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Produktdetails
  • Rote Reihe
  • Verlag: Das Neue Berlin
  • Seitenzahl: 314
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 402g
  • ISBN-13: 9783360010162
  • ISBN-10: 3360010167
  • Artikelnr.: 09011741
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2001

Weiter im Stechschritt . . .
Verklären statt aufklären: NVA-Offiziere erteilen Politunterricht

Walter Jablonsky/Wolfgang Wünsche (Herausgeber): Im Gleichschritt? Zur Geschichte der NVA. Edition ost im Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2001. 315 Seiten, 29,90 Mark.

Im Jahre 1998 brachte der Oberst der Nationalen Volksarmee und letzte Chefredakteur ihrer Zeitschrift "Militärwesen", Wolfgang Wünsche, unter dem Titel "Rührt Euch! Zur Geschichte der NVA" einen Sammelband heraus. Die jetzt vorliegende Publikation "Im Gleichschritt?" hat Wünsche zusammen mit einem Kapitän zur See a. D. der Bundesmarine, Walter Jablonsky, veröffentlicht. Um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis ist trotzdem alles andere als ausgewogen. Von zwei Aufsätzen abgesehen, vereint "Im Gleichschritt?" Beiträge von NVA-Offizieren im Obersten- und Generalsrang, alle zwischen 1932 und 1935 geboren und damit Repräsentanten jener Funktionselite, die es bis zum Ende der DDR nicht bis an die Schaltstellen der Macht gebracht hatte, die sich aber die unzweifelhafte militärische Effizienz und Kampfkraft der Arbeiter-und-Bauern-Armee zugute halten konnte.

Die durchgängige Fragestellung soll sich darauf richten, ob und inwieweit die NVA von der sowjetischen Armee fremdbestimmt oder eine eigenständige Kraft im Rahmen der Streitkräfte des Warschauer Paktes war. Der Titel und die Fragestellung lassen dabei schon die Begrenztheit des Standpunktes erkennen: Letztlich ging es natürlich nicht um die NVA und die Rote Armee, sondern um die Frage nach Eigenständigkeit und Abhängigkeit der DDR von der Sowjetunion.

Wie die Sicherheitspolitik der DDR und das Denken der meisten NVA-Kader reduziert auch der vorliegende Band die komplexen Fragen der Sicherheitspolitik auf eine reine Militärpolitik - und greift mit dieser Militarisierung des Denkens schon zu kurz. Aber selbst wer nur zu dieser eingeengten Fragestellung neue Erkenntnisse erwartet, wird enttäuscht werden. Am ehesten wird noch der Beitrag des früheren Leiters des Militärgeschichtlichen Instituts der DDR, Generalmajor Professor Dr. Brühl, dem gestellten Anspruch gerecht. Brühl wertet die neuere Literatur sowie einige Archivquellen aus und kommt mit bedenkenswerten Argumenten zu dem Ergebnis, die NVA sei als völlige Marionette der Sowjets entstanden, habe sich aber dann durch ihre professionelle Qualität zunehmend emanzipiert. Damit jedoch habe die DDR als Ganze auch den Anschluß an den Reformprozeß in der Sowjetunion verpaßt. Die DDR-Führung habe sich freiwillig in die Abhängigkeit von der Sowjetunion begeben, "war sie doch für die DDR und für die Wahrung des Machterhalts dieser Führung von existentieller Bedeutung".

Als einziger West-Autor referiert Jablonsky in zwei Aufsätzen seinen Kenntnisstand als Bundeswehroffizier der achtziger Jahre über die späte NVA. Daß die Forschung seither über die NVA viel Neues hervorgebracht hat, berücksichtigt er kaum.

Danach beginnt vollends der Reigen der Unverbesserlichen. Generalmajor a. D. und Diplom-Militärwissenschaftler Deim berichtet über strategisches und operatives Denken der NVA - und geht dabei nach wie vor von den aggressiven Absichten der "westlichen Konfrontationsseite" aus. Da ist die Rede von "westlichen Geheimdienstoperationen, den Wirtschaftsboykotts und anderen destruktiven Operationen", die letztlich den Bestand der sozialistischen Nationen erschütterten: "Im Ergebnis dieser Einflußnahme verringerten sich in den sozialistischen Ländern das Entwicklungstempo der Wirtschaft und der Lebensstandard der Bürger."

Joachim Schunke präsentiert das Feindbild der DDR und der NVA. Er versucht, diesen Begriff als "Kenntnisse über politische Verhältnisse und Leistungsfähigkeit der Streitkräfte eines möglichen Angreifers" zu verharmlosen - frei nach dem (westlichen) Duden. Aber schon auf der folgenden Seite räumt er ein, welch großen Wert das "Feindbild" für das "Wehrmotiv der Armeeangehörigen" gehabt habe. Diese Art Feindbild führt er dann ausführlich vor Augen - der Bezug zur Sowjetunion, zur Rolle der NVA und zum Warschauer Pakt gerät völlig aus dem Blick vor lauter Details über die Aggressionsbereitschaft der westlichen Armeen, die vor allem während ihrer Herbstübungen gefährlich angriffsfähig gewesen seien.

Martin Kunze berichtet über das Nuklearwaffenpotential der DDR. Wer wenigstens hier Analytisches zum Zusammenwirken von NVA und Sowjetarmee erwartet, wird erneut enttäuscht: Vor lauter Aufstellungen, Umgliederungen und sozialistischen Wettbewerben zur allseitigen Verbesserung der Gefechtsbereitschaft gerät wieder einmal die Kernfrage aus dem Blick.

Etwas aus dem Rahmen fällt dann der Schlußbeitrag des Militärhistorikers Wilfried Hanisch, der wehmutsvoll den (angeblichen oder realen?) Chancen hinterhertrauert, die NVA auch über den Tag der Einheit hinaus zu erhalten. Allein, "konservative Kräfte, die sich nicht aus den Denkmustern der Zeit des Kalten Krieges befreien konnten oder wollten", verhinderten das Fortleben der in der vorigen Artikeln gerühmten NVA.

Am Ende bleibt der Eindruck, nichts über die Frage des Verhältnisses von DDR und Sowjetunion, von NVA und sowjetischer Armee hinzugelernt zu haben. Die völlig unkritische Wiedergabe fast aller Klischees des Kalten Krieges in realsozialistischer Sichtweise läßt zumindest die Atmosphäre der NVA-Kasernenhöfe und Politunterrichte noch einmal lebendig werden.

WINFRIED HEINEMANN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Publikation , so der Rezensent Winfried Heinemann, versammelt vor allem Beiträge ehemaliger NVA-Offiziere, die zudem alle zwischen 1932 und 1935 geboren wurden. Ihre Fragestellung, inwieweit die NVA von der sowjetischen Armee fremdbestimmt bzw. eigenständige Kraft im Rahmen der Streitkräfte des Warschauer Paktes war, könne sie daher nicht ausgewogen beantworten. NVA-Kader-typisch würden komplexe Fragen der Sicherheitspolitik auf solche reiner Militärpolitik reduziert. Doch selbst die Behandlung dieser eingeschränkten Fragestellung enttäuscht den Rezensenten. Am nächsten kommt seinen Erwartungen der Beitrag des Ex-Generalmajors Prof. Dr. Brühl, der seine These, die NVA sei als Marionette der Sowjets entstanden, habe sich dann aber durch ihre professionelle Qualität emanzipiert, mit "bemerkenswerten Argumenten" untermauere. Heinemann bespricht im Folgenden noch einige weitere Einzelbeitrage, kommt am Ende indes zu dem Ergebnis, nicht das Geringste dazugelernt zu haben. Obzwar: "Die völlig unkritische Wiedergabe fast aller Klischees des Kalten Krieges in realsozialistischer Sichtweise lässt zumindest die Atmosphäre der NVA-Kasernenhöfe und Politunterrichte noch einmal lebendig werden."

© Perlentaucher Medien GmbH