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Es ist mehr als nur eine Schaffenskrise, was den erfolgreichen Schriftsteller Matthias Bamberg aus dem Berliner Alltag in die verwirrende Welt Kapstadts aufbrechen läßt. Die Geschichte einer Verstörung.

Produktbeschreibung
Es ist mehr als nur eine Schaffenskrise, was den erfolgreichen Schriftsteller Matthias Bamberg aus dem Berliner Alltag in die verwirrende Welt Kapstadts aufbrechen läßt. Die Geschichte einer Verstörung.
Autorenporträt
Hartmut Lange, 1937 in Berlin-Spandau geboren, studierte an der Filmhochschule Babelsberg Dramaturgie. 1960 erhielt er eine Anstellung als Dramaturg am Deutschen Theater in Ostberlin. Von einer Reise nach Jugoslawien kehrte er nicht in die DDR zurück. Er ging nach Westberlin, arbeitete für die Schaubühne am Halleschen Ufer, für die Berliner Staatsbühnen und am Schiller- und am Schloßpark-Theater. Lange schreibt Dramen, Essays und Prosa. 2003 wurde er für sein Werk mit dem Italo-Svevo-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.01.2006

Erst räuspert sich die Ehefrau, dann ist sie verschwunden
Hinter harmlosen Dingen lauern Ernst und Abgrund: Hartmut Langes meisterhafte Novelle „Der Wanderer”
Merkwürdig, wie albern so beliebte Wörter wie „Notebook” und „Handy” klingen, sobald sie von einem Autor benutzt werden, den man, wenn schon nicht mit stilistischer Perfektion, so doch mit dem Streben nach ihr in Verbindung bringt. Hartmut Lange erzählt in seinen Novellen seit vielen Jahren unbeirrt Geschichten, die in ihrer asketischen Abgründigkeit einander sehr ähneln. Will man diesem eigensinnig monotonen, monochromen Werk ein Ziel oder ein Ideal unterstellen, dann dürfte es die Meisterschaft in der Kunst des Weglassens sein, eine von allem Überflüssigen gereinigte Sprache, die Raum für Unerklärliches lässt, weil sie ohne Erklärungen auskommt.
Lange pflegt seine Affinität zum Genre der Künstlernovelle, und diesmal hat er einen Schriftsteller zum Protagonisten gemacht. Dass der, ein Mann des Hier und Jetzt, einen tragbaren Computer und ein Mobiltelefon besitzt, versteht sich von selbst. Die populären Bezeichnungen jener Gegenstände jedoch - Erstere der englische Ausdruck für ein traditionelles Schreibwerkzeug, behelfsmäßig auf elektronisches Gerät übertragen, Letztere ein auf deutschem Mist gewachsener, kindischer Kunst-Anglizismus - wirken in diesem strengen Sprachmilieu wie Fremdkörper: Ihr provisorischer, dem rasenden Requisitenwechsel heutiger Konsumwelten geschuldeter Charakter kollidiert geradezu komisch mit einem Umfeld, das auf Formvollendung und Dauer angelegt ist.
Zum Glück weiß Matthias Bamberg, die Hauptfigur in der Erzählung „Der Wanderer”, auch noch den Bleistift zu betätigen. Allerdings hilft ihm das nicht viel, denn mit seinem neuen Romanprojekt, das den Titel „Der Wanderer” trägt, kommt der Erfolggewohnte auch mit Bleistift nicht recht voran.
Mit leerem Tank in der Wildnis
Es sind die bei Hartmut Lange notorischen „Unbegreiflichkeiten”, atmosphärische Störungen und rätselhafte Vorgänge im Einerlei des Alltags, die Bamberg zunächst am Recherchieren und Schreiben hindern, dann ein Eigenleben gewinnen und das Romankonzept durcheinander bringen. Das Räuspern der Ehefrau klingt anders als gewohnt; in den Büroräumen über der Wohnung werden ununterbrochen Möbel gerückt; der Heizungsrauch, der aus dem Aluminiumrohr auf dem Dach quillt, irritiert durch Farb- und Richtungswechsel; Türen, die verschlossen sein sollten, stehen offen. „Hinter den harmlosen Dingen lauert das Entscheidende”, erklärt Matthias Bamberg den Besuchern seiner Lesungen und spricht damit gelassen aus, was als Motto über sämtlichen Lange-Novellen stehen könnte.
Und auch hier wieder bleibt unentscheidbar in der Schwebe, ob die Vorahnung kommenden Unheils als „self-fulfilling prophecy” funktioniert, ob der Held wehr- und willenlos in den Sog der Ereignisse hineingezogen wird oder ob er selbst an der Schraube dreht, die für die fast unmerkliche Verschiebung der Realität ins ebenso Sinistre wie Bodenlose zuständig ist. Dass die Gattin zum Urlaubs-Rendezvous in Frankreich nicht erscheint, dass sie bei seiner Rückkehr verschwunden, und die Wohnung halb ausgeräumt ist, kann einen Mann, der ihr unvorteilhaftes Äußeres mit so gnadenlosem Blick seziert wie Bamberg, nicht völlig aus der Bahn werfen. Trotzdem wird er ihr folgen, von Berlin bis Südafrika, und am Ende wird er mit leerem Tank in wegloser Wildnis verschollen sein. Was ihn dazu treibt, muss sein Geheimnis bleiben - so will es der Autor, der wohl noch keine seiner Figuren mit solcher Diskretion behandelt und aus solcher Distanz beobachtet hat wie diesen Matthias Bamberg.
Im Zentrum der Erzählung versetzt Lange sich selbst und den Leser in die Position eines Bildbetrachters oder Filmzuschauers: Da steht Bamberg am Fenster einer Pension an der französischen Atlantikküste und führt ein schier endloses Telefongespräch, obwohl die Batterien seines, nun ja, „Handys” fast leer sind. „Aber es lohnte sich nicht, darüber nachzudenken, weil er am Abend, als es dunkel wurde, immer noch dastand und weil die Pension durch den Lichtwechsel, der sich vollzog, an Abstand gewann und zuletzt zwischen den Dünen wirkte, als wäre auch sie, wie Bamberg, lediglich eine Erscheinung oder als wäre sie Teil eines Gemäldes, von dem berühmten Edward Hopper gemalt.” Auch in der Schlussszene wird dieser Perspektivwechsel von innen nach außen vollzogen: Das Letzte, was wir von Bamberg sehen, sind zwei aufgeblendete Scheinwerfer. Dahinter öffnet sich die freie Ebene - und die Frage, ob es von dort aus noch einen Rückweg in die nächste Novelle gibt. Etwas wie die Meisterschaft des Loslassens scheint hier jedenfalls erreicht zu sein.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
HARTMUT LANGE: Der Wanderer. Novelle. Diogenes Verlag, Zürich 2005. 118 Seiten, 17,90 Euro.
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.2005

Löchrige Welt
Kraftvoller Aufbruch ins Nichts: Eine Novelle von Hartmut Lange

Wenn einer von seiner Frau verlassen wird - ist das schon eine unerhörte Begebenheit? Für den Betroffenen vielleicht, nach dem klassischen Anforderungsprofil der Novelle wohl nicht. Hartmut Lange legt sich denn auch nicht fest, was genau seinen Helden aus dem Tritt gebracht hat. War es das Räuspern seiner Frau? War es der Rauch aus dem Aluminiumrohr vis-à-vis? Oder das nächtliche Möbelrücken in der Wohnung über ihnen? Jedenfalls kündigt sich die Verstörung als Störung der Wahrnehmung an: Matthias Bamberg vertieft sich auf eine für seine Umgebung befremdliche Weise in die Welt der Erscheinungen. Was er sieht, will er genau sehen - und verstehen, auch wenn da womöglich gar nichts zu verstehen ist.

Dabei vertrüge sich die neue Beobachtungswut durchaus mit Bambergs Profession: Er ist ein erfolgreicher Schriftsteller. Seine Literatur war aber nie eine der minutiösen Beschreibung, des hypertrophen Realismus. Er gilt als ironischer Kommentator des Gesellschaftlichen, als ein Autor von souveränem Humor. Er indes hat Heimito von Doderers "Strudlhofstiege" zu seiner Bibel erkoren, geht es darin doch ebenfalls um die "Selbstverständlichkeiten und Unbegreiflichkeiten" des Alltags, ein Netz von Verweisen durchzieht die Novelle, bis gegen Ende der Titel genannt wird.

Eines Tages verschwindet Bambergs Frau aus der gemeinsamen Berliner Wohnung, während ihr Mann sie an der Atlantikküste erwartet: Der erste Urlaub seit Jahren war zur Versöhnung gedacht. Hinweise auf einen anderen Mann tauchen auf, offenbar der Möbelrücker. Bamberg geht der Sache nach, unternimmt aber auch, weil sich das für einen seriösen Autor so gehört, "Recherchen" für seinen Roman, die sich durch völlige Fruchtlosigkeit auszeichnen. Eine Reise nach Doderers Wien bringt immerhin atmosphärischen Gewinn. Schließlich fliegt er nach Kapstadt, wo er Frau und Liebhaber vermutet, und gibt offenbar, ohne Identifizierung der Zielobjekte, einen Mord in Auftrag. Der "Wanderer" vernichtet seinen Roman (mit ebendiesem Titel) als Belastungsmaterial, am Schluß fährt er mit zur Neige gehendem Benzinvorrat in die Wüste, ein Aufbruch ins Nichts, ähnlich wie in Langes Novelle "Die Wattwanderung".

Überhaupt beschert einem diese Geschichte einige Déjà-vu-Erlebnisse - die Idee, den uns vorliegenden Text als den darin als gescheitert beschriebenen zu offenbaren, ist ebenso wohlerprobt wie das Muster der zunächst kaum merklichen Entgleisung aus der Normalität. Dennoch gelingt es dem Autor, Spannung zu erzeugen, indem er die intime Innen- in eine buchstäbliche Außensicht verwandelt: In den entscheidenden Augenblicken sehen wir, ausgesperrt von jedem Verstehen, den Helden durch eine Fensterscheibe gestikulieren. Wenn wir glauben und hoffen, er würde sich nun dem nahenden Unheil entziehen, entpuppt sich die Beschreibung der Heimkehr als Phantasie des Erzählers: Hätte Bamberg daheim einige der angehäuften Kuverts geöffnet, "wäre es ihm vielleicht, ja vielleicht gelungen, da die Briefe ausschließlich an ihn adressiert waren, sich wie zu Hause zu fühlen".

Spätestens da wird klar: Dem Manne kann nicht mehr geholfen werden. Daß das, was Doderer "Apperzeption" genannt hat, die Apotheose des Augenscheins, die Erfassung der Welt mit allen Sinnen, hier dazu führt, daß der Held der Welt abhanden kommt, ist die eine - bittere - Pointe. Die andere besteht darin, daß Hartmut Langes Erzählideal des Löchrigen geradezu die Gegenthese zu Doderers in den Roman geretteter Komplettheit des Daseins darstellt.

DANIELA STRIGL

Hartmut Lange: "Der Wanderer". Novelle. Diogenes Verlag, Zürich 2005. 117 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit einer doppelten Pointe wartet Hartmut Langes jüngste Novelle "Der Wanderer" auf, schreibt Daniela Strigl. Zum einen führt seine Vertiefung in die Tatsachen der Welt, auf den Spuren Heimito von Doderers und seiner Methode der "Apperzeption", den Protagonisten, einen Schriftsteller, zu einem Der-Welt-Verlustiggehen. Und zum anderen bleibt von der von Doderer in seinem großen Roman "Die Strudlhofstiege" (die der Wanderer sich als Ideal für sein eigenes Schreiben auserkoren hat) betriebenen umfassend-minutiösen Welterfassung nur eine Poetik des Löchrigen, der Aussparung und des Ungefähr. Entsprechend schemenhaft und skizzenartig kommt die Handlung daher: Über Wien und Kapstadt verfolgt der Held seine untreue Frau und ihren vermuteten Liebhaber, verbrennt einen Romanentwurf und heuert einen Auftragskiller an, bevor er sich mit dem Auto in die Wüste hinein auf und davon macht, "ein Aufbruch ins Nichts". Zwar erlebte Strigl bei der Lektüre manches Deja-vu, ist sie doch auch mit der "Wattwanderung", dem letzten Werk Langes, wohlvertraut, aber gleichwohl vermochte "Der Wanderer" ihr Spannung zu bereiten. Die Rezensentin ist sichtlich zufrieden.

© Perlentaucher Medien GmbH