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Im Laufe seines Leben hat George Steiner ein Werk geschaffen, das alle Facetten der Kultur erschließt. In diesem großen Essay stellt Steiner nun eine Sammlung ungeschriebener Bücher vor, die sein reales Werk vervollständigen würden, aber aus unterschiedlichen Gründen nie geschrieben wurden. Da steht chinesische Wirtschaftsgeschichte neben einer Abhandlung über den Neid, eine Untersuchung des Eros neben einem bildungspolitischen Manifest. Das Universum des George Steiner erscheint in diesem Buch en miniature.

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Produktbeschreibung
Im Laufe seines Leben hat George Steiner ein Werk geschaffen, das alle Facetten der Kultur erschließt. In diesem großen Essay stellt Steiner nun eine Sammlung ungeschriebener Bücher vor, die sein reales Werk vervollständigen würden, aber aus unterschiedlichen Gründen nie geschrieben wurden. Da steht chinesische Wirtschaftsgeschichte neben einer Abhandlung über den Neid, eine Untersuchung des Eros neben einem bildungspolitischen Manifest. Das Universum des George Steiner erscheint in diesem Buch en miniature.
Autorenporträt
George Steiner, geb. 1929 in Paris, hat seit 1994 den Lord-Weidenfeld-Lehrstuhl für Komparatistik an der Universität Oxford inne.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2007

Worüber man nicht reden kann, das soll man aufschreiben
Philologie des Bettgeflüsters, oder: Das hätte sechzig Jahre Arbeit ohne Ferien bedeutet George Steiner hat eine Sammlung von Büchern verfasst, die er aus guten Gründen nicht verfasst hat
In seiner prägnanten Autobiographie „Errata” (1999) hat der Literaturwissenschaftler George Steiner geschrieben: „Ich habe meine Kräfte zersplittert und sie damit vergeudet.” Ganz schlimm findet er das freilich nicht: Nur weidende Kühe, sagt er, brauchen ein Feld, nicht aber die Wissenschaftler.
Der Lust an der Selbstbezichtigung frönt Steiner auch in seinem jüngsten Buch. Vordergründig handelt es von den Monographien, die er nicht geschrieben hat. Man kann es aber auch als Ergänzung zu „Errata” lesen. Selbst ein abenteuerlustiger Gelehrter wie George Steiner, der in jedem guten Buch eine neue Welt entdeckt, ist sich darüber im Klaren, dass die wenigsten Autoren alle paar Jahre neue Memoiren vorlegen können, nur weil es ihnen Spaß macht, über sich selbst zu schreiben.
Steiner lässt es langsam angehen: Das erste ungeschriebene Buch hätte von dem verstorbenen Biochemiker Joseph Needham handeln sollen, der den Plan verfolgte, die gesamte Entwicklung der chinesischen Wissenschaften zwischen Buchdeckeln auszubreiten. Achtzehn Bände des Kompendiums wollte Needham selbst verfassen. Steiner überschlägt: Das hätte sechzig Jahre Arbeit ohne Ferien bedeutet. Dass er das Projekt womöglich für irrwitzig halten könnte, lässt er nur insofern ahnen, als er Needhams Werk mit Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit” vergleicht und diese beiden dann zu Dantes „Göttlicher Komödie” in Beziehung setzt. Über Needham hat Steiner kein Buch geschrieben, weil die beiden Herren – ohne allzuviel zu reden, wie man das in Oxbridge vorzüglich versteht – persönlich und politisch aneinandergeraten sind.
Der große Dante war es, der, zumindest in Steiners Interpretation, dem weniger angesehenen Cecco d’Ascoli das Leben zur Hölle machte. Der Dichter und Astrologe d’Ascoli wurde auf Betreiben der Kirche bei lebendigem Leibe verbrannt. Steiner erwägt, ob in er in seiner letzten Nacht mehr an Dantes Existenz oder mehr an der Angst vor den physischen Qualen gelitten habe. Und weil Steiner bekennt, mit Neidgefühlen gut vertraut zu sein, beklagt er die Abwesenheit einer „tiefschürfenden Phänomenologie des Neides”. Wonnevoll preist er sich dem Leser als einer an, der für diese Thematik wie gemacht sei. „Meine eigene Stellung wurde unhaltbar, als ein Dichter, zu dem ich in Gegensatz geraten war und den ich in der öffentlichen Auseinandersetzung besiegt hatte, mich unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Stockholm ansah und nur ein einziges spöttisches Wort sagte: ,Sorry‘.”
Weil George Steiner sich, mit Bertolt Brecht gesprochen, „die Ehrungen seiner Mitbürger erworben” hat „zugleich mit den Gebrechen des Alters”, kann er darauf bauen, dass niemand ihm seine Selbstbezichtigungen glaubt. Auch dies kostet er aus: „Ich habe die Untersuchung über Cecco d’Ascoli nicht geschrieben. Sie hätte von gewissem Interesse sein können. Aber sie ging mir zu tief unter die Haut.”
Den Gebrechen des Alters trotzt er mit einem philologischen Traum: Er hätte gern eine komparatistische Abhandlung über Bettgeflüster verfasst. „Systematisch, historisch und psychologisch verantwortungsvoll” sollte sie natürlich sein. Steiner sagt, in vier Sprachen geliebt zu haben. Je bildhafter und absurder die Worte, die er zu hören bekam, desto natürlicher wollen sie ihm vorgekommen sein. Er behauptet, nur einmal völlig platt gewesen zu sein: Als seine französische Gefährtin im Bett einen subjonctif (eine grammatische Form, die nur entfernt mit dem deutschen Konjunktiv vergleichbar ist) im Plusquamperfekt formulierte. Was Steiner über das Lieben auf Deutsch sagt, ist bizarr. Wenn wir nicht fest darauf vertrauten, dass er uns die Wahrheit und nichts als die Wahrheit erzählt, wirkte es an den Haaren herbeigezogen. Dass er sein Buch über das Pfingstfest aller Tage nicht geschrieben hat, erklärt er einleuchtend: „Die Indiskretion muss ihre Grenzen haben.”
Über sein Judentum meditiert Steiner in diesem Band recht ausführlich. Auch in „Errata” hat er das schon getan. Er schreibt von den Schuldgefühlen der Juden, die sich über ihre Judenheit äußern und sich zugleich eingestehen müssen, das Hebräische nicht zu beherrschen. Nicht nur den Orthodoxen gegenüber, sondern auch im Hinblick auf den nicht existierenden Gott ist das eine schlechte Verhandlungsposition. Deutlicher denn zuvor erklärt Steiner, warum er sich nicht als Zionist versteht: Der Staat Israel „lebt hinter Mauern. Er ist bis an die Zähne bewaffnet. Er kennt Rassismus.” Kurz: Er hat Juden, die bis dahin in der Weltgeschichte als Folterer nie aufgetreten waren, auf „die gewöhnliche Verfassung des nationalistischen Menschen” herniedergebracht. Und „dieses Gefühl der Herabsetzung” sei es, schreibt Steiner, das ihn bei aller Sympathie für Israel davon abgehalten habe, Zionist zu sein.
Von dieser politischen Abstinenz sagt Steiner, dass sie sein ganzes Leben bestimmt habe: „Nie habe ich mich der einen oder der anderen Partei angeschlossen. Kein politisches Programm und keine Partisanenbewegung haben meine Unterstützung gefunden, so unbedeutend sie gewesen wäre.” Ein Jude, der nicht ganz genau wisse, wo er sich zu Haus wähnen dürfe, mische sich „in Familienstreitigkeiten” eben nicht ein.
Der Titel „Meine ungeschriebenen Bücher” ist etwas furchteinflößend, erlaubt dem Autor aber, allerlei zu erzählen, was ihm Spaß macht. Diese Freiheit hat Steiner sich genommen. Sein Buch zeigt, wie unterhaltsam die gebildete Beschäftigung mit der eigenen Person sein kann. Der animierte Leser freut sich, dass Steiner die sieben Bücher, von denen er hier spricht, nicht geschrieben hat. Martin Pfeiffer dankt der Leser für die vorzügliche Übersetzung dieses anregenden Buches, das Steiner dann doch geschrieben hat. FRANZISKA AUGSTEIN
George Steiner
Meine ungeschriebenen Bücher
Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer. Carl Hanser Verlag, München 2007. 265 Seiten, 21,50 Euro.
Unglaubliche Selbstbezichtigung: Der Literaturwissenschaftler George Steiner, geboren 1929. Foto: Jürgen Bauer
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

In höchsten Tönen lobt der rezensierende Schriftsteller Gert Loschütz George Steiners Buch, in dem der gelernte Komparatist sieben Bücher vorstellt, die er nicht geschrieben hat, sondern gerne hätte schreiben wollen. Für den Rezensenten zählt der Autor "zu der kleinen Schar von Universalgebildeten, deren Wissen für uns ganz unverzichtbar ist", und was George Steiner in seinen Essays zum Beispiel zum "folgenlosen Wissen", einem Wissen, das sich der Moderne entzieht, oder der "invidia", dem Neid, zu sagen hat, findet der Rezensent so gehaltvoll, "dass es Denkanstöße für mehrere Symposien liefern könnte". Insgesamt hat ihm die Lektüre, der man den strengen Komparatisten erfreulicherweise nicht anmerke, großes Vergnügen bereitet. Ganz besonders beeindruckt hat ihn aber der Essay, in dem sich George Steiner mit den Ursachen des Antisemitismus befasst und als tiefsten Grund die "Überforderung durch Gottes Gesetz, die wir den Juden als seinem Volk nicht verzeihen" ausmacht.

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