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Zur nationalsozialistischen Rassenideologie gehörte es, vermeintlich erbkranke Menschen an der Fortpflanzung zu hindern. Um ihre zwangsweise vorgenommene Sterilisation zu legitimieren, erließen die Machthaber am 1. Januar 1934 das 'Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses' und errichteten Erbgesundheitsgerichte. Vor diesen Gerichten übten medizinische Sachverständige großen Einfluss auf das Verfahren aus: Sie waren es häufig, die den 'Erbkrankverdächtigen' anzeigten, seine Sterilisation beantragten und das Gutachten abgaben, das nach den 'Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft' Auskunft…mehr

Produktbeschreibung
Zur nationalsozialistischen Rassenideologie gehörte es, vermeintlich erbkranke Menschen an der Fortpflanzung zu hindern. Um ihre zwangsweise vorgenommene Sterilisation zu legitimieren, erließen die Machthaber am 1. Januar 1934 das 'Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses' und errichteten Erbgesundheitsgerichte. Vor diesen Gerichten übten medizinische Sachverständige großen Einfluss auf das Verfahren aus: Sie waren es häufig, die den 'Erbkrankverdächtigen' anzeigten, seine Sterilisation beantragten und das Gutachten abgaben, das nach den 'Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft' Auskunft darüber geben sollte, ob der 'Erbkrankverdächtige' tatsächlich erbkrank war. Das Buch kommt zu dem erschreckenden Ergebnis, dass die Gutachten der Bonner Sachverständigen keineswegs dem damaligen medizinischen Kenntnisstand entsprachen, sondern oberflächlich und tendenziös gehalten waren. Gleichwohl legte das Bonner Erbgesundheitsgericht die gutachtliche Diagnose der Sachverständigen in über 90 % der untersuchten 519 Fälle seinem Urteil zugrunde, ohne dass sich die Betroffenen dagegen erfolgreich zur Wehr setzen konnten.
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Autorenporträt
Carola Einhaus wurde mit vorliegender Studie an der Universität Bonn promoviert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2006

Bekennende Nationalsozialisten
Medizinische Sachverständige und Richter des Erbgesundheitsgerichtes in Bonn

Am 14. Juli 1933 erließ die nationalsozialistisch geführte Reichsregierung das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses". An den Amtsgerichten kam es zur Einrichtung von Erbgesundheitsgerichten, an den Oberlandesgerichten von Erbgesundheitsobergerichten. Sie sollten durch gerichtlichen Beschluß die Sterilisierung vermeintlich erbkranker Menschen erzwingen. Bei diesen Verfahren war die Hinzuziehung medizinischer Sachverständiger gesetzlich vorgeschrieben. Mit den medizinischen Sachverständigen des Erbgesundheitsgerichtes in Bonn, deren Gutachten in 90 Prozent der 516 zwischen 1934 und 1945 verhandelten Fälle zur Sterilisation führten, befaßt sich die Rechtswissenschaftlerin Carola Einhaus.

Das Richterkollegium der Erbgesundheitsgerichte setzte sich aus einem Volljuristen sowie zwei beisitzenden Richtern zusammen. Als solche fungierten zwei approbierte Ärzte, von denen einer beamteter Arzt sein mußte. Mit der Erbgesundheitslehre sollten die Ärzte besonders vertraut sein, doch auf welche Weise diese Qualifikation zu erbringen war, blieb offen. Die beiden Ärzte konnten, da in diesen Verfahren die Stimmenmehrheit entschied, den Vorsitzenden überstimmen, was ein juristisches Novum darstellte. "Bekennender Nationalsozialist" zu sein galt für die Beisitzer als das wesentliche Qualifikationsmerkmal. Gleiches galt wohl auch für die herangezogenen medizinischen Sachverständigen. Deshalb nahmen sie hin, daß sie in den Verfahren nicht der üblichen Berufs- und Standespflicht der Verschwiegenheit unterlagen.

In einem totalitären Staat, in dem - wie die Kommentatoren des Sterilisationsgesetzes formuliert hatten - "die lebendige und organische Ordnung der Volksgemeinschaft biologisch in der Rasse wurzelt", konnte es mit der in Demokratien üblichen Unparteilichkeit und Unabhängigkeit von medizinischen Sachverständigen nicht weit her sein. Vielmehr war ihre deutliche Parteinahme für die "Ausmerzung" von "erbkranken Rasseschädlingen" erwünscht, zumal das Mißtrauen des NS-Regimes gegenüber den Juristen groß war, zumindest anfänglich. Schon der Wortlaut der Gutachten der in Bonn hinzugezogenen medizinischen Sachverständigen als auch ihre despektierliche Behandlung der zu Untersuchenden ließ erkennen, daß der Patient schließlich als "erbkrank" bezeichnet werden würde. Die deutliche Parteinahme für das nationalsozialistische Regime war unübersehbar. Das Recht des Individuums, das "berechtigte Interesse einzelner Volksgenossen", hatte hinter das "Recht des Volkes" und den "Forderungen der Volksgemeinschaft" zurückzutreten.

Alle Bonner medizinischen Sachverständigen blendeten in ihren oberflächlichen Gutachten bewußt die zahlreichen, damals noch ungeklärten Fragen der Erblehre, Neurologie und Psychologie aus. Waren doch nach allgemeiner Auffassung "die Forschungen noch nicht zu einem eigentlichen Abschluß gekommen". Da die Sachverständigen nach den jeweiligen "Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft" gutachteten, mußten sie auch nicht befürchten, für ihre Bewertungen später zur Rechenschaft gezogen zu werden.

REINER POMMERIN.

Carola Einhaus: Zwangssterilisation in Bonn (1934-1945). Die medizinischen Sachverständigen vor dem Erbgesundheitsgericht. Böhlau Verlag, Köln 2006. 194 S., 32,90 [Euro].

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