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Madison (USA), 1932 1974: Im Labor der University of Wisconsin werden grausame Affenexperimente durchgeführt doch mit ihnen gelingt es Harry Harlow, die Kinderpsychologie zu revolutionieren. Die Entdeckung der Mutterliebe gegen den Widerstand der Wissenschaft meisterhaft erzählt von Pulitzer-Preisträgerin Deborah Blum.
Bis in die Mitte der 50er-Jahre prägten Strenge und Distanz die Kindererziehung. Deborah Blum enthüllt die dunkle Geschichte der Kinderpsychologie und schildert das Leben des exzentrischen und umstrittenen Wissenschaftlers Harry Harlow, der mit seinen legendären
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Produktbeschreibung
Madison (USA), 1932 1974: Im Labor der University of Wisconsin werden grausame Affenexperimente durchgeführt doch mit ihnen gelingt es Harry Harlow, die Kinderpsychologie zu revolutionieren. Die Entdeckung der Mutterliebe gegen den Widerstand der Wissenschaft meisterhaft erzählt von Pulitzer-Preisträgerin Deborah Blum.

Bis in die Mitte der 50er-Jahre prägten Strenge und Distanz die Kindererziehung. Deborah Blum enthüllt die dunkle Geschichte der Kinderpsychologie und schildert das Leben des exzentrischen und umstrittenen Wissenschaftlers Harry Harlow, der mit seinen legendären Affenexperimenten die Kraft der Mutterliebe und -bindung bewies. Harlow und seine Kollegen legten den Grundstein für die Wissenschaft der Bindung angesichts der aktuellen Diskussion um strikte Autorität und Fremdbetreuung schon von kleinen Kindern ein Thema von bestürzender Aktualität.

»Harry Harlow, dessen Name zu einem Synonym für schreckliche Affenexperimente wurde, half in Wirklichkeit, schrecklichen Kindererziehungspraktiken ein Ende zu setzen.« Frans de Waal

»Harlows Experimente revolutionierten die Psychologie.« The New York Times
Autorenporträt
Deborah Blum ist Professorin für Journalismus an der University of Wisconsin und Präsidentin der National Association of Science Writers. Sie lebt in Madison, Wisconsin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2010

Muttertag im Reich der Tiere

Wie wichtig die mütterliche Zuwendung für den Nachwuchs ist, hat Harry Harlow mit seinem legendären Affenexperimenten gezeigt. Deborah Blum führt sie uns vor Augen.

Ein Psychologe und Primatenforscher namens Harry F. Harlow stellte sich in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine ungewöhnliche Aufgabe: Er wollte die Natur der Liebe, insbesondere der elterlichen Liebe für Kinder, wissenschaftlich ergründen. In einer Zeit, in der die experimentelle Psychologie noch vom Behaviorismus beherrscht wurde und emotionale und körperliche Nähe zu Kindern häufig als sentimentale Dummheit und Verhätschelung angesehen wurde, entpuppte sich dieses Ziel als eine kleine Revolution. Harlows Experimente mit Rhesusaffen wurden legendär und gehören neben Konrad Lorenz' Prägungsstudien an Graugänsen zu den klassischen Arbeiten der Verhaltensforschung.

Im Rahmen seiner frühen Experimente hatte Harlow als Professor in Wisconsin in den dreißiger Jahren versucht, eine Pflegestation für Babyäffchen aufzubauen, wo sie vor Infektionen geschützt waren. Er beobachtete, wie sich die Äffchen in den blitzblanken Käfigen an die weichen Tücher, mit denen die Wände verhängt waren, klammerten oder sich in den Stoff einwickelten. Die kleinen Tiere erinnerten ihn an menschliche Babys und ihre Neigung, sich in eine Decke zu kuscheln, wenn sie alleine sind. Diese "Kontakttröstung" ließ Harlow schließlich über Geborgenheit und die Mutter-Kind-Beziehung nachdenken.

Von 1957 an führte er Experimente durch, bei denen er junge Äffchen ohne ihre Mutter in einen Käfig setzte, in dem sie zwischen zwei Attrappen wählen konnten: einer milchspendenden Drahtmutter und einer gleich großen, mit Stoff bespannten "Ersatzmutter", die aber keine Milch spendete. Die Rhesusäffchen wählten die Nähe der Milchspenderin nur, wenn sie hungrig waren, kuschelten aber ansonsten mit der stoffbespannten Attrappe. Anders als die Behavioristen behaupteten, war die Mutter nicht nur eine bloße Futterquelle, sondern sie bot auch andere körperliche und emotionale "Belohnungen".

Spätere Experimente in Harlows Labor zeigten, wie überaus wichtig soziale Bindungen zu Eltern und auch zu gleichaltrigen Tieren für die emotionale Entwicklung der Primaten sind. Harlows Befunde dienten als willkommene experimentalpsychologische Belege für die einflussreichen Ideen von Kinderpsychologen wie René Spitz, Mary Ainsworth, James Robertson und insbesondere John Bowlby, deren Theorien die Bedeutung der leiblichen Mutter und deren Einfühlungsgabe als unerlässlichen Faktor für die Betreuung des Kindes hervorhoben und Kinderbetreuung außerhalb der Kernfamilie stark in Frage stellten.

Die Pulitzerpreisträgerin Deborah Blum hat einen typischen Vertreter des seit Dava Sobels "Längengrad" (1995) ungemein populären Genres der von erfahrenen Journalisten verfassten Wissenschaftlerbiographie vorgelegt, die ihre Protagonisten in der Regel als einsame und letztendlich triumphierende Kämpfer gegen allgegenwärtiges Unverständnis oder Desinteresse porträtieren. Blums Buch vereint die charakteristischen Stärken und Schwächen des Genres. Ein lebendiges Porträt Harlows wird gezeichnet, Wissenschaftsgeschichte fesselnd geschildert und dabei der gesellschaftliche Kontext nicht vergessen. Dies ist löblich, die Wissenschaftsgeschichte und der Kontext bleiben jedoch häufig zu eng auf die porträtierte Person bezogen. So widersetzte sich Harlow dem behavioristischen Paradigma, das nur mess- und quantifizierbare Größen zuließ und die Untersuchung innerer psychologischer Zustände wie Emotionen als unwissenschaftlich abwertete, er war jedoch nicht der Einzige, der mit dem Stand der Dinge unzufrieden war und nach Alternativen suchte. Zur gleichen Zeit wie Harlow erforschten beispielsweise Wissenschaftler am Yerkes Labor in Atlanta an Primaten die tröstliche Funktion des Körperkontaktes, die Fähigkeit, Lernstrategien zu erlernen, oder die schädlichen Folgen des Futterentzugs auf Motivation. Harlow war nicht der einsame Rufer in der Wüste; was ihn auszeichnete, war sein Talent, die weitergehende Bedeutung dieser Phänomene zu identifizieren und sie öffentlichkeitswirksam darzustellen, indem er bewusst Unterhaltungselemente und Provokationen in seinem Umgang mit den Medien einsetzte.

Und genau bei der Analyse der Wechselwirkung von Öffentlichkeit, Labor und dem Eigensinn der Versuchstiere hätte Deborah Blums Schilderung ein wenig mehr kritische Distanz gutgetan. Sie bleibt zu stark althergebrachten Deutungen von Harlows Experimenten verbunden. Viele Befunde Harlows, insbesondere solche, die einer einfachen Lesart zuwiderliefen, wurden in der Entwicklungspsychologie häufig ignoriert oder führten nur eine Randexistenz. So sagten die Experimente nicht, dass die körperliche Zuneigung nur von mütterlicher Seite kommen sollte. Harlows wichtige Einsicht, dass intensiver Kontakt mit Gleichaltrigen mangelnde elterliche Liebe zu kompensieren vermochte, wurde denn auch weitgehend ignoriert.

Eine der dramatischsten Beobachtungen aus Harlows Labor war, dass Rhesusaffenweibchen, die sozial isoliert aufgewachsen waren, ihre eigenen Kinder vernachlässigten und oft sogar brutal misshandelten - was jedoch kaum je erwähnt wird, ist die verblüffende Tatsache, dass diese eigenwilligen Weibchen sich ihren zweiten oder dritten Kindern gegenüber völlig normal verhielten. Brutale, gar mörderische Mütter wandelten sich zu liebenden, sorgenden Wesen. Anders als von vielen erhofft, ist die Natur also keine zuverlässige Quelle von moralischen oder sozialen Handlungsanweisungen. Sie ist flexibel und voller Überraschungen, und in all ihrer Fülle und Komplexität schert sie sich nicht um das, was Menschen von ihr erhoffen.

THOMAS WEBER

Deborah Blum: "Die Entdeckung der Mutterliebe". Die legendären Affenexperimente des Harry Harlow. Aus dem Amerikanischen von Sabine Grunwald. Beltz Verlag, Weinheim 2010. 351 S., geb., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gutes und Schlechtes hat Rezensent Thomas Weber über dieses Buch zu sagen, und zwar deshalb, weil es der typische Vertreter eines Genres ist, das klare Stärken und klare Schwächen hat. Das Genre ist das der von informierten Journalisten geschriebenen Wissenschaftlerbiografie. Dass sich Deborah Blum auskennt und gut recherchiert hat und gut lesbar zu schreiben versteht, steht, so Weber, außer Zweifel. Und gewiss habe sie recht, dass Harry Harlows Affenexperimente die Begrenzung des zu seiner Zeit herrschenden Behaviorismus zu zeigen halfen. Harlow konnte nämlich belegen, dass Affen von ihrer Mutter nicht nur Milch, sondern auch emotionale Zuneigung wollen. Problematisch werde das ganze jedoch dadurch, dass Harlow - wie noch fast jeder Gegenstand solch populärwissenschaftlicher Darstellung - zum Helden stilisiert wird. Und mancher Widerspruch in den Ergebnissen bleibe aus Mangel an "kritischer Distanz" leider auch unterbelichtet, so Weber.

© Perlentaucher Medien GmbH