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Die wissenschaftliche Aufgabe der DDR-Forschung besteht vor allem darin, Staat, Gesellschaft, Geschichte, Wirtschaft, Soziales, Kultur, Mentales, Außen- und Sicherheitspolitik der DDR zu erforschen. Nach dem Zusammenbruch der DDR und mit der Wiedervereinigung ist in Wissenschaft, Publizistik, Politik und Öffentlichkeit häufig auf eine verbreitete Fehleinschätzung der DDR hingewiesen worden. Weder konservative noch liberale noch linke DDR-Forscher und Publizisten haben Zeitpunkt, Schnelligkeit und Ergebnis des Zusammenbruchs des SED-Herrschaftssystems vorhergesehen. Offenbar waren die…mehr

Produktbeschreibung
Die wissenschaftliche Aufgabe der DDR-Forschung besteht vor allem darin, Staat, Gesellschaft, Geschichte, Wirtschaft, Soziales, Kultur, Mentales, Außen- und Sicherheitspolitik der DDR zu erforschen. Nach dem Zusammenbruch der DDR und mit der Wiedervereinigung ist in Wissenschaft, Publizistik, Politik und Öffentlichkeit häufig auf eine verbreitete Fehleinschätzung der DDR hingewiesen worden. Weder konservative noch liberale noch linke DDR-Forscher und Publizisten haben Zeitpunkt, Schnelligkeit und Ergebnis des Zusammenbruchs des SED-Herrschaftssystems vorhergesehen. Offenbar waren die Erkenntnismöglichkeiten um Prognosen der Entwicklung und Stabilität der DDR und des Ostblocks bei den Forschern ebenso beschränkt wie bei den Politikern. Eine weitverbreitete Kritik besagt, die DDR-Forschung habe das Ende der DDR nicht prognostiziert und schon damit ihre Inkompetenz unter Beweis gestellt. Sie verkennt, daß sich die Relevanz sozialwissenschaftlicher Forschung nicht durch ihre Prognosefähigkeit begründet, sondern durch die umfassende Analyse von politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Zuständen und Entwicklungsprozessen. Zentrale Strukturen und Prozesse der Herrschafts- und Gesellschaftsordnung und andere Gebiete konnten wegen Datenmangels weithin nicht erforscht werden. Wichtige externe Rahmenbedingungen und Einflußfaktoren, das wirkliche Denken und Fühlen der Bevölkerung, die Motive und Strategien der Herrschenden waren kaum berechenbar. Nach dem Öffnen der Archive hat sich dieser Zustand - wenn auch in der Retrospektive - grundsätzlich verändert. Jetzt kann Geschichte Politik in ihrem umfassendsten Sinne machen!

Die Fragestellungen haben sich Jahre nach der wirtschaftlichen und politischen Wiedervereinigung erweitert und verändert. Gewiß sind die interdisziplinären Fragen nach den Außenbeziehungen, der Herrschaft, der Gesellschaft, der Kultur und Mentalität und nach den Gründen für den Zusammenbruch geblieben, aber andere sind hinzugekommen: Wie geht die neue deutsche Gesellschaft mit der DDR um? Wie wirkt die DDR in die neue deutsche Gesellschaft? Daher hat der Titel dieses Sammelbandes auch seine Berechtigung. Verfasser sind Wissenschaftler verschiedener Disziplinen und ehemalige politische Akteure und Diplomaten.
Autorenporträt
Prof. Dr. Dr. Heiner Timmermann, Professor für europäische Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; Vorstandsvorsitzender der Akademie Rosenhof e.V., Weimar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.1999

Ohne wirklichen Zusammenhalt
Forschungen zum DDR-Sozialismus

Heiner Timmermann (Herausgeber): Die DDR - Erinnerung an einen untergegangenen Staat. Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen, Band 88. Duncker & Humblot, Berlin 1999. 592 Seiten, Tabellen und Abbildungen, 158,- Mark.

Sammelbände wie der vorliegende, die aus einer wissenschaftlichen Tagung hervorgehen, haben ihre Vorzüge, aber auch ihre Nachteile. In ihrer Vielfalt bieten sie eine Menge Stoff, Anregung und Information, aber es fehlt die Systematik, die innere Geschlossenheit. Mit dem von Heiner Timmermann herausgegebenen Konvolut, in dem nicht weniger als 29 Autoren zu Wort kommen, verhält es sich nicht anders. Auf fast sechshundert Seiten vereint das Buch in sich die zur Publikation aufbereiteten Beiträge eines Kolloquiums zur DDR- und Deutschlandforschung, das 1997 vom Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut der Europäischen Akademie Otzenhausen veranstaltet wurde, zum vierten Male übrigens. Indes reihen sich die einzelnen Beiträge aneinander ohne inhaltlichen Zusammenhang.

Stattdessen finden sich, um das exemplarisch zu machen, Untersuchungen darin zur Zerschlagung des politischen Widerstands durch das Ministerium für Staatssicherheit am Beispiel der "Sektion DDR" der KPD/ML von Tobias Wunschik (Berlin), zu deutschlandpolitischen Aktivitäten des ehemaligen Sozialdemokraten und brandenburgischen Ministerpräsidenten Carl Steinhoff aus dem Jahre 1947 von Fritz Reinert (Potsdam), zur Entwicklung der Ehescheidungen in der Ära Erich Honecker von Lothar Mertens (Bochum) und über die deutsche Minderheit in Polen als Problem der ostdeutsch-polnischen Beziehungen in den Jahren 1949 bis 1963 von Beate Ihme-Tuchel (Berlin) - alles solide Arbeiten, jede für sich höchst lesenswert, aber die Frage ist erlaubt, ob bei der Zusammenstellung des Bandes nicht allzu sehr das Prinzip Zufall waltete.

Thematisch teilt sich das Buch nach einer leider recht flüchtig formulierten, wenig präzisen Einführung des Herausgebers in vier Sachbereiche ein - die zum einen Beiträge zur Ursachenanalyse des DDR-Untergang offerieren, zum anderen zu speziellen Aspekten von Herrschaft, Alltag und den Außenbeziehungen der DDR.

Entscheidungsprozesse

Vorab informieren drei nichtdeutsche akademische Forschungseinrichtungen über ihre Arbeit auf dem Gebiet der DDR- und Deutschlandforschung: das Historische Seminar der Universität Kopenhagen, das flämische "Centrum voor Duitslandstudien" in Antwerpen und das Institut für zeitgeschichtliche Forschung an der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag - womit schon angedeutet ist, dass nicht nur deutsche Historiker und Politologen in dem Sammelband vertreten sind, sondern - erfreulicherweise - auch Autoren aus Belgien und den Niederlanden, aus Dänemark, England, Frankreich, Tschechien und Ungarn.

Hervorzuheben sind die Ausführungen von István Horváth, ehemals ungarischer Botschafter in Bonn, der aus eigener Mitwirkung den politischen Entscheidungsprozess schildert, der am 10. September 1989 zur Öffnung der ungarischen Grenze nach Österreich führte. "Eines war jedoch klar", schreibt er. "Als Ergebnis der eventuellen Öffnung der ungarischen Grenze musste man mit einer vollkommen neuen ,deutschen Situation' rechnen, die die Notwendigkeit der Berliner Mauer in Frage stellt." Als gut zwei Wochen zuvor eine Regierungsdelegation aus Budapest mit Helmut Kohl und Hans Dietrich Genscher auf Schloss Gymnich darüber konferierte, ist auf deutscher Seite offenbar die politische Brisanz der zu treffenden Entscheidung erst voll begriffen worden. In letzter Konsequenz wurde mit der ungarischen Grenzöffnung die Öffnung der Berliner Mauer vorbestimmt.

Vor diesem Hintergrund macht die materialreiche Studie, die Monika Tantzscher (Berlin) über die Zusammenarbeit des MfS einst mit den "befreundeten" Ostblock-Sicherheitsdiensten zur Unterbindung der "Republikflucht" über sozialistische Drittländer beisteuert, wieder einmal bewusst, mit welchem Aufwand das Regime der SED die permanente "Abstimmung mit den Füßen" im Wissen um die seine Herrschaft destabilisierende Wirkung bekämpfen ließ.

Nasser Tod

Eine sinnvolle Ergänzung dazu liefert Frank Petzold (Kiel) mit seiner Studie über die "Staatsgrenze Nord". Darin wird eindringlich dargelegt, dass zwischen 1961 und 1989 Tausenden fluchtwilliger DDR-Bürger der Weg über die Ostsee eine Erfolg versprechende Alternative zur Option einer Flucht über die hermetisch abgeriegelte Landgrenze oder die Berliner Mauer erschien. Die Schwierigkeiten und Gefahren, die damit verbunden waren, wurden von vielen Flüchtlingen unterschätzt. "Zu Lande mussten sie das Grenzregime der Küstenregion einschließlich der unmittelbar am Strand eingesetzten Postenstreifen der GBK (= Grenzbrigade Küste) überwinden, und seeseitig auch noch die Drei-Meilen-Zone (bzw. ab 1985 Zwölf Meilen) der DDR und die ,freie' Ostsee mindestens bis zu den bundesdeutschen oder dänischen Hoheitsgewässern durchqueren." Wie viel Flüchtlinge dabei dem "nassen Tod" zum Opfer fielen, wird sich niemals mehr recherchieren lassen.

Aufschlussreiche Erkenntnisse zur ökonomischen Situation der DDR bietet Helmut Jenkis (Garbsen) an. Seine kritische Analyse zu Honeckers Konzept der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" macht auch dessen Scheitern plausibel. Rainer Karlsch (Berlin) untersucht akribisch mit bislang kaum bekannten Zahlen die in die Milliarden Mark gehenden Lasten, die der DDR mit den von ihr aufzubringenden Stationierungskosten für die Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland und mit der Subventionierung des Uranbergbaus im Rahmen der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut bis zur Endzeit aufgebürdet waren.

Unter den Studien zu den DDR-Außenbeziehungen zieht besonders die Skizze von Bernd Schäfer (Dresden) über das Verhältnis der DDR zum Vatikan Interesse auf sich. Zuletzt kam die Ostberliner Regierung noch auf den Gedanken, den für 1991 vereinbarten Besuch des Papstes im zweiten deutschen Staat demonstrativ um ein Jahr vorzuziehen. "Solche Planspiele, die letzten davon noch im Februar 1990, wurden jedoch von der Wirklichkeit rasant überholt." Allerdings.

Die Arbeiten des Sammelbandes sind durchweg gut fundiert und materialreich angelegt. Ihr wissenschaftlicher Gewinn für die DDR- und Deutschlandforschung ist unverkennbar.

KARL WILHELM FRICKE

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

In diesem Sammelband finden sich die 48 Beiträge des Jahrgangs 1999 der alljährlich an der Europäischen Akademie Otzenhausen stattfindenden internationalen und interdisziplinären DDR-Forschertagung. Rezensent Eckhard Jesse nennt nur zwei Autoren namentlich, nämlich Martin Jander und Uta Stolle, die sich beide mit dem "Demokratieverständnis der Bürgerbewegung" beschäftigen. Stolles Kritik am mangelnden Einheitswunsch der Mehrzahl der Bürgerrechtler findet Jesse "treffend". Jander will die Bürgerbewegung vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus betrachtet wissen. Der Rezensent schlägt dagegen vor, die Nähe zu den "antifaschistischen 68ern" des Westens zu betonen - und so den Blick stärker auf gemeinsame Versäumnisse zu richten.

© Perlentaucher Medien GmbH