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Produktdetails
  • insel taschenbuch 2200
  • Verlag: Insel Verlag
  • 2000.
  • Seitenzahl: 432
  • Deutsch
  • Abmessung: 24mm x 108mm x 176mm
  • Gewicht: 316g
  • ISBN-13: 9783458339007
  • ISBN-10: 3458339000
  • Artikelnr.: 07595206
Autorenporträt
Dr. phil. Hans-Joachim Simm, geboren 1946 in Braunschweig, lebt als Publizist bei Frankfurt am Main. Er war bis 2009 Leiter des Insel Verlags, des Verlags der Weltreligionen und der Buchreihe edition unseld . Er gab zahlreiche Werksausgaben deutscher Dichter und Schriftsteller und diverse Anthologien heraus.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nun ist im vergangenen Jahr die Goethe-Welle über uns hinweggerollt, und doch gibt es da einen Inselfleck, den keiner der Germanisten, Kommentatoren und Liebhaber bislang untersucht hat: Wie hielt er`s mit der Religion? Mit der christlichen Staatskirche hatte Goethe bekanntermaßen nichts am Hut, so Ekkehart Krippendorf, auch wenn er durch und durch religiös gewesen sei. Neu war für den Rezensenten dieser Textsammlung, wie intensiv Goethe sich mit außereuropäischen Religionen befasst hat, und das nicht bloß im "West-östlichen Divan". Für Krippendorf hat der Herausgeber - einer, der sich in der Materie auskennen muss, da er Ko-Lektor der großen Frankfurter Ausgabe ist - kluge Sorgfalt bei seiner Auswahl der Textstellen walten lassen: er habe Textpassagen, Gedichte, Szenen herausgesucht, die auf den ersten Blick nicht unbedingt etwas mit Religion zu tun hätten, jedoch von Goethes innerer Haltung zeugten. Selbst berühmte Textstellen erhielten im Kontext dieser Fragestellung "ganz neue Dimensionen".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.11.2000

Das tiefste Thema
Goethe und die Religion
Der Goethe-Brunnen ist unerschöpflich – selbst nach dem reichen Bücherangebot des Jubiläumsjahres 1999 darf man sich wieder überraschen lassen: Goethe und die Religion – das war tatsächlich nicht dabei gewesen. Und welche Dimension dieser proteischen Existenz könnte gewichtiger sein, welche Fragestellung zentraler dieses Lebenswerk erschließen und das Zeugnis, das hier exemplarisch abgelegt wird, besser, aktueller, hilfreicher dokumentieren als Goethes Antwort auf die „Gretchenfrage”: Wie hast du’s mit der Religion? Es gibt darauf nicht eine Antwort, sondern viele Antworten, die aber einer gemeinsamen Wurzel, einer Welt-Haltung entspringen: „Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, die du mir nennst. ‚Und warum keine?‘ Aus Religion. ”
Mit dieser Xenie eröffnet Hans-Joachim Simm seine eben erschienene Textsammlung. Man darf, man muss sie loben – Simm kennt seinen Goethe, das verwundert nicht, ist er doch einer der für die große Frankfurter Ausgabe zuständigen Lektoren. Aber hier hat mehr als eine quantitative Textkenntnis Pate gestanden – Simm hat den religiösen Goethe „von innen bittend” befragt, also nicht mit Hilfe eines CD-Rom-Stichwortsuchers, sondern mit dem feineren Gespür auch für solche Antworten auf jene Gretchenfrage, die auf den ersten Blick kaum etwas mit Religion zu tun zu haben scheinen und doch Wesentliches über Goethes Religiosität als Welt-Haltung vermitteln. Gedichte gibt es da zu entdecken oder mit neuen Augen zu lesen („Tischlied”, „Die Geheimnisse”, „Der Gott und die Bajadere”), abgelegene Texte („Myrons Kuh”), Briefe, Sprüche („Die christliche Religion ist eine intentionirte Politische Revolution die, verfehlt, nachher moralisch geworden ist. ”), Szenen aus Faust oder Iphigenie, die im Kontext ganz neue Dimensionen erhalten.
Um zu wissen – oder zu vermuten –, dass Goethe in Religionsdingen tolerant und aufgeschlossen war, bedarf es keiner besonderen Kenntnisse; aber der Umfang und die Intensität, mit der er sich auf die außereuropäischen Religionen eingelassen hat, und nicht nur im Divan, wo er sich geradezu als „Muslim” bezeichnete – das hier im Zusammenhang anhand der Texte selbst mitzuerleben, muss auch dem Kenner der Materie Staunen abnötigen. Seine Gegnerschaft zum Kirchen-Christentum und sein nicht zuletzt ästhetischer Widerwille gegen den blutigen Mann am Kreuz und das „leidige Marterholz” (drastisch die Situation vor dem Altar im Tagebuch: „Vor deinem Jammerkreuz, blutrünst’ger Christe, Verzeih mir’s Gott, es regte sich der Iste”) sind wohl bekannt, obwohl er die zivilisatorische Bedeutung des Christentums und dessen ethische Postulate immer anerkannt und respektiert hat.
Auf den Tag genau ein Jahr vor seinem Tode schreibt er „in Ernst und Scherz” – und Goethe ist nie positivistisch wörtlich zu nehmen sondern liebte das Paradoxe, die Widersprüchlichkeit, die Ironie als Medium der Wahrheit – an Sulpiz Boisserée: „Nun erfahr ich aber in meinen alten Tagen von einer Secte der Hypsistarier, welche, zwischen Heiden, Juden und Christen geklemmt, sich erklärten, das Beste, Vollkommenste, was zu ihrer Kenntnis käme, zu schätzen, zu bewundern, zu verehren. Da ward mir auf einmal aus einem dunklen Zeitalter her ein frohes Licht, denn ich fühlte, daß ich Zeitlebens getrachtet hatte, mich zum Hypsistarier zu qualifizieren. ” Man darf das wohl, nehmt alles nur in allem, als Goethes letztes Wort über seine Religionszugehörigkeit ansehen – nur ist damit über seine Religiosität nichts gesagt. Die ist ihm eigentlich – wie jedem denkenden Wesen – so selbstverständlich, dass er keine Notwendigkeit sieht, sie begründen zu müssen: sie durchatmet jede Zeile, die er geschrieben hat, jede Lebensäußerung und die ganze Biografie. Von ihr handelt, letztlich, seine in unendlich vielen Bezügen manifestierte Existenz, und auch wenn es der Überwindung einer gewissen Scheu bedarf, es auszusprechen: Goethe sah sich wohl selbst als göttliches Wesen, als Bürdenträger einer überlebensgroßen Verantwortung für die ihm verliehenen Gaben.
Der Herausgeber dieser stets mit Gewinn zu lesenden Texte würde, bei Strafe des Vorwurfs mangelnder Seriosität, sich so weit nicht hervorwagen können – unterstellt, er hätte es gewollt. Statt dessen hat er dieses eigentlich alle Grenzen sprengende Material übersichtlich in chronologische und thematische Kapitel gegliedert und jedem von ihnen kluge, biografisch und geistesgeschichtlich ordnende Einleitungen gegeben, die unaufdringlich Zusammenhänge und Bezüge zum übrigen Werk wie zur Zeitgeschichte herstellen und vorsichtige Hinweise zum besseren Verständnis der Texte geben. Auf dem Buchrücken ein dann wohl doch programmatisch zu verstehender Satz aus dem Divan aus dem Zusammenhang von Goethes lebenslanger Beschäftigung mit dem Alten Testament: „Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Unglaubens und Glaubens. ”
EKKEHART KRIPPENDORFF
GOETHE UND DIE RELIGION. Aus seinen Werken, Briefen, Tagebüchern und Gesprächen zusammengestellt von Hans-Joachim Simm. Insel Taschenbuch, Frankfurt 2000. 432 Seiten, 24,90 Mark.
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