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Phantasien, die Welt der Phänomene, werden uns dadurch zugänglich, daß wir sie mit den Maßstäben vertrauter Denkmuster messen. Entweder spiegeln sie unsere Erwartungen wider, oder sie enttäuschen das Verlangen nach Vertrautem und zwingen uns dazu, bekannte Muster zu überdenken oder neue Sprachbilder zu gestalten. Im Bildrepertoire unserer Kultur erhoffen wir uns die Bestätigung von Erlebnissen und können so die Wahrnehmung erneuern. Dieses Wechselspiel wird nirgends deutlicher als beim Kino. Filme funktionieren wie Szenen unseres psychischen Theaters: Sie versprechen die Erfüllung intimster…mehr

Produktbeschreibung
Phantasien, die Welt der Phänomene, werden uns dadurch zugänglich, daß wir sie mit den Maßstäben vertrauter Denkmuster messen. Entweder spiegeln sie unsere Erwartungen wider, oder sie enttäuschen das Verlangen nach Vertrautem und zwingen uns dazu, bekannte Muster zu überdenken oder neue Sprachbilder zu gestalten. Im Bildrepertoire unserer Kultur erhoffen wir uns die Bestätigung von Erlebnissen und können so die Wahrnehmung erneuern. Dieses Wechselspiel wird nirgends deutlicher als beim Kino. Filme funktionieren wie Szenen unseres psychischen Theaters: Sie versprechen die Erfüllung intimster Wünsche, indem sie uns erlauben, Begehren oder Erschrecken, Ängste oder Hoffnungen durchzuspielen die Kinoleinwand wird zum Spielfeld halluzinatorischer Wunsch- und Wahnvorstellungen. Gleichzeitig jedoch ist das Kino öffentlich. Es dient wirtschaftlichen Interessen und zielt auf die Bedürfnisse eines heterogenen Publikums. Wessen Phantasie stellt eine gefilmte Szene dar die des Betrachtenden, des Regisseurs, die einer kulturellen Gemeinschaft? Oder ist Kino die Schnittstelle zwischen individuellem Genießen und kollektiv anerkanntem Gesetz? Die hier vereinten Aufsätze über Klassiker der Filmgeschichte - u.a. Josef von Sternbergs »Der blaue Engel«, Alfred Hitchcocks »Rebecca«, Victor Flemings »The Wizard of Oz«, David Finchers »Seven«, Tim Burtons »Batman«, John Fords »The Searchers«, John Sayles »Lone Star«, Douglas Sirks »La Habanera« und »Imitation of Life« oder Fritz Langs »Secret Beyond the Door« sind Bravourstücke präzisen Hinsehens und Denkens. Elisabeth Bronfen inszeniert die Theorie zu farbenprächtigen, bewegten Bildern »den Leser nimmt sie mit in die Vorstellung«.
Autorenporträt
Elisabeth Bronfen aufgewachsen in München als Tochter eines jüdisch-amerikanischen Anwalts und einer deutschen Mutter, Studium in Harvard und an der Münchner Schauspielschule, seit 1993 Lehrstuhlinhaberin am Englischen Seminar der Universität Zürich Spezialgebiet: Anglo-Amerikanische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.1999

Ein Fremder mit einem gefährlichen Glitzern in den Augen
Ein Fremder nur für Elisabeth Bronfen: Wir kennen die Geschichte, sie dagegen könnte im Kino stundenlang Freddy Quinn hören

Das Wunderbare am Kino ist bekanntlich, dass es die ganze Welt versammelt und vereinigt; der einzige Ort, wo alle - die Klugen und die Dummen, die Reichen und die Armen, die Frauen und die Männer, die Schwarzen, Gelben, Weißen, die Gläubigen und die Ungläubigen - die gleiche Sprache sprechen oder zumindest verstehen. Nur für neunzig Minuten, danach sind wir wieder einsam und allein - aber für diese kurze Zeit sind wir, wenn es gut geht, Teil der ganzen Menschheit gewesen: "one world", es gibt sie also doch. Jedenfalls ist das das Versprechen Hollywoods, und gelegentlich wird es gehalten. So sieht es wohl auch Elisabeth Bronfen, aber da sie nicht nur Kinogeherin, sondern auch Literaturwissenschaftlerin ist, wollte sie das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden und hat also ein Buch geschrieben.

"Heimweh: Illusionsspiel in Hollywood" ist offenbar der Versuch der Verfasserin, ihrer Leidenschaft fürs Kino wissenschaftlich Herr zu werden, was ihr ein bisschen zu gut gelingt: Am Ende, nach zehn Kapiteln und 550 Seiten, steht es 8:2 für die Wissenschaft, ein Kantersieg (die beiden Kapitel, in denen das Kino gewinnt, sind die über "The Searchers" und "Batman Returns"). Aber hatte das Kino überhaupt eine Chance? Das Buch beginnt mit einer Einleitung, wogegen an sich nicht viel zu sagen wäre, wenn diese nicht mit einem angsteinflößenden Hegel-Zitat und der desillusionierenden Überschrift "Der Gang in die Bibliothek" bestückt wäre und aus einer langen Nacherzählung von David Finchers Kultfilm "Seven" (saurer Kitsch, wenn Sie mich fragen) bestünde, die mit Bronfens Lieblingsbegriff "Kontingenz" gespickt ist und schließlich zu der Erkenntnis führt, dass wir im Kino ("virtuelle Heimat", sagt Bronfen) "nicht mehr, aber auch nicht weniger als das Versprechen eines provisorischen Glücks" erleben: offenbar ein großer Schritt für die Autorin, ein wohl eher kleiner für die kinogehende Menschheit.

Immerhin ist ihr langer Anlauf zum kurzen Sprung komisch, aber das Lachen vergeht einem schnell beziehungsweise quälend langsam, wenn man am Ende des dicken Buches feststellt, dass die Leseerfahrung der Einleitung - viel Hirsebrei, aber wo bleibt das Schlaraffenland der Erkenntnis? - sich kontinuierlich fortgesetzt hat; eine praktisch überraschungsfreie Lektüre. Im ersten Kapitel, einer Analyse von G. W. Pabsts Film "Geheimnisse einer Seele", gelangen wir ins Innere des Buches, Elisabeth Bronfen öffnet ihre Erkenntnis-Schatztruhe: Dass das Ich "nicht einmal Herr ist im eigenen Hause", liest man dort - das gute, alte Freud-Zitat aus den "Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse". In den Worten der Autorin: "Der Mensch ist sich im Kern seines Selbst fremd." Man schlägt sich an die Stirn: Natürlich! Dass man nicht selber drauf gekommen ist!

Als Freud vor gut achtzig Jahren sein Heureka ausrief und zur dritten großen Kränkung der menschlichen Größensucht erklärte, mag er ein wenig zu begeistert über seine Erfindung des Rades gewesen sein, aber es lag zweifellos nicht einfach auf der Straße. Etwas anderes ist es, wenn Elisabeth Bronfen heute mutig verkündet: Der Mensch "ist seiner selbst nicht mächtig". Es ist eine Plattitüde, die, endlos ausgewalzt, immer platter wird: "Auch in den folgenden Filmanalysen soll auf dieses Bild des seines vertrauten Heimes entfremdeten Ichs (. . .) immer wieder zurückgegriffen werden."

Immer wieder, ohne Gnade: Ob "Der blaue Engel" oder "Rebecca", ob "The Wizard of Oz" oder "La Habanera", ob "The Searchers", "Batman Returns" oder "Matrix" - Bronfen wird nicht müde, ihre Freddy-Quinn-Psychologie ("Als er kam, war er ein Fremder") zu wiederholen. Das ist nicht nur langweilig, was schlimm genug wäre, sondern auch theoretisch unfruchtbar: Bronfens zentrales Begriffspaar "Verortung" und "Entortung" ist unterkomplex, es lässt sich auf jeden Film, jede Erzählung beziehen; die Unterscheidungen, die sie trifft ("der Fremde", "der Bekannte"), sind so allgemein, dass kaum ein Film, den sie damit traktiert, erkannt wird in seiner Besonderheit - und die Augen aufschlägt.

Umständlich und mit großem terminologischen Aufwand (Kristeva!, Zizek!, Mladen "Für eine Handvoll" Dolar!) liest sie aus jedem Film heraus, was dieser in seiner schönen Oberflächlichkeit - deshalb lieben wir alle, die Klugen und die Dummen, ja das Kino - offen darbietet: unsere kindlichen Phantasien, unsere Ängste und Lüste, unsere Angstlust, kaum bearbeitet und ins Riesige gesteigert. Das ist der Grund, warum der Hollywoodfilm einer Analyse wie der Bronfens nicht bedürftig, ihrer kaum fähig ist. Im Unterschied zur Literatur liegt im Film fast alles offen zutage, so wie der Brief in Poes Erzählung "The Purloined Letter". Diesen Unterschied (ums Ganze . . .) nicht erkannt zu haben verrät die Literaturwissenschaftlerin unfreiwillig schon in der Überschrift ihrer Einleitung: "Der Gang in die Bibliothek" ist, wenn man nach Hollywood will, ein Holzweg.

Bronfens Buch ist aus einer Vorlesungsreihe entstanden. Oft hat es den Anschein, als ob der Literaturwissenschaftlerin, die sich mit Arbeiten über Tod, Weiblichkeit, Ästhetik einen Namen gemacht hat, die Welt des Films tatsächlich unheimlich ist. Ihr akademisches Sprachspiel wirkt wie ein Abwehrzauber. Sie ist fasziniert vom Kino und seinen einfachen Wahrheiten, kann sich ihnen aber nur terminologisch gepanzert nähern. Jedenfalls schleppt sie ihre ganze dekonstruktivistische Ausrüstung mit auf ihrer Expedition und kommt, dem Leser zum Verdruss, daher nur langsam voran. Dass die Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft neue Kontinente erobern will, dass sie sich nun in ihrer bewährten Weise den Film zurüstet, kann man verstehen: das System muss gefüttert werden, und vielleicht kann man von der Popularität des Kinos profitieren. Aber man sollte sich nicht so warm anziehen, wenn man Illusionsspiele in Hollywood, wo es bekanntlich warm ist, untersucht.

Für den Eingeborenen des Kino-Kontinents ist es ein kurioses Bild, jemanden im postmodernen Pelzmantel über den Sunset Boulevard stapfen zu sehen. Es kommt der Verdacht auf, dass es hier weniger darum geht, uns verstehen zu machen, was wir am Kino haben und lieben und hassen, als um einen Kolonisierungsversuch. Die Kulturwissenschaft erfährt aus dem Buch von Elisabeth Bronfen, was sie vorher schon wusste: "dass der Eintritt in die Landschaft des Erzählkinos uns auffordert, den nicht erschließbaren Kern durch seine refigurierende Umsetzung in die bildliche und erzählerische Figuration in den Griff zu bekommen, gleichzeitig aber auch die diese Selbstversicherung vereitelnde Tatsache auszuhalten lernen, dass er sich diesem Zugriff immer widersetzen wird".

Das ist schön gesagt, kommt aber über den hermeneutischen Gemeinplatz nicht hinaus. Bronfens Buch benutzt seinen Gegenstand als schlichtes Material, um gängige Konzepte zu illustrieren. Bei einem fünfzigseitigen Essay wäre das vielleicht interessant, bei einem dicken Buch ist es ermüdend. Also beschließt der Filmliebhaber nach tagelanger Lektüre, sich schleunigst zu entorten und dem Heimweh nach dem Kino, nach Illusionsspielen in Hollywood, nachzugeben.

KURT SCHEEL

Elisabeth Bronfen: "Heimweh: Illusionsspiele in Hollywood". Verlag Volk & Welt, Berlin 1999. 557 S., Abb., geb., 56,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

In einer Sammelrezension hat sich Norbert Grob mit den folgenden zehn Büchern über das Metier des Films, seinen Mythen, Machern und Mitspielern beschäftigt:
1) Robert Fischer (Hrsg.): "