Es geht um unser Leben, sagt Carl Amery in seiner brisanten Streitschrift. Unsere Welt wird im neuen Jahrtausend, beschleunigt durch den Sieg des Totalen Marktes, zusammenbrechen und unbewohnbar werden. Zentrale Aufgabe für die historischen Kirchen der Christenheit im 21. Jahrhundert muss es deshalb sein, den Kampf gegen die Religion des Totalen Marktes aufzunehmen und für eine funktionierende Zukunftsgesellschaft zu wirken. Wie kann die Erde als bewohnbarer Planet erhalten bleiben? Die lateinamerikanische Befreiungskirche könnte ein Beispiel sein für den Exodus aus dem "Sklavenhaus des globalen Kapitalismus". Was hindert die Kirchen daran, diesen Weg einzuschlagen?
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.04.2002Der Zornige
Carl Amerys säkulare Predigt
gegen den totalen Markt
Es ist ein wütendes Buch, sarkastisch und zugleich von verzweifelter Hoffnung. Man kann es als literarisches Vermächtnis lesen – Carl Amery, der große Linkskatholik, Überlebender des NS-Terrors, redet Kindern und Kindeskindern ins Gewissen: Kehrt um. Zieht fort von den Fleischtöpfen Ägyptens. Oder ihr werdet untergehen, als Götzendiener einer weltzerstörenden Reichsreligion.
Es herrscht eine Reichsreligion in der westlichen Welt, sagt Amery in Anlehnung an Walter Benjamins Aufsatz „Kapitalismus als Religion”: der „totale Markt”. Diese Religion kommt, wie der römische Götterdienst, ohne Transzendenz aus; er duldet Götter neben sich und hat selbst nur ein Dogma: Alles hat seinen Preis. In der Hölle landen die Zahlungsunfähigen, vor allem in der „Dritten Welt”. „Der Kapitalismus ist vermutlich der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultes”, zitiert Amery Benjamin. Verweigert sich einer, kommt die Marktpolizei, am Ende mit Schusswaffengebrauch. TINA, auf diese Abkürzung lasse sich alles reduzieren: „There is no alternative”.
Weil aber die Zerstörung der Lebens-grundlagen droht, steht nun die Alternative an, der Auszug aus Ägypten, der Bruch mit der Reichsreligion. Und wie Moses sein Volk den unbequemen Weg von den Fleischtöpfen in die Wüste trieb, so sollen die christlichen Kirchen das Volk vor dem ökologischen und sozialen Desaster retten.
Ja, Amery hat Recht, wie ein Literat Recht haben kann, der eine Fastenpredigt wider das Fressen ad nauseam geschrieben hat, eine trotz des ökopaxbewegten Wörtervorrats konservative Polemik gegen den Materialismus der Satten, die das Nächstliegende zum Einzigen erklären, um nicht weiterdenken zu müssen: TINA.Er hat Recht, wenn er die Mode geißelt, das Leben und alle seine Äußerungen als ökonomische Rechnung zu betrachten: Spätestens dann wird die Mode zum Zynismus, wenn die Gutmenschen unter den Ökonomiegläubigen beginnen, den Wert eines behinderten Kindes für die Gesamtgesellschaft zu errechnen. Er hat Recht, wenn ihm vor den Regierungen der Industrieländer graust, die sich von Klima-Konferenz zu Umweltkongress in die Öko-Katastrophe tanzen. Und auch, wenn er sich von den Kirchen wünscht, sie mögen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zum Status Confessionis erklären.
Da verzeiht man Amery, dass unter dem Schwung der Predigt die Genauigkeit leidet, er Markt mit Kapitalismus verwechselt, er sich, wenn es um Ökonomie geht, mehr auf den Holzschnitt als auf den Kupferstich versteht. „Global Exit” muss in keiner Fachdiskussion bestehen, es ist ein Werk zur Aufrüttelung der halb und ganz Überzeugten. Andererseits – kommt nicht genau daher die leise Langeweile: dass man schnell ahnt, wie das Buch enden wird? Dass man vielleicht nicht so heftig zum Kopfnicken gebracht werden möchte, wenn man ein globalisierungskritisches Buch liest?
In welche Gefahren das Stilmittel der säkularen Predigt Carl Amery bringt, zeigt sich, wenn es um die Alternativen geht. Er landet, nicht unlogisch, bei den Nachfahren von Silvio Gesell, bei den Zinskritikern, den Anhängern des Schwundgeldes: Geld, das auf der Bank liegen bleibt, wird auf Dauer nicht mehr, sondern weniger wert. Schwundgeld zwingt zum Konsum, zum exzessiven Wachstum, zur überhitzten Konjunktur – alles, was Amery auf den Seiten zuvor gegeißelt hatte. Und so geht es ihm wie den meisten Malern des apokalyptischen Genres: Die Hölle kriegen sie farbig hin. Der Himmel aber bleibt blass.
MATTHIAS DROBINSKI
CARL AMERY: Global Exit. Die Kirchen und der Totale Markt. Luchterhand Literaturverlag, München 2002. 240 Seiten, 18 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Carl Amerys säkulare Predigt
gegen den totalen Markt
Es ist ein wütendes Buch, sarkastisch und zugleich von verzweifelter Hoffnung. Man kann es als literarisches Vermächtnis lesen – Carl Amery, der große Linkskatholik, Überlebender des NS-Terrors, redet Kindern und Kindeskindern ins Gewissen: Kehrt um. Zieht fort von den Fleischtöpfen Ägyptens. Oder ihr werdet untergehen, als Götzendiener einer weltzerstörenden Reichsreligion.
Es herrscht eine Reichsreligion in der westlichen Welt, sagt Amery in Anlehnung an Walter Benjamins Aufsatz „Kapitalismus als Religion”: der „totale Markt”. Diese Religion kommt, wie der römische Götterdienst, ohne Transzendenz aus; er duldet Götter neben sich und hat selbst nur ein Dogma: Alles hat seinen Preis. In der Hölle landen die Zahlungsunfähigen, vor allem in der „Dritten Welt”. „Der Kapitalismus ist vermutlich der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultes”, zitiert Amery Benjamin. Verweigert sich einer, kommt die Marktpolizei, am Ende mit Schusswaffengebrauch. TINA, auf diese Abkürzung lasse sich alles reduzieren: „There is no alternative”.
Weil aber die Zerstörung der Lebens-grundlagen droht, steht nun die Alternative an, der Auszug aus Ägypten, der Bruch mit der Reichsreligion. Und wie Moses sein Volk den unbequemen Weg von den Fleischtöpfen in die Wüste trieb, so sollen die christlichen Kirchen das Volk vor dem ökologischen und sozialen Desaster retten.
Ja, Amery hat Recht, wie ein Literat Recht haben kann, der eine Fastenpredigt wider das Fressen ad nauseam geschrieben hat, eine trotz des ökopaxbewegten Wörtervorrats konservative Polemik gegen den Materialismus der Satten, die das Nächstliegende zum Einzigen erklären, um nicht weiterdenken zu müssen: TINA.Er hat Recht, wenn er die Mode geißelt, das Leben und alle seine Äußerungen als ökonomische Rechnung zu betrachten: Spätestens dann wird die Mode zum Zynismus, wenn die Gutmenschen unter den Ökonomiegläubigen beginnen, den Wert eines behinderten Kindes für die Gesamtgesellschaft zu errechnen. Er hat Recht, wenn ihm vor den Regierungen der Industrieländer graust, die sich von Klima-Konferenz zu Umweltkongress in die Öko-Katastrophe tanzen. Und auch, wenn er sich von den Kirchen wünscht, sie mögen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zum Status Confessionis erklären.
Da verzeiht man Amery, dass unter dem Schwung der Predigt die Genauigkeit leidet, er Markt mit Kapitalismus verwechselt, er sich, wenn es um Ökonomie geht, mehr auf den Holzschnitt als auf den Kupferstich versteht. „Global Exit” muss in keiner Fachdiskussion bestehen, es ist ein Werk zur Aufrüttelung der halb und ganz Überzeugten. Andererseits – kommt nicht genau daher die leise Langeweile: dass man schnell ahnt, wie das Buch enden wird? Dass man vielleicht nicht so heftig zum Kopfnicken gebracht werden möchte, wenn man ein globalisierungskritisches Buch liest?
In welche Gefahren das Stilmittel der säkularen Predigt Carl Amery bringt, zeigt sich, wenn es um die Alternativen geht. Er landet, nicht unlogisch, bei den Nachfahren von Silvio Gesell, bei den Zinskritikern, den Anhängern des Schwundgeldes: Geld, das auf der Bank liegen bleibt, wird auf Dauer nicht mehr, sondern weniger wert. Schwundgeld zwingt zum Konsum, zum exzessiven Wachstum, zur überhitzten Konjunktur – alles, was Amery auf den Seiten zuvor gegeißelt hatte. Und so geht es ihm wie den meisten Malern des apokalyptischen Genres: Die Hölle kriegen sie farbig hin. Der Himmel aber bleibt blass.
MATTHIAS DROBINSKI
CARL AMERY: Global Exit. Die Kirchen und der Totale Markt. Luchterhand Literaturverlag, München 2002. 240 Seiten, 18 Euro.
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"Amerys Buch ist eine brillant geschriebene Provokation, anschaulich, mitreißend, voll desillusionierter Analysen und kluger Beobachtungen." Bayerischer Rundfunk