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Die vier gewaltigen Romane von William Gaddis gehören zum Bedeutendsten, was die amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Nun erscheint sein fünftes und letztes Buch - es ist sein literarisches Vermächtnis. Gekleidet in das Gewand des Romans veranschaulicht Das mechanische Klavier Gaddis´ künstlerische Überzeugungen und seine lebenslange Auseinandersetzung mit jenen Aspekten der modernen Gesellschaft, die die Kunst in ihrer Existenz bedrohen. Über fünfzig Jahre hatte Gaddis Material zu einem Werk über die Mechanisierung der Kunst gesammelt, wie er sie in der Erfindung…mehr

Produktbeschreibung
Die vier gewaltigen Romane von William Gaddis gehören zum Bedeutendsten, was die amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Nun erscheint sein fünftes und letztes Buch - es ist sein literarisches Vermächtnis. Gekleidet in das Gewand des Romans veranschaulicht Das mechanische Klavier Gaddis´ künstlerische Überzeugungen und seine lebenslange Auseinandersetzung mit jenen Aspekten der modernen Gesellschaft, die die Kunst in ihrer Existenz bedrohen. Über fünfzig Jahre hatte Gaddis Material zu einem Werk über die Mechanisierung der Kunst gesammelt, wie er sie in der Erfindung des mechanischen Klaviers im späten 19. Jahrhundert symbolisiert sah. In den Jahren vor seinem Tod komponierte er aus der Fülle seiner Aufzeichnungen den dramatischen Monolog eines sterbenden Schriftstellers, dessen Gedanken auf dem Krankenlager unablässig um das Buch kreisen, das er noch zu vollenden hoffte. In imaginierter Zwiesprache mit Dichtern und Denkern vergangener Epochen versucht er zu zeigen, wie beispielsweise eine "Kommerzmaschine" wie das mechanische Klavier den Niedergang der Künste ebenso symbolisiert wie selbst beschleunigt hat.
Autorenporträt
William Gaddis (1922-98) zählt mit Don DeLillo, Richard Ford und Thomas Pynchon zu den bedeutendsten amerikanischen Schriftstellern unserer Zeit. Nach dem Studium in Harvard reiste er mehrere Jahre durch Europa, Zentralamerika und Nordafrika und arbeitete an seinem ersten Roman, 'Die Fälschung der Welt', der 1955 in Amerika erschien. Die Kritik vermisste das Positive und schickte den Autor in die Wüste. Jahrelang arbeitete Gaddis als Produzent von Lehrfilmen in der Industrie und für das Militär. Erst zwanzig Jahre später, 1975, erschien sein zweiter Roman, 'J R'. Es folgten 'Die Erlöser' und 'Letzte Instanz'. Kurz vor seinem Tod vollendete Gaddis das Hörspiel 'Torschlusspanik' sowie einen letzten Roman 'Agape, Agape'.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.03.2003

Das halbautomatische Grummeln der Magengrube
William Gaddis’ nachgelassenes Manuskript „Agapé Agape” als „Das mechanische Klavier” in deutscher Übertragung
Es ist ein rechtes Wunder des Lesens, dass wir den Prosa- Monolog glauben. Kein Mensch denkt oder spricht auch nur annähernd so, wie die moderne Literatur ihre Figuren vor uns zu Wort kommen lässt. Ein Satzstrom, wie er sich in den fiktiven Ansprachen und Inneren Monologen großer Romane Bahn bricht, ließe sich nirgends in freier Wildbahn aufschnappen, und die raffiniertesten Lauschapparate der Zukunft werden wohl auch in unserem Hirn nichts Derartiges aufzeichnen. Gewiss sind das Kind, das sein einsames Spiel laut kommentiert, und der kauzige Alte, der mit sich selbst spricht, entfernte Verwandte der Ich-Erzähler, die in der Literatur alleine reden. Aber nie würde ein Mitschnitt eines realen Selbstgesprächs die überwältigende Wirklichkeitsillusion hervorrufen, die der Kunstmonolog literarischer Gestalten zu schaffen vermag.
Der letzte Text des amerikanischen Romanciers William Gaddis (1922- 1998) ist ein hundert Seiten langer Monolog. Der Leser bekommt beiläufig die Umrisse einer Szene: Ein alter todkranker Schriftsteller liegt im Schlafzimmer seines Hauses. Der pflegebedürftige Greis hat sein Bett, weil ihm das Aufstehen wegen eines frisch operierten Beines unmöglich ist, dicht mit Bücher- und Manuskriptstapeln umgeben. Knapp wird eine Vorgeschichte angedeutet: Es spricht ein bekannter, sogar preisgekrönter Autor, der es nicht zu Reichtum, aber immerhin zu einem Anwesen auf dem Lande gebracht hat. Es gibt drei erwachsene Töchter, an die er seinen Besitz zu vererben gedenkt.
Dieser Alte hebt mit dem Wort „No” zu reden an. Das dritte Wort bereits ist „you”, davon muss sich der Leser angesprochen fühlen, denn ein anderes Gegenüber bietet der Text nicht an. Und zwei Zeilen weiter wissen wir, wozu der Kranke sich, trotz schwindender Kraft, trotz Schmerzen, teils aufgeputscht, teils gehemmt von psychoaktiven Medikamenten, aufzuschwingen hofft: Es geht ihm um eine unvollendete schriftstellerische Arbeit. Vor unseren Augen – auf der Bühne des Prosamonologs – will er ein lang gehegtes, aber nie zusammenhängend verfasstes Werk zumindest rudimentäre Kontur annehmen lassen.
Ohne Bogenschwung
Dieses Projekt sollte eine Episode der jüngeren Technikgeschichte erzählen: die Entwicklung und den Siegeszug des mechanischen Klaviers, der ersten digital gesteuerten Maschine, am Anfang des 20. Jahrhunderts. Aber mindestens genau so wichtig wie die technologische und ökonomische Darstellung sind dem Schriftsteller die medien- und kunsttheoretischen Reflexionen, die er damit verbinden wollte. Um das Wesen der künstlerischen Kreativität, um die Authentizität von Kunsterfahrung, um die ganze ästhetische Krise der Moderne sollte es in seinem nie zu Ende geschriebenen Opus magnum gehen.
Auch im Leben des Schriftstellers William Gaddis hat es eine entsprechende Sisyphus-Arbeit gegeben. Über fünf Jahrzehnte war Gaddis parallel zu seinen Romanprojekten mit eben jener Geschichte des mechanischen Klaviers beschäftigt. Bereits 1951 veröffentlicht er hierzu einen Artikel im Atlantic Magazine, in den großen Romanen „The Recognitions” und vor allem in „JR” hat sich diese Obsession niedergeschlagen, im Nachlass von Gaddis finden sich darüber hinaus tausende Seiten Material und Notizen.
Den Lesern, die zu „Das mechanische Klavier” greifen, bleibt dergleichen Fron erspart. Das Buch, das sich in der deutschen Ausgabe Roman nennen muss, ist nicht nur dem Umfang nach schlank. An keiner Stelle tendiert der Monolog zur Breite. Wo es um Technik- und Mediengeschichte geht, wird blitzlichtartig beleuchtet, weder chronologisch erzählt noch explizit analysiert. Ähnlich verhält es sich mit den Beispielen aus Musik und Literatur, denen kein essayistischer Bogenschwung vergönnt wird. Als Erfahrungssplitter des Sprechenden, genossen, erlitten und bedacht, glühen sie kurz auf, um oft schon nach einem Satz der nächsten Erinnerung, dem nächsten Gedanken Platz machen zu müssen.
Dies ist von radikaler Rücksichtslosigkeit gegen alle Leser, die in Darstellung wie Reflexion nach säuberlich ausgepinselten Vorder- und Hintergründen verlangen. Nein, für eine solche Mit- und Nachwelt fehlt es dem Erzähler nicht nur an Zeit und Kraft, sondern auch an gutem Willen. Längst ist er überzeugt, dass man den allermeisten die Wahrheit eh umsonst predigt, dass man niemandem etwas eintrichtern könnte, was er nicht von selbst begriffe. Dieser todkranke Denker macht keinen Hehl aus seinem elitären Selbstbewusstsein: Er spricht für Eingeweihte. Die wenigen, die überhaupt verstehen können, was in Welt und Kunst gespielt wird, bringen aus der eigenen leid- und lustvollen Erfahrung schon das Nötige mit, um das enggefügte Stückwerk seiner Rede in den rechten Zusammenhang zu setzen.
So mag man in einem ersten Zugriff an die monologisierenden Nörgler deutschsprachiger Prosa denken, und tatsächlich taucht Thomas Bernhard, dessen Werk für den späten Gaddis eine wichtige Leseerfahrung war, im Text als einer auf, der den Sprechenden vorauseilend plagiiert habe. Aber der Ton macht die Musik: Genau gehört, ist der helle und stets auf Knappheit bedachte Grimm, der Gaddis’ Erzähler vorantreibt, doch etwas anderes als das ausufernde Selbstmitleid, das die misanthropen Helden unserer neueren Literatur am Räsonieren hält. Das Amerikanisch dieses Monologs wirkt muskulös. Selbst wo es im Satz abbricht, sprüht seine Bruchkante noch vor Energie. Es ist eine Sprache, die Mumm hat. Mit einer Beherztheit, um die wir sie als Deutsche herzlich beneiden dürfen, wirbt sie, auch, wo sie nicht ,you‘ sagt, um ihr Du, um das Ohr des Lesers.
Glücklich wer „Agapé Agape” im amerikanischen Original lesen kann. Denn anderenfalls begibt er sich auf Gedeih und Verderb in die Hand des Übersetzers. Marcus Ingendaay hat sich die Sache nicht leicht gemacht. Ambitioniert versucht er im gegenwärtigen Deutschen einen Ton für Gaddis’ vitalen Schwanengesang zu finden. Zurecht wagt er es, das, was im Text einmal „just to get the sequence right” genannt wird, die rechte Reihung eben, auch durch mutige Umstellungen, durch Weglassen und Hinzufügen neu zu erringen. Und dies wäre ihm vielleicht gelungen, wenn er den beiden Potenzen des Leseakts, der Kraft der Textvorlage und der Phantasie der Lesenden, vertraut hätte.
Sigi, mein Gold
Uns, die deutschsprachigen Leser, hält Ingendaay jedoch eher für Hilfe suchende Geister, denn Gaddis Text wird ihm regelmäßig der Erklärung bedürftig. Das beginnt bei zahlreichen kleinen rhetorischen Hilfestellungen, und nimmt nicht selten den Charakter aufdringlicher Bescheidwisserei an. Wenn der Erzähler im Zusammenhang mit seinem verletzten Bein in einem Gedankensprung plötzlich von „Jenseits des Lustprinzips” und von einem spricht, den seine Mutter „Sigi ,mein Gold” genannt hat, vertraut das amerikanische Original darauf, dass wir auch ohne Nennung des Namens wissen, wer im folgenden gemeint ist. Ingendaay muss uns jedoch sogleich eilfertig ein „laut Freud” soufflieren.
Noch kundiger gebärdet sich der Übersetzer, als zum ersten Mal ein Buch Thomas Bernhards ins Spiel kommt. Der Leser des Originaltexts muss sich die ganze Passage, immerhin eine Seite lang, mit einem kryptischem ‚he‘ begnügen. Die deutsche Übersetzung fällt sofort mit einem „schreibt Thomas Bernhard” ins Haus und fügt, als gelte es, die Fleißarbeit der Recherche zu beweisen, auch den Namen der Bernhardschen Romanfigur, deren Worte zitiert werden, hinzu.
Unangenehm wird Ingendaays Erklärungswut, wo sie weniger den Leser als den Autor zu bemuttern beginnt. „Jacquard’s loom hits you square in the belly”, heißt es über die verhängnisvolle Erfindung des halbautomatischen Webstuhls, dessen Warenbaum dem Weber bei jedem Webgang in den Magen trifft. „Die Jacquardmaschine war der erste echte Tiefschlag in die Magengrube der Menschheit. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes ...” macht Ingendaay daraus. Die drastische Allerweltswendung „voll in den Magen” muss mit dem falschen Bild des boxerischen Tiefschlags, der ja eben nicht in den Magen, sondern unter die Gürtellinie geht, überboten werden, und dann soll es, um den Kelch der Stilblüte ganz aufzuzwingen, auch noch der Magen der Menschheit sein.
Zum Teil scheint der rhetorische Übereifer der Übersetzung dem Bestreben geschuldet, den Charakter der Mündlichkeit zu verstärken. Weit mehr als im Original wird das Anredepronomen ‚Du‘ strapaziert. Ein bündiges ‚See‘ muss im Deutschen zu einem „Aber fällt Dir was auf? Genau!” ausufern. Und ein abrupt eingeschobenes und hart gefügtes „wait wait wait” zerläuft zu einem flauen „Moment mal, ich muss das mal kurz ...”
Der Erzähler des Originals ist aber alles andere als ein Schwätzer. „. .. and finally the audience instructing eachother” heißt es lakonisch bei Gaddis. In der Übersetzung aber lesen wir: „... und wohin das führt, ist hinlänglich bekannt. Am Ende will das Publikum sogar Meister sein und sich in einer Art Selbsthilfegruppe wechselseitig alles Nötige beibringen . ..” Wessen Deutsch ist das? Der Jargon gegenwärtiger Selbsthilfegruppen? Gewiss, das Deutsche kann die eigentümliche Bündigkeit des modernen Amerikanisch nicht vollends nachbilden, aber statt immer wieder in flapsiges Gequatsche zu verfallen, hätte es sich gelohnt zu bedenken, dass es auch in der deutschen Literatur eine Tradition der schlagend knappen Wendungen gibt.
Bemüht um geläufige Mündlichkeit und modische Gegenwärtigkeit, bemerkt Ingendaay nicht, dass er das erzählerische Pathos der Figur in Gefahr bringt, wenn er ihr den dämlichen neudeutschen Spruch „Schluss mit lustig” in den Mund legt. Der alte sterbenskranke Mann, der zugleich sensibler Feingeist und knallharter Realist ist, fordert von sich selbst: „... organize what’s essential and throw out the rest of it”. Auf Deutsch muss es dann aber leider heißen: „Bring Ordnung ins Wesentliche, hau weg den Scheiß.”
Drei Musen, drei Töchter
Gaddis ist seit Dezember 1998 tot. Er hat im Gegensatz zu seinem letzten Helden seine Arbeit zu Ende gebracht, und seit „Agapé Agape” leben die mysteriösen drei Töchter unter uns. Die Hauptwerke von Gaddis, seine drei großen Romane, könnten sich hinter diesen namenlosen Figuren verbergen. Aber vielleicht sind auch drei der antiken Musen gemeint. Im Schlussstück seines Monologs halluziniert Gaddis’ Erzähler in einer bewegenden Mischung aus Hilflosigkeit und Hybris um die Gestalt des wahren Künstlers, dem unter göttlicher Eingebung mehr gelingt, als menschenmöglich ist. Gottähnlich und zum Scheitern verdammt ist diese Gestalt. Und der Stift, nach dem der todesnahe Schriftsteller in seinen schweißnassen Laken immer wieder kramen muss, könnte jener Griffel sein, den Kalliope ihm über Jahrzehnte stets aufs neue gereicht hat, jenes schlichte Werkzeug, das diese Muse auch weiterhin – selbst im Zeitalter des reproduktiven Irrsinns – für die Hand des Genies bereithält.
GEORG KLEIN
WILLIAM GADDIS: Das mechanische Klavier. Roman. Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay. Manhattan, München 2003. 120 Seiten, 16 Euro.
Monologartisten auf der Suche nach dem Ohr des Lesers Foto: Regina Schmeken
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2003

Die Übertreibungskünstler
Das literarische Testament von William Gaddis ist eine Verehrungsschrift für Thomas Bernhard

Ein Mann stirbt, und er schreibt ein letztes Buch. In diesem Buch geht es um alles. "Es geht um den unaufhaltsamen Zerfall der Welt, den Kollaps von Sprache und Bedeutung, den Niedergang der Werte, das Verschwinden der Kunst." Es geht um den letzten Versuch, eine Ordnung in diese Welt und ihre Denksysteme zu bringen, darum, ein letztes Mal die Welt zu beschimpfen, so wie sie ist, ihr zu sagen, daß sie geistfeindlich ist, vergnügungssüchtig, dumm, und es geht darum, all diese Erkenntnisse ein letztes Mal zu verwerfen. "Augenblick mal, jetzt merke ich erst . . . das wollte ich gar nicht . . . so zerbröselt mir ja meine schöne . . . schöne These", heißt es am Ende. Die Thesen sind falsch, die Erkenntnisse wenden sich gegen den Autor, und er stirbt. So endet das letzte Buch von William Gaddis, dem großen Moralisten, Weltverbesserer, Ankläger, Lauschangreifer und Kartographen der amerikanischen Gesellschaft des letzten Jahrhunderts. Kurz nach Beendigung des Buches "Das mechanische Klavier", das auf einem Hörspiel basiert, das er im Auftrag des Deutschlandfunks erarbeitete, ist er im Jahr 1998 gestorben. Er wurde 75 Jahre alt. "Das mechanische Klavier" ist sein literarisches Testament.

Unsichtbare Abschriften.

Beginnen sollte es eigentlich so: "Von März bis Dezember, schreibt Rudolf, während ich, was in diesem Zusammenhang gesagt sein muß, große Mengen Prednisolon einzunehmen hatte, um meinem zum dritten Mal akut gewordenen morbus boeck entgegenzuwirken, trug ich alle nur möglichen Bücher und Schriften über Mendelssohn Bartholdy zusammen . . ." Leider kann es so nicht beginnen. Denn so beginnt schon ein anderes Buch: Thomas Bernhards Roman "Beton" von 1982. Gaddis empört sich: "Es ist nämlich meine erste Seite, mein Buch, er, Thomas Bernhard, hat es plagiiert, noch bevor ich überhaupt eine Zeile davon zu Papier bringen konnte!" Weite Teile von Gaddis' letztem Buch sind eine Empörungsschrift gegen Thomas Bernhard, den Plagiator. "Meine Worte!" "Meine Ideen!" "Meine Bücher!" Bernhard hat von ihm abgeschrieben, wo er nur konnte, hat Gaddis' Gedanken gedacht, Gaddis' Romane geschrieben, die Welt beschimpft, wie Gaddis sie beschimpfen wollte. Das Problem ist nur, daß Bernhard all diese Gedanken, diese Bücher, diese Beschimpfungen vor Gaddis entwickelt hatte. Es liegt hier also der kulturgeschichtlich einmalige Fall eines sogenannten Prä-Plagiats vor. Abschreiben unsichtbarer, bislang noch ungeschriebener Bücher, Denken noch ungedachter, aber schon vorab reservierter Gedanken, voreiliges Übertreiben von Übertreibungen, die erst zu einem viel späteren Zeitpunkt hätten übertrieben werden dürfen. Das ist natürlich ein Witz. Ein Übertreibungswitz in Bernhards Stil, und somit ist das letzte Buch von William Gaddis nichts anderes als eine große Verbeugung vor dem Werk des großen österreichischen Weltbeschimpfers Thomas Bernhard.

Denn auch, wo Gaddis ihn nicht direkt zitiert, ihm nicht vorwirft, ihn bestohlen zu haben, beschimpft er die Welt, so wie sie ist, ganz in Bernhards Sinne. Das Unglück, wie Gaddis es sieht, beginnt mit der Erfindung des mechanischen Klaviers. "Alles", so Gaddis, "hat damit angefangen." Als es sich vor etwa hundert Jahren "wie eine Seuche" in Amerika ausbreitete. Die Mechanisierung der Kunst. Massenkunst. Unechte Kunst. Imitation. Technik. Fälschung der Welt. Im Herzen aller Dinge seitdem: ein Lochstreifen. Damit, so Gaddis, kam das Unglück der Massenkultur in die Welt, die Illusion, daß jeder Mensch ein Künstler sein könne, die Verflachung der Kunst, und damit auch gleich die Vergötterung der Demokratie, dieser scheinegalisierenden Nutzlosigkeits- und Verblendungseinrichtung, das Ende des Schmerzes, das Ende der Meister, das Ende der wahren Kunst. Die Idee, daß man als Künstler "personality" haben müsse, auf Lesereise gehen und sich dem Publikum präsentieren. Sich verkaufen. Von der "New York Times" als junge schöne Dichterin in den Himmel gelobt zu werden, als mittelalte Schriftstellerin in die Vergessenheit gedrängt, Schönheit, Schönheit, Schönheit, dem Publikum zur Show und Freude. "Am Ende will das Publikum sogar Meister sein und sich in einer Art Selbsthilfegruppe wechselseitig alles Nötige beibringen: der Grundgedanke unserer glorreichen Demokratie." Sich all dem zu entziehen ist das wahre Meisterstück des wahren Künstlers. Eine Unmöglichkeit. Denn: "Sie kriegen dich. So oder so. Zum Beispiel beim National Book Award. Geben dir zehntausend dafür, daß du die Hand beißt, die dich füttert. Großes Galadiner im Plaza, wo auch der allerletzte Verlagswicht hinkommt, schätze allein das kostet locker eine halbe Million . . . aber kaum noch Luft . . . reg mich schon wieder auf . . ."

Immer werden seine Tiraden durch Atemlosigkeit unterbrochen. Der Autor stirbt. Dies ist sein Abgesang. Der Abgesang auf ein großes Werk, das 1955 mit der Veröffentlichung des allumfassenden Riesenwerkes "Die Fälschung der Welt" begann, das damals niemand lesen wollte. Gefolgt von literaturfernen Leben und der erst zwanzig Jahre späteren Veröffentlichung von "JR", dem visionären Wirtschaftsbuch, das alle Scheinaufstiege, Scheinerlöse, Scheinerfolge der kommenden Börsen-Boom- und -Crashzeiten in 800 Dialog-Seiten vorweggenommen hat. Schwer zugänglich waren Gaddis' Bücher immer. Lang, sperrig, sehr viele Leser fand er im Leben nicht. Erst der letzte Roman ist ein knapper, schneller, radikaler Abgesang auf 120 Seiten. Eine große Lesefreude.

Das verpaßte Treffen.

Getroffen haben sich die beiden Dichter nie. "Auch bin ich meinem . . . meinem Plagiator nie begegnet. Ich bin und bleibe der Andere." Der Andere, ja, der immer aus großer sympathisierender Nähe dem Vorahmer zugesehen hat. In den letzten Jahren seines Lebens soll er kaum etwas anderes gelesen haben als Bücher von Thomas Bernhard. Er liebte ihn, liebte sein Werk: "Es ist die Ahnung eines Verlusts, die praktisch überall in seinen . . . das Kindergeschrei auf der Straße oder selbst später, wo alles noch möglich scheint . . . und was doch für immer vorbei ist. Als Kind öfter als nötig krank gewesen, dieser Bernhard, aber da war man jung. Man wird krank, man wird gesund, Windpocken, Mumps, Lungenentzündung, . . . Genesung nur eine Frage der Zeit. Aber heute? Hinter jeder Lungenentzündung lauert der Tod, dein letzter, dein bester Freund . . ." Thomas Bernhard ist 1989 an seiner Tuberkulose, die Folge einer verschleppten Lungenentzündung war, schließlich gestorben. Sein Verehrer, Vordenker, Nachahmer und Gedankenfreund starb neun Jahre danach, kurz nachdem er dieses Buch vollendet hatte.

VOLKER WEIDERMANN.

William Gaddis: "Das mechanische Klavier". Roman. Manhattan Verlag 2003. 124 Seiten. 16 [Euro]

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Georg Klein preist diejenigen Leser "glücklich", die den Roman, einen rund hundert Seiten langen Monolog eines sterbenden Schriftstellers, im amerikanischen Original lesen können. In der Rede des todkranken Schriftstellers geht es um sein Projekt, eine Geschichte des mechanischen Klaviers zu schreiben, informiert Klein. Er weiß auch, dass Gaddis selbst mit einem ähnlichen Unternehmen beschäftigt war, dessen Ergebnis er aber bereits 1951 als Artikel veröffentlicht hatte. Der Rezensent ist voll Bewunderung für die "radikale Rücksichtslosigkeit" mit der der Monolog auf alle epische Breite verzichtet, und sich damit ganz "elitär" nur an "Eingeweihte" richtet. Zudem ist Gaddis' Schriftsteller weit entfernt von den aus der deutschsprachigen Literatur bekannten "Nörglern", so Klein angetan. Mit der deutschen Übersetzung allerdings kann sich der Rezensent ganz und gar nicht anfreunden. Er gibt viele Beispiele für seiner Meinung nach verfehlte Übersetzungen, wobei er sich besonders über die Stellen aufregt, bei denen der Übersetzer zu "rhetorischen Hilfestellungen" greift und mehr erklärt als Gaddis selbst. Dies moniert der Rezensent als "aufdringliche Besserwisserei". Er sieht zudem durch den Hang der Übersetzung zu "modischer Gegenwärtigkeit" das "erzählerische Pathos" der Hauptfigur gefährdet.

© Perlentaucher Medien GmbH
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