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Die Geschichte eines Jungen, der mitten im Krieg auf ungewöhnliche Weise gezeugt wurde, der seinen Vater nie kennenlernte und später alles über Vogelkunde und Taubenzucht wissen wollte.

Produktbeschreibung
Die Geschichte eines Jungen, der mitten im Krieg auf ungewöhnliche Weise gezeugt wurde, der seinen Vater nie kennenlernte und später alles über Vogelkunde und Taubenzucht wissen wollte.
Autorenporträt
Meir Shalev wurde 1948 in Nahalal in der Jesreel-Ebene geboren. Er studierte Psychologie und arbeitete viele Jahre als Journalist, Radio- und Fernsehmoderator. Inzwischen ist er einer der bekanntesten und beliebtesten israelischen Romanciers. 2006 erhielt er für sein Gesamtwerk den Brenner Prize, die höchste literarische Auszeichnung in Israel. Meir Shalev schreibt regelmäßig Kolumnen für die Tageszeitung Yedioth Ahronoth . Er lebt mit seiner Familie in Jerusalem und in Nord-Israel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.12.2007

Schalom, altes Haus

Siedlungen in den Zeiten nach dem Krieg: Meir Shalev hat einen Heimatroman geschrieben - eine Kampfansage an alle, die bestreiten, dass Israel Heimat der Juden ist.

Tirza Fried ist Bauleiterin im Jerusalemer Bauunternehmen ihres Vaters Jair Mendelsohn. Als eines Tages ihr Jugendfreund Meschullam ihren Lieferwagen nach Hinweisen auf ihr anderweitiges Leben durchstöbert, findet er in einer Ecke auch "ein paar zerfledderte Romane, sämtlich aus andern Sprachen übersetzt. ,Bücher, die von uns handeln, sind mir zu anstrengend', sagte sie mir hinterher." Der israelische Meistererzähler Meir Shalev hat sich Tirzas Worte zu Herzen genommen und in seinem sechsten Roman, "Der Junge und die Taube," dessen wunderbar unheldischer Held Jair ist, eine Geschichte geschrieben, die zwar "von uns" handelt, aber nicht anstrengend ist, obgleich sie an den Empfindungen rüttelt. Es ist eine Geschichte, die eine tiefe Liebeserklärung an Israel enthält und all jene Leser belohnt, denen täglich die Pein der israelischen Wirklichkeit an den Nerven zerrt.

Meir Shalev selbst ist ein versierter, kritischer Beobachter der israelischen Politik. Er wurde 1948 während des Krieges geboren, "den wir Israelis Unabhängigkeitskrieg nennen". Im Sechstagekrieg 1967 kämpfte er schon selbst mit und wurde von vier Kugeln verletzt. Seither agitiert er für die Rückgabe der 1967 besetzten Gebiete, für einen Verzicht der Palästinenser auf die 1948 verlorenen Gebiete und für eine Zweistaaten-Lösung. Er ist als bissig ironischer Kommentator bekannt. Auf einer Kundgebung im Mai forderte er Ministerpräsident Olmert wegen chaotischer Kriegsführung im Libanon auf: "Gehen Sie nach Hause."

Man muss dieses Engagement kennen, damit die Süßigkeit des neuen, hervorragend übersetzten Romans einem nicht das Gehirn verklebt. Näher betrachtet, handelt es sich aber um ein Gespinst aus Heimat, Haus, Mutter, Brieftauben, Liebe, Krieg, das sich geradezu zum harten Brocken für jene entwickelt, die in Frage stellen, dass Israel das Zuhause der dort geborenen Juden ist. Wenn Shalev Olmert nach Hause schicken will, so hat er damit das Leitmotiv aller Politik und Literatur in Israel angesprochen. Wie in keinem anderen Land geht es hier immer nur um die Verortung und Absicherung des Zuhauses eines Volkes. Shalevs Roman ist eine intelligente Sinfonie über das Zuhause-Sein, die auf eine Pointe hinläuft, die hier nicht verraten werden kann. Das Lesevergnügen besteht darin, die Leitmotive der auf drei Erzählebenen gleichzeitig sich entfaltenden Geschichte zu verfolgen. Wie eine Brieftaube stets den kürzesten Weg zum heimatlichen Schlag nimmt, so zielt auch hier alles pfeilgerade auf einen Kern: auf eine brillante Auflösung der Identitäts- und Heimatfrage des Helden Jair, welche die Verortung in Israel und die Wanderung durch Zeit und Raum verschmilzt.

Eine Sinfonie braucht Kontrapunkte. Darum gesellt sich zur Süße der Liebe der Wahnsinn des Krieges, die Trauer um Verluste. Am Ende sind fast alle tot, die wir zu lieben gelernt haben: Jair, der unangepasste Fremdenführer, der sich auf Vogelkunde spezialisiert; seine Mutter Raaja, die den Vater und ihre zwei Söhne plötzlich verlässt; der Vater, ein Kinderarzt, der den preußisch-buchhalterischen Ehrgeiz der deutschen Juden auf seine Weise lebt; und der Bauunternehmer Meschullam Fried, freigebig, sentimental, energisch, ohne Kultur-Allüren, und seine Tochter Tirza, die Jairs Haus in den Hügeln zu Füßen Jerusalems renoviert.

Durch diese karstigen Hügel bewegten sich 1948 Soldaten und Versorgungskonvois zur besetzten Stadt. In diesen Hügeln starb auch "das Baby", ein achtzehnjähriger Taubenzüchter der Palmach, der als Waise auf einem Kibbuz aufwuchs, weil seine Mutter es in Palästina nicht aushielt und in den dreißiger Jahren in die deutsche Heimat zurückkehrte, wo sie später ermordet wurde. Es ist eine komplizierte Sache mit den Heimatgefühlen der Juden. Das Baby starb 1948 während des Kampfes um Jerusalem.

Jairs Erzählung bewegt sich vorwärts auf das alte Haus zu, das er finden und als seine Behausung mit Tirza renovieren wird; und sie bewegt sich rückwärts auf das Baby zu, dessen Geschichte den Schlüssel birgt für Jairs und seiner Mutter Heimatlosigkeit in der eigenen Familie und ihrer beider Affinität für die Brieftaubenexistenz, die auf Englisch "homing pidgeons" heißen: nicht Vogelfreiheit, sondern ständige Sehnsucht zur Rückkehr in den heimatlichen Schlag, eine Sehnsucht, deren Vorbedingung Liebe ist. "Eine Brieftaube muss ihr Zuhause lieben, sonst möchte sie nicht dorthin zurückkehren." Die Mütter in diesem Roman entfliehen dem Zuhause, in das ihre Männer sie mitnehmen. Sie kehren allein zurück in heimatliche Schläge. Jairs Mutter liebte ihr Haus in Tel Aviv. "Kehrten wir von fern oder nah zurück, geriet sie in freudige Erregung: ,Gleich kommen wir heim.' Du drücktest die Klinke, machtest die Tür auf und sagtest ,Schalom, Haus' ins kühle Halbdämmern. ,Sagt ihr auch Schalom, Haus', wies sie uns an, ,und hört gut hin, denn es grüßt euch zurück.'"

Die Häuser, die man mit "Schalom" ("Frieden") grüßt und die zurückgrüßen, stehen in Tel Aviv und um Jerusalem in den Grenzen nach dem Krieg von 1948. Das ist Meir Shalevs politische Botschaft. Die süße Hülle dieses Romans trügt. Was drin steht, entpuppt sich als Stahlkugel in einem Marshmallow.

SUSANNE KLINGENSTEIN

Meir Shalev: "Der Junge und die Taube."

Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Ruth Achlama. Diogenes Verlag, Zürich 2007. 486 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.12.2007

Ein altmodischer Zeugungsakt
„Der Junge und die Taube”: Meir Shalevs Parabel auf Israel
Im letzten Teil des Buches scheint eine bis dahin real anmutende Geschichte unerwartet in den Bereich des Unglaubwürdigen zu entgleiten. Oder auch abzuheben in einen Symbolismus, der dem Leser einiges an Kombinationsvermögen und Phantasie abverlangt. „Eine Spritze . . . ich brauche eine Spritze . . . stammelte das Mädchen.” Mit dieser Spritze befruchtet sie sich mit dem per Brieftaube übermittelten Sperma ihres fernen Geliebten und vollzieht dabei so etwas wie die prosaische Variante einer unbefleckten Empfängnis. Der Samenspender wird „das Baby” genannt. Zu diesem Zeitpunkt liegt es bereits angeschossen am Hang eines Hügels bei Jerusalem, hat sich mit letzter Kraft den Samen abgerungen und seine letzte Taube auf den Weg geschickt. . .
Es ist das Jahr 1948, das Jahr des Unabhängigkeitskrieges. Auch „das Baby” musste ausrücken, obgleich es dazu eigentlich weder physisch noch psychisch in der Lage war. Wie das Mädchen züchtete und pflegte der Waisenjunge Brieftauben, die von der Hagana, der Untergrundbewegung des Jischuw, als Überbringer geheimer Botschaften eingesetzt wurden. Daher der Titel von Mair Shalevs jüngstem Roman „Der Junge und die Taube”.
Das Baby hatte seinen Taubenschlag in einem Kibbutz, das Mädchen den ihren im Zoo von Tel Aviv. Die Geschichte der beiden verschränkt sich mit der von Jair, der als Sohn des Kinderarztes Jakob Mendelsohn und der sehr schönen, aber höchst eigenwilligen Raaja 1949 zur Welt kommt. Der dunkle, stämmige Jair hat noch einen engelsblonden Bruder namens Benjamin, der zu Höherem berufen zu sein scheint, während er selbst als Fremdenführer Vogelkundler durchs Land karrt. Mutter Raaja hat diesen Beruf für ihn ausgesucht genauso wie seine Frau, eine bildschöne, reiche Amerikanerin namens Liora. Deren Fazit ihrer dramatisch kinderlosen Ehe mit Jair: „Jeder von uns beiden ist völlig in Ordnung, aber wir beide zusammen – das ist das Problem.”
Ich bin der Liebe Last
Jair wendet sich am Ende seiner Jugendliebe Tirza zu, die ihm ein Haus baut, das genau seinen Ansprüchen genügt, an einer Stelle, die er nur für sich ausgesucht hat. Hier lieben sie sich, von gleich zu gleich. Dass das Haus in unmittelbarer Nachbarschaft eines zerstörten arabischen Hauses steht, stört sie nicht. Sein Dach haben sie abgedichtet gegen Ungeziefer und Tauben, die Ratten der Lüfte. Als sich doch eine ins Haus verirrt, metzelt Jair sie auf barbarische Weise hin, grillt und verzehrt sie. Und dies, obgleich sie zu ihm spricht: „,Ich bin der Leib und die Seele‘, sagte sie zu mir, wie ein feierliches Aufnahmegerät. ,Ich bin des Körpers Hauch und der Liebe Last, ich der Geist und die Kraft.‘”
Spätestens jetzt, auf den letzten Seiten des Romans, wird man begriffen haben, dass Meir Shalev, Autor von „Ein russischer Roman” und meisterhafter Geschichtenerzähler, mit „Der Junge und die Taube” eine groß angelegte, in jedem Detail aufs feinste ausgearbeitete Parabel geschrieben hat. Er hat sie eingepflanzt, die zarten, die herzzerreißenden, aber auch grausamen Episoden über die Menschen, ihre Lieben und ihre Rückschläge, in einen größeren Zusammenhang, der sich erst allmählich entschlüsselt. Denn zunächst verfolgt man die Entwicklung des Landes Israel anhand von persönlichen Schicksalen, die so verschieden sind wie die Herkünfte der Menschen aus Ländern, in denen sie verfolgt wurden. Es gibt hinreißend komische Figuren wie zum Beispiel den Taubenkundler und Arzt Dr. Laufer aus Köln, dessen Lachen, „chchch” ihn hinreichend als einen Bilderbuch-Jecken charakterisiert.
Die Ahnung vom neuen Juden
Shalev beherrscht es, seine Figuren mit einer Art liebendem Humor zu umhüllen. Er beschreibt ihre durchschnittlichen Leben mit Poesie. Das Baby, dessen Mutter in der Schoah ums Leben gekommen ist, verkörpert in seiner Weichheit und Gewaltlosigkeit den typischen Ghettojuden. Aber auch so einem wachsen im Überlebenskampf Muskeln unter der Speckschicht – das ist die Ahnung vom neuen Juden, wie Jair ihn ansatzweise verkörpert.
Die Liebe des Babys zu dem Mädchen gleicht der Liebe zum Land, wo Gottes verbannte Seele weilt, die Schechina. Raaja personifiziert sie und bringt, obgleich jungfräulich, einen Sohn zur Welt: Jair. Der Samen entspringt dem misshandelten, zerstörten Judentum der Diaspora mit Namen „das Baby”. Die Liebesbotschaften, die die Tauben zwischen dem Baby und dem Mädchen hin- und herfliegen, lesen sich wie Beschwörungen: „,Ja und ja und ja.‘ Ja, ich liebe, und ja, ich sehne mich, und ja, ich weiß und erinnere mich. . .” Und auch sie bedeuten mehr als bloß Wörter, lesen sich als Bekenntnisse zu einem Land, das auf einer Religion fußt, zu deren wesentlichen Elementen das Sich-Erinnern gehört.
Umso ernüchternder ist Shalevs Blick auf die Gegenwart, wo das einstmals Große kleinlich wirkt oder gänzlich verroht. Verkörpert in Jair, ein Falke, der das Symbol des Friedens, die unbehauste Taube, frisst: „Ein starker, angenehmer Blutgeschmack erfüllte meinen Mund.” EVA-ELISABETH FISCHER
MEIR SHALEV: Der Junge und die Taube. Roman. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Diogenes Verlag, Zürich 2007. 485 Seiten, 22,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Susanne Klingenstein sieht in der schmelzend schönen Liebesgeschichte, von der Meir Shalev unter anderem in seinem jüngsten Roman erzählt, eine "Stahlkugel in einem Marshmallow". Denn der israelische Autor, der als scharfzüngiger politischer Kommentator für die Rückgabe der 1967 besetzten Gebiete und für einen eigenen Palästinenserstaat eintritt, stellt in dieser Hommage an sein Heimatland einmal mehr klar, dass Israel die Heimat der dort geborenen Juden ist. Seine Geschichte bewegt sich auf drei Handlungsebenen und erzählt einmal vom Fremdenführer Jair und seiner Familie, dann vom Schicksal eines 18-jährigen Brieftaubenzüchters, der 1948 im Kampf um Jerusalem starb, und um die Bauleiterin Tirza, die für Jair ein altes Haus bei Jerusalem renoviert. Alle diese Geschichten laufen auf die Frage nach dem Zuhause hinaus und warten für Jair und seine Mutter mit einer überraschenden Pointe auf, verspricht die Rezensentin, die das Buch als Lektüre empfiehlt, die dem durch die täglichen Nachrichten vom Nahostkonflikt zermürbten Leser etwas Erholung bietet.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Es steht ganz außer Zweifel, dass Shalev der größte lebende israelische Romancier ist. Er hätte längst den Nobelpreis verdient.« Hannes Stein / Die Welt Die Welt