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Ein alter Märchenstoff als modernes Versdrama: eine Geschichte von Lust und Schrecken, von Liebe, Tod und Erlösung.
Martin Mosebach gelingt es, aus einem Märchen voll alter Mythen ein eindrucksvolles modernes Versdrama zu gestalten. Rotkäppchen ist "halb Licht und halb Schatten", halb Alice im Wunderland, halb Iphigenie, halb Kind und auch halb Frau. In freien und gereimten Rhythmen, Songs und volksliedhaften Gedichten wird das ganze Märchen zur handelnden Person: der Wald mit den Tannen und Tieren, Pilzen und Blumen, der Wolf und seine auf Rotkäppchen eifersüchtige Frau, der Förster und…mehr

Produktbeschreibung
Ein alter Märchenstoff als modernes Versdrama: eine Geschichte von Lust und Schrecken, von Liebe, Tod und Erlösung.

Martin Mosebach gelingt es, aus einem Märchen voll alter Mythen ein eindrucksvolles modernes Versdrama zu gestalten. Rotkäppchen ist "halb Licht und halb Schatten", halb Alice im Wunderland, halb Iphigenie, halb Kind und auch halb Frau. In freien und gereimten Rhythmen, Songs und volksliedhaften Gedichten wird das ganze Märchen zur handelnden Person: der Wald mit den Tannen und Tieren, Pilzen und Blumen, der Wolf und seine auf Rotkäppchen eifersüchtige Frau, der Förster und natürlich Großmutter, Mutter und Rotkäppchen, die drei Generationen von Frauen repräsentieren.

Das Stück ist für das Theater geschrieben, Mysterienspiel und Zauberposse. Die ganze Fülle aber, Zartes und Empfindsames, Vitalität und Poesie, Musikalität und Sprachphantasie, erschließt sich erst beim Lesen.
Autorenporträt
Mosebach, Martin
Martin Mosebach wurde 1951 in Frankfurt am Main geboren. Sein Jurastudium schloss er 1979 ab, widmete sich aber dann der Literatur. Er erhielt 1980 den Förderpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung und arbeitet seitdem als freier Schriftsteller. 1999 wurde er mit dem Doderer-Preis geehrt, 2004 mit dem Blauen Salon Preis des Frankfurter Literaturhauses und im Oktober 2007 erhielt er den begehrten Georg Büchner-Preis für sein Gesamtwerk - Romane, Erzählungen, Gedichte, Theaterstücke, Drehbücher und Libretti.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.12.2008

Dreiklang im Märchenwald
„So schlägt man Priester in Ornate, in Hemd und Spitzhut man Verdammte. Nun sprich, du samt’ne, scharlachfarb’ne: du kleidest mich zu dunklem Amte!” Martin Mosebachs „Rotkäppchen und der Wolf” wagt sich tief in den Wald Von Christoph Schmaus
Zu Großem bestimmt ist die Heldin, und mehr als ein Zeichen ist ihr die rote Mütze: „So schlägt man Priester in Ornate, / in Hemd und Spitzhut man Verdammte. / Nun sprich, du samt’ne, scharlachfarb’ne: / du kleidest mich zu dunklem Amte!” Eigentlich war die Kappe von der Mutter zu anderem Zweck genäht, sollte strafend die blonden Locken verbergen, doch nun führt sie zur Wesensverwandlung des dankbar empfangenden Mädchens: „Du zeigst die Welt durch eine neue Brille / und änderst mich in der Substanz.” Es ist tatsächlich die Maid aus dem Märchen. Ja, es ist Rotkäppchen, das spricht – zu solchen Worten befähigt durch Martin Mosebach, der den Stoff bereits 1988 dramatisiert hat. Vier Jahre später wurde das Stück vom Frankfurter Schauspiel uraufgeführt. Nun ist die Live-Aufnahme einer Drei-Personen-Lesung zu hören, in der neben dem Dichter auch die Sopranistin Andrea Reuter und der Regisseur Hans Hollmann wirken.
Das Vorgetragene steht quer zu allem, was man an Rotkäppchen-Parodien kennt. Selbst reizvolle Verballhornungen à la Thaddäus Trolls „Rotkäppchen auf Amtsdeutsch” oder die alkoholisierte Seemannsgarn-Version von Joachim Ringelnatz zehren davon, die magische Schlichtheit grimmscher Märchen-Niederschrift in den profanen Sprachduktus eines diesseitigen Alltags zu übertragen.
Während diese erniedrigen, erhöht Mosebachs Dichtung das Märchen. Die Ästhetisierung in Versmaß und Reim lässt die tannengrüne Welt erst so recht entstehen. Dabei ist der Eingriff kein geringer. Die Geschichte musste ihren angestammten Platz hinterm häuslichen Ofen verlassen und auf die öffentliche Bühne treten. Auf Tonträger gebannt kann sie jetzt wieder heimelige Orte aufsuchen. Zwar bleibt ihr Erzähler, und mit ihm das vermittelnde „Es war einmal”, abhanden. Und sind stattdessen auch Figuren und Ereignis unmittelbar präsent, so scheint dennoch vor allem die Hörbuch-Inszenierung das Märchenhafte zu bewahren. Die unwirkliche Welt wird durch körperlose Stimmen im Raum besser erhalten als durch leibhaftige Figuren auf der Bühne.
Die Dramatisierung verändert nicht nur Sprache und Darstellung, auch das Geschehen wird erhöht. Schon die Grimms sprachen in der Vorrede ihrer Sammlung vom Märchen als Mythos. Den attischen Dichtern nicht unähnlich, die aus dem Material griechischer Ur-Erzählungen tragische Bühnenstücke schlugen, verfertigt Mosebach den Rotkäppchen-Mythos zur schicksalshaften Darbietung. Die rotgemützte Heldin, mit mehr als einer Ahnung von ihrem Martyrium, fügt sich dem Unabwendbaren.
Wer die Tiefen der zahlreichen Anspielungen erkunden will, für den ist das Stück ein gefundenes Fressen. Nicht zuletzt, weil nach antikem Vorbild gestaltete Tannen- und Fliegenpilzchöre das tragische Geschehen im Märchenwald kommentieren. Aber auch andere Querverweise tun sich auf. So erfährt man etwa, dass der rote Sammet, aus dem das Käppchen genäht wird, vormals als Fensterschmuck für die vorbeiziehende Fronleichnamsprozession diente. Mit ihr wird die leibliche Gegenwart Jesu Christi im Sakrament der Eucharistie gefeiert. Dass nun ausgerechnet dieses Stück Stoff Rotkäppchen „in der Substanz” verändert, ist der theologischen Beschreibung der Wandlung von Wein und Brot in Blut und Leib entliehen und taucht die Märchenhandlung in ein sakrales Licht.
Aber vielleicht sollte man sich auf der Suche nach Interpretationsblüten nicht allzu tief in den Wald hineinwagen. Man läuft Gefahr, sich im Deutungsdickicht zu verfangen und dabei das größte Wunder zu verpassen: Das Märchendrama ist – bei allem Tiefgang und bei aller literaturgeschichtlicher Aufladung – eine barocke Klangkathedrale, die durch bloßen Stimmenpomp schon überwältigt. Ob Solo oder im Dreiklang, die Vortragenden überzeugen in unzähligen Rollen.
Denn alles in dieser Märchenwelt ist belebt und beseelt, nicht nur die Tiere und Pflanzen, auch die Gegenstände. Ein Säuseln und Flüstern, Raunen und Klagen, ein Protzen und Prahlen durchzieht das Stück. Daneben heben sich vokale Einzelleistungen ab.
Besonders gelungen sind die unerwarteten Besetzungen. Martin Mosebachs wohlig liebe Stimme spricht den Wolf, Andrea Reuter variiert beeindruckend zwischen dröhnend tumbem Jäger und zart sinnlichem Rotkäppchen. Hans Hollmann hingegen brilliert durchweg, ob als schwyzerdütsche Nähmaschine, als des Jägers Frau Mama mit Wiener Schmäh oder als bärbeißige Großmutter mit schlesischem Einschlag.
Was die Beschreibung der Stimmen schon andeutet, das ist das zweite große Wunder in diesem Märchen: Die feinsinnige Poetik lässt genug Raum für eine geballte Ladung an Witz und Kalauer und Klamauk. Die Jagdtrophäen des Waidmannes zieren die Wände der Zirbelstube als selbstgebastelte Chimären (Auerochshahn, Wachtelfuchs, Mardermufflon etc.). Die geldgierige Großmutter öffnet dem Wolf nur die Tür, weil sie ihn in seinem Pelz für einen polnischen Baron hält.
Weniger komisch denn tragisch ist die abnorme Leidenschaft, die im Wolf für das Menschenkind entbrannt ist. Die Brüder Grimm haben die Wollust als Märchenmotiv zensiert, im Drama schimmert sie beständig durch. Es scheint, als sei das Fressen nur Triebersatz, weil der Wolf dem Mädchen ein Wolf bleiben muss.
Während sie für gewöhnlich im Märchen heute noch leben, wenn sie nicht gestorben sind, ist Rotkäppchen im Drama seiner Welt am Ende weit entrückt. Dem Wolfsbauch entstiegen begibt es sich auf Himmelfahrt und glänzt fortan als Stern. Durch sein Selbstopfer hat es höhere Weihen erlangt und entsagt fortan dem irdischen Handeln. Auch der Hörer fühlt sich mysteriös geläutert. Fast könnte man doch meinen: Rotkäppchen ist auch für uns gefressen worden.
Martin Mosebach
Rotkäppchen und der Wolf. Ein Drama
Gelesen vom Autor, Hans Hollmann und Andrea Reuter. Hörbuch Hamburg, Hamburg 2008. 2 CDs, 116 Minuten, 14,95 Euro.
Die geldgierige Großmutter öffnet die Tür, weil sie den Wolf für einen Baron hält
Wollust ward dem Wolf gegeben, und auch Rotkäppchen ahnt etwas auf dieser Illustration von Dave Cooper. Foto: Hulton Archive / Getty
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