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Michael Hecker nimmt eine moderne verfassungsgeschichtliche Betrachtung des (rechtsrheinischen) napoleonischen Deutschlands vor. Korrespondierend zum in der Revisionsforschung vollzogenen Wandel in der Beurteilung der Rheinbundzeit wird er eine insgesamt differenziertere (positivere) Einschätzung des rheinbündisch-napoleonischen Konstitutionalismus abgeben. Sein Thema ist dabei in dreifacher Weise eingegrenzt. Er beschränkt sich zum einen auf die napoleonischen Rheinbundstaaten, d. h. die erst durch Napoleon künstlich geschaffenen und weitgehend französisch geprägten Staaten Berg, Westfalen…mehr

Produktbeschreibung
Michael Hecker nimmt eine moderne verfassungsgeschichtliche Betrachtung des (rechtsrheinischen) napoleonischen Deutschlands vor. Korrespondierend zum in der Revisionsforschung vollzogenen Wandel in der Beurteilung der Rheinbundzeit wird er eine insgesamt differenziertere (positivere) Einschätzung des rheinbündisch-napoleonischen Konstitutionalismus abgeben. Sein Thema ist dabei in dreifacher Weise eingegrenzt. Er beschränkt sich zum einen auf die napoleonischen Rheinbundstaaten, d. h. die erst durch Napoleon künstlich geschaffenen und weitgehend französisch geprägten Staaten Berg, Westfalen und (mit Einschränkungen) Frankfurt. Außen vor bleiben die übrigen Rheinbundstaaten. Dies gilt sowohl für die 1808, 1809 und 1810 mit Verfassungen versehenen Staaten Bayern, Sachsen-Weimar und Eisenach sowie Anhalt-Köthen wie etwa auch für die zwar ohne moderne Verfassung, aber nicht ohne modernisierende Gesetzgebung regierten Staaten Baden und Württemberg. Die Beschränkung auf die drei klassischen Napoleoniden folgt der herkömmlichen Gruppenbildung unter den verschiedenen Rheinbundstaaten. Ihr liegt die Erwägung zugrunde, dass die Napoleoniden mit ihrer engen Anknüpfung an das Empire sowie der ihnen im Hinblick auf die übrigen Rheinbundstaaten zugedachten Modellstaatsfunktion einen eigenen Staatstypus nach napoleonischer Handschrift bildeten. Dessen konstitutionelle Strukturen herauszuarbeiten und abzubilden ist Anliegen der Untersuchung.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2006

Scheinfreiheit aus der Retorte
Michael Hecker schaut auf die Napoleonischen Verfassungen

In das kollektive Gedächtnis der Deutschen des neunzehnten Jahrhunderts hatte sich die "Franzosenzeit" tief eingebrannt - bis hinein in die schöne Literatur. Erinnert sei nur an Wilhelm Raabes Roman "Chronik der Sperlingsgasse" von 1855, in dem die Berliner Handwerkerwitwe Großmutter Karsten sich an jene Jahre erinnert, als "das kleine gelbe, schwarze Volk hier war und in den Straßen kauderwelschte" und als ihre einzigen beiden Söhne aus dem Befreiungskrieg 1813/14 nicht mehr zurückkamen. Andere, etwa der aus dem Thüringischen gebürtige Historiker Heinrich Leo, erinnerten sich mehr als ein halbes Jahrhundert später an die Plünderungen, Konfiskationen und öffentlichen Verbrennungen englischer Waren durch die Soldaten Napoleons, denen die deutsche Bevölkerung nur mit ohnmächtiger Wut zuschauen konnte - von Schlimmerem zu schweigen. Mit der Zeit und mit dem Dahinschwinden der "Erlebnisgeneration" begannen andere Sichtweisen zu dominieren: Aus der "Franzosenzeit" wurde - so der Titel eines berühmten Buches von Friedrich Meinecke (1906) - das patriotisch verklärte "Zeitalter der deutschen Erhebung".

Wieder zwei Generationen später verschob sich der Blick erneut. Nun begann man den einst verlästerten Rheinbund positiver zu sehen und die bedeutenden inneren Reform- und Modernisierungsleistungen zu würdigen, die in dieser Zeit - sozusagen frei nach dem Motto: Vom Sieger lernen heißt siegen lernen - vollbracht worden waren, besonders in den von Napoleon abhängigen und mit ihm verbündeten süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg und Baden. Vor allem Eberhard Weis hat mit seiner Neubewertung und Neurekonstruktion der "Montgelas-Zeit" in Bayern Grundlegendes geleistet und gezeigt, daß hier eben nicht nur willfährige Kollaborateure am Werk waren, sondern Landespatrioten, deren ehrlicher Reformwille schon lange vor 1806 vorhanden gewesen war und deren innovative Gestaltungskraft breite Spuren in der Geschichte des späteren Freistaats hinterlassen hat.

Wie aber stand es um die berühmt-berüchtigten napoleonischen "Kunststaaten", also um jene künstlichen, aus reiner Machtwillkür geschaffenen politischen Retortengebilde wie etwa das "Königreich Westfalen", das "Großherzogtum Berg" oder das "Großherzogtum Frankfurt"? Der bisher kaum untersuchten Frage nach deren innerer Konstituierung durch neue, freilich von oben, das heißt durch Napoleon selbst diktierte und oktroyierte Verfassungsurkunden geht Michael Hecker in einer rechtshistorischen Studie nach, die sich durch eine breite Rezeption zeitgenössischer (auch ungedruckter) Quellen sowie durch umfassende Aufarbeitung der neueren Forschungsliteratur auszeichnet. Handelte es sich hierbei, so seine Ausgangsfrage, lediglich um einen "Scheinkonstitutionalismus" französischer Vasallenstaaten, so die bisherige Lesart, die besonders Ernst Rudolf Huber im ersten Band seiner monumentalen "Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" vertreten hat, oder beginnt hiermit - und keineswegs erst mit den deutschen Verfassungen nach 1815 - die moderne deutsche Verfassungsgeschichte?

Das Merkwürdige ist nun, daß der Verfasser seine am Anfang etwas vollmundig verkündete These von der grundlegenden Modernität und Fortschrittlichkeit dieser Verfassungen im weiteren Verlauf seiner Arbeit nicht mehr recht belegen kann. Es gereicht ihm zur Ehre, daß er nicht den Kardinalfehler mancher seiner rechtshistorischen Kollegen begeht, vom Buchstaben eines Gesetzes- oder Verfassungstextes unmittelbar auf die vorhandene soziale und politische Wirklichkeit zu schließen. Doch die These, daß der "Napoleonische Konstitutionalismus" ein genuin "moderner", ja "fortschrittlicher" Konstitutionalismus gewesen sei, im Sinne des vom Autor angelegten Maßstabs der ersten französischen Revolutionsverfassungen, wird durch einen Blick auf die Verfassungsrealität in jenen "Kunststaaten" widerlegt. Zutreffend ist nur, daß mit diesen Verfassungen (deren Texte der Autor im Anhang seines Buches dankenswerterweise abdruckt) die deutsche Verfassungsgeschichte, wie er es formuliert, "aufbricht", daß er hierin Grundmuster späterer konstitutioneller Strukturen angelegt findet.

Doch die Hubersche These vom "Scheinkonstitutionalismus" wird am Ende gerade nicht widerlegt, im Gegenteil: An versteckter Stelle im letzten Kapitel seines Buches nimmt Hecker seine Kritik daran zurück, indem er einräumt, spätestens von 1810 an könne man die Verfassungswirklichkeit der Kunststaaten Westfalen und Frankfurt nicht mehr anders als mit dem Begriff des Scheinkonstitutionalismus umschreiben. In der Schlußbetrachtung muß er erklären, daß das - sich auf dem Papier schön ausnehmende - "Egalisierungs- und Befreiungsprogramm" jener Verfassungen konterkariert worden sei "durch den ungehemmten Fiskalzugriff und die personelle und materielle Ressourcenbildung für die imperialen Aktivitäten Napoleons".

Schon der Erlaß der Verfassungen entsprang nicht dem Willen zur umfassenden Demokratisierung politischer Verhältnisse, sondern, so der Autor mit Recht, lediglich "dem politischen Kalkül der Machtsicherung durch Modellbildung an Frankreich gebundener Staatsgebilde". Regte sich Widerstand, wie in der Schein-"Volksvertretung" des Königreichs Westfalen, dann erfolgte dessen unmittelbare Ausschaltung durch die Machtmittel der französischen Besatzer. Im Grunde handelte es sich, wie der Autor eher widerwillig zugeben muß, um nichts anderes als um "Besatzungsrecht".

Damit bleibt von der Ausgangsthese wenig übrig. Was sollen diese Verfassungen anderes gewesen sein als Scheinverfassungen, erlassen von einem allmächtigen Fremdherrscher zum Zweck der besseren Kontrolle und Beherrschung unterworfener Gebiete? Die vermeintliche "Fortschrittlichkeit" dieser Verfassungen reduziert sich, wenn überhaupt, nur auf einzelne Inhalte, die der politischen Praxis zumeist nicht entsprachen. Mit Ausnahme vielleicht der bayerischen Verfassung von 1808 blieben die Verfassungsurkunden des "Napoleonischen Konstitutionalismus" weitgehend folgenlos. Die These, daß mit ihnen - und nicht erst mit den Verfassungen der deutschen Klein- und Mittelstaaten nach dem Wiener Kongreß - die moderne deutsche Verfassungsgeschichte beginnt, hat die Arbeit von Hecker nicht belegen, geschweige denn erhärten können. Trotzdem bleibt seine Studie verdienstvoll und wichtig, da sie erstmals ein wenig bekanntes Kapitel der neueren deutschen Verfassungsgeschichte aufgearbeitet hat.

HANS-CHRISTOF KRAUS

Michael Hecker: "Napoleonischer Konstitutionalismus in Deutschland". Schriften zur Verfassungsgeschichte, Band 72. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2005. 204 S., geb., 64,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gleich doppeltes Lob zollt Rezensent Christof Kraus dem Verfasser der Studie, Michael Hecker. Zum einen habe er mit den von Napoleon diktierten Zwangsverfassungen in Deutschland einen kaum bekannten Bereich der Verfassungsgeschichte aufgearbeitet, und dabei die neuere Forschungsliteratur berücksichtigt. Und zum anderen beweise Hecker die Größe und wissenschaftliche Integrität, seine "vollmundige" Ausgangsthese einer grundsätzlichen "Modernität und Fortschrittlichkeit" dieser Verfassungen im Verlaufe seiner Arbeit nahezu vollständig zurückzunehmen. Aus Sicht des Rezensenten mutet diese allmähliche Verfertigung einer Einsicht zwar "merkwürdig" an und sei auch an "versteckten Stellen" oder mitunter "widerwillig" formuliert. Wie das? Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, so der Rezensent, überprüfe Hecker den Verfassungstext anhand der sozialen und politischen Wirklichkeit, und da bliebe, nolens volens, von einem vermeintlich guten Willen Napoleons zur Demokratisierung nichts übrig als reine Machtinteressen. Die sogenannten Volksvertretungen im "Kunststaat" Königreich Westfalen seien beispielsweise beim geringsten Widerstand sofort ausgeschaltet worden. Auf ehrenvolle Weise reihe sich der Autor zuletzt, resümiert der Rezensent, in die Reihen derjenigen ein, die von Scheinverfassungen sprechen und eine "moderne deutsche Verfassungsgeschichte" doch erst nach dem Wiener Kongress sich entwickeln sehen.

© Perlentaucher Medien GmbH
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"Die vorliegende Studie, die sich einer kurzen, aber bislang wenig beachteten Epoche der Verfassungsentwicklung in Deutschland widmet und gerade aus dieser Beschränkung Gewinn zieht, verdient großes Lob - auch wenn sie letztendlich durch die nur allzu berechtigten Hinweise auf die immanenten Restriktionen der modernen Verfassungselemente sowie den autokratischen politischen Zugriff Napoleons, den instrumentalen Charakter der Modellstaatsbildung sowie die Präponderanz der monarchischen Exekutive die Einschätzung als Scheinkonstitutionalismus eher bestätigt als widerlegt. Ungeachtet dessen handelt es sich um eine in jeder Hinsicht gediegene Arbeit, auf der Grundlage souveräner Literaturbeherrschung umsichtig auf hohem Niveau argumentierend, zudem flüssig geschrieben und transparent gegliedert. Kein dickes, aber ein dichtes Buch, lehr- und kenntnisreich. Chapeau!" Horst Dreier, in: Deutsches Verwaltungsblatt, 12/2007