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Heinrich Böll und Helge Schneider, Neo Rauch und Rainer Werner Fassbinder: Seit 1949 hat die Kultur in der Bundesrepublik Deutschland eine Vielfalt entwickelt, wie sie keine frühere Epoche kannte. Noch nie spielten Literatur, Film, Kunst, Musik, Architektur, Design, Sport und sogar Computerspiele eine so große Rolle wie heute. Axel Schildt und Detlef Siegfried präsentieren in ihrer Kulturgeschichte die ganze Fülle des kulturellen Lebens und der Alltagskultur in Deutschland vom Kriegsende bis zur Gegenwart. Ihr reich illustriertes Buch ist große Geschichte, Nachschlagewerk und Einführung zugleich.…mehr

Produktbeschreibung
Heinrich Böll und Helge Schneider, Neo Rauch und Rainer Werner Fassbinder: Seit 1949 hat die Kultur in der Bundesrepublik Deutschland eine Vielfalt entwickelt, wie sie keine frühere Epoche kannte. Noch nie spielten Literatur, Film, Kunst, Musik, Architektur, Design, Sport und sogar Computerspiele eine so große Rolle wie heute. Axel Schildt und Detlef Siegfried präsentieren in ihrer Kulturgeschichte die ganze Fülle des kulturellen Lebens und der Alltagskultur in Deutschland vom Kriegsende bis zur Gegenwart. Ihr reich illustriertes Buch ist große Geschichte, Nachschlagewerk und Einführung zugleich.
Autorenporträt
Dr. phil. habil. Axel Schildt, geboren 1951, ist Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und Professor für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg. Zahlreiche Veröffentlichungen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2009

Die große Abschlaffe
In ihrer deutschen Kulturgeschichte der Nachkriegszeit lassen Axel Schildt und Detlef Siegfried alles und jeden aufmarschieren. Aber wozu?
Es gibt eine neue deutsche Kulturgeschichte der Nachkriegszeit. Axel Schildt, Professor der Universität Hamburg, und Detlef Siegfried, Associate Professor in Kopenhagen, haben sie verfasst und in ihr eine ganzen Haufen interessanter Daten abgelegt. Zum Beispiel stieg der Museumsbesuch zwischen 1970 und 1986 von 14 auf 62 Millionen, aus einer „immensen kulturellen Neugier”. Warum nur haben Theater und Buchhandel nicht in gleichem Umfang von dieser Neugier profitiert? Ein anderes Beispiel: Noch 1950 bestanden 94,4 Prozent der Buchproduktion aus belletristischen Titeln. Sieben Jahre später machten die Sachbücher bereits mehr als die Hälfte aus. Wie ist so etwas erklärlich? Liegt es an einem explodierenden Markt für Ratgeber? Oder fielen die einfach gemachten Unterhaltungsromane weg, weil deren Publikum sich inzwischen am Radio amüsierte? Was könnte es sonst gewesen sein? Das wüsste jeder gern. Nur die Verfasser der „Deutschen Kulturgeschichte”, die interessiert das nicht. Sie notieren den statistischen Befund und stapfen gleich zum nächsten, der Entwicklung der Durchschnittspreise für Taschenbücher. Nicht einmal der Versuch einer Deutung wird unternommen.
Siebenhundert Seiten umfasst die „Deutsche Kulturgeschichte”, da findet sich natürlich manch Interessantes. Die Entnazifizierung etwa traf selbst Walther von der Vogelweide, den einzelne öffentliche Bibliotheken aussortierten, weil der Nationalsozialismus ihn in Anspruch genommen hatte. Andererseits wurde Alfred Hugenberg als „Mitläufer” eingestuft. Immer pittoresk sind die reaktionären Überreste: Bis in die sechziger Jahre hatte in verschiedenen Bundesländern eine Polizeiverordnung vom Januar 1941 Bestand, die die Herstellung von Verhütungsmitteln verbot. (Ob die Verordnung auch durchgesetzt wurde, wird dem Leser dann nicht mehr verraten.) Auch auf der linken Seite gab es merkwürdige Residuen: Im Kampf gegen die Atomrüstung hielt der Hamburger Erste Bürgermeister, der Sozialdemokrat Herbert Weichmann 1958 eine große Rede: „An uns alle ist die Frage gestellt, (…) ob wir die Rettung des Friedens, die Rettung unserer Frauen, die Rettung unserer Kinder wollen.” Wir alle, an die die Frage gestellt ist, sind offenbar Männer, die Frauen sind Objekte der Fürsorge, nicht Subjekte des politischen Willens.
So etwas ist aufschlussreich und unterhaltsam, aber aufschlussreich und unterhaltsam ist auch das Blättern im Lexikon. Ein Zusammenhang, ein Bild (das gewiss ein widersprüchliches wäre) ergibt sich so nicht. Das liegt daran, dass die Autoren Schildt und Siegfried ästhetisch und intellektuell ganz unansprechbar wirken. Die Bayreuther Festspiele und ihr Neuansatz werden auf einer Zeile abgefertigt: „In Bayreuth traf sich die Hautevolee seit 1951 wieder bei den Wagner-Festspielen”. Neubayreuth war der Versuch, Wagner aus dem Schatten des Nationalsozialismus herauszuziehen und ihn als ein europäisches Phänomen zu erweisen. Das passte zu der Abendlandidee der fünfziger Jahre, doch war es nicht das christliche Abendland, das Wieland Wagner im Blick hatte, sondern das heidnische, das antike. Die stark abstrahierenden Inszenierungen zielten auf das, was man das Allgemein-Menschliche nannte, eine Kategorie, die später ideologiekritisch angegriffen wurde. Aber betrachtet man daneben ein nach Stoff und Herkunft so anderes Kunstwerk wie den russischen Antikriegsfilm „Die Kraniche ziehen” (1957), so wird man in Haltung und Ästhetik, in der Lichtführung zum Beispiel, Übereinstimmungen sehen.
Nun, mag sich der Leser trösten, die Autoren seien musikalisch eben nicht interessiert. Aber von May Spils’ Film „Zur Sache, Schätzchen” (1967) mit wiederum einer Zeile zu schreiben, er bringe „den subversiv-hedonistischen Lebensstil jugendlicher Großstadtbewohner in die Kinos” ist ja ähnlich dürftig. Hier hätte man zeigen können, dass „1968” neben dem revolutionären Kampf auch die große Abschlaffe bedeutete, dass die bürgerliche Welt aus zwei Richtungen in Frage gestellt wurde, zwei Richtungen, die aber gelegentlich auch konvergierten.
Alles und jeden lassen Schildt und Siegfried aufmarschieren, das Personenregister umfasst 15 Seiten. Aber nichts und niemand gewinnt Gestalt. Über Adenauer und Wehner, Brandt und Kohl ließen sich interessante Kurzporträts schreiben, sie waren, jeder auf seine Weise, Agenten mächtiger Strömungen. Nichts davon wird geboten. Auch Künstler oder Wissenschaftler wecken nicht mehr Interesse. Die großen Debatten über die Wirtschaftsordnung, Wiederaufrüstung, Ostpolitik, den Anspruch auf weitergehende Demokratisierung, die Nachrüstung werden nur erwähnt. Was daran Substanz war, das muss der Leser aus eigener Kenntnis beisteuern. Die Bundesrepublik ist ja gar nicht so langweilig. Vor vier Jahren erschien im gleichen Verlag „Die engagierte Nation. Deutsche Debatten 1945 - 2005”, herausgegeben von Eberhard Rathgeb. Man schlägt das Buch auf und freut sich über den Anspruch, mit dem doch oft argumentiert wurde.
Nichts davon bei Schildt und Siegfried. Sie haben keine Geduld, den Argumenten zuzuhören und Platz zu gewähren, keine Freude an dem Gegenstand und keine Frage an ihn. Aber was wundert sich der Leser? Das Buch heißt „Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik von 1945 bis zur Gegenwart”. Wie der Titel vom Deutschen umstandslos zum Bundesrepublikanischen umschaltet, das ist ja bereits ein starkes Zeichen intellektueller Hemmungslosigkeit. Die DDR bleibt ausgespart, bis 1989/90 ist das Buch eine westdeutsche Kulturgeschichte. Und so geht’s dann auch weiter. Was in den östlichen Bundesländern geschieht, das interessiert wenig, gleich ob es um Städtebau, Denkmalschutz und Rekonstruktion geht, um das Verlagswesen, die Theater oder die Literatur. Auch die politische Kultur wird nicht untersucht, allenfalls hört man, wie im Jahre x y Prozent über z denken. Gewiss haben die Autoren den minimalkritischen Gestus parat und wollen die DDR nicht bloß als „zweite deutsche Diktatur” betrachtet sehen. Aber leisten wollen sie für das Ziel nichts. Andererseits: Was wäre dabei schon rausgekommen? STEPHAN SPEICHER
Axel Schildt, Detlef Siegfried
Deutsche Kulturgeschichte
Die Bundesrepublik von 1945 bis zur Gegenwart. C. Hanser Verlag, München 2009. 696 Seiten, 24,90 Euro.
Die bürgerliche Welt wurde aus zwei Richtungen attackiert
Umstandslos wird hier zum Bundesrepublikanischen umgeschaltet
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2009

Im Spiegel feuchter Augen

Kultur ist eine Klimazone. Was gedeiht in dieser Zone von 1945 bis heute? Axel Schildt und Detlef Siegfried haben eine Kulturgeschichte Deutschlands verfasst, die von Gottfried Benn bis zur Sitzecke reicht.

In diesem Buch lernt man etwas über die Campingsitten der Deutschen, über den Opel Kapitän, aber auch darüber, dass Arnold Gehlen die moderne Gesellschaft genauer beschreiben konnte, als dies der Frankfurter Schule gelang. Außerdem bietet diese Kulturgeschichte dank präziser Beschreibungen zahlreiche Wiedererkennungseffekte: "Zum zeitgenössischen Wohnideal gehörte die Essecke als jener Ort, an dem die Familie ihre Mahlzeiten einnehmen sollte, nicht mehr in der Wohnküche, aber auch nicht in einem eigenen Esszimmer, sondern eben in einer kleinen Nische dazwischen, wenn möglich mit einer Durchreiche zur Arbeitsküche."

Da wird so mancher Leser seufzen: "Ach!". Auch Wirtschafts- und Sozialpolitiker können hier feuchte Augen bekommen, wenn es heißt: "Das Versandhaus Neckermann köderte 1961 Arbeitskräfte mit dem Angebot, sie würden morgens mit firmeneigenem Fahrzeug zu Hause abgeholt, um ihnen die Zumutung öffentlicher Verkehrsmittel zu ersparen. Die Bundesregierung beschloss im August jenes Jahres, dass bis zum 31. Januar 1962 keine Arbeitslosenversicherung mehr zu entrichten sei, denn die Kassen waren übervoll."

Axel Schildt und Detlef Siegfried vollbringen eine beeindruckende Syntheseleistung und überwinden die Selbsteinengungen vieler bisheriger Kulturgeschichten. Denn sie sprechen von populärer Kultur, stellen Filme und Schlager vor, aber integrieren genauso souverän Gedichte von Benn und Enzensberger in ihre Darstellung; sie nennen Institutionen und Medien, beschreiben etwa die Zeitschriften der Nachkriegszeit, um dann die dort vertretenen Gesellschaftskonzepte zu analysieren; sie informieren über Lebensformen, über Sport und Sexualität, aber sie begeben sich auch in die Verästelungen der politischen Kultur und schreiben Ideengeschichte auf hohem Niveau.

So erörtert Schildt die "Abendland"-Ideologie der fünfziger Jahre, die der als ungenügend angesehenen "Formaldemokratie" der Bundesrepublik ein weltanschauliches Fundament geben wollte. Dabei näherte sie den neuen Staat trotz mancher Vorbehalte Westeuropa an, um gleichzeitig den Antiamerikanismus der intellektuellen Eliten "im Schatzkästlein der Ressentiments" aufzubewahren. Schließlich gewann sie bei allem Anachronismus ihres Gesellschaftsbildes eine positive Funktion für die Verankerung der Bundesrepublik im Westen - solche Erörterungen gelingen meisterhaft.

Bei aller Genauigkeit des Begriffs und bei Einbeziehung des neuesten Forschungsstandes verschiedener Wissenschaften bleibt Platz für eine klug ausgewählte Bebilderung und für eine sachlich-feine Form der Ironie: "Ein Beispiel für die Erzeugung von Empathie durch eine mediale Brücke für weit entfernt lebende Wesen lieferte zur besten Sendezeit nach der Tagesschau ,Ein Platz für Tiere' des wertkonservativen Frankfurter Zoodirektors Bernhard Grzimek, der häufig in Begleitung eines Affen, bisweilen auch eines anderen Tieres, im Studio erschien."

Bemerkenswert ist aber nicht nur, wie Schildt heterogene Erscheinungen zum Panorama einer Gesellschaft zusammenfasst, sondern auch, wie entschieden er sich von lange gepflegten Bewertungen trennt. Dies ist keine Heldengeschichte der Nachkriegsintelligenz; hier wird die Durchsetzung der abstrakten Malerei in Westdeutschland nicht gerechtfertigt, sondern analysiert; hier wird auf Traditionen der ersten Jahrhunderthälfte hingewiesen, die das Denken der Nachkriegsjahrzehnte bestimmten, wenn etwa bündisch sozialisierte Jugendliche nach 1945 ihre Demokratiekritik fortsetzten. Jeder intellektuelle Hochmut ist den Verfassern fremd.

Diese hervorragende Qualität besitzt die "Deutsche Kulturgeschichte" allerdings vor allem in den ersten Kapiteln zu den fünfziger und sechziger Jahren, die von Axel Schildt stammen. Auch der zweite Teil, den Detlef Siegfried verantwortet, ist informativ, bietet einige glänzende Darstellungen, so zur postmodernen Architektur, und führt vor, wie man mit Neckermann-Katalogen Mentalitätsgeschichte betreibt. Aber hier fehlt die Weite des Blicks: Kultur ist nun ausschließlich linke Kultur, findet sehr oft in Hamburg statt und ist ständig von einer "konservativen Gegenmobilisierung" bedroht, die die "zackige Norm maskuliner Selbstzucht" wiederaufrichten will. Selbst die siebziger Jahre atmeten noch einen repressiven Geist, doch gab es zum Glück "Performances an subkulturellen Orten", aus denen weitere "Demokratisierungseffekte" hervorgingen.

Wo in einem derart einfachen Raster von Fortschritt und Reaktion ein Autor wie Odo Marquard seinen Platz hätte, erfahren wir nicht, denn er kommt nicht vor. Von den alternativen Bewegungen heißt es triumphierend, dass sie in der Verfassung nicht vorgesehen seien; ja, warum sollten sie auch? Der Vorbehalt der älteren Kulturgeschichte gegenüber großen Individuen ist deutlich zu spüren. Hinzu kommen Leervokabeln wie "Authentizität" und "Gegenkultur". Ausgezeichnet dann aber wieder das Foto eines jungen Mannes mit sehr langen Haaren, der vor einem Friseurgeschäft sitzt, Unterschrift: "In den sechziger Jahren funktioniert die Haartracht als kulturelles Unterscheidungsmerkmal." Wer noch einmal in die Lebensformen, das Denken und Fühlen der Bundesrepublik eindringen will, der besitzt mit diesem Buch einen Schatz.

DIRK VON PETERSDORFF.

Axel Schildt und Detlef Siegfried: "Deutsche Kulturgeschichte". Die Bundesrepublik von 1945 bis zur Gegenwart. Hanser Verlag, München 2009. 696 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die "Deutsche Kulturgeschichte" von 1945 bis zur Gegenwart von Axel Schildt und Detlef Siegfried findet Dirk von Petersdorffs begeisterte Zustimmung, und er ist beeindruckt von der Bandbreite der Themen. Denn von Campinggebräuchen über Schlagerkultur bis zu Gottfried Benns Lyrik oder Arnold Gehlens Gesellschaftsanalysen ist alles dabei und wird von den Verfassern präzise und mit leiser Ironie erfasst, stellt der Rezensent hingerissen fest. Und der Leser wird so manches Mal zwischen Wiedererkennen - etwa bei Erwähnung der Essecke - und Nostalgie schwanken, wenn er liest, dass 1961 die Entrichtung der Arbeitslosenversicherung wegen übervoller Kassen ausgesetzt wurde, verspricht Petersdorff zudem. Es sei eine imponierende "Syntheseleistung", die Schildt und Siegfried hier leisten und die durch eine gelungene Fotoauswahl noch gesteigert wird, preist der Rezensent. Allerdings fällt der zweite Teil gegenüber dem ersten in seinen Augen etwas ab, hier fehlt dem Rezensenten die "Weite des Blicks", und er stört sich außerdem daran, dass der Band hier unter Kultur vornehmlich "linke Kultur" versteht, die bei ihm zudem häufig in nicht sehr aussagekräftige Worthülsen gekleidet wird. Insgesamt aber ändert das nichts an seiner Beurteilung dieser Kulturgeschichte als absoluten "Schatz".

© Perlentaucher Medien GmbH