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Die Untersuchung behandelt die antiautoritäre Revolte von ihren Anfängen in der "Subversiven Aktion" über den Sozialistischen Deutschen Studentenbund und die Kommune 1 bis zur Neuen Frauenbewegung. Dabei wird die Protestbewegung in die gesellschaftlichen Auf- und Umbrüche der 1960er Jahre eingebettet und auf den Aufstieg der postindustriellen Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft zurückgeführt. Die Kulturrevolution erscheint als extreme Zuspitzung von Verhaltensformen der entstehenden Massenkonsum- und Erlebnisgesellschaft. Der Autor diskutiert zudem die Frage, ob '68 einen romantischen…mehr

Produktbeschreibung
Die Untersuchung behandelt die antiautoritäre Revolte von ihren Anfängen in der "Subversiven Aktion" über den Sozialistischen Deutschen Studentenbund und die Kommune 1 bis zur Neuen Frauenbewegung. Dabei wird die Protestbewegung in die gesellschaftlichen Auf- und Umbrüche der 1960er Jahre eingebettet und auf den Aufstieg der postindustriellen Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft zurückgeführt. Die Kulturrevolution erscheint als extreme Zuspitzung von Verhaltensformen der entstehenden Massenkonsum- und Erlebnisgesellschaft. Der Autor diskutiert zudem die Frage, ob '68 einen romantischen Rückfall, eine vorwärts weisende Modernisierung oder einen postmodernen Bruch darstellte. Deutlich wird, dass der Lebenshunger und das Streben nach subjektiver Selbstermächtigung zugleich Ausdruck einer umfassenden Weltflucht und Weltentwertung waren. Die Studie spürt somit Formen einer diesseitigen Erlösungshoffnung nach, die sich in einer Apologie der Gewalt und in dem Bemühen um eine permanente Säuberung des neuen, emanzipatorisch verstandenen Kollektivs äußerte.
Autorenporträt
Kießling, Simon
Simon Kießling wurde mit dieser Studie an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2006

Spielerisch frei und zwanghaft unbedingt
Simon Kießling versucht, die Achtundsechziger und ihre Heilsziele ideengeschichtlich zu erklären
Was waren sie nun, diese Achtundsechziger? Liberalisierer einer autoritär-hierarchischen Gesellschaft? Postmoderne Vordenker pluralistischer Denk- und Lebensformen? Postmaterialistische Selbstverwirklicher oder vormoderne Romantiker? Simon Kießling deutet die Studentenrevolte in seiner philosophisch argumentierenden, aber gleichwohl geschichtswissenschaftlichen Dissertationsschrift jetzt als eine genuin moderne und zugleich verabsolutierte Flucht aus der Welt. Bei seinem ideengeschichtlichen Zugriff bezieht sich der Autor auf Hannah Arendts Studien „Vita Activa” und „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft”, die ihm das analytische Besteck liefern. Durch die angestrebte Aushöhlung des Privaten, die Staatskritik, die Vergesellschaftung von Kunst und Ästhetik sowie den subjektivistischen Rückzug in das Innere des Bewusstseins führte die Studentenbewegung Tendenzen der Moderne konsequent zu Ende. Ihre Subjektbezogenheit verabsolutierte den modernen Individualismus, der 68er war ein Homo ludens, der den Homo faber überbot und die spätmoderne Erlebnisgesellschaft radikalisierte.
Diese Deutung veranschaulicht Kießling, indem er in fünf Kapiteln zentrale Problembereiche der 68er durchschreitet. Er beginnt mit der Politisierung des Privaten. Die experimentelle Wohnform der Kommunen und ihr Anspruch, neue Liebesverhältnisse und kollektive Freundeszusammenhänge an die Stelle von Ehe und Familie zu setzen, dient ihm hierfür ebenso als Beispiel wie die Erziehungsmethoden der Kinderläden, die die überkommenen Strukturen der Kleinfamilie mit den zugeordneten Eltern-Kind-Beziehungen und dem Besitzdenken abzuschaffen trachteten. Schließlich stellen, so Kießling, auch die Entdeckung libidinöser Ansprüche in der Frauenbewegung eine Vergesellschaftung und Entprivatisierung der Weiblichkeit dar. Die Entgrenzung des Intimen, aus dem „familiären Schonraum” heraus, habe die Liberalisierung und Kommerzialisierung des Sexuellen radikalisiert, die bereits zu Beginn der sechziger Jahre eingesetzt hatte. Das Credo der Entfesselung und Kollektivierung der Libido wurde in der Studentenbewegung übersteigert und, so der Autor, verabsolutiert.
Auch Bildung und Wissenschaft waren in einem dynamischen gesellschaftlichen Wandel begriffen. Auch hier radikalisierten die 68er mit ihren Forderungen nach einem Ende von kapitalismuskonformer Spezialisierung und nach Vergesellschaftung des Wissens allgemeine Entwicklungen. Die emanzipatorische Wissenschaft im selbstorganisierten Studium diente nicht primär dem individuellen Leistungsprinzip, sondern kollektiver Erkenntnisproduktion und fügte sich somit in einen säkularen Trend zur Wissens- und Informationsgesellschaft ein. Statt Wertfreiheit wollten die 68er die wissenschaftliche Selbstbefreiung des Menschen aus der „äußeren, dinglichen Realität”.
Ähnlich wiederum betrachtet der Autor den Bereich der Politik, die sich von staatlicher Steuerungs- und Planungskompetenz zu einer antiinstitutionell verstandenen Fundamentalpolitisierung der Gesellschaft erweitern sollte, um den vermeintlich autoritären Staat zu überwinden. Politisierung wurde in einem Prozess der Lebenssteigerung, partizipatorischen Lockerung und Selbstbestimmung zu einem „Streben nach absoluter Selbstermächtigung des Subjekts”. Die Politisierung des alltäglichen Lebens und die Aversion gegen Staatlichkeit sei, so Kießling mit Bezug auf Arendt, letztlich eine „Abwertung des originär Politischen”. Den Antiautoritären sei es letztlich nur um eine subjektive Befreiung gegangen, um Bewusstseinsveränderung, die am Ende nur die Bewegung selbst in Gang halten sollte.
In der ausgerufenen „Gesellschaft des Spektakels” (Debord) wurden zudem Kunst und Kreativität zu Elementen des Alltagslebens der 68er. Wiederum in Überbietung der sich durchsetzenden Erlebnisgesellschaft löste sich die Kunst aus ihrer Autonomie und wurde zum Element spielerischer Politästhetik. Anstatt jedoch nur passiver Zuschauer einer Konsumgesellschaft zu sein, sollte jeder seine schöpferische Kreativität im alltäglichen Leben realisieren. Diese ästhetisch-theatralische Selbstermächtigung und antiautoritäre Spielkultur führte die Erlebnisgesellschaft auf die Spitze, noch bevor sie sich allgemein durchsetzte.
Zentrum und Höhepunkt von Kießlings Darstellung ist schließlich die These von den „messianisch, säkularreligiösen Zügen” der antiautoritären Revolte, deren eschatologische Erwartungshaltung und Heilsziele auf den 120 Seiten des letzten Kapitels ausgebreitet werden. Die 68er, die sich als Vorkämpfer einer neuen Zeit begriffen, überboten sich bis zur Selbstvergottung. Mit Arendt sieht Kießling hierin die christlich-religiösen Wurzeln der okzidentalen Moderne fortgeführt.
Die moderne Gesellschaft habe die christliche Weltentsagung in einem extremen Subjektivismus verdiesseitigt. Aggressive Gewalttätigkeit nach außen und Sanftheit nach innen, totale Negation der als repressiv vorgestellten Außenwelt aus Bürokratie und Staat, eine Moral der Kompromisslosigkeit, die Abschaffung von Markt und Konsum, die Übersteigerung des eigenen, ganzheitlich und antiindividualistisch ausgerichteten Kollektivzusammenhangs – all dies markierte die Weltflucht. Spielerische Befreiung und zwanghafte Unbedingtheit gehörten, so Kießling, im antiautoritären Selbstverständnis zusammen, da man von jedem Einzelnen erwartete, „permanent zur kollektiven Lebens- und Luststeigerung” beizutragen. Die antiautoritäre Revolte leitete ihre Veränderungskraft in avantgardistischer Selbstermächtigung aus ihrem Aktivismus, ihrer subjektiven Entschlossenheit und ihrem Anspruch auf absolutes Heilswissen her. In der „Selbstvergottung der Akteure” sieht Kießling eine „Politik der Vernichtung” angelegt, die den anderen zum Feind erklärte und die eigene Humanität absolut setzte.
Gerade dieses letzte Kapitel zeigt, dass Kießling auf der Suche nach Belegen für seine Deutung immer wieder die extremen Positionen zuspitzt, die keineswegs von allen Anhängern der antiautoritären Bewegung geteilt wurden. Kießlings unsystematische Lektüre reiht in bunter Folge Belegstellen aneinander – neben die Arbeiten von Marcuse treten die Schriften der Situationistischen Internationale oder der Subversiven Aktion, neben die Schriften der Berliner Kommunen 1 und 2 die radikaleren Schriften aus der Frauenbewegung. In welchem politischen Kontext Äußerungen gefallen waren, ob diese aus dem Jahr 1968 oder 1978, ob aus Deutschland, den USA oder Frankreich, ob sie von radikalen amerikanischen Feministinnen wie Valerie Solanes oder aber von Alice Schwarzer geäußert wurden – all das interessiert Kießling herzlich wenig, wenn es sich nur in seine Argumentationsstruktur fügt.
Diese radikale Entkontexualisierung einer zweifellos interessanten und gedankenreichen Ideengeschichte, die gleichsam nur im Hintergrundrauschen auf die schematisierte Konsum- und Erlebnisgesellschaft verweist, rückt die Darstellung eher in die Nähe eines philosophierenden Essays denn einer soliden historischen Darstellung. In die unkontrollierte Quellencollage fügt sich, dass der ort- und raumlose ideengeschichtliche Zugriff die soziokulturellen Praktiken der Achtundsechtziger fast vollständig verdeckt. Liberalisierende Praktiken und Wirkungen kommen durch den ideengeschichtlichen Bezug auf das elitäre Politikverständnis ebenso zu kurz, wie die Politisierung der bürgerlichen Gesellschaft bloß zu einer Geschichte von Zersetzung und Vernichtung wird. Die Studentenbewegung mit einem Politik- und Gesellschaftsverständnis der bürgerlichen Mäßigkeit aus dem frühen 19. Jahrhunderts wohlfeil zu kritisieren, führt letztlich jedoch nicht zu ihrer Erklärung.
SVEN REICHARDT
SIMON KIESSLING: Die antiautoritäre Revolte der 68er. Postindustrielle Konsumgesellschaft und säkulare Religionsgeschichte der Moderne. Böhlau, Köln 2006. 314 S., 39,90 Euro.
Die Libido und die Radikalisierung der spätmodernen Erlebnisgesellschaft
War in der subjektiven „Selbstvergottung” eine „Politik der Vernichtung” angelegt?
So sahen sie aus im Prozess der Lebenssteigerung: so sanft nach innen, so aggressiv negativ gegenüber der repressiven Außenwelt . . .
Foto: Ullstein
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Durchaus anregend scheint Sven Reichardt diese geschichtswissenschaftlichen Dissertation über die "antiautoritäre Revolte der Achtundsechziger", die Simon Kiessling vorgelegt hat. Allerdings findet er die Argumentation des Autors eher philosophisch als historisch: Die großangelegte Deutung der Studentenrevolte als eine "genuin moderne und zugleich verabsolutierte Flucht aus der Welt", die er an zentralen Problembereichen wie der Politisierung des Privaten, Bildung und Wissenschaft oder der Politik veranschaulichen will, verrät für ihn eher die Nähe zu einem "philosophierenden Essay" als zu einer "soliden historischen Darstellung". So hält er dem Autor vor, zu ignorieren, was nicht in die Argumentationslinie passt, sowie Positionen ohne Berücksichtigung ihres historischen Kontextes heranzuziehen.

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