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Als Nicolaus Sombart im Sommer 1945 aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen wird und einen Zielort angeben soll, sagt er spontan: Heidelberg! Heidelberg war, nur so viel wusste er, von Bomben verschont geblieben und besaß eine berühmte Universität. Hier betritt er die Welt von Wissenschaft und Literatur, entdeckt das Heidelberg der zwanziger Jahre, dessen Geist von Gelehrten wie Karl Mannheim und Georg Lukacs geprägt war, und registriert sofort starke reaktionäre Gegenströmungen, die sich etwa in der Person von Carl Schmitt manifestieren. Sombart beschreibt die Träume der frühen…mehr

Produktbeschreibung
Als Nicolaus Sombart im Sommer 1945 aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen wird und einen Zielort angeben soll, sagt er spontan: Heidelberg! Heidelberg war, nur so viel wusste er, von Bomben verschont geblieben und besaß eine berühmte Universität. Hier betritt er die Welt von Wissenschaft und Literatur, entdeckt das Heidelberg der zwanziger Jahre, dessen Geist von Gelehrten wie Karl Mannheim und Georg Lukacs geprägt war, und registriert sofort starke reaktionäre Gegenströmungen, die sich etwa in der Person von Carl Schmitt manifestieren. Sombart beschreibt die Träume der frühen Nachkriegszeit und porträtiert die Protagonisten des Heidelberger Geisteslebens. Karl Jaspers, der in den Debatten über die Schuldfrage einen neuen Akzent setzt. Alfred Weber, dessen "Kultursoziologie" deutsche Geschichte neu schreibt. Die Zirkel um Marianne Weber und Else Jaffe, in denen Max Weber noch immer gegenwärtig ist. Die "Neuerer", Dolf Sternberger und Alexander Mitscherlich, die den Anschlus s an die westliche Zivilisation suchen. Und: die Kommilitonen Hanno Kesting und Reinhard Koselleck.
Autorenporträt
Nicolaus Sombart, geboren 1923 in Berlin, Sohn des Nationalökonomen Werner Sombart, seine Mutter führte einen kosmopolitischen Salon. Studium in Heidelberg, Neapel und München. Promotion bei Alfred Weber. Mitglied der "Gruppe 47". 30 Jahre beim Europarat tätig, zuletzt als Leiter der Kulturabteilung. 1982 Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. 1983 Lehrauftrag für Kultursoziologie an der FU Berlin. Seither freier Schriftsteller. Mitglied des PEN.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.01.2001

Man lässt wählen
Die Heidelberger Jahre – Nicolaus Sombart bleibt sich auf der Spur
Nicolaus Sombart hat seine Autobiografie, die seit 1984 in Teilbänden erscheint, als Springprozession durchs eigene Leben angelegt. Der erste Band umfasste die Jahre 1933 bis 1943, der zweite die 1951 bis 1954, der dritte Band reicht nun von 1945 bis 1951 und thematisiert die Heidelberger Studienjahre. Der Autor zeigt offenbar wenig Lust, sich in seiner Selbstbespiegelung der Gegenwart zu nähern, und auch seine anderen neueren Publikationen, über Wilhelm II. und über Carl Schmitt, scheinen ein wenig aus der Zeit und aus dem Wind zu sein.
Der Sohn des ungleich berühmteren (und bedeutenderen) Soziologen Werner Sombart findet sein Lebensideal in einer Zeit, als sich im Deutschen Reich eine Art „Bürgeradel” konstituiert hat und durch distinkte Zeichen wie den Maßanzug und die Vorstadtvilla von den Pfahlbürgern zu unterscheiden sucht. Seine Leitfigur ist Dorian Gray, dieses „Vademecum höchsten Lebensraffinements”, sein wissenschaftliches Leitbild der Heidelberger Jahre sein Doktorvater Alfred Weber, der die Nazi-Herrschaft in der inneren Emigration überstanden hatte und bei Kriegsende von den Amerikanern eingesetzt wurde, an der Umgestaltung und Entnazifizierung der Universität mitzuwirken.
Sombart selbst gehört zu jenem Typus, der immer auf die Füße fällt, der selbst in den Notjahren der Nachkriegszeit gut lebt, sei es als Untermieter einer vermögenden Architektenwitwe, auf deren „kelimbedeckten Diwan” auch der sexuelle Initiationsritus vollzogen wurde (freilich nicht mit der Witwe), sei es als Feldbett-Logiergast im Palais Weimar. Ein Mann mit Gespür für die ihm „angemessene soziale Position”: „Ich wählte nicht – ich ließ mich wählen. ”
Bei der Lektüre solcher Memoiren fragt man sich, weshalb sich alte Herren die Mühe machen, ihr Leben darzustellen und in die relevanten Zeitläufte einzuordnen. Denn eine Mühsal muss es gewesen sein, immer zu fragen: Was war damals wichtig, und welche Rolle habe ich dabei gespielt? Die Antwort beginnt zumeist und zuvörderst mit einer Reinterpretation der eigenen Lebensspuren, die etwas von Namedropping und Diwanhopping an sich haben: wenn auch nur die Hälfte stimmt, so ist es doch erlogen.
Stimmig wirken dagegen die atmosphärischen Bilder, einzelne Beobachtungen, die glaubhaft und plausibel erscheinen, zum Beispiel die, dass man in jener Heidelberger Zeit nie über den Genozid gesprochen habe, weder in Alfred Webers Institut, dem Insosta, das 1933 durch die „Ausmerzung artfremder Elemente” um einen Großteil seiner intellektuellen Kapazität gebracht worden war, noch im privaten Raum, den Salons und den literarischen Zirkeln, die Sombart recht eindrucksvoll zu beschreiben weiß. Wenn dann aber der Kultursoziologe Sombart etwa behauptet, es habe bis heute keine Antworten auf die Frage gegeben, was damals „in den Köpfen der deutschen Täter” vorgegangen sei, dann bewegt er sich auf sehr dünnem Eis: „Fünfzig Jahre Forschung haben uns kaum weiter gebracht”, schreibt er apodiktisch und bekundet damit seine Ignoranz. So kann eigentlich nur jemand sprechen, der an einer Modifikation seines Geschichtsbildes nicht mehr interessiert ist, der lieber seine Animositäten pflegt als sich belehren lassen – nur um eine Gegenposition zu beziehen. In diesem Urteil schrumpft Bismarck „auf die Proportionen eines reaktionären preußischen Junkers von lokaler Bedeutung” und sind die Repräsentanten der Frankfurter Schule verantwortlich für eine „Verunsicherung und Verwirrung der Geister”, von der sich die geistige Welt bis heute nicht erholt habe.
Nicolaus Sombart weiß selbst Dinge, die irgendwo zwischen Unfug und Halbwissen anzusiedeln sind, mit großer Geste zu sagen. Das ist bewundernswert und hat zu einem hinreißenden Porträt durch Gregor von Rezzori geführt, der ihn in seiner ungleich gewitzteren Autobiografie „Mir auf der Spur” (1997) ein wenig als Parvenü vorführt. Eine der schwierigsten Übungen der Gattung Autobiografie scheint es zu sein, ein Verhältnis zur eigenen Person zu gewinnen, das gleichermaßen von Distanz und Augenmaß charakterisiert ist und Würde hat. Ein Anflug davon ist auch bei Sombart spürbar, immerhin.
LUTZ HAGESTEDT
NICOLAUS SOMBART: Rendezvous mit dem Weltgeist. Heidelberger Reminiszenzen 1945–1951. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2000. 316 Seiten, 44 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Ist es der "Weltgeist" oder nur der "Heidelberger Geist", an den Nicolaus Sombart in seinen Erinnerungen gerät? Michael Jeismann ist dem Autor in unbeheizte Hörsäle, wo Jaspers über "Kollektivschuld" doziert, und auf Leseabende mit Dolf Sternberger gefolgt und stellt fest: Von der intellektuellen und moralischen Verfassung der Studenten im Nachkriegsheidelberg gibt das Buch einen recht genauen Eindruck. Auch wenn Sombart, wie wir lesen, mitunter der Versuchung erliegt, "mit dem Spiegel in der Hand zu schreiben".

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