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Der Ost-West-Konflikt ist zu Ende, neue Weltmächte sind im Aufstieg begriffen, die demographischen und technologischen, die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen verändern sich dramatisch. Wie kann sich Europa im 21. Jahrhundert behaupten? Trotz aller Unkenrufe: Der Untergang des Abendlandes hat bisher nicht stattgefunden. Und dennoch sind Friede und Wohlstand in Europa keineswegs auf Dauer gesichert. Neue Probleme müssen bewältigt werden. Noch ist vielen Verantwortlichen - auch manchen Politikern in Berlin - die Dimension nicht klar. Nur wenn Europa gemeinsam auftritt, hat es…mehr

Produktbeschreibung
Der Ost-West-Konflikt ist zu Ende, neue Weltmächte sind im Aufstieg begriffen, die demographischen und technologischen, die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen verändern sich dramatisch. Wie kann sich Europa im 21. Jahrhundert behaupten?
Trotz aller Unkenrufe: Der Untergang des Abendlandes hat bisher nicht stattgefunden. Und dennoch sind Friede und Wohlstand in Europa keineswegs auf Dauer gesichert. Neue Probleme müssen bewältigt werden. Noch ist vielen Verantwortlichen - auch manchen Politikern in Berlin - die Dimension nicht klar.
Nur wenn Europa gemeinsam auftritt, hat es angesichts der globalen Herausforderungen überhaupt eine Chance, im Konzert der Weltmächte gehört zu werden. Aber trotz großer Fortschritte ist die Europäische Union allzu schwerfällig. Eine rasche Verdoppelung der teilnehmenden Staaten kann ihre Funktionsfähigkeit entscheidend gefährden.
Außen- und sicherheitspolitisch ist die EU noch lange nicht handlungsfähig, das haben zuletzt Bosnien und Kosovo gezeigt, das unterstreichen die wachsenden Spannungen im Verhältnis zu den USA. Wenn jedoch die innere Entwicklung der EU nicht Schritt hält mit ihrer Erweiterung, dann - so die Diagnose von Altbundeskanzler Schmidt - ist ein Scheitern der EU keineswegs ausgeschlossen.
Helmut Schmidt entwickelt eine Reihe von Vorschlägen für die weitere Entfaltung der Europäischen Union. Dabei erklärt er die Selbsteinbindung Frankreichs und Deutschlands und engste Zusammenarbeit zwischen beiden zur vorrangigen Notwendigkeit.
Autorenporträt
Helmut Schmidt, geboren 1918 in Hamburg, 1961 - 1965 Innensenator in Hamburg, 1966 - 1969 Fraktionsvorsitzender der SPD im Deutschen Bundestag, 1969 - 1972 Verteidigungsminister, 1972 Bundeswirtschafts- und Finanzminister, 1972 - 1974 Bundesfinanzminister, war von 1974 bis 1982 Bundeskanzler. Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt war er Mitherausgeber der Wochenzeitung 'Die Zeit'. Helmut Schmidt verstarb im November 2015.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2000

Europa preisen, vor Europa warnen
Der Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt analysiert die Strukturen der Europäischen Union und plädiert für eine Dezentralisierung
HELMUT SCHMIDT: Die Selbstbehauptung Europas, DVA, Stuttgart 2000. 254 Seiten, 42 Mark.
Mit den Verträgen von Maastricht und Amsterdam wurde die sogenannte „Vertiefung” der europäischen Integration realisiert. Gleichzeitig wird nun auch die Osterweiterung vorangetrieben. Doch parallel dazu steigt bei den Bürgern der Europa-Verdruss – ein krasser Widerspruch, der von den Bauherren des EU-Gebäudes nicht wirklich ernst genommen wird. Dabei hat der Europa-Frust eine ihre potenzielle Sprengkraft grob unterschätzende Ursache: das demokratische Legitimationsdefizit der europäischen Institutionen. Die Eurokraten fühlen sich auf geradezu bornierte Weise sicher: Zur Intensivierung und zur Erweiterung der EU, sagen sie, gebe es keine Alternative. Da diese ja ohnehin unumkehrbar ist, fehlt ihnen offenbar die Phantasie, dass das Integrationswerk dennoch scheitern könnte. Doch genau diese Gefahr beschwört Helmut Schmidt in seinem Buch „Die Selbstbehauptung Europas” herauf. Europa könnte scheitern, warnt der ehemalige Bundeskanzler, wenn die Integration weiterhin mit dem systematischen Entzug demokratischer Entscheidungskompetenzen in den Mitgliedsländern und mit der Missachtung nationaler Eigenheiten bezahlt werden muss.
Klein und groß
Passioniert votiert der Autor für ein Europa als „handlungsfähige Einheit”, doch ohne die idealistische Europa-Euphorie, die allzu oft dazu dient, Fehlentwicklungen zu verdrängen. Schmidt liest all jenen Europapolitikern die Leviten, die kein politisches Sensorium für nationale Identitäten, demokratische Verfassungsprinzipien und unverzichtbare wirtschaftliche Staatsfunktionen als Grundlagen einer stabilen politischen Ordnung haben. Dennoch kanzelt er in seinem Essay niemanden herab. Er präsentiert vielmehr eine Streitschrift, die den Finger auf schwärende Wunden legt.
Die wichtigsten Weltprobleme, gegen die sich Europa im 21. Jahrhundert behaupten muss, beurteilt er mit kritischer Verve. Eindringlich schildert er die neuen Kriegsgefahren als Folge einer Summe von Problemen: wachsende Flüchtlingsströme, atomare Proliferation, neu entfachter Nationalismus und religiöser Fundamentalismen – sowie eine Beschädigung des UN-Systems ausgerechnet durch die westlichen Demokratien, etwa aus Anlass des Kosovo-Krieges. Ungeschminkt sagt er, dass dieser ohne das drohende Impeachment gegen Clinton wegen dessen Lewinsky-Affäre vielleicht nicht geführt worden wäre.
Nüchtern seziert er die neue NATO, die sich die „Kontrolle des eurasischen Kontinents” anmaße, sich weit über die „Grenzen ihres Vertrages” hinaus bewege und zum „Instrument globaler amerikanischer Politik umgewandelt wurde”. Wie viele Akteure der rot-grünen Koalition sprechen das so offen aus?
Vertraute, aber scharfe Töne schlägt Schmidt bei seinen Ausführungen über die Entwicklung der internationalen Finanzmärkte an. Er spricht vom „Raubtierkapitalismus”, kritisiert die „Fusionitis” und die Spaltung der Börsenökonomie von der real economy. Und beschreibt die „katastrophalen Folgen” der „amerikanisch-marktwirtschaftlichen Ideologie”, auf die sich auch die Europäer eingelassen hätten – wodurch sie, ihre eigenen Interessen verkennend, „Teil des amerikanisch-hegemonistischen Systems” geworden seien. Schmidt betrachtet es als ein politisches Muss, dass Regierungen gegenüber den Finanzmärkten die Machtbefugnisse zurückgewinnen, die sie brauchen, um Demokratie, Wohlfahrt und nicht zuletzt den freien Welthandel zu sichern.
Mit ganz neuen Tönen wartet der Altkanzler in dem Kapitel „Grenzen der Natur” auf. Wie sich die Verhältnisse ändern: Da befürwortet er eine Abschätzung von Technikfolgen, bevor technische Entwicklungen nicht mehr rückholbar sind. Und lässt damit Einsichten anklingen, die an seinen einstigen Antipoden Erhard Eppler erinnern – während man in der rot-grünen Koalition mittlerweile die kritische Distanz zu mancher Technologie (von der Gen- bis zur Medizintechnik) verliert. Schmidts Kritik am Emissionshandel, der bei der Weltklimakonferenz gerade am Veto der USA scheiterte, ist identisch mit jener der Umweltverbände. Das Kyoto-Abkommen reicht ihm als Lösungsansatz nicht aus.
Dass er sich in Umweltfragen trotz klarer Problemsicht gleichwohl auf ungewohntem Terrain bewegt, zeigt sich an mageren, konventionellen Handlungsempfehlungen. Auch einige andere Punkte fallen weniger überzeugend aus, so etwa die Definition künftiger Weltmächte anhand des Bevölkerungswachstums: Wachsende Einwohnerzahlen sind – angesichts des rapiden Strukturwandels, der sich zuspitzenden Umweltkrise und geringer innerer Stabilität – kaum ein Machtfaktor, eher eine schwere Hypothek solcher Länder. Doch solche ergänzungsbedürftigen oder hinterfragenswürdigen Passagen gibt es in jedem Buch, das einen großen Bogen spannt. Sie mindern dessen Stellenwert nicht.
Schmidt fordert die institutionelle Handlungsfähigkeit Europas, die mit der Erosion der Entscheidungskompetenzen nationaler Demokratien schwer beschädigt wird. Was er den für die Jugoslawienpolitik der 90er Jahre politisch Verantwortlichen attestiert, nämlich deren „Mangel an geschichtlicher Bildung und spezifischen Kenntnissen der ethnischen, religiösen und sprachlichen Strukturen”, sieht er keineswegs als behoben an. Er warnt vor der Gefahr einer Balkanisierung Europas insgesamt. So sei auch das innere Chaos in Russland Folge fehlgeschlagener Reformen, die unkritisch „amerikanisch inspirierten Ratschlägen” gefolgt waren. Aus kulturgeschichtlichen und sozio-politischen Erwägungen heraus spricht sich Schmidt gegen eine Integration der Türkei in die EU aus. Er fordert ein Nachdenken über die „Finalität” des Erweiterungsprozesses und dessen Selbstbeschränkung, was gleichzeitig ein Konzept der Zusammenarbeit mit nicht integrierten Nachbarn bedingt.
Implosionsgefahr
Aber: Nicht nur bei einer „Erweiterung um jeden Preis” drohe die EU zu zerbrechen. Sondern durch die „Einmischung und Bevormundung zu Lasten der demokratisch gewählten Parlamente und Regierungen” sowie das Aushöhlen der „Kompetenz, Autorität und Verantwortlichkeit der nationalen Regierungen” sei schon jetzt das „Vertrauen der Menschen in ihren Staat” untergraben. Weil staatliche Wirtschaftsinstrumente durch unregulierte Finanzmärkte außer Kraft gesetzt würden, sei damit die Marginalisierung der Staatsfunktionen vorprogrammiert. Daraus wiederum folgt nach Schmidt logisch das Ende der Demokratie und der Rückfall in heillos desintegrierte Nationalismen. Dringend müsse dezentrale demokratische Gestaltungskompetenz wiederhergestellt werden. Andernfalls sieht Schmidt die Gefahr einer Implosion der EU mit verheerenden Konsequenzen für Europa und seine Rolle im Weltkonzert des 21. Jahrhunderts.
Das Buch ist hochpolitisch, weil es Politik als Kunst des Handelns präsentiert, die einen Blick für untrennbar verwobene Zusammenhänge braucht. Die Grundsatzfragen, die Helmut Schmidt diskutiert, dürfen nicht nur in Sonntagsreden behandelt werden. Schmidt, der den Ruf eines Lehrmeisters für politischen Pragmatismus hat, warnt vor Heuchelei in der Debatte um Europa und mahnt gerade deshalb eine neue Tagesordnung für die europäische Politik an.
HERMANN SCHEER
Der Rezensent ist SPD-Bundestagsabgeordneter.
Helmut Schmidt, dereinst als „Schmidt-Schnauze” geschmäht, geht mit den „Eurokraten” in Brüssel hart ins Gericht.
Foto:dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der Ex-Kanzler warnt in diesem Buch vor einem möglichen Scheitern der europäischen Integration - und Schuld daran wären die Eurokraten, die die demokratischen Institutionen und nationalen Eigenheiten der Mitgliedsstaaten missachten. Darüber hinaus gibt es (sehr amerikakritische) Analysen zur gegenwärtigen Rolle der NATO, Kritik am "Raubtierkapitalismus" und sogar engagierte Thesen zu Umweltfragen. Hier freilich findet der insgesamt überaus wohlwollende Rezensent, der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, manches doch wenig originell, anderes auch "ergänzungsbedürftig" und "hinterfragenswürdig". Als ganzes aber überzeugt ihn das Buch und auch mit dem zentralen Aufruf zur Insistenz auf dem Primat der - dezentralen, also nationalstaatlichen - Politik (gegenüber dem Zentralismus der EU und der Macht der Wirtschaft) ist er offensichtlich ganz und gar einverstanden.

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