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Der neue Essay-Band des Gießener Philosophen macht schon im Titel deutlich, dass er seine Kompensationsphilosophie fortzusetzen gedenkt, in immer wieder überraschenden, bemerkenswerten Facetten. Neben dem titelgebenden Aufsatz finden sich Texte wie "Homo compensator", "Das Zeitalter des Ausrangierens", "Zukunft braucht Herkunft", "Ende der Universalgeschichte", "Apologie der Bürgerlichkeit", "Aufklärung und Wirklichkeitssinn" und andere. Auch über diesem Band könnte als Motto stehen: "Philosophie ist, wenn man trotzdem denkt."

Produktbeschreibung
Der neue Essay-Band des Gießener Philosophen macht schon im Titel deutlich, dass er seine Kompensationsphilosophie fortzusetzen gedenkt, in immer wieder überraschenden, bemerkenswerten Facetten. Neben dem titelgebenden Aufsatz finden sich Texte wie "Homo compensator", "Das Zeitalter des Ausrangierens", "Zukunft braucht Herkunft", "Ende der Universalgeschichte", "Apologie der Bürgerlichkeit", "Aufklärung und Wirklichkeitssinn" und andere. Auch über diesem Band könnte als Motto stehen: "Philosophie ist, wenn man trotzdem denkt."
Autorenporträt
Prof. Dr. Dr. h. c. Odo Marquard, geboren 1928 in Stolp (Pommern), studierte Philosophie, Germanistik und Theologie. 1963 Habilitation und Privatdozent in Münster. Ab 1965 war er ordentlicher Professor für Philosophie in Gießen, 1993 emeritiert. Für seine Werke erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt den Hessischen Kulturpreis für Wissenschaft (1997). Odo Marquard verstarb im Mai 2015.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2000

Besonders im Reclam-Format

Wie hat sich eine Philosophie der Skepsis zu kleiden, welche äußere Gestalt ist ihr einzig angemessen? Hardcover oder Paperback? Mit Schutzumschlag oder ohne? Tiefdruckverfahren oder Offset? Und welchem Verlagsprogramm steht philosophische Skepsis überhaupt gut zu Gesicht? Lässt sich der "Abschied vom Prinzipiellen" als 2364. Band der stw-Reihe vorstellen? Wohl kaum. Ist die "Apologie des Zufälligen" als zugkräftige Einnahmequelle von Meiners notwendige Klassiker ordnender "Philosophischer Bibliothek" vorstellbar? Eher unwahrscheinlich. Eine auf das Maß des Menschenfreundlichen zurechtgestutzte Skepsis verlangt förmlich nach den hosentaschenformatigen, genauer: 9,6 × 14,8 cm großen, gelben Bändchen des Reclam-Verlages. (Dass vor kurzem der amerikanische Philosoph Thomas Nagel ein solches Bändchen für "das letzte Wort" missbrauchen wollte, muss als Ausnahme von der Regel und unverzeihliche Nachlässigkeit des Lektorats bewertet werden.) Schon durch sein bescheidenes äußeres Auftreten also scheint sich heutzutage ein von Pyrrhon und Sextus Empiricus über Montaigne bis in die Gegenwart reichendes Denken von allen großen Erzählungen distanzieren zu wollen. Deswegen kann es kein Zufall sein, dass Odo Marquard nunmehr schon zum vierten Mal binnen kurzer Zeit seine gesammelten Vorträge und Aufsätze im Reclam-Verlag veröffentlichen lässt (Odo Marquard: "Philosophie des Stattdessen". Studien. Reclam-Verlag, Stuttgart 2000. 144 S., br., 7,- DM). Der Skeptiker, so bekennt Marquard, wird ein opus magnum zu erzeugen niemals in der Lage sein, wird seine rhapsodischen Gelegenheitsarbeiten niemals zu einem System, zu einer ausgefeilten und mit Endgültigkeitsanspruch auftretenden Theorie bündeln können. Mehrere hundert Seiten, das würde die Fassungskraft jeder Hosentasche zweifelsohne übersteigen. Der Transzendentalbelletrist Marquard legt hier mit Bedacht nur Gelegenheitsarbeiten vor, recht eigentlich ein Parergon: eine Sammlung von kurzen, dafür umso bedenkenswerteren Aufsätzen, kein Hauptwerk, sondern günstigenfalls etwas stattdessen. Die fehlende theoretische Kohärenz, die mangelnde Systematik einer derart verfahrenden Philosophie werden nun freilich mehr als kompensiert durch ihren unschätzbaren Gebrauchswert. Wer wäre in der Lage, sich einen Band von Hegels Schriften eben einmal so in der U-Bahn zu Gemüte zu führen? Wer packte am Wochenende voller Vorfreude einen dickleibigen Klassiker in den Picknickkorb? Unter Bedingungen der Zeitknappheit lässt sich eine idealere Lektüre als Marquards bei Reclam versammelte Studien gar nicht denken. Je beschleunigter das Leben, desto mehr ist der homo compensator darauf angewiesen, sich entschleunigen zu lassen. Wer kurz vor dem Einschlafen und die Augen kaum mehr offen haltend noch unbedingt etwas lesen will, wer weiß, dass er nur noch ein halbes Stündchen Zeit hat und dieses gerne zur geistigen Erbauung nützen möchte, wer am Bahnhof auf die Ankunft der Liebsten wartet, dem sei die Lektüre von Marquards Schriften dringend angeraten. Denn die Pausen sind es, die Phasen der Langeweile und der Müßiggängerei, in denen wir vom Absoluten Abstand nehmen und eben damit das zentrale Motiv von Marquards Kompensationsphilosophie ernst nehmen. Was für das Kind der Teddybär und den Erwachsenen das Museum, das sind für den Schwimmbadleser Marquards Reclam-Bändchen: Entlastung vom Lebensernst. Dass stilistische Brillanz dabei nicht auf philosophische Weisheit verzichten muss, zeigt keiner besser als Marquard. Keiner auch befolgt genauer eine Regel, die in der "Philosophie des Stattdessen" folgendermaßen formuliert wird: "Schreiben ist in der Regel eine Mitweltbelästigung; auch Philosophen sollten dafür Buße tun: durch Lesbarkeit."

PETER VOGT

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Der Transzendentalbelletrist Marquard legt hier mit Bedacht nur Gelegenheitsarbeiten vor, recht eigentlich ein Parergon: eine Sammlung von kurzen, dafür umso bedenkenswerteren Aufsätzen, kein Hauptwerk, sondern günstigenfalls etwas stattdessen. Die fehlende theoretische Kohärenz, die mangelnde Systematik einer derart verfahrenden Philosophie werden nun freilich mehr als kompensiert durch ihren unschätzbaren Gebrauchswert. Wer wäre in der Lage, sich einen Band von Hegels Schriften eben einmal so in der U-Bahn zu Gemüte zu führen? Wer packte am Wochenende voller Vorfreude einen dickleibigen Klassiker in den Picknickkorb?

Unter Bedingungen der Zeitknappheit lässt sich eine idealere Lektüre als Marquards bei Reclam versammelte Studien gar nicht denken. Je beschleunigter das Leben, desto mehr ist der homo compensator darauf angewiesen, sich entschleunigen zu lassen. Wer kurz vor dem Einschlafen und die Augen kaum mehr offen haltend noch unbedingt etwas lesen will, wer weiß, dass er nur noch ein halbes Stündchen Zeit hat und dieses gerne zur geistigen Erbauung nützen möchte, wer am Bahnhof auf die Ankunft der Liebsten wartet, dem sei die Lektüre von Marquards Schriften dringend angeraten.

Denn die Pausen sind es, die Phasen der Langeweile und der Müßiggängerei, in denen wir vom Absoluten Abstand nehmen und eben damit das zentrale Motiv von Marquards Kompensationsphilosophie ernst nehmen. Was für das Kind der Teddybär und den Erwachsenen das Museum, das sind für den Schwimmbadleser Marquards Reclam-Bändchen: Entlastung vom Lebensernst.

Dass stilistische Brillanz dabei nicht auf philosophische Weisheit verzichten muss, zeigt keiner besser als Marquard. Keiner auch befolgt genauer eine Regel, die in der "Philosophie des Stattdessen" folgendermaßen formuliert wird: "Schreiben ist in der Regel eine Mitweltbelästigung: auch Philosophen sollten dafür Buße tun: durch Lesbarkeit." Peter Vogt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Dieses Reclam-Bändchen enthält neben anderen vorzüglichen Beiträgen auch die lesenswerten Würdigungen - etwa über Universalgeschichte "im Anschluss an Schiller" oder über "Unternehmensführung im Jahr 2005" - der Philosophenkollegen Hans Blumenberg und Hermann Lübbe. Man kann sie ohne jede Skepsis lesen. Badische Zeitung
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Martin Meyer erläutert Odo Marquards "Philosophie des Stattdessen" als eine Art des sich Einschickens in die Unvermeidlichkeit bestimmter Zwänge und zugleich als eine Suche nach einem Regulativ, das die Soll- mit der Habenseite des Lebens wenn nicht in Einklang, so ins Gleichgewicht bringt. Einer dieser Zwänge ist die Zeit - und statt wie mancher Philosoph Zeit seines Lebens an einem großen Werk zu schreiben, scherzt Meyer, ziehe Marquard die kleine essayistische Form vor. Der Rezensent ist beeindruckt von den zwölf Skizzen, mit denen der Giessener Philosoph seine "skeptische Anthropologie" auf gelehrte wie vergnügliche Weise umreiße. Einer der zentralen Begriffe bei Marquard heißt Kompensation, womit er das Thema des Regulativs und der Lebensdienlichkeit quer durch die Geschichte verfolgt. Marquards "Theorie der Balancen", wie Meyer es nennt, sieht der Rezensent aufs Schönste im letzten der zwölf Aufsätze überprüft und bewahrheitet, in dem Marquard das Selbstporträt des Philosophen als alter Mann entwirft.

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