"Gibt es Frauen in dem Nest?"
Baron von Seylatz muss in der österreichischen Provinz eine Zwischenstufe seiner Beamtenkarriere absitzen. Das weibliche Inventar des "Städtchens" sieht er als probates Mittel, sich Langeweile und Tristesse zu vertreiben. Auch sein Jugendfreund Titus Quitek ist hier als Zeichenlehrer gelandet, anstatt als Künstler in Paris zu arbeiten. Als Baron von Seylatz aber Quiteks minderjährige Ziehtochter verführt, kommt es zur Katastrophe.
Baron von Seylatz muss in der österreichischen Provinz eine Zwischenstufe seiner Beamtenkarriere absitzen. Das weibliche Inventar des "Städtchens" sieht er als probates Mittel, sich Langeweile und Tristesse zu vertreiben. Auch sein Jugendfreund Titus Quitek ist hier als Zeichenlehrer gelandet, anstatt als Künstler in Paris zu arbeiten. Als Baron von Seylatz aber Quiteks minderjährige Ziehtochter verführt, kommt es zur Katastrophe.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.08.2013NEUE TASCHENBÜCHER
Her mit den kleinen
Österreicherinnen
Albert Drach hat in diesem typisch österreichischen Genre des sarkastisch scharfsichtigen Provinzromans noch bis in die 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts brilliert. Die Tradition geht aber weit zurück, und als der Wiener Jurist Hans Adler mit 35 Jahren wegen eines Lungenleidens in den Ruhestand versetzt wurde, widmete er sich neben Operetten- und Chansontexten auch diesem Typus des Romans. Nonchalant und hyperrealistisch entwirft er die teils müden, teils völlig überzogenen Sexualphantasien von Männern, die in der Provinz gefangen sind wie die Schwestern von Tschechow. Die minderjährige Tochter des Zeichenlehrers gibt schließlich die Aushilfs-Lulu. Sie weiß, wie man Barone, Professoren und Bürgermeister auf ihr menschliches Maß stutzt. Adler entfaltet einen wunderbaren Mutterwitz, auch die trockene Empörung passt zum bürgerlichen Snobismus der Zeit. Was für eine Qual, einen Kranken röcheln zu hören: „Anstandslos stellten sich Tränen ein.“ Die Krankenschwester kam zweifellos aus der Unterschicht. Adler hat sein Lungenleiden noch lange überlebt, auch die Nazizeit, er starb 1957 an den Folgen eines Autounfalls.
HELMUT MAURÓ
Hans Adler: Das Städtchen. dtv München 2013.
331 S., 12,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Her mit den kleinen
Österreicherinnen
Albert Drach hat in diesem typisch österreichischen Genre des sarkastisch scharfsichtigen Provinzromans noch bis in die 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts brilliert. Die Tradition geht aber weit zurück, und als der Wiener Jurist Hans Adler mit 35 Jahren wegen eines Lungenleidens in den Ruhestand versetzt wurde, widmete er sich neben Operetten- und Chansontexten auch diesem Typus des Romans. Nonchalant und hyperrealistisch entwirft er die teils müden, teils völlig überzogenen Sexualphantasien von Männern, die in der Provinz gefangen sind wie die Schwestern von Tschechow. Die minderjährige Tochter des Zeichenlehrers gibt schließlich die Aushilfs-Lulu. Sie weiß, wie man Barone, Professoren und Bürgermeister auf ihr menschliches Maß stutzt. Adler entfaltet einen wunderbaren Mutterwitz, auch die trockene Empörung passt zum bürgerlichen Snobismus der Zeit. Was für eine Qual, einen Kranken röcheln zu hören: „Anstandslos stellten sich Tränen ein.“ Die Krankenschwester kam zweifellos aus der Unterschicht. Adler hat sein Lungenleiden noch lange überlebt, auch die Nazizeit, er starb 1957 an den Folgen eines Autounfalls.
HELMUT MAURÓ
Hans Adler: Das Städtchen. dtv München 2013.
331 S., 12,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de