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Der Band enthält die zum ersten Mal nach den Originalhandschriften gedruckten Briefe der Berliner Familie Levin, später Robert-Tornow. Von keiner anderen deutsch-jüdischen Familie dieser Zeit sind auch nur annähernd so viele Briefe überliefert. Zur Sprache kommt alles, was deutsch-jüdische Geschichte zwischen 1787 und1833 prägte: die Frage der Konversation zum Christentum, die Restauration nach dem Wiener Kongreß, die Hep-Hep-Unruhen 1819.
Rahel Levin Varnhagen (1771-1833), eine der wichtigsten Denkerinnen des 19. Jahrhunderts, hat der Nachwelt ein weitgesponnenes Netz aus Briefwechseln mit
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Produktbeschreibung
Der Band enthält die zum ersten Mal nach den Originalhandschriften gedruckten Briefe der Berliner Familie Levin, später Robert-Tornow. Von keiner anderen deutsch-jüdischen Familie dieser Zeit sind auch nur annähernd so viele Briefe überliefert. Zur Sprache kommt alles, was deutsch-jüdische Geschichte zwischen 1787 und1833 prägte: die Frage der Konversation zum Christentum, die Restauration nach dem Wiener Kongreß, die Hep-Hep-Unruhen 1819.

Rahel Levin Varnhagen (1771-1833), eine der wichtigsten Denkerinnen des 19. Jahrhunderts, hat der Nachwelt ein weitgesponnenes Netz aus Briefwechseln mit den unterschiedlichsten Menschen hinterlassen.

Von der Köchin bis zur Fürstin, von den Berühmtheiten der Zeit, unter ihnen Wilhelm von Humboldt, Jean Paul, Prinz Louis Ferdinand von Preußen und Friedrich Gentz, bis hin zu denen, über die wir kaum noch etwas wissen, mit allen debattierte sie über Literatur und Philosophie, Politik und Zeitgeschehen. Der dritte Band der historisch-kritischen "Edition Rahel Levin Varnhagen" enthält die weitgehend ungedruckten Briefe der Berliner Familie Levin, später Robert-Tornow. Er bietet einzigartiges Material: Von keiner anderen deutsch-jüdischen Familie dieser Zeit sind auch nur annähernd so viele Briefe überliefert. Zur Sprache kommt alles, was deutsch-jüdische Geschichte zwischen 1787 und 1833 prägte: die Frage der Konversion zum Christentum, die Restauration nach dem Wiener Kongress, die Hep-Hep-Unruhen 1819.
Autorenporträt
Rahel Varnhagen, geboren 1771 als ältestes Kind des jüdischen Kaufmanns und Bankers Markus Levin, unterhielt einen der wichtigsten Salons und bildete ein geistiges Zentrum Berlins. Sie ließ sich 1814 protestantisch taufen und heiratete Karl August Varnhagen von Ense. Sie wohnte dem Wiener Kongress bei, zog 1816 nach Karlsruhe und 1819 wieder zurück nach Berlin. Sie starb hoch verehrt 1833.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2010

Die Sendungsbewusste

Das Geistesleben des Vormärz kennt kaum eine markantere Frauengestalt: Rahel Levin Varnhagen - Schriftstellerin, Kritikerin, Salonière. Ihre Briefe zeigen sie als wegweisende Zeugin der Epoche.

Die Kokarde, die Bandschleife der Französischen Revolution, wollten sich die Deutschen, sieht man von der kurzlebigen Mainzer Republik ab, nicht an die Hüte stecken. Für eine Revolution ganz anderer Art sorgte die Romantik. Das Zeichen der Gleichheit und Freiheit, die Kokarde der Emanzipation, wählten sich hier literarisch gebildete und begabte Frauen wie Dorothea Schlegel, die Tochter Moses Mendelssohns, Caroline Schlegel-Schelling, Bettina von Arnim oder Rahel Varnhagen. Sie alle eroberten sich das Recht auf Individualität, und alle dokumentierten sie diese in einer bis dahin unerreichten Briefkultur. Die wirkungsvollste unter ihnen wurde Rahel, die Begründerin des bekanntesten Berliner Salons, der zum Mittelpunkt für das geistige Leben der Stadt wurde. Hier konnte der Student Heine auf den berühmten Philosophen Hegel von der Berliner Universität treffen.

Ihr Selbstverständnis brachte Rahel auf den Punkt im Brief vom 22. Januar 1819 an ihre Schwester Rose. Sie setzt die Eigenständigkeit der Frau ins Recht: "Es ist Menschenunkunde, wenn sich die Leute einbilden, unser Geist sey anders und zu anderen Bedürffnißen constituiert, und wir könnten zum Exempel ganz von des Mannes oder Sohn's Existenz mitzehren. Diese Forderung entsteht nur aus der Voraussetzung, dass ein Weib in ihrer ganzen Seele nichts höheres kennte als gerade die Forderungen und Ansprüche ihres Mannes in der Welt."

Von Anfang an respektierte Rahel die Freiheit der Frau zur Wahl der eigenen Lebensführung. Dieser Grundsatz verband sie auch mit ihrer Freundin Pauline Wiesel, der Tochter des Direktors der königlichen Bank in Berlin, die mit ihrer anscheinend unbegrenzten Liebesfähigkeit verschwenderisch umging und deren sinnlicher Anziehungskraft eine erstaunliche Zahl von erlauchten Männern der Zeit erlag. Auch als Pauline in Verruf und ins Elend geriet, konnte nichts diesen Freundschaftsbund der Frauen ins Wanken bringen. Er ist bezeugt im 1997 erschienenen hinreißenden Briefwechsel beider Frauen (F.A.Z. vom 4. November 1997).

Aber in den hier vorliegenden Briefen, die sie an die Brüder aus dem Bankgewerbe richtet - der Briefwechsel mit ihrem Bruder Ludwig Robert, dem Schriftsteller, ist gesondert erschienen -, überwiegt oft der Ton der Verärgerung. Zumal vom ältesten Bruder, Marcus Theodor, fühlte sie sich bei der Verwaltung ihres Erbes und ihrer Geldanlagen übervorteilt. Der Mann, nach dem Tod des Vaters Familienoberhaupt, war gewiss ein kühler Rechner, zumal wenn es um eigene Geschäfte ging. Rahels Ehemann Varnhagen von Ense, während der Napoleonischen Kriege eine Zeitlang Oberst in russischen Diensten, hat nach Marcus' Tod schweres Geschütz gegen ihn aufgefahren, hat ihn zum brünstigen Libertin gestempelt, der es immer auch mit den Mägden trieb, zum Verschwender des Familienvermögens, der an Rahel wahre Abscheulichkeiten begangen habe.

Sollte Marcus Theodor nicht ein genialer Heuchler gewesen sein, bieten die Briefe, die er nach anfänglichen Reibereien an Rahel schrieb, ein anderes Bild. Er erscheint als Prosaist von beachtlichen Graden, als ein scharfer Analytiker, der Finanz- und Wirtschaftsfragen darzustellen weiß, als ein an Fichtes Philosophie geschulter und als der politische Kopf der Familie. Er liefert in diesem Band die genauen Berichte über das wechselhafte Geschehen der Napoleonischen Kriege, soweit es Deutschland, zumal Preußen und Berlin, berührt: Er schlägt die Alarmglocke, als nach dem endgültigen Sieg über Napoleon mit der Glorifizierung deutschen "Volkstums" auch ein antijüdischer Affekt neu geweckt und ein anfängliches Versprechen des Wiener Kongresses vom 1814/15, den Juden bürgerliche Gleichstellung zu gewähren, wieder vergessen wird.

Ein Blick auf die Gesetzgebung in Preußen: Das Emanzipationsedikt von 1812 erklärte die Juden zu "Einländern und Preußischen Staatsbürgern" und verpflichtete sie dafür zum Gebrauch der deutschen Sprache, zum Militärdienst und zur Annahme fester Eigennamen. Aber nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich folgte der Widerruf, die Zurücknahme im sogenannten Revokationsedikt von 1816. Den Juden blieben für lange Zeit eine Reihe von Berufen, zum Beispiel akademische Lehr- und die Schulämter, verschlossen. Diese gegenemanzipatorische Gesetzgebung nun wird in ihren politischen Auswirkungen anschaulich in den Berichten Marcus Theodors. Der Toleranzgedanke beginnt zu vereisen; König Friedrich Wilhelm III. zögert die fällige Überreichung des "Militärs-Ehrenzeichens 1. Klasse des Luisen-Ordens" an die Jüdin Amalie Beer hinaus, weil er meint, eine Jüdin könne das Kreuz nicht gutwillig tragen; am Universitätsgebäude wird ein Zettel angeschlagen mit der Aufforderung, das Theaterstück des Juden Ludwig Robert "auszupochen", ein Edikt aus der Zeit um 1750, wonach in keiner Stadt mehr als eine Synagoge erlaubt ist, wird wieder hervorgeholt und durch Kabinettsorder erneuert. Im November 1817 schreibt Marcus Theodor: "Die Juden sind jetzt sehr anrüchig ... Jacobinismus Deutschheit und Judenhaß, sind die jetzige Dreieinigkeit." Die versprochene Verfassung ist in weite Ferne gerückt, Antisemitismus ist auf dem Marsch.

Solche Wahrnehmungen fördern das Assimilationsbedürfnis. Rahel hatte sich schon im September 1814, bei ihrer Heirat mit Varnhagen, evangelisch taufen lassen. Der Bruder stimmt ihrer Ansicht zu, dass Juden, "wenn sie Schritte machen wollen in Europa", "der Christlichen Religion folgen" müssten.

Nur wenige Jahre zuvor war solcher Zwang fast vergessen gewesen. Rahel, die von Paris Verzauberte, hatte allen Unmut auf den Eroberer Napoleon geworfen und war von der nationalen Freiheitsbewegung mitgerissen worden. In Prag hatte sie ein Büro für Verwundete gegründet, eine große Hilfsaktion eingeleitet, Gelder in ihrem weiten Bekanntschaftskreis eingeworben. Nun ist sie glücklich, dass man "mit der lieben Nazion" der Franzosen "sich wieder befreundet, und sie lieben darf". Die Politik müsse eine "rechtliche" werden und dürfe keine "ambitieuse" mehr sein, schreibt sie im November 1830 und stimmt dem Ruf des englischen Abgeordneten zu, dass aller "Nationalstolz" aufhören solle.

Die Sorgen, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten in den Familienbriefen laut werden, sind andere. Der Feind, der von außen nicht mehr drohte, schien jetzt in den inneren Verhältnissen zu lauern. Die Entmachtung des Staatskanzlers Fürst von Hardenberg war ein deutliches Signal. Die Maulwürfe der Zensur wurden umtriebiger und erzeugten geheime Ängste. Im Oktober 1817 schreibt der durchaus staatstreue Marcus Theodor aus Berlin an Rahel in Frankfurt am Main: Über Politik und alles Öffentliche schweige er, "denn die Briefe werden wahrscheinlich erbrochen". Und die nach der Ermordung Kotzebues durch den Studenten Karl Sand ausgelöste Verfolgung der "Demagogen" im Jahre 1819 riss auch in Rahels Leben eine tiefe Zäsur. Varnhagen von Ense, preußischer Ministerresident am Badischen Hof in Karlsruhe, bekannt wegen seiner liberalen Ansichten, wurde ohne Angabe der Gründe von seinem Posten abberufen.

So haftete der Rückbeorderung ihres Mannes ein Makel an, der Rahel die Wiedereinbürgerung in Berlin nicht eben erleichterte. Doch nicht erloschen war ihre Faszinationskraft. Wieder wurde ihre Wohnung eine Residenz der offenen Tür. Der Geist, der fast ein Leben lang gegen körperliche Plagen revoltieren musste, behauptete sich bis zum Schluss. Am 25. Februar 1833 schreibt sie an ihre Schwägerin Ernestine: "Ihre Musik hat mich gestern in's Leben zurückgerufen: und ich bin voller Sehnsucht danach!" Aber es war ihr letzter Familienbrief.

Varnhagen tat alles, ihren Ruhm in den Nachruhm hinüberzuretten. Rahels Heirat mit ihm war wohl mehr eine Vernunftheirat gewesen. Getroffen hatten sich beide in der Verehrung Goethes. Noch zu Lebzeiten Goethes hatte Varnhagen die Sammlung "Goethe in den Zeugnissen der Mitlebenden" (1824) herausgegeben. Den "Statthalter Goethes auf Erden" hat ihn später sein Freund Heine genannt. Mit seinem Band "Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde" (1833) wurde er auch noch Statthalter der Königin geselliger Kultur.

WALTER HINCK

Rahel Levin Varnhagen: "Familienbriefe".

Verlag C.H. Beck, München 2009. Mit 18 Abbildungen. 1547 S., geb., 128,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kein Zweifel, Rezensent Walter Hinck kennt sich aus mit den Varnhagens, mit Rahel und ihren Brüdern Ludwig Robert und Marcus Theodor und mit ihrem Ehemann Karl August. Aus dem vorliegenden Briefband kann Hinck dennoch etwas lernen. Zum Beispiel, dass Varnhagen von Enses Anschuldigung gegen seinen Schwager Marcus Theodor (brünstiger Libertin) wohlmöglich übertrieben war beziehungsweise letzterer ein grandioser Heuchler. Seine Briefe an Rahel jedenfalls zeigen Hinck einen begnadeten Prosaisten, scharfen Analytiker in Wirtschaftsfragen und den politischen Kopf der Familie. Anschaulich werden Hinck darin die Napoleonischen Kriege und ihre Folgen sowie das Heraufziehen von Nationalismus und Antisemitismus, aber auch die ganz privaten Sorgen der Familie wie die Wiedereingliederung in die Berliner Gesellschaft nach den Frankfurter Jahren.

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