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Von Sehnsucht, Liebe und Melancholie: Lyrische Miniaturen aus dem Jahreslauf der Sarah Kirsch
Aus Zeichen, die Sarah Kirsch ihrer Umwelt abliest, aus Träumen bei offenen und Wirklichkeiten bei geschlossenen Augen, destilliert sie Zeilen, die sich wie Leuchtspuren durch ein Jahr ziehen. Ein Jahr, in dem Wunden und Wunder, Freude und Trauer eng aufeinanderfolgen. Wo stachelige Sterne angeblich Freundinnen sind, wo plötzlich paarweise fliegende Tornados den Frieden verdüstern und der Tod ihr den vertrauten Menschen nimmt. Dennoch kränzt sie die Flüsse mit Rosenketten, läßt Katzen aus Licht…mehr

Produktbeschreibung
Von Sehnsucht, Liebe und Melancholie: Lyrische Miniaturen aus dem Jahreslauf der Sarah Kirsch

Aus Zeichen, die Sarah Kirsch ihrer Umwelt abliest, aus Träumen bei offenen und Wirklichkeiten bei geschlossenen Augen, destilliert sie Zeilen, die sich wie Leuchtspuren durch ein Jahr ziehen. Ein Jahr, in dem Wunden und Wunder, Freude und Trauer eng aufeinanderfolgen. Wo stachelige Sterne angeblich Freundinnen sind, wo plötzlich paarweise fliegende Tornados den Frieden verdüstern und der Tod ihr den vertrauten Menschen nimmt. Dennoch kränzt sie die Flüsse mit Rosenketten, läßt Katzen aus Licht entstehen und schnurrbärtige Eulen steigen, webt auch noch Flügel an die Pappelstämme, damit sie davonkommen, wenn sie gefällt werden sollten.

Die Kiebitze wurden wie
Dachpappenfetzen
Herumgewedelt und
Unwillkürlich hobst du die
Arme ich hab gedacht
Ne kleine Runde
Könnten wir schaffen

Autorenporträt
Sarah Kirsch, geboren 1935 in Limlingerrod im Harz, studierte Biologie und Literatur. Sie war als Lyrikerin schon während ihrer DDR-Zeit stark beachtet. Sie lebte in Schleswig-Holstein als freie Schriftstellerin und Malerin. Für ihr Werk wurde sie unter anderem mit dem Heinrich-Heine-, dem Hölderlin- und dem Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur ausgezeichnet. 1996 erhielt sie den Georg-Büchner-Preis, 2005 den Jean-Paul-Preis und 2006 den Johann-Heinrich-Voß-Preis. Sarah Kirsch starb im Mai 2013.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.2001

Das Mondlicht steckt im Schlüsselloch
Sarah Kirsch zeigt Kopfkino Von Silke Scheuermann

Im phantasmagorischen Naturland der Sarah Kirsch mit seinen vielen mythischen, märchenhaften und folkloristischen Rückbezügen hat das Motiv des Schwans seit langem seinen Platz. "Schwanenliebe", ihr neues Buch, ist ein über ein Jahr geführtes, lyrisches Tagebuch, das an den schwebenden Tonfall des vor fünf Jahren erschienenen Gedichtbandes "Bodenlos" anknüpft. Wo einst das Enjambement das Lesetempo im narrativen Langgedicht vorgab und das von Sarah Kirsch selbst so bezeichnete, gewollt "Atemlose", bewirkte, ist längst ein Gestus des Innehaltens, des eingefrorenen Moments getreten. Vier- oder Fünfzeiler, in "Bodenlos" noch die Ausnahme, sind zur Regel geworden: "Heute habe ich wieder / Diese Vögel in den Bäumen hängen / Sehen von denen ich immer / Angenommen habe das seien / Pirole."

Mit über 240 Seiten wäre die Sammlung für einen reinen Gedichtband ungewöhnlich lang, aber schließlich sind auch nicht "Gedichte" im Untertitel angekündigt, sondern "Zeilen und Wunder" - eine Formulierung, die ein wenig an das mit Lust und List so betitelte Bilder-Tagebuch "Spreu" (1991) erinnert. Die Autorin besitzt ein hohes Bewußtsein der Redundanz, die dem Tagein-Tagaus innewohnt, dennoch will sie sich darauf einlassen. So werden denn auch immer wieder reale Situationen beschrieben, wo niemand zwischen den Zeilen Bedeutung wittern muß. In einer mit dem Datum "23. Oktober" überschriebenen Momentaufnahme heißt es: "Es ist wohl der letzte / Tag an dem ich wie / Ein Kakadu auf der Veranda / Sitze mich erinnern / Wärmen kann". Solche Zeilen konterkarieren an anderer Stelle entrückte surrealistische Stimmungen, wo sich für die Phantasiereisen des Lesers ein Spielraum öffnet, der so weit und ungezwungen ist, daß man sich gern in ihm bewegt. Etwa in diesem, wie in den meisten Fällen titellosen Gedicht: "Nun begleitet mich / Mein Schatten. / Kehren wir nach / Hause zurück steckt das / Mondlicht im Schlüsselloch."

Eine Grundspannung in dieser Textsammlung besteht darin, daß Reichtum und Lebendigkeit der Natur häufig kontrastiert werden durch das Motiv der Einsamkeit und der Todesnähe. Die Ich-Erzählerin glaubt sich immer wieder fremd in ihrem von allerlei Getier besiedelten Kosmos: "Ich wohne wo es kaum / Wege gibt geschweige / Gefährten". Wenn man die früheren Rollenspiele, in denen die Dichterin als Regen oder Hexe auftritt, zum Vergleich nimmt, fällt auf, daß hier der Gestus der Aneignung selten geworden ist.

Selbst wenn hier und da die Verse noch mit überschäumender Lust beginnen, so sieht man sie doch häufig in einen melancholischen Schluß münden: "Treib die Bäume aus / Dem Stall die Sprache / Erlaubt es und das / Frühjahr ist halb vorbei." Eine Verlusterfahrung wird evoziert, wenn das lyrische Du "beide Espressi" umrührt. Harmonische Bilder durchkreuzt immer wieder die kritische Wahrnehmung der Diaristin, Illusionen und Eskapismus sind unzulässig. "Tod und Leben" heißt ein Gedicht, das durch schlichte Klarheit bezaubert. Es ist auf einer höheren Reflexionsebene angesiedelt, indem darin ein "melancholisches Einverständnis" mit dem Leben benannt wird, das die Voraussetzung für viele der versammelten Texte bildet. "Freiwilligen kann er / Vorzeitig eingeräumt / Werden. / Irgendein / Melancholisches / Einverständnis / Drängt / Sich dazwischen."

"Schwanenliebe" ist ein Lob, ein Hymnus und eine ständige Verwunderung über die Natur, die darauf verzichtet, deren mediale Vermittlung zu thematisieren. Wissend, daß solch ein Blick unzeitgemäß erscheinen kann, schrieb sie unlängst über den Dichterkollegen Christoph Wilhelm Aigner, ihm gelinge es, "mit Naturvokabeln Auskunft von Erde zu geben. Wir haben alles deutlich vor Augen, viel schöner als Fernsehn. Man muß in seiner eigenen Innenwelt eifrig trainieren. Erst kleine Ausflüge ums Haus, später die großen Expeditionen. Wetterstürze im Gebürge, sanfte, gefährliche Gärten. Das Buch macht Kino im Kopf." Dies kann man auch als die poetische Absicht ihres eigenen Buches lesen.

So begründet und verteidigt Sarah Kirsch die Natur immer wieder mit Entschiedenheit als den ureigenen Spiel- und Spiegelraum des Autors - und vor allem als unerschöpfliches Thema. Gottfried Benn schreibt in seinem Essay "Altern als Problem für Künstler", daß große Künstler in ihrer späteren Schaffenszeit oft unsicherer würden in ihrer Produktion. Bei Sarah Kirsch ereignet sich nun paradoxerweise das Gegenteil: Nicht der Blick der Dichterin wird unsicher, sondern der Gegenstand, anhand dessen sie "Auskunft über Erde" gibt, droht zu verschwinden. "Oder in Güllehamn durch die / Wiesen rennen zu / Frühlingsbeginn. / Dort schreitet auch das / Schwanenpaar auf der / Einzigen unbehandelten Koppel." So gesehen ist es eine heilige Pflicht, der Natur noch jene Wunder abzuringen, die sie bereithält.

Sarah Kirsch: "Schwanenliebe". Zeilen und Wunder. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 2001. 253 S., geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Der Ton des neuen Buches von Sarah Kirsch, so Silke Scheuermann, schließt an den vor fünf Jahren erschienen Gedichtband "Bodenlos" an. Die Form ist jedoch eine andere, ein "lyrisches Tagebuch", in dem die "Vier- oder Fünfzeiler" vorherrschen. Der Gegenstand der Texte freilich ist im wesentlichen derselbe: das "phantasmagorische Naturland" der Dichterin. Neben der Phantasmagorie gibt es hier, im Tagebuch, jedoch auch Beschreibungen "realer Situationen". Als Kontrast zur "Lebendigkeit der Natur" rücken die Motive der "Einsamkeit und Todesnähe" in den Mittelpunkt. "Bezaubert" fühlt sich die Rezensentin etwa durch ein Gedicht mit dem Titel "Tod und Leben" und dessen "schlichte Klarheit". Wieder einmal, so Scheuermann resümierend, gelingt es Kirsch, die Natur als "unerschöpflichen" Raum und Gegenstand des Dichters kenntlich werden zu lassen - erst recht in einer Zeit, in der sie zu verschwinden droht.

© Perlentaucher Medien GmbH"