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Sir Jack Pitman hat einen tollen Einfall: England in Miniaturausgabe! Zu diesem Zweck kauft er die Isle of Wight. Er will dort das alte England in Form eines Vergnügungsparks nachbilden: Ein kleiner Buckingham Palace, Stonehenge um die Ecke und Robin Hood in Aktion... Doch die Dinge entwickeln sich anders als vorgesehen, und der falsche Robin Hood droht ein echter zu werden.
England als Miniaturausgabe, die Royals zum Anfassen, Robin Hood in Aktion, das und vieles mehr bietet Sir Jack Pitman in seinem Touristenzentrum auf der Isle of Wight und Julian Barnes in seinem geistreichen Roman über
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Produktbeschreibung
Sir Jack Pitman hat einen tollen Einfall: England in Miniaturausgabe! Zu diesem Zweck kauft er die Isle of Wight. Er will dort das alte England in Form eines Vergnügungsparks nachbilden: Ein kleiner Buckingham Palace, Stonehenge um die Ecke und Robin Hood in Aktion... Doch die Dinge entwickeln sich anders als vorgesehen, und der falsche Robin Hood droht ein echter zu werden.
England als Miniaturausgabe, die Royals zum Anfassen, Robin Hood in Aktion, das und vieles mehr bietet Sir Jack Pitman in seinem Touristenzentrum auf der Isle of Wight und Julian Barnes in seinem geistreichen Roman über Original und Fälschung, über wahre und trügerische Erfahrungen.
Autorenporträt
Julian Barnes, 1946 in Leicester geboren, arbeitete nach dem Studium moderner Sprachen als Lexikograph, dann als Journalist. Von Barnes, der zahlreiche internationale Literaturpreise erhielt, liegt ein umfangreiches erzählerisches und essayistisches Werk vor, darunter 'Flauberts Papagei', 'Eine Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln' und 'Lebensstufen'. Für seinen Roman 'Vom Ende einer Geschichte' wurde er mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Julian Barnes lebt in London. Gertraude Krueger, geboren 1949, lebt als freie Übersetzerin in Berlin. Zu ihren Übersetzungen gehören u.a. Sketche der Monty-Python-Truppe und Werke von Julian Barnes, Alice Walker, Valerie Wilson Wesley, Jhumpa Lahiri und E.L. Doctorow.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Rote Bete aus dem Empire
Ein königliches Vergnügen: Julian Barnes ruft "England, England" / Von Ingeborg Harms

In seinem jüngsten Roman ist Julian Barnes der Schizophrenie der Postmoderne auf der Spur. Er widmet sich der Industrie der Simulation. Dabei treibt ihn nicht die Lust am Irrtum, sondern die Erkenntnis, dass die Techniken des Scheins vor allem der Suggestion von Authentizität dienen. Der Konsument von heute spielt nicht souverän mit möglichen Welten, sondern sucht nach Momenten der wahren Empfindung. Die Handlung dreht sich um den aberwitzigen Plan, ein Land im Maßstab einer Kleinstadt für Touristen nachzubauen: England in England, kurz England, England.

Ein französischer Intellektueller, der zu dem Vorhaben befragt wird, spricht von einer atavistischen Angst, die uns Spätgeborene vor dem Ursprünglichen befällt, und versichert, dass die meisten Menschen die weniger bedrohliche Kopie vorziehen. Die wahre Empfindung, das ist das in "England, England" entfaltete Paradox, das schon Proust beschäftigte, ereignet sich nicht im wirklichen Leben, sondern wird durch die kunstvolle Aufbereitung des Faktischen erzeugt. Die Reproduktion erhält ihre Kraft dadurch, dass sie die Komplexität des Eindrucks reduziert. Die Realität, die der Menge schmeckt, muss so aggressiv sein wie ein Kuscheltier, bemerkt Dr. Max, der Historiker im Planungsstab des Kleinstaats.

Bei Sir Jack Pitman, dem so pompösen wie kaltblütigen Landesherrn, geht die Sehnsucht noch auf die feuchte Gemütlichkeit des Sandkastens zurück. Der Herrscher über ein weltumspannendes Unternehmen wird eines Tages von zwei Angestellten seines Leitungsstabs beim Besuch in einem zwielichtigen Etablissement überrascht. Es handelt sich um kein Bordell im landläufigen Sinne; weder Domina noch Stricher erwarten ihn dort. Sir Jack lässt sich lieber in einer gigantischen Kinderkrippe päppeln. Im zwei Meter hohen Laufgitter stößt er wohlige Babylaute aus. Er wird von einem adretten Kindermädchen frisch gewickelt, saugt wollüstig an ihrer Brust und beschmutzt auf dem Höhepunkt der Orgie kreischend seine Windeln.

Kein Wunder, dass sein ultimatives Projekt, das er gern als Neunte Symphonie bezeichnet, die kollektive Regression Englands ist. Auf der baulich und landwirtschaftlich uninteressanten Isle of Wight lauern die historischen Sehenswürdigkeiten und Mythen Großbritanniens auf den Urlauber mit gesichertem Bankkonto. Robin Hood nimmt von den Reichen, um dem armen Pitman zu geben, Karl I. setzt seinen Kopf immer wieder auf, und jede Last Night of the Proms ist so laut wie die erste.

Auf der Insel vor der Insel sind historische Denkmäler nur noch, was sie auf den ersten Blick scheinen, reine Oberfläche, buntes Spektakel: Stoff für staunende Kinderaugen. Barnes' faszinierte Skepsis verbirgt sich hinter Martha, der Zynikerin am Thron von Sir Jack, die mit Hilfe von belastenden Videoaufnahmen den Coup gegen den Herrscher über die Tagträume dirigiert. Martha war schon als Kind ein kluges Mädchen, das durch die Verballhornung des Vaterunser Anstoß erregte und sich später, als desillusionierte Madame Bovary, eher für die Objekt-Listen einer Landwirtschaftsausstellung als für die Mär vom lieben Gott interessierte. Ihre Biographie macht sie zum Paradeobjekt dekonstruktiver Erinnerungstheorien: Als ihr Vater die Familie im Stich ließ, nahm er ein Stück von Marthas England-Puzzle in der Jackentasche mit. Die erwachsene Frau spricht ihn bei einem Wiedersehen darauf an, doch der Vater kann sich nicht mehr an das vermisste Teil erinnern. Marthas Existenz gründet im Mangel. Ihr rationales Wesen verhindert nicht, dass sie ein Leben lang die Leere, die der fehlende Vater riss, zu füllen versucht. So übt sie ihre Begabung zur Umstrukturierung an der Isle of Wight aus, die wie ein Puzzlestück des Festlands in der See liegt. Dass ganz England auf das fehlende Stück passt, kommt dem Verfahren der beschädigten Erinnerung entgegen. Gerade in der Lücke siedelt die melancholische Phantasie das Ganze an. England, England ist eine Traumgeburt der heilen Familie.

Um dem Inselparadies die nötige Anziehungskraft zu verleihen, verlangt Sir Jack von seinen Ideenschmieden ein magisches Detail, einen einschlägigen Mythos. Dr. Max verfällt auf die Fabel einer insularen Eierhändlerin, die einst ein starker Wind von den Klippen fegte. Dank ihres als Fallschirm dienenden Krinolinenrocks landete sie wohl erhalten auf dem Strand. Mit Hilfe von athletischen Schauspielern und Bungeesprungseilen wird dieses dubiose Wunder den Besuchern regelmäßig vorgeführt. Martha muss daran denken, als die nächste Erschütterung an der Spitze des Unternehmens ihr selber zum Verhängnis wird: "Das Gefühl eines Falls ins Bodenlose, das wir jeden Tag unseres Lebens spüren, um dann zu erkennen, dass der Fall weicher wird, aufgefangen wird von einer unsichtbaren Strömung, deren Existenz niemand geahnt hat. Reichtum und Fülle allen späteren Lebens nach diesem Moment."

Mit Martha macht auch der Roman eine wunderliche Bekehrung durch. Die abgesetzte Managerin des Ferienparadieses überlässt sich den Winden und zieht ins alte England zurück, das sich abermals Anglia nennt und langsam von der Welt vergessen wird. In dem Dorf, das ihr Unterkunft gibt, grasen Hühner auf der Durchfahrtsstraße, man tanzt um den Maibaum und isst statt Pizza Rote Beete. Martha findet schnell Anschluss: "Sie freundete sich mit einem Paar an, das Käse herstellte und früher als Broker an der Warenterminbörse gearbeitet hatte." Der Krinolinenflug wird zur Schlüsselallegorie des Romans: Dem freien Fall der Existenz verspricht das Historienspiel, wie es von Sir Jacks Vergnügungspark aus um sich greift, idyllische Aufgehobenheit. In England, England beginnen die Schauspieler, die einfältige Bauern, schwerzüngige Gemeindevorsteher und naive Tändlerinnen aus einem schlichteren Damals spielen, mit ihrer Rolle zusammenzuwachsen. Sie geben ungern den Dialekt auf, fordern für harmlose Übeltäter peinliche Strafen und schlafen lieber in baufälligen Staffagehütten als in modernen Appartements.

In einer Welt, die den Schein totalisiert, macht Authentizität keinen Unterschied. Mit ihrer Entscheidung für die Hütte wählen die Angestellten des Themenparks nicht nur zwischen zwei Lebensformen, sie entbinden sich vom Zwang der Wahl, der das Leben im Spätkapitalismus dominiert. Indem Robin Hood und seine Leute ihr Höhlenfenster vor den Besuchern verhängen und, statt den von der Projektleitung angelieferten Tiefkühlochsen zu brutzeln, lieber selber auf die Jagd gehen, unterminieren sie die Ordnung der Dinge, die auf der Isle of Wight eine sanfte Diktatur ist. Die Kultur des Scheins, in der wir Theater spielen, bleibt anfällig für Sabotage: Je gelungener die Simulation ist, desto reizvoller wird die Aussicht, sich in ihr zu verlieren. Als Konsequenz der Hightech-Postmoderne prophezeit Julian Barnes eine globale Horde lebensfroher Fundamentalisten.

Julian Barnes, der selbstironische Kleinmeister, nennt diesen vom Hochglanz Englands besessenen Roman nach Sir Jacks Miniaturstaat. Die Protagonisten, die England, England aus der Taufe heben, sind aus edelstem snobistischen Holze geschnitzt, von universeller Bildung und absolut pointensicher. Archetypen sind sie, Urbilder einer nationalen Porträtgalerie: Da ist der aus dem Nichts aufsteigende Machtmensch mit erworbenem Adelstitel und perversen Gelüsten, die gefühlskalte und rhetorisch brillante Oxbridge-Absolventin, der umständliche Gelehrte mit affektiertem Akzent und der impotente Streber, der seinem Vaterkomplex zum Opfer fällt. In gewisser Weise ist das Inselprojekt nur ein Vorwand für den Autor, um im Souvenirgeschäft des Empire zu kramen. Wie sehr es bei der Kulturgüterpflege von England, England um die List einer liebevollen Ironie geht, die jeden unhistorischen Radikalismus entwaffnet, zeigt sich an der Behandlung von Buckingham Palace. Barnes lässt keine Gelegenheit aus, sich auf Kosten der Monarchie zu amüsieren. Dass Sir James für den Umzug des Herrscherpaars eine "Ablösesumme" geboten habe, bei der Fußballer erblassen, reizt nur deshalb zum Lachen, weil König und Königin nicht wie Sportler käuflich sind. Der bizarre Einfall, dass die sozialistische Regierung Telefonzellen im Palast aufgestellt habe, weil sie die Auslandsgespräche der Königsfamilie nicht länger zu zahlen bereit sei, ist nur aus dem Grund komisch, weil jedes Schulkind weiß, dass die jetzige Königin an jedem Fernsprecher eine würdige Figur macht.

Der Roman fasziniert seine Leser mit denselben Mitteln, die Sir Jack in sein Produkt steckt. Als unerschöpflich erweist sich der Reichtum einer nationalen Tradition, indem sie dem schnellen Verbrauch ausgeliefert wird. Und was wäre zum Zwecke dieses Beweises besser geeignet als der zündende Witz, der seinen Gegenstand zu nichts zerfallen lässt?

Julian Barnes: "England, England". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Gertraude Krueger. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Berlin 1999. 352 S., geb., 45,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Ingeborg Harms ist angetan: Barnes, der "selbstironische Kleinmeister" (damit meint sie wohl einen "Meister der kleinen Form", denn als "Kleinmeister" gilt doch eigentlich ein unbedeutender Künstler) treibt ein Spiel mit der Sucht nach Authentizität im Zeitalter der Simulation. Ein Unternehmer baut ein Klein-England auf der Isle of Wight nach, das echter wird als das echte. Seine putzigen Bewohner in Bauertrachten, Angestellte eines Unterhalungsimperiums, identifizieren mit ihren Rollen, fangen an, selbst zu jagen und wollen nur noch rote Beete statt Pizza. So zeugt, schreibt Harms, die Postmoderne den Fundamentalismus, und Barnes findet eine wunderbare Gelegenheit, "im Souvenirladen des Empires" zu kramen. Harms Kritik beschränkt sich weitgehend auf Nacherzählung.

© Perlentaucher Medien GmbH"
»[...] ein typischer Barnes-Roman, allerdings völlig anders als die anderen. [...] Barnes' Literatur ist so unvorhersehbar, weil er ein unglaublich vielseitiger Stilist ist.« The Independent on Sunday