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Produktdetails
  • Verlag: DVA
  • Seitenzahl: 141
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 229g
  • ISBN-13: 9783421054494
  • ISBN-10: 3421054495
  • Artikelnr.: 24276261
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.03.2001

Lesetipp zum Wochenende
Seniorenteller
Schriftsteller-Auskünfte
über das Altern und das Alter
So mancher hat nach einem Leben, das Mühe und Arbeit gewesen ist, nur eines erreicht: das Alter, in dem der „Lebensabend” beginnt – und der kann sich heutzutage ziemlich lang hinziehen. Aber auch wer sich durchsetzt oder -boxt, bis er dort anlangt, wo nach landläufiger Meinung „oben” ist, nähert sich unaufhaltsam dem „Zustand, den die meisten fürchten wie die Pest und zugleich unbedingt erreichen wollen” (Brigitte Kronauer). Gefürchtet wird er nicht nur, weil körperliche und/oder geistige Hinfälligkeit drohen, sondern vielleicht noch mehr deshalb, weil die jugendorientierte Gesellschaft für alte Leute nichts übrig hat. Das Heim soll ihr Heim sein. Serviert wird der Seniorenteller.
„Einmal und nicht mehr” – seufzt Rilke, der nur 51 Jahre alt wurde, duinesisch-elegisch in seiner Neunten. „Einmal und nicht mehr” heißt das schmucke Büchlein, in dem Thomas Steinfeld die teilweise überarbeiteten Piecen über das Alter(n) neu angeordnet und bevorwortet hat, die zwischen November 1999 und Juli 2000 in der Frankfurter Allgemeinen veröffentlicht worden waren.
„Schriftsteller und Gelehrte auf der ganzen Welt” und „aller Alter” sind, so vermeldet Steinfelds derzeitiger Chef Frank Schirrmacher, zur Jahrtausendwende (die das 20. Jahrhundert sehr alt aussehen lässt) gefragt worden, „wie es ist, wenn die Zeit ihren Anschlag auf den einzelnen Menschen verübt”. Geantwortet haben 14 Autoren aus Europa und zwei aus den USA (Louis Begley, gebürtig aus Polen; Charles Simic, gebürtig aus Serbien). Von den anderen Kontinenten ist nur Afrika stellvertreten: durch den Schweden Henning Mankell, der in Maputo/Moçambique lebt und mit seinen 52 Jahren das dortige Durchschnittsalter bereits um fünf Jahre überschritten hat. In unseren Breiten sieht man da noch lange nicht alt aus, auch wenn man, wie der eben mal 50-jährige Péter Esterházy schon spürt, dass man nicht mehr ganz der Alte ist. Die Karosserie, mit der nicht weniger als drei Autoren des Bandes ihren Körper vergleichen, fängt an zu klappern, und drinnen hockt und wächst der Fremde, der man für die anderen, jüngeren unweigerlich wird.
Schandmaulkompetenz
So viele Stimmen – so viele Tonlagen und Ausdrucksformen: vom bösen Märchen der Jenny Erpenbeck (33), der Jüngsten in der Runde, bis zu des „Nestors” George Tabori (86) Mitteilungen über das „was den Fremden, der ich bin, noch berührt”; von Seamus Heaneys Gedicht auf den Freund Carlo, seinen toten Hund, über Luigi Malerbas grimmigen Brief aus dem Krankenhaus, bis hin zu des Schopenhauerianers und Jean-Paulisten Hans Wollschläger großer „Anderrede vom Weltgebäude herab”. Einig sind sich fast alle Beiträger darin, dass dem Alter(n) keine Wonnen abzugewinnen sind oder sein werden und dass niemand darauf hoffen kann, als dermaleinst hoch Bejahrter doch noch so etwas wie den Sinn des Lebens zu erfahren.
Kein Wort, das künftigen Rentnern einen Ausgleich fürs bald nicht mehr Mögliche verheißen könnte? In den Ausführungen des munteren „Greises” und glücklichen Großvaters Odo Marquard („Am Ende, nicht am Ziel”) findet man was davon. Der 72-jährige Philosoph stellt fest, dass im Alter – wenn die Zukunft auf Null zu schrumpft und alle Illusionen schwinden – die Lust und die Fähigkeit zur Theorie wachsen. Das „So-ist-es” siege über das „So-hat-es-zu-sein”. „Illusionsresistent” geworden, könne man zunehmend genauer hinsehen und offener sagen, was man sieht, und manch einer erwerbe sogar eine „solide Schandmaulkompetenz”. Aufbauendes findet sich auch im Kronauer-Text. „Altern muß jeder auf eigene Rechnung”, sagt sie und warnt davor, der „törichten Autosuggestion” zu erliegen, „es widerführe uns von einem magischen Termin an immer weniger und endlich überhaupt nichts Überwältigendes mehr . . . bis auf die eine Pointe des Todes. ”
Die freilich bleibt keinem erspart, trotz der „sonderbaren europäischen Revolution”, die Henning Mankell „für die größte Niederlage unserer Kultur” hält: „die Revolution, die etwa um die Mitte der fünfziger Jahre das Alter aus unserem Leben entfernte und den Tod von der Tagesordnung nahm”, weshalb man „heute in Europa ein ganzes Leben verbringen” könne, „ohne wirklich einen einzigen toten Menschen zu sehen”.
In dem südostpolnischen Winkel Europas, in dem der große, noch junge Schriftsteller Andrzej Stasiuk (40) lebt, hat diese „sonderbare Revolution” noch nicht alle Menschen erfasst. Sein Beitrag, den Steinfeld an den Schluss des Buches gestellt hat (vor Schirrmachers Fazit, das in der Frankfurter Allgemeinen das Vorwort zur Serie gewesen ist), endet mit einem eindrucksvollen „einfachen Bild”. In wenigen Zeilen porträtiert Stasiuk seine bäuerliche Großmutter, die „nie im Wohlstand” lebte, aber „auch niemals arm” war, die „gleichmäßig, ruhig und unmerklich” alterte und so selbstverständlich starb, dass ihr Tod den Enkel weder in Angst noch in Schrecken versetzte. „Nur Ruhe und Trauer, gemischt”.
„Das ist”, so lautet Andrzej Stasiuks Schluss-Satz, „die wichtigste Lektion, die das Alter uns geben kann – die Kunst zu gehen. ”
WOLFGANG WERTH
THOMAS STEINFELD (Hrsg. ): „Einmal und nicht mehr”. Schriftsteller über das Alter. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart München 2001. 142 Seiten, 36 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ein "schmuckes Büchlein" hat Thomas Steinfeld hier zusammengestellt, findet Wolfgang Werth. Die Texte der 14 Autoren aus Europa, den USA und Afrika sind nicht neu. Zwischen November 1999 und Juli 2000 hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Ausführungen der Schriftsteller über das Altern veröffentlicht, informiert der Rezensent. 14 Schriftsteller unterschiedlichen Alters und in verschiedenen Lebenslagen - da wundert es kaum, dass bei derselben Grundfrage nach dem Zugriff des Alters auf den Schriftsteller auch verschiedene Texte mit ganz unterschiedlichen Antworten auf diese Frage entstanden sind. Einig sind sich zumindest alle darin, berichtet Werth, dass das Alter keine Wonnen mit sich bringt und der Sinn des Lebens auch dem Hochbetagten vorenthalten bleibt. Auch wenn sich der Rezensent einer Kritik enthält, seine Ausführungen über einzelne Gedanken der hier versammelten Schriftsteller über Leben, Alter und Tod sprechen dafür, dass ihm das Buch gefallen hat.

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