis geworden, und beide zusammen sind seither New Yorker Legenden, denen es egal ist, wie irgendjemand sie findet und ob sie überhaupt auffindbar sind.

Joe Gould "ist einen Meter zweiundsechzig groß und wiegt kaum einmal mehr als neunzig Pfund. Vor nicht allzu langer Zeit erzählte er einem Freund, er habe seit Juni 1936 nichts Ordentliches mehr gegessen; damals war er nach Cambridge getrampt und hatte in Harvard bei einem Treffen des Abschlussjahrgangs von 1911, dem er angehört, an einem Bankett teilgenommen. ,Ich bin in den Vereinigten Staaten die führende Autorität', sagte er, ,auf dem Gebiet des Verzichtens.' " So stellt Mitchell seinen Helden Gould vor, und wessen Herz angesichts der Präzision der Gewichtsangabe und der Datumsangabe "seit Juni 1936 nichts Ordentliches mehr gegessen" nicht springt und wer keinen Spaß an Gesprächen mit Pennern hat, die sich als führende Autoritäten bezeichnen, der braucht sich weder mit Mitchell noch mit Gould zu befassen. Ihren Status als mythische Bewohner New Yorks haben beide, weil sie präzise, witzig und selbstbewusst auftreten, der eine als Schnorrer, Trinker, Autor des monumentalen Werks "Eine erzählte Geschichte unserer Zeit", der andere als Journalist. "Die Erzählte Geschichte ist ein großer Mischmasch, sie versammelt die Küchenreste des Hörensagens, sie ist eine Fundgrube für Getratsche, ein Sammelsurium von Geschwafel, Gesabbel, Palaver, Blödsinn, dummem Zeug und Blech, die Früchte von, Goulds Schätzungen zufolge, über zwanzigtausend Gesprächen." Goulds Porträt von Mitchell ist auch ein Mischmasch; aber es ist keine Fundgrube, sondern eine Schatzkiste.

In "Professor Möwe" ist Mitchell noch der Naive, der Professionelle, der Reporter, der in seinen eigenen Geschichten nicht vorkommt. Das Porträt ist sorgsam recherchiert; Mitchell hat viel Zeit mit Gould verbracht, alles Erreichbare über ihn gelesen und in Erfahrung gebracht. Und doch ist es nur eine Übung, eine Probe, es ist Mitchells Gesellenstück. Zum Beispiel wird die Sache mit William Saroyan, der mit zwanzig Jahren eines der wenigen Stücke von Gould las und daraufhin angeblich ein anderer, besserer Dichter wurde, so kunstvoll erzählt, dass die Leser 1942 darin noch nicht lesen konnten, was zwanzig Jahre darauf sich bei der Lektüre aufdrängen musste: dass sie mehr über Mitchell und dessen Verständnis seines Berufs mitteilte als über Goulds schriftstellerische Qualitäten. Gould, schrieb Saroyan, sei für ihn "einer der wenigen echten und originellen amerikanischen Autoren. Er war ruhig und unaffektiert, während nahezu alle anderen amerikanischen Texte unruhig und affektiert waren. Sie waren nirgendwo zu Hause." Wenn er und Saroyan sich trafen, erzählte Gould, habe Saroyan alles über die "Erzählte Geschichte" hören wollen. Doch sei es dazu nie gekommen. "Er war derjenige, der ständig redete. Ich kam kaum zu Wort."

"Joe Gould war ein eigenartiger, mittelloser, zu keiner Arbeit zu gebrauchender kleiner Mann, der 1916 in die Stadt kam, wo er sich über fünfunddreißig Jahre durchschlug und sich, so gut er konnte, über Wasser hielt." So - kühler, distanzierter, wahrer als das erste Porträt - beginnt "Joe Goulds Geheimnis", Mitchells zweite Fassung des Themas. "Im Jahr 1942 bekam ich aus Gründen, die ich später erläutern werde, mit Gould zu tun und hielt während seiner letzten zehn Jahre in der Stadt Kontakt mit ihm. Während jener Jahre verbrachte ich einige Zeit damit, ihm zuzuhören." Und man begreift: Dieser Erzähler fürchtet sich nicht mehr davor, in seinen Geschichten aufzutauchen. Er glaubt nicht mehr alles, was er gehört, notiert und aufgeschrieben hat. Er hat verstanden, was Gould, der Autor der "Erzählten Geschichte unserer Zeit", nicht begriff: Das Verhältnis von Sprecher und Zuhörer ist keines von Herr und Knecht, ebenso wenig wie es etwa im Verhältnis eines Porträtierten mit seinem Maler feste Machtstrukturen gibt.

Mitchell berichtet, was ihm eine Malerin über ihr Bild von Gould sagt: "Ich habe es ,Joe Gould' genannt, aber eigentlich müsste ich es ,Porträt eines Exhibitionisten' nennen." Und Mitchell versteht, dass er, der Reporter, dem damals schon toten Gould noch etwas schuldet: "Und als ich nun auf dieses schamlose Gesicht auf dem Gemälde blickte, stellte sich in mir wieder das wahre Bild von ihm ein, und ich schloss, wenn es dem wirklichen Joe Gould möglich war, in dieser Sache überhaupt einen Standpunkt zu haben, dann wäre es ihm alles andere als unangenehm, wenn ich etwas über ihn erzählte, was ich nur zufällig wusste."

Das ist es wohl, was Ian McEwan in seiner Charakterisierung von Mitchells journalistischem Stil als "urban, klar, höflich" bezeichnet. Der "New Yorker"-Redakteur Mark Singer berichtete vor einem Jahr, was er über Mitchell, Gould und Mitchells Schweigen herausfinden konnte. Er kam zu dem Schluss, das Schweigen beruhe auf dem langjährigen Umgang Mitchells mit dem "albernen, wichtigtuerischen, neugierigen, klatschsüchtigen, spöttischen, sarkastischen und unflätigen" Gould. Der habe das Schreiben für den Reporter nachhaltig "deromantisiert". Zu widerlegen ist das nicht.

Joseph Mitchell: "Joe Goulds Geheimnis". Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000. 192 S., geb., 29,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Mit ein paar naiv und begeistert anmutenden Leser-Zitaten von der Adresse der Internet-Buchhandlung Amazon führt Mechthild Küpper das Buch ein, das somit auf "erlösende" Weise einfach als gut und nicht nur "heiliger Klassiker der literarischen Reportage" benannt ist. Danach erzählt sie die Geschichte dieses Buchs: seinen Vorläufer hat es in der "New Yorker"-Reportage "Professor Möwe" von 1942, in der Joseph Mitchell Joe Gould vorstellt, die den kleinen fröhlichen Mann, "obdachloser Trinker und Bohemien", bekannt machte und ihm sogar für einige Zeit zu einer Art Lebensunterhalt verhalf. Nachdem Gould 1957 gestorben war, schrieb Mitchell noch einmal über ihn: "Joe Goulds Geheimnis" wurde 1965 als Buch publiziert, - John Mitchell jedoch verstummte, und so wurden beide, schreibt Küpper, zu "New Yorker Legenden". Die Rezensentin vollzieht im Folgenden durch viele Zitate die beiden Reportagen Mitchells nach und notiert stilistische und erzählerische Differenzen. Am Ende gibt sie das Wort dem "New Yorker"-Redakteur Mark Singer, der vor einem Jahr einen Text über Gould und Mitchell veröffentlichte. Der langjährige Umgang mit dem "albernen, wichtigtuerischen, neugierigen" etc Gould habe das Schreiben für Mitchell vollständig "deromantisiert", und das findet Küpper schwer zu widerlegen.

© Perlentaucher Medien GmbH"
"Ein originelles Buch. Ich kenne absolut nichts Vergleichbares. Es nimmt dich an die Hand und führt dich aus so etwas wie einer liebevollen Erinnerung an einen New Yorker Bohemien in tiefere und unerwartete Gewässer. Zivilisiert, intelligent, gütig, humorvoll - eine große Anzahl von Lesern haben Sehnsucht nach diesen altmodischen Werten. Und darüber hinaus ist es auch noch eine gute Geschichte."(Doris Lessing)
"Wenn Borges ein New Yorker gewesen wäre, hätte er vielleicht so etwas wie "Joe Goulds Geheimnis" geschrieben."(Martin Amis)
"Wie Joe Gould verschwand auch Mitchells Buch immer wieder von der Bildfläche. Jetzt, da man es endlich hier bekommen kann, sollte man es nicht nur lesen, sondern sich gleich einen Vorrat zum Verschenken anlegen - nur für den Fall, dass es wieder verschwindet."(Julian Barnes)
"Joseph Mitchell ist ein verborgener Schatz: der Journalist als Künstler. Joe Goulds Geheimnis ist so erhellend wie die große Literatur. Jeder große New Yorker Romanautor wär e glücklich gewesen, wenn er diesen Joe Gould erfunden hätte, den Historiker und Penner, jeder Dichter wäre stolz gewesen, wenn er die Musik der Stadt so gut eingefangen hätte."(Salman Rushdie)
"Joseph Mitchell war der Meister eines lange verschwundenen journalistischen Stils - urban, klar, höflich. In der Figur des heroisch heruntergekommenen Joe Gould fand er sein perfektes New Yorker Thema. "Joe Goulds Geheimnis" ist ein wunderbares Porträt menschlicher Schwächen, ein Meisterwerk der Beobachtung und der Erzählkunst." (Ian McEwan)…mehr