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Propheten und Gurus, die den Weltuntergang verkünden, hat es immer gegeben. Seit jüngstem sind es jedoch wahnsinnige Terroristen, die die Zerstörung der Welt planen, um eben diese Welt zu erlösen. Der amerikanische Psychologe Robert Jay Lifton, international bekannt durch seine Studien über die Psychogramme der Nazi-Ärzte, zeigt in Gesprächen mit den Tätern, kriminalistischen Recherchen und psychologischen Analysen, warum sich aus religiösen Visionen Terrorakte entwickeln und wie diese Sekten als Staat im Staat organisiert sind.

Produktbeschreibung
Propheten und Gurus, die den Weltuntergang verkünden, hat es immer gegeben. Seit jüngstem sind es jedoch wahnsinnige Terroristen, die die Zerstörung der Welt planen, um eben diese Welt zu erlösen. Der amerikanische Psychologe Robert Jay Lifton, international bekannt durch seine Studien über die Psychogramme der Nazi-Ärzte, zeigt in Gesprächen mit den Tätern, kriminalistischen Recherchen und psychologischen Analysen, warum sich aus religiösen Visionen Terrorakte entwickeln und wie diese Sekten als Staat im Staat organisiert sind.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000

Ein Retter, das wär' mein Ideal
Sie machen alle hin, wenn sie ihnen nicht glauben: Robert Jay Lifton legt Sektenanhänger auf die Couch / Von Friedrich Wilhelm Graf

Am 5. März 1995 starben bei einem Giftgasanschlag in der U-Bahn von Tokio elf Menschen, mehr als fünftausend wurden verletzt. In der Sicht der Attentäter war dieser Auftakt zur völligen Vernichtung der Welt mißlungen. Das tödliche Nervengas Sarin, infolge der eiligen Herstellung verunreinigt, hatte nicht die erhoffte Katastrophe auslösen können. Die Täter waren Anhänger der 1984 gegründeten neureligiösen Bewegung Aum Shinrikyo und handelten im Auftrag ihres Herrn und Meisters Shoko Asahara. Den japanischen Behörden gelang es zwar, ihn und seine Gefolgsleute vor Gericht zu bringen. Sie konnten Aum Shinrikyo aber nicht zerschlagen. Unter der Führung von Fumihori Joyu, der 1999 aus der Haft entlassen wurde, spielt sie als "Alpha" weiterhin eine wichtige Rolle. Der Bezug auf Alpha, den ersten Buchstaben des griechischen Alphabets, soll die Abkehr vom Gewaltkult markieren. Doch bleibt man den Endzeiterwartungen des Meisters treu.

Waren die Morde Frucht blinden Irrglaubens und fundamentalistischen Wahns? Für Aum Shinrikyo begeisterten sich überdurchschnittlich viele Menschen aus helfenden Berufen. Die U-Bahn-Attentäter hatten an japanischen Eliteuniversitäten studiert. Unter ihnen war ein hochgebildeter Herzchirurg, der durch große Sensibilität im Umgang mit seinen Patienten bekannt geworden war. Warum versuchen kluge Akademiker ihre Tötungsphantasien in die Wirklichkeit umzusetzen?

Der in New York lehrende Psychiater Robert Jay Lifton beschäftigt sich seit langem mit der Rolle von Medizinern in der gewaltreichen Religionsgeschichte der Moderne. In seinem Psychogramm von Aum Shinrikyo knüpft er an seine alte Frage nach den seelischen Grundlagen ideologisch motivierter Gewaltbereitschaft an. Es geht um "das Innenleben der Aum-Mitglieder und die außerordentliche Komplexität der Beziehung zwischen dem Meister und seinen Jüngern". Als Quellen dienen neben Presseberichten und Gerichtsakten fünfstündige Interviews mit zehn einstigen Sektenangehörigen. Lifton hat allerdings nur Aum-Jünger aus mittleren und niederen Rängen befragen können. Der Meister selbst und seine wichtigsten "Minister" sind als Häftlinge von der Außenwelt abgeschirmt.

Lifton führt die Neureligionen der Gegenwart auf eine Sinnkrise moderner Gesellschaften zurück. Vielen Menschen erscheine ihr Leben leer und hohl. Sie litten unter dem Verlust öffentlicher Tugend und Rechtschaffenheit. Der moderne Mensch müsse sich in einer Welt einrichten, die ihn häufig anwidere. So ist jeder disponiert, ein "fundamentalistisches Ich" auszubilden - ein Ich, das in der autoritären Fixierung auf eine religiöse Macht feste Gewißheit findet. Man muß nur an einen Meister geraten.

Wie wird jemand ein Meister? Die Deutungen Freuds lehnt Lifton ab. Er operiert mit einem vagen Begriff des Charismas, das in verletzten Ichs starke Gefühle von Sicherheit und Unsterblichkeit erzeugen könne. In der Bindung an den Meister gewinne das Ich des Jüngers die Kraft, über sich hinauszutreiben. Umgekehrt könne der Führer seine Autorität nur durch eine zunehmend exzessivere Verehrung von seiten der Glaubenden sichern. Lifton schreibt die Geschichte von Aum Shinrikyo im Modell einer sich beschleunigenden Psychodynamik zwischen Guru und Gemeinde. Der Guru erlebt sich als heilig, weil er als ein Heiliger verehrt wird. Die ihn Verehrenden glauben an seine religiöse Mission, da er wie ein Auserwählter agiert. Störende Elemente müssen ausgegrenzt oder beseitigt werden. Hier liegt die Quelle des Umschlagens religiöser Phantasien in brutale Gewalt.

Ausführlich beschreibt Lifton das repressive Klima in den Klöstern der Sekte. Asahara hatte zunächst auf sexuelle Techniken der Befreiung des Selbst gesetzt und übernatürliche Kräfte durch freie Liebe erlangen wollen. In den Aum-Kommunen galt dann radikale Askese. Die Mönche unterliegen einem Ejakulationsverbot, dürfen nur vier Stunden schlafen und müssen wochenlang fasten. Der Führer nimmt sich kraft einer gottgleichen Autorität aus. Ihm allein eignet die absolute Reinheit, nach der alle Lebewesen streben. Asahara lebte mit Frau und Familie, beutete zahlreiche Nonnen sexuell aus, fuhr heimlich zu Freß- und Saufgelagen und weidete sich an den Qualen seiner Jünger.

Reinheit kann nur erlangen, wer mit dem Meister verschmilzt oder zu seinem "Klon" wird. Mit Elektroden ausgestattete Kopfmonturen sollen die Gehirnwellen des Allerhabenen auf kleinere Geister übertragen. Diese PSI-Maschine zur "perfekten Seelenrettungs-Initiation" kostete pro Monat 10 000 Dollar Leihgebühr. Mit einem Liter Badewasser des Meisters konnte man sich zum Preis von tausend Dollar von schlechtem Karma befreien. In der Astral-Klinik wurde gegen Krebs, Psychosen und Knochenbrüche auch eine Christus-Initiation mit LSD durchgeführt. Ein genialisch verrückter Chemiker nannte seine Entgasungsgeräte "Kosmo-Sauger". Leichen entsorgte er im Mikrowellenherd. Wissenschaftsglaube und Technikbegeisterung verschmelzen mit uralten Erlösungsmythen. Die Aum-Gläubigen erleben sich als die ersten Freigelassenen einer neuen Schöpfung. Sie können nicht mehr zwischen innen und außen unterscheiden. Lifton beschreibt sie als hochgradig gespaltene Persönlichkeiten.

Der Guru will Jesus und Buddha, Mohammed und Zarathustra in einem sein. Sein expansives, alles vereinnahmendes Ich absorbiert alte Mythen so radikal, daß er sich schließlich als Shiva sieht. Diese Welt zu vernichten ist dann nur konsequent. Im allumfassenden Tod gewinnt die Omnipotenzphantasie, göttlicher Herr über Leben und Tod zu sein, ihre konkrete Gestalt. Die Psychiater unter seinen Jüngern sichern sein Selbstbild, indem sie die schulmedizinischen Definitionen religiösen Wahns pathologisieren, zum Ausdruck der Verblendung unreiner Fachidioten erklären. Seine Mediziner wollen mit Maschinen zum Austausch von Blutplasma experimentell beweisen, daß im Armageddon die Asahara-Jünger Kräfte ewigen Lebens erlangen werden. Töten wird ihnen zur ultimativen Therapie.

Lifton vergleicht die japanische Sekte mit gewalttätigen millenaristischen Gruppen in den Vereinigten Staaten. In den digital vernetzten Subkulturen krimineller Endzeitpropheten spielen Technophantasien weltweit eine wichtige Rolle. In Japan ist Dr. Seltsam aber besonders mächtig. Lifton erklärt dies mit den "hervorstechenden Merkmalen des japanischen Ichs" wie "Verabsolutierung der Gruppe und todesbezogenem Männlichkeitswahn". Die Spekulationen über "die japanische Persönlichkeitsstruktur der Gegenwart" gehören zu den schwächeren Passagen der materialreichen Studie. Noch die verrücktesten Äußerungen der Aum-Jünger meint der Seelenwissenschaftler erklären zu können. Keine Frage darf offen bleiben. Sein Deutungsanspruch ist irritierend expansiv. Kann der Analytiker das Innenleben fremder Menschen durch ein paar Interviews mit anderen völlig transparent machen?

Die Deutung religiöser Gewalt endet im trivialen Moralismus. Lifton verlangt, "die psychologischen und historischen Bedingungen zu ändern, die zu Destruktivität und Kriminalität führen". Ist auch der Psychiater eine gespaltene Persönlichkeit? Er beschreibt das Umschlagen von Tugend in Terror und setzt dennoch auf den moralischen Appell. Sein Glaube an eine seelische Umerziehung birgt selbst den Keim der Kriminalität in sich. Schon immer trat das Böse auch in Gestalt der Moralpädagogik auf. Neu sind nur die Mittel, mit denen die Utopien vom "neuen Menschen" realisiert werden sollen. Uralten Erlösungsideen mischen postmoderne Gurus neue technische Zutaten bei, und Chemiker preisen ihr Garagen-Sarin in Hymnen, die sie der christlichen Abendmahlsüberlieferung entlehnen. New Yorker Psychiater hoffen dennoch auf einen moralischen Fortschritt der Menschheit. Solchen kontrafaktischen Glauben diagnostizieren sie bei anderen als Realitätsverlust. Manche akademische Religionsdeutung ist selbst nur ein Teil der Religionsgeschichte der Moderne.

Robert Jay Lifton: "Terror für die Unsterblichkeit". Erlösungssekten proben den Weltuntergang. Aus dem Amerikanischen von Udo Rennert und Ursula Gräfe. Carl Hanser Verlag, München 2000. 392 S., geb., 49,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Die Frage, warum `Gewaltkult` und `Endzeiterwartung` gerade bei den intellektuell anspruchsvollen Sektenmitgliedern der japanischen Sekte Aum Shinrikyo auf offene Ohren stießen, hat den New Yorker Psychiater Lifton umgetrieben, schreibt Friedrich Wilhelm Graf; so habe er für dieses Buch zehn lange Interviews mit ehemaligen Sektenanhängern geführt und sich durch Gerichtsakten und Presseberichte gekämpft. Die Antworten und Folgerungen Liftons sind dem Rezensenten jedoch verdächtig: der `Deutungsanspruch` des Psychiaters ist ihm `zu expansiv` und seine Ratschläge münden, so Graf, in `trivialen Moralismus`. Genau das jedoch sei schließlich selbst im Kern `kontrafaktisch` und könne eigentlich auch nur als `Realitätsverlust` diagnostiziert werden. Als akademische Religionsdeutung lässt er das Buch jedenfalls nicht durchgehen.

© Perlentaucher Medien GmbH"
Indem Robert Jay Lifton sich auf seine früheren Analysen des Nazismus bezieht, verallgemeinert er die japanische Erfahrung mit der Aum-Sekte. Er enthüllt den Kult als ein Weltproblem, als die bevorstehende Bedrohung, daß überall auf der Welt neue Aum-Sekten entstehen könnten, die mit Massenvernichtungswaffen die Menschheit zerstören können." Kenzaburo Oe, Literatur-Nobelpreis 1994 Von den Lesern, die den Terrorismus von Sekten als die katastrophale Alternative zu einer in relativem Gleichgewicht befindlichen Welt im 21. Jahrhundert voraussehen, wird das neue Buch von Robert Jay Lifton gelesen, studiert und aufs neue gelesen werden wegen seines faszinierenden, aufrüttelnden Materials. Dessen Enthüllung erweist sich als tiefer Schock und als intellektuelle Stimulation. Es geht um nichts weniger als um das Versprechen, daß eine Politik des Todes als die Lösung aller Weltprobleme nun in allen Kultsekten in der ganzen Welt zu keimen beginnt." Norman Mailer Robert Jay Lifton hat systematisch und furchtlos über ein halbes Jahrhundert lang die Quellen von Fanatismus und Destruktivität in der menschlichen Natur erforscht und deren Wirksamkeit in der Gesellschaft analysiert. Sein kraftvolles Buch legt das mörderische Potential in der heutigen apokalyptischen Besessenheit frei, und er tut dies auf gleichermaßen überzeugende wie aufrüttelnde Weise." Norman Cohn, Autor von Die Erwartung der Endzeit. Vom Ursprung der Apokalypse" (Insel 1997) "Mit seinem Buch will Lifton aufklären: über die neuen Gefahren, die aus der Kombination von apokalyptischem Gedankengut und Massenvernichtungswaffen entstanden sind, über die Funktion und Struktur von Sekten, über die Disposition von Mitgliedern, die zu Mördern und Terroristen werden, und schließlich über notwendige gesellschaftliche Gegenmaßnahmen. (...) Modische und Auflagen steigernde Panikmache liegt ihm dabei fern." Rolf-Bernhard Essig, Berliner…mehr