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10 Erzählungen zeitgenössischer Autorinnen und Autoren aus Südkorea versammelt der vorliegende Band, Momentaufnahmen aus einem geteilten Land, aber auch Grenzüberschreitungen zwischen Ostasien und Europa.
In einem heruntergekommenen Mehrfamilienhaus in Seoul stirbt im Jahr 1968 ein alter Mann, einsam und verarmt. Die Nachbarn, die ihn kaum kannten, weil er, der Nordkoreaner, ihnen suspekt war, streiten sich um das frei gewordene Zimmer. Wer aber war dieser Herr Han? Han Yongdok ist Professor für Gynäkologie am Universitätskrankenhaus in Pjöngjang, als 1950 der Koreakrieg ausbricht. Er…mehr

Produktbeschreibung
10 Erzählungen zeitgenössischer Autorinnen und Autoren aus Südkorea versammelt der vorliegende Band, Momentaufnahmen aus einem geteilten Land, aber auch Grenzüberschreitungen zwischen Ostasien und Europa.
In einem heruntergekommenen Mehrfamilienhaus in Seoul stirbt im Jahr 1968 ein alter Mann, einsam und verarmt. Die Nachbarn, die ihn kaum kannten, weil er, der Nordkoreaner, ihnen suspekt war, streiten sich um das frei gewordene Zimmer. Wer aber war dieser Herr Han? Han Yongdok ist Professor für Gynäkologie am Universitätskrankenhaus in Pjöngjang, als 1950 der Koreakrieg ausbricht. Er entgeht der Mobilisierung, was ihn allerdings beunruhigt, ahnt er doch bereits, dass dies bedeutet, offenbar nicht auf Parteilinie zu sein. Er wird stattdessen der für die politischen Kader reservierten Sonderstation des Krankenhauses zugeteilt, hält sich aber nicht an die damit verbundenen Vorschriften und behandelt trotz Verbot auch Patienten aus dem Volk. Als er dabei erwischt wird, wie er ein schwer verletztes Mädchen operiert, wird er zum Tode verurteilt. Wie durch ein Wunder überlebt Han die Erschießung und flieht über den Fluss Daedong nach Südkorea und in die vermeintliche Freiheit. Frau und Kinder hofft er nachholen zu können, doch schnell stellt sich heraus, dass die poltischen Verhältnisse das nicht mehr zulassen. In Seoul findet er zwar seine Schwester wieder, die aber hat selbst kaum etwas zum Leben. Vergeblich auf Arbeitssuche, lässt er sich schließlich von zwei selbsternannten Kollegen überreden, auf illegalem Wege eine gynäkologische Praxis zu eröffnen. Doch als der ehrliche Han ihnen lästig wird, denunzieren sie ihn als nordkoreanischen Spitzel. Er landet in den Folterkellern des Geheimdienstes, und einzig seine Schwester und ein alter Freund aus Pjöngjang setzen sich für seine Unschuld ein. Nach Jahren wird er endlich freigelassen, sein Leben aber ist für immer runiniert.
Autorenporträt
Sylvia Bräsel arbeitet als promovierte Literaturwissenschaftlerin und Historikerin an der Universität in Erfurt. Zuvor war die auch als literarische Übersetzerin tätige Herausgeberin von 1992 bis 1996 im Auftrag des DAAD als Associate Visiting Professor an der Yonsei-Universität in Seoul tätig.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.10.2005

Geteilte Nation und Wirtschaftswunder: Südkorea ist in diesem Jahr das Gastland der Frankfurter Buchmesse
Das Manöver ist der Ernstfall
Schnell und mit Gewinn liest man sich in die koreanische Literatur hinein
Yi Munyols Erzählung „Befestigter Gesang” ist eine der ungewöhnlichsten Kriegsdarstellungen der Weltliteratur. Hundert Seiten umfasst die Erzählung, und sie beschreibt die militärischen Vorgänge in einer Weise, dass kältester Realismus und die Stilfigur der reductio ad absurdum auf unheimliche Weise zusammenfallen. Aber um den eigentlichen Abgrund, den jeder ihrer Sätze aufreißt, ganz zu ermessen, muss man hinzufügen: „Befestigter Gesang” ist keine pazifistische Erzählung. Es gibt - möchte man nach der Lektüre sagen - eine Unerbittlichkeit in der Kriegsdarstellung, die jenseits von Pazifismus angesiedelt ist. Wer Yi Munyol liest, dem erscheint Pazifismus wie eine allzu behagliche Position, in der sich nur diejenigen gemütlich einrichten, die nicht bis zum Letzten gehen. Den Redegestus der Anklage, des Ingrimms oder der Verzweiflung hat Yi Munyol hinter sich gelassen - wie allzu wohltemperierte menschliche Gemütszustände. Die viel unheimlichere Einsicht, die seine Erzählung bereit hält, lautet: Die Absurdität des Krieges unterscheidet sich kaum vom Nihilismus des Lebens überhaupt.
„Befestigter Gesang” ist ein brillantes Stück Literatur von dem vielleicht bedeutendsten koreanischen Schriftsteller der Gegenwart. Und der literarische Trick, den Yi Munyol anwendet, scheint nur auf den ersten Blick simpel, in Wahrheit entfaltet er einen enormen Sog, der dem Leser alles unter den Füßen wegzieht, was dieser bisher für festen Boden hielt. Denn tatsächlich ist das Kriegsgeschehen, das Yi Munyol schildert, gar keine wirkliche Schlacht, sondern nur ein mehrtägiges Manöver. Eines allerdings, das zeitweilig keinen geringeren Preis einfordert als ein echtes Gefecht. Weil die Bedrohungslage Südkoreas so angespannt ist, ist zwischen Manöver und Ernstfall, zwischen Übung und echtem Einsatz kaum mehr zu unterscheiden.
Schon das Übungsgelände für dieses Manöver scheint mit dem Land insgesamt identisch zu sein. Zwar gibt es überall Schiedsrichter, die nach Angriffen die Verluste festsetzen, das zerstörte Gerät, die Verletzten und die Getöteten vermerken, zugleich aber fordert das Manöver laufend echte Opfer. Als eine Artillerieeinheit wegen eines Fehlers des Nachrichtendienstes die eigene Truppe unter Beschuss nimmt, handelt es sich zwar zum Glück nur um Platzpatronen, im Bewusstsein der verantwortlichen Offiziere scheint das aber kaum mehr einen Unterschied zu machen. „So genau er auch bis ins kleinste Detail geplant sein mochte, ein Kriegsfall kam doch immer völlig unerwartet”, denkt sich denn auch der Oberleutnant Yi, als er bei Tagesanbruch aus dem Schlaf gerissen wird.
Yi Munyol ist Jahrgang 1948. In der südkoreanischen Literaturszene ist er nicht wohl gelitten. Zwar erreichen seine Bücher Millionenauflagen, aber politisch gilt er als reaktionär und zu proamerikanisch. Es ist kein Zufall, dass Yi Munyol Mario Vargas Llosa und V. S. Naipaul seine meistverehrten Schriftstellerkollegen nennt. Mit Naipaul teilt er genau die Mischung aus konservativer Illusionslosigkeit und einem anthropologischen Pessimismus, der vor Misanthropie nicht ganz geschützt ist. Zu lesen ist seine großartige Erzählung in dem Erzählungsband „Die Sympathie der Goldfische”, einem Buch, das ausgezeichnet in die koreanische Literatur der Gegenwart einführt und dessen Übersetzungen - oft ein Problem für den Kulturtransfer Koreas - sich durchaus passabel lesen.
Der Deutsche Taschenbuch Verlag bietet ebenfalls eine Anthologie mit „Koreanischen Erzählungen”. Auch dieser Band vermittelt ein interessantes Bild des Landes und seiner Literatur - wenn auch die einzelnen Erzählungen in ihrer Güte erheblich schwanken. Sie alle zeigen aber eines: dass man sich trotz der erheblichen kulturellen Fremdheit als deutscher Leser schnell und mit Gewinn in die koreanische Literatur hineinliest.
Viele Autoren namentlich der jüngeren Generation thematisieren den enormen Modernisierungsschub, den die südkoreanische Gesellschaft in den vergangenen drei Jahrzehnten durchgemacht hat. Ein globalisierungskritischer und fortschrittsskeptischer Zug ist dabei nicht zu verkennen. Ist der Mensch tatsächlich geschaffen für die Seouler Hochleistungsarbeitsgesellschaft? Die 1970 geborene Schriftstellerin Han Kang antwortet darauf mit einer Geschichte, die von Ferne an Kafkas „Verwandlung” erinnert und von einer Frau erzählt, die innerlich abstirbt, um sich dann tatsächlich in eine Pflanze zu verwandeln, weil ihr das naturferne Großstadtleben alle Kräfte entzieht. Eine sehr depressive Geschichte, die vor allem unter ihrem allzu platten allegorischen Charakter leidet.
Am anderen Ende der Skala steht der geniale Kim Young-ha, Jahrgang 1968, von dem man gar nicht genug bedauern kann, dass nur diese eine Erzählung auf Deutsch vorliegt. Kim Young-ha ist ein Modernisierungsbejaher ohne alle Larmoyanz. Seine brillante Erzählung „Klingende Weihnachtsgrüße” hat thrillerhafte Züge. Der Mord an einer Frau wird darin aufgeklärt - aber eigentlich handelt die Erzählung von den Gewaltphantasien dreier Männer, die es nicht ertragen, dass eine frühere Freundin, die sie sich während des Studiums im Bett geteilt hatten, sich weiterentwickelt hat, während sie selbst geistig auf der Stelle treten. Dass die Frau, die zehn Jahre in Deutschland lebte, ihnen über den Kopf gewachsen ist, verletzt ihr Selbstwertgefühl so sehr, dass einer schließlich zum Messer greift. Eine psychologische Erzählung von hoher Raffinesse und sehr zeitgenössischem Charakter. In Frankreich liegt von Kim Young-ha bereits ein Roman vor.
IJOMA MANGOLD
DIE SYMPATHIE DER GOLDFISCHE. Neue Erzählungen aus Südkorea. Herausgegeben von Friedhelm Bertulies. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 288 Seiten, 15 Euro.
KOREANISCHE ERZÄHLUNGEN. Herausgegeben und literarisch überarbeitet von Sylvia Bräsel und Lie Kwang-Sook. Mit einem Nachwort von Sylvia Bräsel. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. 253 Seiten, 8,50 Euro.
Südkoreanische buddhistische Novizen auf dem Weg zum Tempel
Foto: Corbis
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ijoma Mangold hat zwei Bände mit Erzählungen aus Korea gelesen und stellt fest, dass man sich bei aller Fremdheit gegenüber der koreanischen Kultur "schnell und mit Gewinn" in diese Literatur "hineinliest". Der vorliegende Band "vermittelt ein interessantes Bild des Landes und der Literatur", lobt der Rezensent anerkennend, doch findet er, dass die Erzählungen in ihrer Qualität "erheblich schwanken". Als Beispiel zieht er zum einen den Text von Han Kang heran, der von einer Frau erzählt, die sich in ihrem Leiden am "naturfernen Großstadtleben" buchstäblich in eine Pflanze verwandelt. Diese "depressive Geschichte" hat der Rezensent wegen ihres allzu aufdringlichen "allegorischen Charakters" am unteren Ende der Güteskala angesiedelt. Der Autor Kim Young-ha dagegen hat mit "Klingende Weihnachten", worin eine Frau ihre drei Liebhaber geistig überflügelt und deshalb einem Mord zum Opfer fällt, einen "brillanten" Prosatext vorgelegt, preist Mangold. Hier handele es sich um eine Erzählung von großer psychologischer "Raffinesse", schwärmt der Rezensent, der bedauert, dass nicht mehr von diesem "genialen" Autor im Band enthalten ist.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005

Die Frau als Zimmerpflanze
Kafka und Buddha: Eine Anthologie koreanischer Erzählungen

Eine als literarische Zeitreise angelegte Anthologie skizziert Koreas gesellschaftliche Umbrüche der Nachkriegszeit zwischen Konfuzianismus und Kapitalismus, Agrarstaat und Industrienation, Militärdiktatur und Demokratie. Die acht Erzählungen, die zwischen den Zeilen Auswege aus dem Sinndefizit der Moderne weisen, beleuchten die Entfremdungsphänomene in den Satellitenstädten ebenso wie die Wirkmächtigkeit der Tradition.

Viele Autoren thematisieren dabei die Schattenseiten und das Sozialgefälle der Industrialisierung der siebziger Jahre. So ist "Ein Mensch wie du und ich" von Hwang Sok-yong ein von jedem rhetorischen Zierat befreites Road-Movie eines jungen Menschen auf der Verliererstraße, der erst im existentiellen Abgrund das Gesellschaftsgefüge zu durchschauen glaubt. Kontrapunktisch hierzu bilden die "guten Bürger" das Inventar von Kim Younghas Erzählung "Klingende Weihnachtsgrüße", ein bitterböses Kammerspiel rund um die Lügengebäude und brüchigen Fassaden bourgeoiser Biographien.

Psychogramme der Mittelschicht prägen auch die moderne Frauenliteratur, die zwischen Privatheit und Progressivität, scheinbarer Idylle und passivem Aufbegehren oszilliert. Während Kang Sok Kyongs Erzählung "Hinter Glas" in expressiven Bildern die Sterilität der Städte evoziert, handelt "Die Früchte meiner Frau" von Han Kang von der erstaunlichen Wandlung einer Ehefrau in eine Pflanze. Dabei verbindet die Erzählung, die ganz offensichtlich an das große Vorbild Kafka erinnern soll, den emanzipatorischen Gestus, sich ehelicher und gesellschaftlicher Verpflichtungen zu entziehen, mit einem buddhistisch angehauchten Wiedergeburtsmotiv.

Gong Jiyoungs Erzählung "Die Stimme des Gewissens" überwindet schließlich die Fixiertheit auf private oder innerkoreanische Probleme und Unterdrückungsmechanismen. Die Autorin vergleicht dabei Europas Achtundsechziger mit Koreas "Generation 386", die in den achtziger Jahren gegen die Militärdiktatur kämpfte. In einer fiktiven Begegnung des koreanischen Erzählers mit dem deutschen Fotografen des Kwangju-Massakers von 1980, dem damaligen ARD-Korrespondenten Jürgen Hinzpeter am Ratzeburger See, rekapitulieren die beiden revolutionäre Schlüsselerlebnisse und Zielvorgaben in Ost und West. So verweben sich bei Lektüre des Erzählbandes im zeitgeschichtlichen Spiegelkabinett deutsche und koreanische Widerstandsarbeit, Wiedervereinigungsgedanken und Erinnerungskulturen.

STEFFEN GNAM

"Koreanische Erzählungen". Herausgegeben und literarisch überarbeitet von Sylvia Bräsel und Lie Kwang-Sook. Mit einem Nachwort von Sylvia Bräsel. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. 256 S., br., 8,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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