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Das Tiermotiv ist eines der wichtigsten in Canettis Werk und steht immer in Verbindung zu den Haupthemen: Verwandlung, Tod und - der Mensch. "Das schönste Standbild des Menschen wäre ein Pferd, wenn es ihn abgeworfen hätte."

Produktbeschreibung
Das Tiermotiv ist eines der wichtigsten in Canettis Werk und steht immer in Verbindung zu den Haupthemen: Verwandlung, Tod und - der Mensch. "Das schönste Standbild des Menschen wäre ein Pferd, wenn es ihn abgeworfen hätte."

Autorenporträt
Elias Canetti, geboren 1905 in Rustschuk/Bulgarien - verstorben 1994 in Zürich. 1911 zog seine Familie nach England und 1913, nach dem Tod des Vaters, nach Wien. Hier studierte Canetti bis 1929 Naturwissenschaften und promovierte in Philosophie. Er lebte bis zu seinem Tod im Jahre 1994 als freier Schriftsteller in Zürich. Sein Werk wurde mit zahlreichen internationalen Preisen bedacht. 1981 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Zu seinen herausragenden Werken zählen neben dem Roman 'Die Blendung', seine Autobiographie sowie seine gesammelten Aufzeichnungen aus den Jahren 1942-93.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.2002

Packesel als Geheimnisträger
Elias Canetti über die Würde der Tiere und das Unglück ihrer Esser

Man mag dem Editorenbrauch, aus den Werken großer Autoren handliche Auszugsbändchen herzustellen, kritisch gegenüberstehen, aber das ändert nichts an der Beliebtheit solcher Auswahlen seit der Antike. Natürlich liegt immer auch eine kleine oder große Verfälschung in der Herauslösung von Sätzen oder Absätzen aus ihrem größeren Zusammenhang, um sie wie Aphorismen zu präsentieren. Was in einer längeren, womöglich erzählenden Passage gesagt wird, strebt eben gerade nicht die blitzartige, ohne Argumente auskommende Erhellung an, die dem Aphorismus gelingen kann. In jedem Fall erwirbt der Herausgeber solcher Blütenlesen eine eigene Autorschaft, gelegentlich auf Kosten des eigentlichen Autors.

Sven Hanuscheks Sammlung von Stellen aus dem autobiographischen, theoretischen und erzählerischen Werk Elias Canettis "Über Tiere" bestätigt gewiß, was man an solchen Sammlungen problematisch finden kann, aber mit einem hohen Gewinn. Was im Werk Canettis immer wieder anklingt, aber nicht eigentlich in ein großes Bekenntnis gefaßt worden ist, wird in dieser Spuren- und Ährenlese zu einer höchst ungewöhnlichen Anthropologie und Philosophie des Lebens, man könnte sogar von einer atheistischen Theologie sprechen.

Das Verhältnis der Menschen zu den Tieren ist jahrtausendelang gleichgeblieben, bis die größte Umwälzung der Menschheitsgeschichte, die industrielle Revolution, dies Verhältnis genauso tief umgestaltete wie jeden anderen kulturellen Aspekt auch. In der uns unendlich fern gerückten Vergangenheit, die in manchen europäischen Regionen aber kaum erst hundert Jahre vergangen ist, lebten Mensch und Tier in einer intimen Gemeinschaft, die keineswegs dem Tier zum Vorteil gereichen mußte, aber den Graben, der Mensch und Tier trennt, flach und manchmal ganz eingeebnet erscheinen ließ. Wie der König mit seinen Vasallen war jeder Mensch von dienenden Tieren umgeben. Man könnte eine Beschreibung des alten kulturellen Kosmos anhand der Haustiere vornehmen, des Hundes und der Bienen, des Hahns und der Hühner, des Rindes und des Pferdes.

In der alten, eben erst untergegangenen Welt erschienen Mensch und Tier einander zu erschaffen. Die den größten Teil der Weltgeschichte regierende Verbindung von Mensch und Pferd galt als so vollkommen, daß der Mensch geradezu zum Teilwesen wurde, das die Pferdergänzung zur Vollständigkeit nötig hat; schönste Frucht dieser Empfindung ist der Zentaur, in dem menschliches Dasein durch die Verschmelzung mit dem Tierkörper gesteigert wird. Zeus erlebte seine Liebesabenteuer als Reminiszenz ägyptischer Tiergottheiten bevorzugt in Tiergestalt, und noch in der Welt der deutschen Märchen sind die Grenzen zwischen Mensch und Tier fließend: Tiere sprechen, und Menschen werden Tiere.

Daß es dem "lieben Vieh" trotz solcher Nähe zum Menschen oft genauso übel erging wie den elenden Menschen, die mit ihm zusammen unter einem Dach hausten, ändert nichts daran, daß sein Rang in der Schöpfung ein anderer war. In der Tierwelt fanden die Menschen sich in ihrer ständischen Gliederung ebenso gespiegelt wie in den himmlischen Hierarchien der Engel. Der Adel sah sich in jenen Tieren präfiguriert, die den Dienst verweigern, in Adler, Löwe und Bär, und malte die Raubtiere auf seine Wappen. Im neunzehnten Jahrhundert war die Tiergottheit von einst schon zur Karikatur geworden, als Grandville Menschenkörper mit Tierköpfen entwarf, aber auch diesen Blättern entsprach noch die Beobachtung, daß sich in der Tierphysiognomie genuin Menschliches verberge. Es waren die Erkenntnisse der Wissenschaft desselben Jahrhunderts, mit denen das allumfassende Elend der Tiere begann. Man könnte den Unterschied zwischen der vormodernen Zeit und der Moderne in der Ablösung des alten Glaubenssatzes "Das Tier ist ein verzauberter Mensch" durch den neuen Glaubenssatz "Der Mensch ist nur ein Tier" grundsätzlich definiert sehen.

Canetti war an erster Stelle Künstler, auch dann, wenn er theorisierte, und deshalb gipfeln seine Überlegungen zum Verhältnis zwischen Mensch und Tier nicht in Forderungen nach einem besseren Tierschutzgesetz. Er ist sich klar, daß eine sittliche Ordnung im Umgang mit den Tieren nicht durch gesetzliche Maßnahmen zu schaffen sei. Was die Tiere zur Ware, vor allem aber zum Produkt, das wie Gummihandschuhe oder Bierbüchsen beliebig planbar und herstellbar ist, hat werden lassen, steht in ursächlicher Beziehung zur massenhaften Vernichtung der Menschen im zwanzigsten Jahrhundert. Beim Mitleid mit den gequälten Tieren bleibt Canetti deshalb nicht stehen.

Er scheint überhaupt kein typischer Tierfreund gewesen zu sein, der die Gesellschaft der Tiere den Menschen vorzieht; nach Lektüre von "Über Tiere" ist er vielleicht nicht einmal Vegetarier gewesen. Es ist, als habe in ihm die verrückte Hoffnung gelebt, der Mensch könne, ohne die Denkungsweise der Aufklärung aufzugeben, wieder zu der alten tragischen Schicksalsgemeinschaft von Mensch und Tier zurückkehren. Als Inbegriff dieser Gemeinschaft zitiert er Plutarch: "Auch jetzt noch hält man strenge darauf, daß ein Tier nicht eher geschlachtet werden darf, bis es, mit dem Trankopfer begossen, durch ein Nicken mit dem Kopfe seine Einwilligung gegeben hat."

Während der Mensch der Vormoderne sich in der Mitte zwischen Tier und Engel sah, wobei die Grenzen nach beiden Seiten hin durchlässig waren, ist für Canetti nur das Tier als Gegenüber des Menschen geblieben, dem nun aber engelhafte Züge zugewachsen sind. Das Geheimnis des Lebens offenbart sich im Tier für Canetti reiner und wunderbarer als im Menschen. Der Mensch sei die Entität, die über sich hinausdrängt, um auch an außermenschlichen Formen des Lebens teilzuhaben; der "vollständig menschliche Mensch sei weniger als ein Mensch". Das sind uralte Axiome gerade auch der christlichen Religion, die Canetti auf eine in der Zusammenstellung der Zitate unversehens entstehende Eigen-Religion ohne Transzendenz anwendet.

Canetti dreht die historische Entwicklungsgeschichte der Religion um - statt vom Judentum zum Christentum zu schreiten, geht er auf eine vormosaische Form der Religiosität zurück. Die Vermehrung des Tieres als Gottheit bedarf keiner Offenbarung, keiner Hoffnung und keines Trostes. Ihre Freude ist das Staunen über die animistische Erfülltheit der Welt mit Leben. Eine Sehnsucht nach der Kindheit der Welt drückt sich in Canettis Ur- und Fundamentalreligion aus. Brigitte Kronauer, die dem Band ein Nachwort mitgegeben hat, zieht deshalb aus seiner apokalyptischen, aber keineswegs wirklichkeitsfremden Vision einer Welt ohne Tiere den Schluß, sie bedeute "das Absterben zu einer Gesellschaft, die ihre Kindheit und Kindlichkeit unwiederbringlich verloren hat" - ein graues Ende der Humanität, dem Canetti mit dem Trotz des Künstlers seinen Glauben entgegensetzt.

MARTIN MOSEBACH

Elias Canetti: "Über Tiere". Mit einem Nachwort von Brigitte Kronauer. Carl Hanser Verlag, München 2002. 119 S., geb., 12,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2002

Das Schwein, der Mensch
Elias Canettis poetische Zoologie
In einem Gespräch berichtete Elias Canetti einmal von dem starken Eindruck, den eine Schallplatte mit Tierstimmen bei ihm, dem Ohrenzeugen, hinterlassen habe. Julian Huxley, der englische Biologe, hatte sie 1940 einem Buch über Tiersprachen beigegeben. Die Platte gab die Geräusche eines Löwen wieder, der auf Raub ausgeht. Man hört das Pfeifen des Zebras im Todeskampf und dann alle Tiere, die hinzukommen und den Kadaver umringen: Vögel, Elefanten, die Aastiere, einen Serval, einen Schakal, eine lachende Hyäne – das Gelächter eines Irr-sinnigen.
Das Dokument muss den Dichter derart bewegt haben, dass er es zum Ausgangspunkt seiner poetischen Anthropologie nahm. Die Jagd, das Ergreifen der Beute, das freudige Gelächter des Raubtiers, das eine große Mahlzeit zu erwarten hat – dies ist für Canetti die Urszene in der Naturgeschichte des Homo sapiens. Nicht der Vatermord, nicht der Kampf der Wölfe steht am Anfang der Gattungsgeschichte, sondern die Jagd. Auf dem Massengrab der Geschöpfe ist die menschliche Kultur errichtet. Seine Stellung im Kosmos erlangte der Mensch erst, als er an das Ende der Tötungs- und Nahrungskette gelangt war.
Nirgends eine Ausflucht
Die vorliegende Edition enthält keine neuen Fundstücke aus dem Nachlass, sondern präsentiert Passagen aus Canettis veröffentlichtem Werk. Um so mehr verwundert es, dass das Grundmodell seiner Anthropologie nirgendwo auftaucht. Einen kurzen Absatz über die Hyäne findet man wieder, doch nichts über die Meute oder die Physiologie der Macht, den zentralen Kapiteln aus „Masse und Macht”, in denen fortlaufend von Tieren die Rede ist. Kein Wort über das Belauern, Zupacken, Zermalmen und Auffressen, über die Ordnung der Zähne, das tödliche Spiel der Katze mit der Maus oder über die Zerstörungssucht der Affenhände. Als Zoologe des Menschen ist Canetti in diesem Bändchen ebenso wenig erkennbar wie als Anthropologe der Tiere. Canetti pflegte, wie man weiß, eher in Tieren als in Begriffen zu denken. Daher sind in seinem Werk die Tiere auch da gegenwärtig, wo anscheinend nur von Menschen gesprochen wird. Die Grundmotive der Verwandlung und Vermehrung, der Mimesis und der Macht, sind gewonnen aus dem Studium jenes imaginären Übergangsfeldes, wo in den Tierleibern Menschen zu sitzen scheinen und hinter den Masken des Homo sapiens die Gesichter der Tiere hervortreten.
Canettis Denken ist weit weniger fragmentarisch, als es die Sammlung suggeriert. Die Mühe, Textstücke in einen sachlichen oder gar systematischen Zusammenhang zu bringen, haben sich Verlag und Herausgeber erspart. Das einzige Ordnungsprinzip ist die Chronologie, wobei die Zeitreihe der biographischen Ereignisse nicht von der Zeitfolge der notierten Erinnerungen geschieden ist. Warum hinter dem Wolf, der den träumenden Knaben in Panik versetzte, der Vater steckte, dürfte dem Erzähler wohl erst später aufgegangen sein. Dass die Mutter, die angesichts der Maus mit lautem Gekreische umhersprang, sich in Wahrheit in ihre Mädchenzeit zurückverwandeln wollte, hat Canetti vermutlich erst nach Jahren begriffen.
Rechtfertigen lässt sich das chronologische Verfahren allenfalls bei den phantastischen Aphorismen. Mit wenigen Worten vermag Canetti die Ordnung der Arten aus den Angeln zu heben. Demütig stehen die Menschen vor den Thronen der Tiere und erwarten ihr Urteil. Höflich verbeugt sich der Stier vor dem Ma- tador und kehrt dem roten Tuch den Rücken zu, woraufhin der tapfere Kämpfer dem Stier das Leben schenkt und von der empörten Menge zerrissen wird. In einem fernen Land werden die Einwohner von einem eingeborenen Wurm regiert. Forellen machen auf Schwalben Jagd, Pferde nähren sich von ihren Hufschlägen, ein Käfer geht schnurstracks ins offene Maul der Bestie und zwickt sie an den Mandeln.
Die imaginäre Operation vieler Aphorismen ist unverkennbar. Für einen Moment eröffnen sie einen Einblick in eine Welt, in der sich das Machtgefüge umgekehrt hat. Keineswegs ist es ein Paradies des Friedens, in dem alle Kreaturen einträchtig miteinander lebten. Die verkehrte Welt changiert zwischen Ernst, Komik und bitterer Ironie. Bevor die Maus die Katze auffrisst, spielt sie lange mit ihr. Der Hund nimmt seinem Herrn den Maulkorb ab, behält ihn jedoch an der Leine. Bevor sich die Schafe gegen die Wölfe zu erheben wagen, richten sie unter den Hasen ein Blutbad an. Wann werden die Tiere Gewehre stehlen und auf die Jäger schießen? Geradezu apokalyptische Ausmaße nimmt der Aufstand im Schlachthaus an: Auf den Straßen trampelt das Vieh die Menschen zu Tode. Es bricht in die Häuser ein und ersteigt die höchsten Stockwerke, während Tausende wilder Ochsen die Waggons im Untergrund zerquetschen.
Canettis Tiere sind nicht klüger als die Menschen und auch nicht weniger gewalttätig. Allenfalls sind ihre Sinne weniger stumpf, und ihre Existenz ist weniger schuldbeladen. Canetti schreibt keine Tierfabeln, keine Parabeln oder Lehrdichtungen zur moralischen Unterweisung. Er projiziert keine menschlichen Zustände und Mißstände auf die Gesellschaft der Tiere. Von der sentimentalen Angleichung der Tiere an den Menschen ist er ebenso weit entfernt wie von der Hybris des Primaten, der sich für das Zentrum der Welt hält.
„Von den Tieren redet viel, wer sich der Menschen schämt”, heißt es in ”Die Fliegenpein”. „Scheue Verehrung” nennt Canetti seine Empfindung gegenüber den Tieren. Nicht ohne Trauer erkennt er ihre Fremdartigkeit. Zwar stellt sich in den Metamorphosen der Mythen und Märchen die Einheit des Lebendigen immer wieder her. Doch zuletzt bleibt die Welt der Lebewesen gespalten durch den Abgrund des Nichtverstehens. Der Mensch kann das Tier essen, aber er kann es nicht begreifen, kann nicht die Angst, die Freude, nicht das Sterben der Tiere nachempfinden. Unerreichbar ist es ihm, die Welt und sich selbst mit den Augen der Tiere zu sehen. Die Wechselseitigkeit der Perspektiven ist zwischen Tier und Mensch unmöglich.
Das Schweigen der Steine
Hochmütig hat sich der Mensch zur Krone der Schöpfung erhoben. In Wahrheit ist er der „Gottunterste, nämlich Gottes Henker in seiner Welt”. Nach der Heiligung der Tiere begann die Massenschlächterei. Nicht ohne Beklemmung liest man erneut von den Szenen auf dem Kamelmarkt von Marrakesch. 25 Tage war die Karawane in der Wüste unterwegs, um zum Schlachten verkauft zu werden. Als ein Kamel am Gewand des Schlachters das Blut seiner Artgenossen riecht, sucht es sich vergeblich loszureißen. Man sage nicht, die Tiere ahnten nicht, was ihnen bevorsteht.
So gründlich pflegt der Homo sapiens zu Werke zu gehen, dass er eine leere Welt zurücklassen wird. Ein großes Aufatmen gäbe es unter den Tieren, würde der Mensch vor ihnen verschwinden. Nicht ohne Schadenfreude würden sie das Ende ihrer Peiniger konstatieren. Aber der Verlust der Tiere wird den Menschen um seine besten Eigenschaften bringen. Seine Träume werden versiegen, der Ursprung aller Verwandlung erlischt, der Sinn für Schönheit, der sich an der Kraft und Eleganz der Tiere gebildet hat, wird absterben. Nur Pflanzen und tote Mineralien kann er noch bewundern. Wenn das Gegenbild dahin ist, werden die Menschen einander immer ähnlicher werden. Und gefährlich wird die Welt ohne Tiere sein, wenn die Menschen sich nur noch gegenseitig jagen, wenn sie nur noch den anderen als Vieh behandeln und abschlachten können.
WOLFGANG
SOFSKY
ELIAS CANETTI: Über Tiere. Mit einem Nachwort von Brigitte Kronauer. Carl Hanser Verlag, München 2002. 119 Seiten, 12,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eigentlich findet Martin Mosebach solche Auszugsbändchen, wie er es nennt, die das Werk eines Autors thematisch schröpfen und ganze Passagen aus dem Zusammenhang reißen oder einzelne Sätze wie Aphorismen klingen lassen, höchst fragwürdig. Zumindest erwirbt sich der Herausgeber, so der Rezensent, damit eine eigene Handschrift. Im Fall dieser Canetti-Kompilation "Über Tiere", herausgegeben von Sven Hanuschek, sieht Mosebach seine Skepsis bestätigt - aber auf höchster Erkenntnisebene. Hanuschek hat für seinen Band das erzählerische, das theoretische und das autobiografische Werk Canettis durchforstet und ist einer ganz eigenen "atheistischen Theologie" Canettis auf die Spur gekommen, die laut Mosebach in Canettis Texten zwar immer wieder anklingt, nie aber ausdrücklich formuliert wird. Canetti setze sich dezidiert mit der unterschiedlichen Rangordnung der Tiere in der vormodernen Welt und im Industriezeitalter auseinander, so Mosebach. Nun stehe aber bei Canetti nicht zu befürchten, dass er sich in Forderungen nach einem besseren Tierschutz ergehe, er sei wohl nicht einmal ein großer Tierfreund oder Vegetarierer gewesen, mutmaßt der Rezensent. Er sieht vielmehr bei Canetti eine Faszination oder Sehnsucht nach einer animistisch erfüllten Welt gegeben, den Wunsch nach einer "Urreligion" ohne jede Transzendenz.

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