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Heiterkeit, ursprünglich ein Schönwetterwort und Ausdruck sorgloser Entrücktheit in Götterhimmeln, war für manchen Serenissimus unter den Fürsten ein quasi-göttlicher Zustand, in dem sich festlich regieren und "_jovial"_ repräsentieren ließ. Dann griffen die Dichter nach der Heiterkeit und erwählten sie sich, dem "_Ernst des Lebens" zum Trotz, als sublimes Attribut der klassischen Kunst und Literatur. So begann, dunkel grundiert, die glanzvolle literarisch-philosophische Karriere der Heiterkeit, die der deutschen Literatur für zwei Jahrhunderte einen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt hat.…mehr

Produktbeschreibung
Heiterkeit, ursprünglich ein Schönwetterwort und Ausdruck sorgloser Entrücktheit in Götterhimmeln, war für manchen Serenissimus unter den Fürsten ein quasi-göttlicher Zustand, in dem sich festlich regieren und "_jovial"_ repräsentieren ließ. Dann griffen die Dichter nach der Heiterkeit und erwählten sie sich, dem "_Ernst des Lebens" zum Trotz, als sublimes Attribut der klassischen Kunst und Literatur. So begann, dunkel grundiert, die glanzvolle literarisch-philosophische Karriere der Heiterkeit, die der deutschen Literatur für zwei Jahrhunderte einen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt hat. Harald Weinrich skizziert in seinem brillant geschriebenen Essay die herausragenden Stationen dieses Weges durch die Geschichte. Er führt uns in die Gesellschaft von Goethe und Schiller, wir begegnen Kant, Hegel, Schopenhauer und Nietzsche, die alle der Heiterkeit auf je eigene Weise noch tiefer auf den Grund gegangen sind. Im zwanzigsten Jahrhundert erwarten uns dann solche Gegensätze wie Thomas Manns "höhere Heiterkeit"_, Ernst Jüngers angestrengt soldatische und Günter Eichs längst nicht mehr "güldene"_ Heiterkeit. Der schwärzeste Schatten ist jedoch von Auschwitz her auf die Heiterkeit gefallen. Ob damit für immer der Stab über sie gebrochen ist, bleibt eine offene Frage. Zu ihrer Beantwortung sind unerläßlich solche literarisch-philosophischen Erkundungen wie diejenigen dieses nachdenklichen Essays, der gleichwohl wieder zur Heiterkeit ermutigen will, mehr denn je auf dunklem Grund.
Autorenporträt
Harald Weinrich, geb. 1927, war zunächst als Professor für Sprach- und Literaturwissenschaft an den Universitäten Kiel, Köln, Bielefeld und München tätig. Seit 1992 lehrte er am College de France, Paris, wo er jetzt als Professor für Romanistik emeritiert ist. U.a. sind von ihm erschienen Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens ( 2000) und Linguistik der Lüge (2000). Ein vollständiges Schriftenverzeichnis enthält sein Buch Sprache, das heißt Sprachen (Tübingen, 2001).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2001

Strichweise bedenklich
Harald Weinrichs kleine Literaturgeschichte der Heiterkeit

Es ist ein Wetter- und Himmels-Wort, eines von den Wörtern, die von alters her so selbstverständlich ihren Ort von draußen zu uns ins Innere gefunden haben, daß wir dabei kaum mehr an seine Metaphorik denken, obgleich wir es, wenn auch nicht gerade täglich, ebenso im Wetterbericht unmetaphorisch zu hören bekommen. "Heiterkeit", ein Geistes- und Gemütszustand, der "Betrübnis" entgegengesetzt. Sie ist so kontinuierlich von Dichtern und Philosophen angerufen und gepriesen worden, überdies, wie der Autor versichert, in der deutschen mehr als in anderen Literaturen, daß die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihr nicht ausbleiben konnte - eine nur die letzten 25 Jahre umfassende Auswahl-Bibliographie, die das vorliegende Buch Harald Weinrichs enthält, deutet den Umfang dieser Beschäftigung an.

Es ist ein eminent "klassisches" Wort - überall sich einstellend, wo von der griechischen Antike die Rede ist, und vor allen anderen den Weimarer Klassikern unentbehrlich. Es hat seinen festen Platz, wo die Kunst vom Leben, von der Welt und von sich selbst spricht, und in jeder "Diätetik der Seele", jeder "Lebensordnungs- und Gesundheitslehre", spielt es eine Rolle. Da benennt es in seinem umfassendsten Sinn den Zustand des "richtigen", des "guten Lebens" und hat mit der Heiterkeit, die sich mit Gelächter verbindet, nichts zu tun. Aber freilich ist seine Semantik damit nicht umschrieben. Natürlich benennt es auch eine kommunikative Haltung - Goethes "Ich liebe mir den heitern Mann / Am meisten unter meinen Gästen" - oder den Zustand, der sich so in einer Gesellschaft herstellt. Schließlich geht "heiter", auf dem Weg über sein lateinisches Äquivalent "serenus", in das Bild des Souveräns ein, des Serenissimus, dessen "quasi-göttliche Serenität", wie Weinrich sagt, sich wiederum aus der Beziehung auf den "Jupiter serenus" speist, aus der dann die Heiterkeit der "Jovialität" wird. Und solcher Bedeutungsvielfalt entsprechen die Begriffe, denen sich die Heiterkeit entgegensetzt: Ernst, Erdenschwere, Trübsinn, Schwermut. Welche Rolle der Begriff in der Ästhetik der klassischen Periode unserer Literatur spielt, spricht sich in Schillers Vers aus: "Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst." Und welche Aktualität diese Heiterkeit über die Jahrhunderte hin behalten hat, bekundet sich in Theodor W. Adornos Essay "Ist die Kunst heiter?" aus dem Jahr 1967 und den kontroversen Diskussionen, die sich daran anschlossen.

Weinrichs "Kleine Literaturgeschichte der Heiterkeit" versteht sich als Apologie der Heiterkeit gegen ihre modernen Verächter. Sie bietet einen kursorischen Überblick über den Gebrauch des Wortes bei einer Reihe von Autoren seit Goethe. Eine eigentliche Begriffsgeschichte wird nicht daraus, und auch das Interesse, von Heiterkeit aus die Texte zu erschließen, in denen das Wort sich so bedeutsam macht, hat Weinrich nicht weiter verfolgt. Daß er seine Literaturgeschichte "klein" nennt, schränkt den Anspruch ein, den er erhebt, und reklamiert doch noch zuviel: Zutreffender wäre es gewesen, von andeutenden Materialien zu einer kleinen Literaturgeschichte zu sprechen.

Goethes Wortgebrauch, mit dem Weinrich einsetzt, sind noch elf Seiten gewidmet, dem Schillers drei, Hölderlin und Kleist müssen sich wie die folgenden Autoren von Heine und Stifter bis Thomas Mann und Ernst Jünger mit noch weniger begnügen, ebenso die Philosophen Hegel, Schopenhauer, Nietzsche. Überblickt man die dabei zustande kommende Reihe, stellt sich der Eindruck der Zufälligkeit dieser Auswahl ein. Warum nicht so viele andere? Gottfried Keller zum Beispiel oder Theodor Fontane, die nicht einmal als Namen auftauchen.

Daraus, daß es ein Büchlein, kein Buch sein sollte, resultieren wohl auch die verkürzten, fast nur stichwortartigen Kommentierungen, mit denen Weinrich den Belegen zum Wortgebrauch von Heiterkeit bei einem Autor literaturgeschichtlich Vertrautes - Basiswissen - zugesellt. Da wirkt vieles wie eine Erinnerung des Lesers an Dinge, die er kennt. Welche Art von Leser Weinrich dabei vor Augen hat, ist allerdings undeutlich. Manchmal scheint er seine Adressaten nicht etwa als Mitglieder einer Akademie der Wissenschaften sich vorzustellen, vor denen er früher einmal über das Thema sprach, eher als Besucher der Volkshochschule, denen er zum Beispiel mitteilen muß, daß Schillers "Wallenstein" ein Drama ist, "das in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges spielt".

Unverzichtbare Differenzierungen bleiben aus: Obwohl die aus dem "Zauberberg" angeführten Textstellen fast durchweg von "angeheitert", "aufgeräumt", "beschwipst" sprechen, bringt Weinrich den Roman, dessen zwielichtige Welt so augenscheinlich wenig mit ihr zu tun hat, schlichtweg auf den Begriff "Heiterkeit". Sein Bemühen, den Vortrag in einem erzählenden Plauderton zu halten - wie vollkommen er ihn beherrscht, zeigt er aufs schönste auf den ersten Seiten des Büchleins -, schafft zwar die Glätte der Diktion. Aber während man sich lesend auf ihr mühelos fortbewegt, bleibt die Wahrnehmung nicht aus, daß man auf einer Oberfläche gleitet. "Heiterkeit noch einmal in ihrem mildesten Licht, verkleinert jedoch zum Format des Biedermeier", findet Weinrich in Stifters "Nachsommer". Das ist selbst eine "biedermeierliche" Art, diesen Roman zu lesen, der zwar die Physiognomie seiner erzählten Welt wie durch eine plastische Operation zu glätten bemüht ist und doch seine Abgründigkeit, seine Obsessionen und Pathologien nicht "biedermeierlich" zum Verschwinden bringt.

Weinrich - von Hause aus Romanist, vielsprachig, vielwissend, auch in der antiken, deutschen, englischsprachigen Literatur bewandert, Linguist, Philologe, Literarhistoriker und Literaturtheoretiker - gehörte zum Kreis der Philologen, Historiker und Philosophen, die seit den sechziger Jahren unter der Devise "Poetik und Hermeneutik" mehr als drei Jahrzehnte zusammenarbeiteten, fern jener nun dominanten wissenschaftlichen "Spezialeinheiten", deren Lust zur Absonderung sich in einer immer exklusiver werdenden methodischen Sondersprache bekundet und die eine Beziehung zu einer Öffentlichkeit so wenig mehr kennen, wie sie selbst irgendeiner gelehrten Öffentlichkeit bekannt sind. Weinrichs Bücher und Studien sind exemplarische Dokumente einer geisteswissenschaftlichen Gelehrsamkeit, die sich, wissens- und bildungsgesättigt, in einer Sprache mitzuteilen weiß, die eine interdisziplinäre Gemeinsamkeit des Verstehens zugleich voraussetzt und schafft. Der Titel einer seiner Aufsatzsammlungen, "Literatur für Leser", war Programm und gilt auch für das, was er selbst schrieb: ein Geist von jener Bildung, die sich noch immer mit dem sozialen Substrat Bildungsbürgertum verband, mochte auch dessen Wirklichkeit außerhalb der akademischen Welt nur mehr in einer Diaspora sein.

So greift man zu dem vorliegenden Büchlein mit der Vorfreude darauf, sich von einem bedeutenden Gelehrten und Stilisten auf eine Weise belehren zu lassen, die nicht dem Gang ins Schlaraffenland gleicht, der bekanntlich mit der Bedingung verbunden ist, sich durch einen dicken Grießbreiberg hindurchfressen zu müssen. Weglegen aber wird man es einigermaßen konsterniert. In nicht weniger als sechs Publikationen hat Weinrich sich mit dem Gegenstand "Heiterkeit" beschäftigt, und nun diese siebente als letzte Fassung? Es passiert einem Autor wohl, dem eine Sache so nah am Herzen liegt, daß es dem Kopf schwerfällt, an sie heranzukommen. Und mit schuldigem Respekt vor einem Gelehrten, dem er so reiche Belehrung aus so bedeutenden Werken verdankt, fällt dem Rezensenten in diesem Fall Goethes Seufzer nach der Lektüre eines Romans von Ludwig Tieck ein: "Den vortrefflichen Sternbald lege ich bei, es ist unglaublich, wie leer das artige Gefäß ist."

KURT WÖLFEL

Harald Weinrich: "Kleine Literaturgeschichte der Heiterkeit". Verlag C. H. Beck, München 2001. 64 S., br., 20,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rolf-Bernhard Essig gibt in seiner kurzen Kritik zu, dass er mit dieser Geschichte der Heiterkeit in der deutschen Literatur deshalb so unzufrieden ist, weil er von dem Autor Genialisches erwartet hat und nicht nur "geistreiche und kurzweilige Streifzüge". Aber bei dieser hohen Erwartungshaltung kann ihn das mitunter "Additive" der Darstellung genauso wenig überzeugen wie die "unklare Struktur". Außerdem bemängelt er die manchmal allzu "gewaltsame Art", mit der Weinrich weit Auseinanderliegendes zusammenzwinge. Dennoch preist er den Autor schließlich als "Zierde seiner Zunft" und lobt das Buch dafür, "im besten Sinne Literatur für Leser" zu sein.

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