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Österreich 1945: Krieg und NS-Regime hatten chaotische Verhältnisse hinterlassen. "Arisierte" Güter und Vermögen der NS-Organisationen waren ohne Besitzer. Druckereien, Verlage, Kinos, Theater, Hallenbäder, Geschäfte und Fabriken standen zur Disposition. Um dieses wirtschaftliche Erbe des Nationalsozialismus aufzuarbeiten, wurde ein Ministerium gegründet, das Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung unter Minister Peter Krauland (ÖVP). Doch anstatt eine unabhängige Behörde zu sein, wurde das Krauland-Ministerium zu einem machtpolitischen Instrument der Geschäftemacher mit…mehr

Produktbeschreibung
Österreich 1945: Krieg und NS-Regime hatten chaotische Verhältnisse hinterlassen. "Arisierte" Güter und Vermögen der NS-Organisationen waren ohne Besitzer. Druckereien, Verlage, Kinos, Theater, Hallenbäder, Geschäfte und Fabriken standen zur Disposition. Um dieses wirtschaftliche Erbe des Nationalsozialismus aufzuarbeiten, wurde ein Ministerium gegründet, das Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung unter Minister Peter Krauland (ÖVP). Doch anstatt eine unabhängige Behörde zu sein, wurde das Krauland-Ministerium zu einem machtpolitischen Instrument der Geschäftemacher mit Parteibuch. ÖVP und SPÖ missbrauchten das Ministerium, um mit einem engmaschigen Netz aus treuen Parteifunktionären und willfährigen Beamten "arisierte" Güter und NS-Vermögen - ganz im Sinne des Proporzes - unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Rückstellung von jüdischem Besitz wurde mit antisemitischen Weisungen erschwert. "Wer konnte, griff zu" - ein Sittenbild der frühen Zweiten Republik.
Autorenporträt
Peter Böhmer, Mag., Dr. phil., lebt als freier Wissenschafter in Wien, Forschungsscherpunkt Zeitgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der österreichischen Nachkriegsgeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

In die Länge gezogen
Ein Sittenbild aus dem "ersten Opfer Hitlerdeutschlands"

Peter Böhmer: Wer konnte, griff zu. Vermögenssicherung "arisierter" und herrenloser Güter im Krauland-Ministerium (1945-1949). Mit einem Beitrag von Gerhard Jagschitz. Böhlau Verlag, Wien 1999. XXXVI, 226 Seiten, 58,- Mark.  Als "erstes Opfer Hitlerdeutschlands" konnte es sich Österreich erlauben, die wahren Opfer in ihren Entschädigungsansprüchen auf Jahre hinzuhalten oder sie gar leer ausgehen zu lassen. Selbst eindeutige Verpflichtungen aus dem Staatsvertrag wurden nie eingelöst. Viel zitiert und stellvertretend für die mythenverbrämte Wiederaufbaupolitik der Zweiten Republik ist der Ausspruch des damaligen sozialistischen Innenministers Oskar Helmer bezüglich der Rückgabe geraubten jüdischen Eigentums: "Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen." Der Staat stellte sich nicht nur schützend vor private "Ariseure", auch die politischen Parteien profitierten über Jahrzehnte vom geraubten jüdischen Gut.

Peter Böhmer zeichnet das Sittenbild eines Landes, das nach den heftigen politischen Auseinandersetzungen der Ersten Republik nun den Konsens in einer großen Koalition suchte. Alle Ämter wurden nach dem Proporz vergeben, so auch das von Böhmer detailliert geschilderte Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung unter der Führung von Peter Krauland. Es sollte das "herrenlos" verstreute Gut sicherstellen und seinen ursprünglichen Besitzern zurückgeben. Die parteipolitische Einflussnahme ließ nicht lange auf sich warten: Die Sozialdemokraten und die Volkspartei wollten "unter sich" bleiben, sie verhinderten ein Mitspracherecht der Israelitischen Kultusgemeinde sowie der Opferverbände.

Stattdessen wurde mit Walter Kastner ein hochrangiger Nationalsozialist eingestellt, der seinerzeit die Arisierung der Großindustrie durchführte und nun als Fachmann für deren Rückgabe verantwortlich war. So wie er, der alle wesentlichen Auszeichnungen der Zweiten Republik erhielt, fanden noch weitere hohe "Wirtschaftsnazis" bei Krauland Unterschlupf. Jedem Rechtsgrundsatz widersprechende Rückstellungsgesetze waren die Folge (die Erbfolge wurde stark eingeschränkt), die Fristen für die Antragstellung waren mit sechs Monaten auffallend kurz bemessen.

Der Fall der einst im Besitz des Ullstein-Verlages stehenden Druckerei Waldheim-Eberle illustriert die Vorgehensweise des Ministeriums: 1938 "erwirbt" das Buchgewerbehaus M. Müller und Sohn KG, welches den "Völkischen Beobachter" und "Mein Kampf" druckte, das Unternehmen. Im April 1948 stellt die Familie Ullstein ein Rückstellungsantrag. Wenige Tage danach erklärt das Krauland-Ministerium die Druckerei gemäß dem Verbotsgesetz (beschlagnahmtes nationalsozialistisches Eigentum fällt an die Republik) der Republik Österreich als verfallen. Die Proporzparteien teilen sich nun die zweitgrößte Druckerei im Lande auf, der Rückstellungsantrag der Familie Ullstein wird in "Länge gezogen", bis sich die beraubten Eigentümer entnervt mit einem Viertel des Wertes begnügen.

Ganz anders geht das Ministerium mit den belasteten Nationalsozialisten vor: Als Bestrafung drohte ihnen der Vermögensverfall, wogegen sie sich allerdings leicht schützen konnten - das Vermögen musste lediglich dem politisch nicht belasteten Ehepartner überschrieben werden. Nach Unterzeichnung des Staatsvertrages beschloss der Nationalrat die Vermögensverfallsamnestie, mit der die verurteilten Nationalsozialisten ihre einstmals verfallenen Güter wieder rückerstattet erhielten.

STEPHAN TEMPL

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Schon der Titel des Buchs ist ein Glückstreffer, meint Paul Schneeberger. Leider ist der Inhalt, der Schneeberger auch wegen seiner "Anschaulichkeit" gefällt, wenig erbaulich - für Österreich. Böhme beschreibt, wie die österreichischen Behörden nach 1945 mit den Opfern der NS-Herrschaft umgingen: "Hart bis ungerecht". Besonders das Krauland-Ministerium, verantwortlich für die Rückgabe jüdischer Vermögen, die während der NS-Zeit "arisiert" worden waren, habe den Volksparteien ÖVP und SPÖ "als Deckmantel" gedient, unter dem sie sich große Vermögenswerte aneignen konnten. Die enteigneten Opfer hatten das Nachsehen. Schneeberger lobt die "zahlreichen konkreten Beispiele", mit denen Böhme seine Argumentation untermauert. Nebenbei zeige der Autor auch auf, wie tief in Österreich die Wurzeln des "rot-schwarze Flechtwerk" reichten. Schneeberger fehlt an dem Buch nur eins: ein Organigramm, dass dem Leser hilft, den komplizierten Aufbau der Verwaltung zu durchschauen.

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