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Ein polnischer Spätaussiedler reist mit einer amerikanischen Journalistin auf Spurensuche nach Polen.
Chrystian ist ein deutsch-polnischer Spätestaussiedler in Bremen. Er lebt von der Hand in den Mund, ein Lebenskünstler, Schnorrer und Taugenichts. Vergeblich versucht er zu begreifen, warum ihn seine Frau rausgesetzt hat. Da tritt eine junge Amerikanerin in sein Leben. Sie ist Journalistin und jüdischer Herkunft und muss etwas klären: Vor fast sechzig Jahren sind drei ehemalige Häftlinge aus dem KZ Stutthof bei Danzig mit einem Flugboot auf dem Geserichsee gelandet und haben Richard…mehr

Produktbeschreibung
Ein polnischer Spätaussiedler reist mit einer amerikanischen Journalistin auf Spurensuche nach Polen.

Chrystian ist ein deutsch-polnischer Spätestaussiedler in Bremen. Er lebt von der Hand in den Mund, ein Lebenskünstler, Schnorrer und Taugenichts. Vergeblich versucht er zu begreifen, warum ihn seine Frau rausgesetzt hat. Da tritt eine junge Amerikanerin in sein Leben. Sie ist Journalistin und jüdischer Herkunft und muss etwas klären: Vor fast sechzig Jahren sind drei ehemalige Häftlinge aus dem KZ Stutthof bei Danzig mit einem Flugboot auf dem Geserichsee gelandet und haben Richard Schmidtke hingerichtet, den Kommandanten eines Außenlagers, der sich dort im Wald versteckt hat. Einer der Männer war Monas Großvater.

Gemeinsam fahren Chrystian und Mona auf Spurensuche nach Polen. Für Chrystian wird die Fahrt zur Befreiung von seiner Ehe und von der Geschichte. Endlich, so glaubt er, wird er nicht mehr die Last der Vergangenheit mit sich herumschleppen müssen. Aber dann kommt es anders ...

Der vielfach ausgezeichnete Artur Becker hat eine Novelle von spröder Schönheit geschrieben, die uns in eine Welt führt, die jahrzehntelang hinter Grenzen und Stacheldraht lag.
Autorenporträt
Becker, Artur
Artur Becker wurde 1968 in Bartoszyce, Warmia und Masuren, geboren. Seit 1985 in Deutschland, lebt er in Verden an der Aller.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.07.2006

Er heißt Christian, aber mit y
Das sagt alles: Artur Becker erzählt vom Fisch, nicht vom Fleisch

Die Stinte sind kleine, heringförmige Fische, die im Salz- wie im Süßwasser vorkommen. Es gibt sie in der Weser und im Geserichsee in Polen. Sie sind "so schlau wie die Aale und so königlich wie die Gezeiten und das Meer und die zahllosen Flußmündungen, aus denen sie stammen". In Artur Beckers Novelle "Die Zeit der Stinte" landen sie nicht nur auf dem Teller und im Netz, sondern bilden ein zeiten- und raumübergreifendes Leitmotiv, das dem Text nicht zuletzt eine magische Aura verleihen soll.

Mehrmals heben die Kapitel märchenhaft beschwörend mit "Es war die Zeit der Stinte" an, doch was folgt, paßt kaum zu solch raunenden Intonationen. Erzählt wird die Geschichte einer folgenreichen Begegnung, die zur Ergründung von Familiengeschichte und biographischer Identität, von osteuropäischer Nachkriegsgeschichte und anthropologischen Konstanten führt. Mona Juchelka, eine amerikanische Journalistin jüdischer Herkunft, macht sich auf, die Geschichte ihres Großvaters Gerald Juchelka zu rekonstruieren, der 1947 den Gutsbesitzer Richard Schmidtke in einem spektakulär durchgeführten Akt der Selbstjustiz hingerichtet hat, in dessen Außenlager er einst vor der Überführung in das KZ Stutthof eingesessen hatte. Dabei stößt sie auf Chrystian Brodd, einen arbeitslosen Akademiker, dessen Großvater Johann Koch auf dem Gut jenes Richard Schmidtke war, weshalb sich Mona von ihm und seiner Familie nähere Informationen verspricht.

Chrystians kleine Bremer Welt von Freunden und Verwandten, mit der er sich über seine Ziel- und Haltlosigkeit hinwegtäuscht, wird durch die Ankunft Monas kräftig erschüttert. Er läßt sich mit ihr auf eine Liebesbeziehung ein und begleitet sie an die Orte seiner Kindheit nach Masuren, die er seit der Wendezeit nicht mehr gesehen hat. Das Aufspüren der eigenen Wurzeln gelingt aber nur zum Teil. Zwar gibt Chrystians Onkel Erwin, der als einziges Familienmitglied in Polen geblieben ist, bereitwillig Auskunft und trägt auch zur Auflösung mancher Familiengeheimnisse bei, doch zur mahnenden Erinnerung eignen sich die individuell bedeutsamen Stätten kaum. Der Grabstein Schmidtkes etwa findet sich auf einem verfallenen deutschen Friedhof mitten im Wald, Schmidtkes ehemaliges Landgut lockt Touristen mit dem Hinweisschild "Ferien auf dem Bauernhof".

Der aus Polen stammende Artur Becker ist nicht an der großen Geschichte interessiert, sondern an einzelnen Biographien, denen jene gleichwohl eingeschrieben ist. Wer war etwa jener Johann Brodd, der Schmidtke treu gedient hat? Ein Feigling und Speichellecker, wie Erwin meint, der "bei Schmidtke gekocht und gleichzeitig zugeschaut" hat, "wie sich die Menschen zu Tode hungerten", oder ein aufrechter Charakter, dessen man sich nicht schämen müsse, wie Chrystians Vater argumentiert: "Wir Brodds brauchen uns nichts vorzuwerfen. Unser Gewissen ist rein." Der Umgang mit der Vergangenheit jedenfalls, das Auf- und Annehmen der Familiengeschichte auch um den Preis fragiler Identität, bleibt Aufgabe jedes einzelnen.

Eher mißglückt ist Beckers Versuch, auch den "Täter" Schmidtke zu Wort kommen zu lassen. In zwei Kapiteln blickt er unmittelbar zurück auf die Vorgänge des Jahres 1947 und vergegenwärtigt die Gedanken und Empfindungen der Betroffenen. Geht es Gerald Juchelka weniger um eine ideologisch motivierte Racheaktion denn um exemplarische Sühne vor dem Hintergrund einer pessimistischen Anthropologie, so ist Schmidtke ein unbekehrter Überzeugungstäter, dessen Motive gleichwohl verworren bleiben.

Auch die Liebesgeschichte vermag kaum zu überzeugen. Was findet die attraktive Mona nur an jenem herumlungernden Chrystian, dessen Hauptaktivitäten im Konsumieren von Alkohol und Nikotin und in pseudophilosophischen Spekulationen bestehen, so daß man ihm selbst sein Hochschulstudium kaum abzunehmen vermag? Und welche Liebespaare führen solch klappernde Dialoge, wie sie Becker stets aufs neue vorführt? Immerhin nimmt die Beziehung dann ein überraschendes Ende, auf das einmal mehr das Verhalten der Stinte vorausdeutet, eine Stelle, die zugleich poetologisch das Ende der Novelle ankündigt: "Sie wissen, wann sie eine Party verlassen müssen, und das ist eine besondere Gabe."

THOMAS MEISSNER

Artur Becker: "Die Zeit der Stinte". Eine Novelle. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006. 199 S., br., 14,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eher mittelmäßig findet Thomas Meissner diese Novelle Artur Beckers über Mona, eine amerikanische Journalistin jüdischer Herkunft, die sich nach Deutschland aufmacht, um die Geschichte ihres Großvaters zu erkunden. Dabei lernt Mona den arbeitslosen Akademiker Chrystian kennen, der sie bei ihrer Suche begleitet. Die Liebesgeschichte, die sich zwischen dem herumlungernden Chrystian und der attraktiven Mona entspinnt, hat Meissner nicht überzeugt. Auch Beckers Versuch, den eingefleischten Nazi und Gutsbesitzer Schmidke, den Monas Großvater seinerzeit tötete, noch einmal zu Wort kommen zu lassen, erscheint ihm nicht gelungen.

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