Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 17,00 €
  • Gebundenes Buch

Inge Müller: eine umfassende Werkausgabe mit Texten aus dem Nachlaß.
Sie gilt als eine der faszinierendsten Lyrikerinnen der Nachkriegszeit: Inge Müller (1925-1966), die früh starb und deren Werk bisher nur in Auszügen bekannt wurde. Jetzt erscheint erstmals eine Sammlung sämtlicher Texte, darunter viele unveröffentlichte Arbeiten aus dem Nachlaß. Sie zeigt die Vielfalt ihres Schreibens, von dramatischen Texten wie Hörspielen und Theaterstücken, Prosaszenen, Romanfragmenten und Lyrik. Inge Müller, geboren in Berlin, war nach Kriegsende Sekretärin, Trümmerfrau, Arbeiterin, Journalistin,…mehr

Produktbeschreibung
Inge Müller: eine umfassende Werkausgabe mit Texten aus dem Nachlaß.
Sie gilt als eine der faszinierendsten Lyrikerinnen der Nachkriegszeit: Inge Müller (1925-1966), die früh starb und deren Werk bisher nur in Auszügen bekannt wurde. Jetzt erscheint erstmals eine Sammlung sämtlicher Texte, darunter viele unveröffentlichte Arbeiten aus dem Nachlaß. Sie zeigt die Vielfalt ihres Schreibens, von dramatischen Texten wie Hörspielen und Theaterstücken, Prosaszenen, Romanfragmenten und Lyrik.
Inge Müller, geboren in Berlin, war nach Kriegsende Sekretärin, Trümmerfrau, Arbeiterin, Journalistin, Volkskorrespondentin. Freischaffend ab 1953, arbeitete sie gemeinsam mit Heiner Müller an Hörspielen und Stücken. Die Themen ihrer Gedichte - das Trauma des Krieges, die Kämpfe im Kessel von Berlin, ihre Verschüttung in den Trümmern - galten ihrerzeit als nicht zeitgemäß, und lange stand sie , deren Talent und schriftstellerische Bedeutung unbestritten sind, im Schatten des Lebensgefährten Heiner Müller. Jetzt wird die beunruhigende Stimme einer vergessenen Autorin wieder erlebbar und ihr fragmentarisches Bild erweitert.
Autorenporträt
Inge Müller wurde 1925 in Berlin geboren, im Januar 1945 als Luftwaffenhelferin eingezogen, drei Tage nach einem Bombenangriff auf Berlin verschüttet. Nach Kriegsende verschiedenste Tätigkeiten als Sekretärin, Trümmerfrau, Arbeiterin, Journalistin, Volkskorrespondentin. Von 1951 bis 1959 lebte sie in Lehnitz bei Oranienburg, dann wieder in Berlin. 1953 Bekanntschaft mit Heiner Müller, 1955 Eheschließung. Freischaffend ab 1953, Zusammenarbeit mit Heiner Müller an mehreren Stücken ("Die Korrektur", 1958; "Der Lohndrücker", 1958; "Klettwitzer Bericht", 1959), Kinderbuchautorin (u.a. "Wölfchen Ungestüm", 1955), Hörspiele ("Die Weiberbrigade, 1960), Texte für das Theater, Prosaszenen, Romanfragmente, Lyrik. 1966 Freitod.Die bisher einzigen Gedichtbände erschienen nach ihrem Tode: Poesiealbum Inge Müller, 1976; Wenn ich schon sterben muß. Gedichte, hrsg. von Richard Pietraß, 1985.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2002

Fragt den Hund, nicht mich!
Eine Biographie und eine Werkausgabe Inge Müllers

Gattinnen-Literatur ist ein böses Wort. Wie falsch solch ein Vorbehalt sein kann, erwies erst im vergangenen Jahr Veza Canettis "Der Fund", die letzten Stücke aus einem höchst bemerkenswerten Nachlaß. Inge Müller, Jahrgang 1925, könnte zu einem vergleichbaren Fall werden. Mit zwei gerade erschienenen Büchern, einer Biographie und der bislang vollständigsten Werkausgabe, tritt sie jetzt endgültig aus dem Schatten Heiner Müllers hervor. Posthum, wie sich versteht, denn auch sie zerbrach an ihrem Schicksal. Nach zahlreichen vorangehenden Versuchen nahm sie sich 1966 das Leben. Ihr Grab auf dem Berliner Friedhof Pankow hat Heiner Müller nach der Beerdigung nie wieder besucht. Er bezeichnete sie einmal als Penthesilea und attestierte ihr "eine kleistische Vorstellung von der Liebe". Nicht bloß im Epitaph "Todesanzeige", sondern in vielen seiner Texte läßt sich die "Frau mit dem Kopf im Gasherd" nicht mehr auslöschen - überall spukt sie als Wiedergängerin herum. Zuvor ist Inge Müller darin als Koautorin präsent. Frühe Stücke wie "Der Lohndrücker" und "Die Korrektur" entstehen gemeinsam, beide Schriftsteller werden dafür mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet, doch Inge Müllers Name verschwindet später von den Titelblättern.

Für viele andere Arbeiten des Schriftstellerpaares läßt sich die wechselseitige Beteiligung kaum quantifizieren. Gleichwohl äußerte sich Heiner Müller nicht eben anerkennend über die literarischen Talente seiner Frau. Inge Müller war nicht nur als Kinderbuchautorin lange vor ihrem Mann erfolgreich. Mit einer Bearbeitung von Viktor Rosows Stück "Auf dem Wege" eroberte sie auch vor ihm die Bühnen der DDR und konnte so 1965 eine Gastspieltruppe des Deutschen Theaters nach Frankfurt am Main begleiten. Doch trotz allgemeinen Beifalls für diesen "wahren Anfang" zum Kulturaustausch, den damals Günther Rühle - "nicht nur aus Ost-West-Freundlichkeit" - in dieser Zeitung pries, blieb ihr Name dabei unerwähnt.

In den letzten Kriegstagen versieht die zwanzigjährige Ingeborg Meyer - wie sie da noch heißt - ihren militärischen Zwangsdienst. Nach verschiedenen Reichsarbeitseinsätzen in der Steiermark wird sie 1945 als Luftwaffenhelferin eingezogen und nach einem Fluchtversuch zur Flak strafversetzt. Im Berliner Häuserkampf steht sie an den Geschützen der Wehrmacht, die am 23. April Bomben über ihrem Kopf auf die eigene Stadt abwirft und dabei beide Eltern tötet. Sie selbst wird von einem einstürzenden Haus verschüttet und überlebt in einem Hohlraum, aus dem man sie erst drei Tage später befreit. Am Tag nach der Kapitulation findet sie die toten Eltern im Keller ihres Hauses. Doch der nächste Schock folgt auf dem Fuße: Als sie endlich eine Karre zum Abtransport der Leichen gefunden hat, fehlt ein Ring der Mutter - und mit ihm ein Finger.

Die Gedichte, die diese Traumata bearbeiten, gehören zweifellos zu den erschütterndsten der deutschen Nachkriegslyrik. Etwa "Unterm Schutt III": "Als ich Wasser holte fiel ein Haus auf mich / Wir haben das Haus getragen / Der vergessene Hund und ich. / Fragt mich nicht wie / Ich erinnere mich nicht. / Fragt den Hund wie." Oder "Trümmer 45": "Da fand ich mich / Und band mich in ein Tuch: / Ein Knochen für Mama / Ein Knochen für Papa / Einen ins Buch." Zum Buch gebunden erschienen diese verzweifelten Versuche einer schreibenden Bewältigung erst zehn Jahre nach Inge Müllers Tod. Von nun an galt sie aber als Geheimtip in beiden Teilen Deutschlands. Inzwischen hat sich das geändert. Die kleine eingeschworene Gemeinde von einst hat spätestens seit 1996 starken Zulauf erhalten - dank einer umfangreichen Ausgabe mit Lyrik, Prosa und Tagebüchern (F.A.Z. vom 1. Oktober 1996). Besorgt hat sie Ines Geipel, eine ehemalige Spitzenathletin aus der DDR. Als die Germanistin im Sommer 1989 ihre Heimat über Ungarn verließ, führte sie im spärlichen Gepäck auch eine Ausgabe von Inge Müllers Gedichten mit.

Jetzt hat Ines Geipel die erste ausführliche Biographie über Inge Müller vorgelegt. Schon der Titel aus dem Gedicht "Unterm Schutt II" - "Und dann fiel auf einmal der Himmel um / Ich lachte und war blind / Und war wieder ein Kind / Im Mutterleib wild und stumm" - rückt das persönliche Schicksal ins Zentrum. Ines Geipel bietet eine Lebensgeschichte im emphatischen Sinn, indem sie Historia mit Fabula glänzend zu verbinden versteht. Anders als bei all jenen blutleeren Autorenmonographien, die kärgliche Lebensspuren durch lange Werkzusammenfassungen und literaturwissenschaftliche Deutungen auszugleichen suchen, nimmt Ines Geipel das Genre der Biographie sehr ernst. Schon als Lyrikerin und Romanautorin hervorgetreten, gelingt es ihr, den Leser überall zum Augenzeugen zu machen. Behende wechselt Geipel dafür die Erzählperspektiven, aus nüchternen Faktenschilderungen gleitet sie in den personalen Stil oder die erlebte Rede. Starre Figuren auf Erinnerungsphotos setzt sie so ganz selbstverständlich in Bewegung, läßt sie reden und agieren. Gedichte und Aufzeichnungen der Porträtierten durchziehen als Evidenzspender den gesamten Erzählfluß. Stets bleibt dabei aber deutlich, wo die historische Dokumentation endet, um mit dramaturgischen Mitteln fortgeführt zu werden. Bedarf es einmal der Mutmaßungen, wird das ausdrücklich kenntlich gemacht.

Eine angemessenere Darstellungstechnik kann man sich für diese komplizierte Vita gar nicht vorstellen. Da sind etwa gleich drei Ehen zu beschreiben: Die ganz kurze der Trümmerfrau und Transportarbeiterin mit Kurt Loose, dem Freund von der Flak und Vater des gemeinsamen Sohnes Bernd. Die längere mit dem vornehmeren Herbert Schwenkner, der seiner Frau als Direktor des Friedrichstadtpalastes erste Aufträge für Kinderrevuen verschafft und ihr so den Weg zur Kinderliteratur ebnet. Schließlich die Verbindung mit Heiner Müller, der sich im Haus des linientreuen Parteifunktionärs Schwenkner in der Lehnitzer Staatssiedlung einnistet und einfach nicht mehr geht. Auch nach der baldigen Heirat 1955 wohnen Inge und Heiner Müller fast weitere fünf Jahre unter bizarren Umständen in diesem Haus. Eine Affäre mit Heiner Müllers jüngerem Bruder Wolfgang macht die Situation um nichts leichter. Diese persönliche Entwicklung ist zugleich auf die Klimawechsel in der DDR abzustimmen, was Geipel mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit gelingt: Der Aufstand von 1953, der aufkommende Stalinismus, die doktrinäre Verlogenheit, die Staatssicherheit mit dem IM Schwenkner im eigenen Haus, schließlich der Mauerbau - all das wird mit Leichtigkeit präsent gehalten, ohne deshalb langer Exkurse zu bedürfen.

Geipels Bericht über Inge Müllers Krankheit zum Tode besticht durch Takt und Sensibilität. Wirklich auflösen kann diese unselige Melange aus Tabletten, Alkohol, Depressionen und Suizidversuchen ohnehin niemand. Doch meint man einige Faktoren besser begreifen zu können: jahrelange physische Schmerzen, die unbewältigten Kriegserlebnisse, der unbeugsame Freiheitswille, die literarische Abwendung Heiner Müllers oder der gnadenlose Termindruck, mit dem das Deutsche Theater das vertraglich vereinbarte Stück "Die Weiberbrigade" einfordert. Das Notat: "Selbstmörder: die, die sich nicht aufgeben wollen", bleibt, wie so oft, höchst zwiespältig.

Inge Müller fühlte sich wohl die meiste Zeit unverstanden und einsam. "Die wenigen gelungenen Stellen / Aus meinen kaum gelungenen Gedichten / Wird man auswählen, / Um zu beweisen / Ich wäre euresgleichen. / Aber dem ist nicht so: / Denn ich bin / Meinesgleichen. / So werde ich auch im Tode / Mich zu wehren haben, / Und über meinen Tod hinaus / - wie lange wohl? - / Erklären müssen / Daß ich meinesgleichen war." Statt auf Auswahl setzt die Ausgabe von Sonja Hilzinger auf Vollständigkeit. Bis auf die Gemeinschaftsarbeiten, journalistischen Beiträge und die Texte für Kinder sollen hier alle Werke versammelt werden. Das ist eine schwierige Aufgabe angesichts der vertrackten Archivlage. Denn Inge Müllers Kriegskatastrophe spiegelt sich darin - so ein Bild Hilzingers im Nachwort - als "Verschüttung ihrer Autorschaft": Ihr Nachlaß war bis zum Jahre 2000 untrennbar mit dem Heiner Müllers verwoben. Die meist völlig ungeordneten Manuskripte des einen wurden auf freien Rückseiten vom anderen beschrieben, gegenseitige Ergänzungen und Korrekturen fließen bis zur Untrennbarkeit ineinander, Datierungen sind selten. Die Herausgeberin ordnet deshalb die knapp dreihundert Gedichte nicht chronologisch, sondern nach Sachgruppen, je nach der jeweiligen Perspektive der Sprecher und der Adressaten. Die autobiographischen Gedichte bilden dabei die größte Rubrik.

Auf die Lyrik, die nach wie vor Inge Müllers literarischen Rang begründet, folgt weitgehend unpublizierte Prosa. Im Zentrum stehen die um eine weibliche Jona-Figur arrangierten Fragmente, die mit Anspielung auf die biblische Geschichte von einem verschütteten Leben handeln. Obgleich sich handschriftliche Gliederungen finden, bleibt die Zuordnung von Nachlaßstücken zu dem Komplex problematisch. Die Herausgeberin hat achtzig Textteile in eine imaginäre Chronologie gebracht, die jedoch ein nachträgliches Konstrukt bleibt. Ein besonderer Reiz liegt in den autobiographischen Zügen und ihrer fiktiven Überformung. Von Einberufung und Flugabwehr, Kellern und Bunkern in den letzten Kriegstagen ist da viel die Rede. Gelegentlich wird es aber auch sehr konkret: Eine Frau drängt ihren Schwiegervater, den Ring seiner toten Frau durch Abtrennen des Fingers zu retten. Doch der alte Mann weigert sich, denn der Krieg ist aus. Viele dieser kurzen Erzählungen sind so pointiert, daß sie fast anekdotisch oder parabelhaft wirken, Brechts "Geschichten von Herrn Keuner" nicht unähnlich.

Zu den dramatischen Arbeiten gehören auch Bearbeitungen und Entwürfe, unter anderem zu einem Jona-Stück. Am interessantesten ist das Hörspiel "Die Weiberbrigade", das wie "Der Lohndrücker" zu den Baustellen und Arbeiterversammlungen aus der Aufbauphase des Sozialismus führt. An einer Einrichtung für die Bühne arbeitete Inge Müller bis zuletzt. Dabei fühlte sie sich zu Kompromissen genötigt, zu denen sie nicht mehr bereit war. Ihr Stil ist in allen drei Gattungen präzise, einfach, konkret, berichtend, immer an der Wirklichkeit orientiert. Inge Müller glaubte, dem doktrinären Denken ihrer Umwelt nur durch die letzte mögliche Freiheit entkommen zu können. Eine feministische Stilisierung zum Opfer männlicher Auslöschung ihrer Autorschaft hat sie aber sowenig wie Veza Canetti verdient. Die starken literarischen Qualitäten beider Autorinnen stimmen zuversichtlich, daß das Urteil eines möglichst großen, unbefangenen Publikums sie vor solchen Vereinnahmungen bewahren wird.

ALEXANDER KOSENINA

Ines Geipel: "Dann fiel auf einmal der Himmel um". Inge Müller. Die Biografie. Henschel Verlag, Berlin 2002. 256 S., geb., 19,90 [Euro].

Inge Müller: "Daß ich nicht ersticke am Leisesein". Gesammelte Texte. Herausgegeben von Sonja Hilzinger. Aufbau-Verlag, Berlin 2002. 660 S., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Auch Inge Müller, die sich 1966 im Alter von 41 Jahren das Leben nahm, gehört zu den Schriftstellern, deren tragisches Leben und Sterben die Nachwelt dazu verleitet, ihr Werk und ihre Person zu mystifizieren, weiß Rainer Moritz. Das Werk der Schriftstellerin, Lyrikerin und Theaterautorin, übrigens in dritter Ehe mit Heiner Müller verheiratet, sei bisher kaum gewürdigt worden. Dem Versuch habe sich nun Sonja Hilzinger, Herausgeberin der Werke von Anna Seghers und Christa Wolf, verschrieben, berichtet der Rezensent. Doch findet er diesen Versuch missraten. Die Auswahl der Gedichte und der Prosa sei zu üppig, "interpretatorische Bemerkungen" hingegen würden zu sparsam eingesetzt, moniert Moritz. Das Nachwort sei leider "spröde und "wortgetreu" und, so Moritz, darüber hinaus wiederhole Hilzinger auch noch, was der Leser auch in der Zeittafel oder in der "editorischen Notiz" nachlesen könne. Einerseits präsentiere Hilzinger ein "inhaltsarmes Ungetüm", andererseits habe sie aber, ärgert sich der Rezensent, wichtige Werke wie die Kinderbücher Müllers oder ihre mit Heiner Müller verfassten Theaterstücke ausgelassen.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Zu entdecken ist eine Dichterin, die kompromisslos wie kaum eine andere DDR-Autorin ihre lyrische Innerlichkeit gegen den politischen Zeitgeist behauptete.« Die WELT 20030208