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Kapitalismus frißt seine Kinder – Benjamin Barbers provozierende These
Ein neues Ethos prägt das Gesicht des globalen Kapitalismus: überflüssige Güter werden in großer Zahl produziert, Kinder zu Konsumenten gemacht und Erwachsene in infantile Schnäppchenjäger transformiert. Zielte früher die Wirtschaft auf die Herstellung richtiger und nützlicher Produkte, so ist die neue verbraucherorientierte Ökonomie darauf aus, Bedürfnisse und Marken zu schaffen. An die Stelle eines demokratischen Kapitalismus ist eine infantile Konsumwelt getreten, deren Pathologien die Freiheit der liberalen Welt…mehr

Produktbeschreibung
Kapitalismus frißt seine Kinder – Benjamin Barbers provozierende These

Ein neues Ethos prägt das Gesicht des globalen Kapitalismus: überflüssige Güter werden in großer Zahl produziert, Kinder zu Konsumenten gemacht und Erwachsene in infantile Schnäppchenjäger transformiert. Zielte früher die Wirtschaft auf die Herstellung richtiger und nützlicher Produkte, so ist die neue verbraucherorientierte Ökonomie darauf aus, Bedürfnisse und Marken zu schaffen. An die Stelle eines demokratischen Kapitalismus ist eine infantile Konsumwelt getreten, deren Pathologien die Freiheit der liberalen Welt bedrohen.
Erstmals in der Geschichte glaubt eine Gesellschaft, daß ihr ökonomisches Überleben von einer Kultur abhängt, die Infantilisierung statt Reife und Verantwortlichkeit fördert. Der Konsumkapitalismus braucht das infantile Ethos, weil er das Einfache dem Komplexen vorzieht und Spaß und Freizeit anstatt Disziplin und Verzicht favorisiert. Infantilisierung ist jedoch nicht nur eine Marketingstrategie, sondern ein kulturelles Ethos. Zusammen mit einer Ideologie der Privatisierung und einer Homogenisierung des Geschmacks stützt dieses Ethos den Konsumkapitalismus, allerdings auf Kosten der Kultur und um den Preis einer wachsenden Gefährdung des Kapitalismus selbst. Entweder, so Benjamin Barbers provokante These, wird der Kapitalismus das infantile durch ein demokratisches Ethos ersetzen und Gleichheit wieder ebenso fördern wie Profit, Vielfalt ebenso wie Konsum, oder die Infantilisierung wird nicht nur die Demokratie, sondern auch den Kapitalismus selbst zugrunde richten.

"Die Botschaften in diesem Buch sind wichtig. Barber benennt Dinge, die benannt werden müssen – die Exzesse des Konsumkapitalismus, die schädlichen Effekte des schleichenden Neoliberalismus und die Konsequenzen des omnipräsenten branding."
New York Times Book Review
Autorenporträt
Benjamin R. Barber ist Professor of Civil Society an der University of Maryland und einer der einflußreichsten Politikwissenschaftler der USA. Er war innenpolitischer Berater der Clinton-Regierung. Buchveröffentlichung, Auszeichnung 2001 mit dem Berlin-Preis der American Academy.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.04.2008

Das Buch vom schrecklichen Kapitalismus
Der Bestseller-Politologe Benjamin Barber sieht die Zivilgesellschaft im Konsumismus untergehen. Hat er recht?
Der US-amerikanische Politikwissenschaftler und Bestsellerautor Benjamin R. Barber will in seinem neuen Buch zeigen, „wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Bürger verschlingt”. Barber ist Spezialist für und Propagandist der „Zivilgesellschaft”. Für diese ficht er auch jetzt wieder. Eine Seite vor dem Schluss des Buches allerdings gesteht der Autor zu, dass einem die „globale Bürgerschaft”, die er fordert, wie ein „utopischer Traum” vorkommen mag. Und weiter: „Ein Rezept für ihre Verwirklichung habe ich nicht”.
Das Buch variiert eine einfache Grundthese. Sie lautet: Der Kapitalismus produziert immer mehr überflüssige Güter und Dienste und weckt durch Werbung und Markenprodukte („Branding”) den Wunsch, diese auch tatsächlich zu kaufen. Durch diesen „Konsumismus” geht uns die Zeit verloren, die wir bräuchten, um durch Gemeinwohl-Engagement nicht nur uns selbst, sondern die ganze Welt zu retten. Früher war alles besser: Da hat der Kapitalismus nur dafür gesorgt, dass Waren und Dienste möglichst sparsam („effizient”) und mit unvergleichlich steigender Produktivität hergestellt wurden. Der klassische Kapitalismus diente gewissermaßen der Menschheit (zumindest der westlichen), während wir heutzutage dem globalisierten Kapital dienen. Und zwar einem böswilligen Kapital, das uns bewusst zu infantilisierten Konsum-Idioten macht. Der ungesunde Genuss von Fastfood und seichter Kinounterhaltung sind also keine unbeabsichtigten Nebenfolgen der kapitalistischen Entwicklung, sondern deren bewusste Strategie. (So Barber ausdrücklich auf Seite 19 – um dann allerdings auf Seite 217 das Gegenteil zu konstatieren: der „Konsumtotalismus” liege nicht an einer „Verschwörung des Kapitals”.
Im Detail ist das Buch ein Ärgernis, weil es jede Menge Widersprüche enthält und historische und zeitgenössische Fakten unterschlägt. Wahrscheinlich nicht aus bösem Willen; Barber hat bloß eine ausgesprochen US-zentrierte Weltsicht. Er übersieht unter anderem, dass Markenprodukte nicht erst im Kapitalismus erfunden wurden, sondern „Branding” von hochwertigen Lebensmitteln bereits vor Jahrtausenden in Mesopotamien und Ägypten praktiziert wurde. Sein lokales Weltbild hindert Barber freilich nicht – als vorbildlich belesenen Zögling des US-Bildungs- und Hochschulsystems –, ausgiebig weltgeschichtliches Name-Dropping zu betreiben: von Teddy Adorno bis Max Weber. Und alles, was dazwischen liegt – in alphabetischer Ordnung: Aristoteles, Luther, Marx, Platon, Rousseau, Tocqueville, Trotzki, Voltaire. Lesenswert sind die wenigen Seiten über die von Barber gelobten Muster-Kapitalisten Jakob Fugger, John D. Rockefeller und Bill Gates. Aber der enzyklopädische Schulbuch-Ehrgeiz Barbers weckt den Verdacht, dass man sich auf die Darstellungen im Einzelnen besser nicht verlassen sollte. Ein Beispiel: Papst Benedikt wechselt bei Barber als Kardinal Ratzinger von München direkt in den Vatikan. Die Jahrzehnte als Kurienkardinal haben Barbers Rechercheure offenbar für nicht wichtig befunden.
Widersprüche: Barber betont immer wieder, dass der sinnlose Konsum seinen Landsleuten die Zeit stehle. Um aber auch immer wieder zu betonen, wie fleißig sie arbeiten. Hollywood verblödet uns – bringt aber laut Barber auch immer wieder Meisterwerke hervor. Und einer ur-kapitalistischen Erfindung wie „Starbucks” gesteht Barber zu, dass sie zur Verfeinerung des Geschmacks (zumindest der US-Amerikaner) beigetragen hat. Am Ende hat man den Verdacht, dass der Bestseller-Autor Barber genau dieselbe Strategie betreibt, die er im Kapitel „Identitäten werden Marken: Der Sinnverlust” am Beispiel des Verlagsgewerbes anschaulich beschreibt: Es komme oft nicht mehr auf die Inhalte von Büchern an, sondern „die Bücher produzieren Massenmarkt-Bestsellerautoren. Die neuen Marken sind die Autoren, ob sie nun Belletristik, Sachbuch oder die Mischform aus Fakten und Fiktion (faction) anbieten.”
Ohne Zweifel gilt: Die Zivilgesellschaft und „bürgerschaftliches Engagement” sind für jede Gesellschaft und das „gute Leben” aller Bürgerinnen und Bürger wichtig, ja unerlässlich. Die totale Individualisierung und Vermarktlichung können eine Gesellschaft in der Tat nicht zusammenhalten. Aber es ist offenkundig nicht so, dass 100 Prozent aller Erwachsenen, wie Barber suggeriert, sich ehrenamtlich und politisch engagieren müssten, damit eine Gesellschaft gut oder zumindest ganz ordentlich funktioniert. Wenn heutzutage der Konsum die Zeit auffrisst, die man eigentlich für die Zivilgesellschaft opfern sollte – dann waren es früher (über)lange Arbeitszeiten, die die allermeisten Menschen davon abgehalten haben, sich sozial und politisch zu engagieren. Wenn Barbers Analysen zutreffend wären, dann hätte es niemals die zunehmende politische Freiheit gegeben, die wir heutzutage in vielen Ländern der Erde genießen können. Aber es war – man mag sagen: leider – immer nur eine winzig kleine Gruppe innerhalb einer jeden Gesellschaft, die politisch dachte und vor allem handelte. Die Ur-Demokratien in Griechenland sind ein Musterbeispiel: Fast alle Einwohner waren Sklaven und hatten nichts zu sagen. In der vielgerühmten Polis trafen sich nur die wenigen freien Bürger – also die Sklavenbesitzer, die sich sogar bei der Ausübung ihrer staatlichen Ehrenämter von ihren Sklaven unterstützen ließen.
Einige der großen Arbeiterführer kamen ohne Zweifel aus dem „einfachen Volk”; aber auch am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die allermeisten Menschen nicht politisch oder gesellschaftlich engagiert. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft war gewiss etwas anderes als heutzutage die ADAC-Mitgliedschaft; aber ein hoher Organisationsgrad hat dennoch nicht automatisch persönliches Engagement bedeutet. Die jeweilige Avantgarde hat ausgereicht, musste ausreichen, um den gesellschaftlichen Fortschritt anzutreiben. Aber war in den letzten Jahrzehnten nicht ein Niedergang des Engagements zu verzeichnen? Das suggeriert Barber mit seiner Infantilisierungs-These. Doch nichts deutet darauf hin. Für Deutschland liegen detaillierte Zahlen zur aktiven Beteiligung an der Politik im letzten Vierteljahrhundert vor, beispielsweise in der Langzeitstudie „Sozio-oekonomisches Panel”. Es zeigt sich, dass die ganze Zeit über etwa ein Prozent der Erwachsenen sich aktiv politisch engagiert. Und etwa 20 Prozent betätigen sich regelmäßig ehrenamtlich.
Ein rückläufiger Trend ist nicht erkennbar. Auch Jugendliche engagieren sich unverändert häufig. Natürlich oft nicht auf den angestammten Feldern – traditionelle Gesangsvereine sind vielerorts im Aussterben begriffen. Aber dafür werden neue Vereine gegründet. Und zwar so viele, dass – trotz insgesamt gleichgebliebenen Engagements – viele neue und alte Vereine jeweils über Nachwuchsmangel klagen. Das liegt etwa daran, dass es in vielen Gemeinden heute nicht nur einen Fußball- und einen Turn-und-Sport-Verein gibt, die insgesamt nur zwei Vorstände brauchen, sondern etliche Sportvereine vom Basketball über den Fußball zum Tennis. Und jeder einzelne Verein braucht einen Vorstand.
Es mag sein, dass es gut wäre, wenn viel, viel mehr Menschen sich bürgerschaftlich engagieren würden. Aber es stimmt schlicht und einfach nicht, dass das Engagement in den letzten Jahrzehnten vom „Konsumismus” – wie Barber das nennt – buchstäblich aufgefressen wurde. Da ehrenamtliches und politisches Engagement – und intellektuelle Zeitverwendung – ganz stark mit dem Bildungsniveau zunehmen, wird, zumindest weltweit gesehen, mit steigenden Bildungsraten, die der technisierte Kapitalismus erzwingt, auch die Ausdehnung der sogenannten Zivilgesellschaft zunehmen. Der Kapitalismus wird sich sicherlich nicht von selbst mäßigen; aber die globale Notwendigkeit steigender Bildung könnte sich als „Autoimmunfunktion” (Barber) des Konsumismus erweisen.
Wenn man Benjamin Barbers wirres Buch aus der Hand legt, fällt einem der erste Satz seiner Danksagung ein. Barber betont, dass „Consumed” einen Großteil seiner Zeit „konsumiert” habe. Das ist nicht nur ein Wortspiel, sondern auch ein weiteres Beispiel für die gedanklichen Ungenauigkeiten Barbers: Wenn ein professioneller Autor und Professor an der University of Maryland ein Buch schreibt, sollte man eigentlich erwarten, dass er Zeit investiert, um ein gutes Buch zu schreiben. Wenn freilich Benjamin Barber beim Schreiben nach eigener Einschätzung tatsächlich nur seine Zeit konsumptiv totgeschlagen hat, dann versteht man besser, warum sein Buch ist, wie es ist. GERT G. WAGNER
BENJAMIN R. BARBER: Consumed. Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Bürger verschlingt. Aus dem Englischen von Friedrich Griese.Verlag C. H. Beck, München 2008. 339 Seiten, 24,90 Euro.
Barbers These: Überflüssige Bedürfnisse machen uns zu infantilisierten Konsum-Idioten
Dass der Einsatz fürs Gemeinwohl schwächer geworden sei, ist eine beliebte, aber falsche Behauptung
Der US-Politologe Benjamin R. Barber will das Gestrüpp des freien Marktes beschneiden. Er ist Kommunitarist, hat die Bücher „Strong Democracy” (1984) und „Jihad vs. McWorld” (1995) geschrieben und gerade in einer Reihe von Lesungen sein Buch „Consumed” in Deutschland vorgestellt. Foto: Ekko von Schwichow
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2009

Mir ist Krise ein allzu nonchalantes Wort
Benjamin R. Barber rechnet mit dem Shopping ab

"Die Zeit der Wunschzettel ist vorbei", erläutert der Regierungssprecher den Krisenbegriff. Wie falsch! "In Zeiten wie diesen" (hessisches CDU-Wahlplakat) geht die Zeit der Wunschzettel erst richtig los. Krisenzeit heißt "Wünsch dir was!", sie wagt den Ausgriff ins Mögliche, treibt einen Reichtum der Perspektiven hervor, ist im Ursinne Entscheidungssituation, wie es noch die englische Redewendung We must bring things to a crisis verdeutlicht.

Wir sollten uns mit dieser Sicht der Dinge wappnen, bevor wir zu einem Buch wie dem des amerikanischen Politikwissenschaftlers Benjamin R. Barber greifen. Unter dem Titel "Consumed!" rechnet Barber in der Wirtschaftskrise mit unserer Konsumkultur ab, der Verlag hat noch den dröhnenden Untertitel hinzugefügt: "Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt". Markige Antworten, aber was war noch mal die Frage?

Die Auseinandersetzung mit dem Buch lohnt gleichwohl, weil sie für einen Typus von Kulturkritik steht, der verführerisch ist, aber dennoch voll danebenliegt. Warum liegt solche Kulturkritik, die verwegen aufs Ganze geht, voll daneben? Weil sie in Krisenzeiten über Strukturen jammert, wo sie besser nach den Kräften und Eigenschaften fragen sollte, die ein Mensch mobilisieren kann, um stark zu bleiben und gegebenenfalls schnell wieder auf die Beine zu kommen. Es ist diese individuelle Perspektive, die einen Mehrwert verspricht: Ändert sich der Mensch, wenn er in Schwierigkeiten gerät? Wird er beweglicher, wesentlicher? Oder wird er zum Getriebenen seiner Befürchtungen? Barber hat für solche Fragen keine Antenne. Er kritisiert Konsumismus, ja Hyperkonsumismus - ohne zu sagen, wo Konsumismus endet (bei der Zweitzahnbürste?) und Hyperkonsumismus beginnt (beim Flachbildschirm?).

Stattdessen die flächige Abrechnung mit dem System Kapitalismus, mit Marketing, Werbung und Shopping: "Der Konsumismus hat etwas Aggressives, ja sogar Totalisierendes an sich. Faktisch werden die mannigfachen Sektoren, auf denen die Vielfalt der Kultur beruht, kolonisiert und ersetzt durch eine homogenisierte Umgebung aus Marketing, Werbung und Shopping - falsche Gefühle und simulierte Empfindungen - sowie durch massenhafte popkulturelle Waren, die den kulturellen Pluralismus einengen."

Barbers Perspektive ist falsch gewählt. Der kulturelle Pluralismus ist nichts, was sich gesamtgesellschaftlich herstellt, sondern nur in den Herzen und Köpfen Einzelner. Dort werden die Wunschzettel geschrieben, dort entstehen Gefühle und Empfindungen, und ob sie falsch sind oder echt, ob simuliert oder authentisch - das hängt davon ab, wie es uns gefällt (Shakespeare), und ist nicht determiniert durch den konsumistischen Grad der Umgebung (Barber). Umgebung ist für den Krisengewinnler nur ein Rauschen.

Nebenbei gefragt: Welche Umgebung wäre so ursprünglich, dass sie nicht von irgendetwas kolonisiert wäre? Zerfällt sie nicht als Umgebung, kaum dass die Spuren ihrer Kolonisation unsichtbar werden? Man könnte eine Umgebung gar nicht wahrnehmen, hätte sie nicht bis zu einem gewissen Grad ein homogenisiertes Aussehen. Kein Wald ohne Aufforstung, ohne den Kolonialherrn namens Förster. Welches utopische Reinheitsideal verficht Barber, wenn er von einer durch Marketing, Werbung und Shopping unberührten Kultur der Sektoren träumt? Sektorales Denken lässt Kulturkritik in die Irre laufen. Glaubt Barber an die Reinkultur? Und übersieht, dass alles Reale ein Synkretismus ist, jede Kultur Fusionskultur?

Krise und Krisengerede bedingen einander. Das Deutungsmuster Krise hat die Tendenz zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung (es prägt die Wahrnehmung von Situationen, die es angeblich nur beschreibt). "Mir ist Krise ein allzu nonchalantes Wort", schreibt Gottfried Benn im "Radardenker". Recht hat Benn. Ein Krisenszenario ist ein spektakulärer, dramatisch-theatralischer Befund, der zum Teil höchst heterogene Phänomene bündelt. Es dient immer auch der Selbstermächtigung der Krisenmanager, ihrer Sparpläne und Therapien. Barber indessen verwechselt den Krisendiskurs mit der Krise selbst. Deshalb wird er zum haltlosen Alarmisten: Durch den Konsumismus sieht er die Demokratie bedroht und das Kulturwesen Mensch vor seiner Selbstabschaffung. Werbung, Marketing und Shopping bilden eine Achse des Bösen. Der letzte Konsumist macht das Licht aus.

In solcher Wahrnehmung schießen obsessive Phantasien ins Kraut. Barber boykottiert die intellektuellen Tugenden, auf die es in der Krise ankommt: Affektregulierung, die Fähigkeit zur angemessenen Mentalisierung, also die Bereitschaft, seine Gedanken und Gefühle nicht einfach als Abbild der äußeren Realität zu nehmen. Der hysterische Grundton des Buches hat viel damit zu tun, dass Barber die Unmittelbarkeit des Erlebens nicht suspendieren kann. Ihm fehlt der Spielraum, um über die angsterregenden Vorstellungen, die er sich vom Konsumismus macht, noch einmal nachdenken zu können.

Macht nichts. Denn unfreiwillig befördert Barbers kulturpessimistisches Manifest den Kulturoptimismus. Der Leser versteht: Kultur wächst, um zu überleben, ständig über sich hinaus. Jede Bedrängnis setzt an den Rändern vitale Kräfte frei. Auf diese lohnt sich zu achten, nicht auf den Homogenisierungsdruck im Zentrum. Kultur ist ein Oppositionsphänomen. Sie entsteht nicht trotz, sondern wegen der Schwierigkeiten, in die sie gerät. Es bedarf dafür bloß derer, die unter dem Druck, kolonisiert zu werden, zu Partisanen werden. Und im überraschenden Wechsel von Angriff und Rückzug ihr Wertvollstes verteidigen: ihre eigene, aus kräftigen Wurzeln genährte Kultur. Die verteidigen sie im Zweifel gern auch gegen sich selbst. Und machen so unter Druck die beste Figur: grace under pressure.

Warum verschließt der Autor vor so viel Denk- und Tatkraft des Bürgers die Augen? Warum sieht er überall nur verführte und infantilisierte - Opfer? Benjamin Barber ist leider nicht der Mann, der sich in schweren Zeiten hinsetzt und Wunschzettel schreibt. Er ist kein Krisenmanager. Er ist ein Schwarzseher, der uns verrückt machen will.

CHRISTIAN GEYER

Benjamin R. Barber: "Consumed!" Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt. Aus dem Englischen von Friedrich Griese. Verlag C. H. Beck, München 2008. 395 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Benjamin Barbers Buch "Consumed" hat Gert G. Wagner keineswegs überzeugt. Die umfassende Konsumismus-Kritik des Politologen scheint ihm nicht nur zu undifferenziert, sondern auch voll von Widersprüchen. Auch wenn er dem Autor hinsichtlich der Bedeutung des sozialen Engagements für den Zusammenhalt einer Gesellschaft zustimmt, widerspricht er ausdrücklich dessen These vom gegenwärtigen Untergang des Engagements aufgrund eines pervertierten Konsumverhaltens, das aus Bürgerinnen und Bürgern infantilen Idioten mache. Er hält dem Autor im Detail zahlreiche Widersprüche vor, ärgert sich über die Unterschlagung von historischen und aktuellen Fakten und moniert kleinere Fehler. Außerdem missfällt Wagner das exzessive Name-Dropping, das Barber betreibt. Für ihn insgesamt ein "wirres Buch".

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