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Karsten Matta, vierzig Jahre alt und Familienvater, bereist seit fünfzehn Jahren die Welt für eine internationale Consulting-Firma. Bis er eines Tages im Warteraum eines Konsulats mit seinem bisherigen Leben bricht. Das Buch erzählt die Geschichte einer Liebe, die auch Selbstzerstörung ist, und einer Flucht, in die Matta alle hineinzieht, die ihn lieben. "Matta verlässt seine Kinder" ist die Geschichte eines verzweifelten Amoklaufs durch ein nur scheinbar friedliches Land.

Produktbeschreibung
Karsten Matta, vierzig Jahre alt und Familienvater, bereist seit fünfzehn Jahren die Welt für eine internationale Consulting-Firma. Bis er eines Tages im Warteraum eines Konsulats mit seinem bisherigen Leben bricht. Das Buch erzählt die Geschichte einer Liebe, die auch Selbstzerstörung ist, und einer Flucht, in die Matta alle hineinzieht, die ihn lieben. "Matta verlässt seine Kinder" ist die Geschichte eines verzweifelten Amoklaufs durch ein nur scheinbar friedliches Land.
Autorenporträt
Gregor Hens, geb. 1965 in Köln, studierte Sprach- und Literaturwissenschaften in Bonn, Missouri und Kalifornien (Berkeley). Er lebt in Columbus/Ohio, wo er Germanistik lehrt, und in Berlin. Sein erster Roman, 'Himmelssturz', wurde als »Meisterwerk« (Süddeutsche Zeitung) gefeiert.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.04.2004

Ich trinke auf den Krieg, mal wieder
In klassischer Novellenform: Gregor Hens erzählt in „Matta verlässt seine Kinder” eine Ausbruchsgeschichte
„Ich komme nicht wieder, sagt er. Ich komme nicht wieder in dieses Leben zurück.” Das dritte Buch von Gregor Hens ist ein klassischer Ausbruchstext, und sobald der Leser dies begriffen hat, fragt er sich: Gibt’s denn das noch?
In der frühen Moderne radikalisierten Arthur Schnitzler und viele andere Fontane, indem sie die Ehen und Familien ihrer Figuren exzessiv scheitern ließen; meist an der in dieser Zeit literarisch boomenden Sinnlichkeit der Frau. Nach dem zweiten Weltkrieg war Max Frisch eine Leitfigur der Ausbrecher, männliche Identitätssucher sagten ihrer bürgerlichen Existenz reihenweise ade. Doch seit mitteleuropäische Moral anschmiegsamer wurde, seit kaum einer an pures Aussteiger-Glück mehr glauben mag, wirkt das hartnäckige Thema kleiner und großer Fluchten literarisch wie verglüht.
Und jetzt Karsten Matta, der seine Kinder verlässt. Wenn überhaupt, ist er nicht der Rückkehrer Stiller, eher schon ein Graf Öderland, der plötzlich realisiert, was für einen fürchterlichen Beruf er hat. Am entscheidenden Tag seines Lebens wird „post-conflict analyst” Matta, der das Terrain für Wiederaufbau-Firmen sondiert, auf der pakistanischen Botschaft so lange hin gehalten, bis er verrückt spielt: „Was ist das für ein Scheißland, schrie Karsten und lief den Flur entlang, auf dem niemand zu sehen war.” Matta rast nach Hause, kündigt per E-mail bei einer Londoner Organisation und erzählt seiner Frau, er werde Malin treffen, eine schwedische Freundin. Er erinnert sich daran, dass er in der Snipers Alley in Sarajewo beschossen wurde und in Ruanda Elend gesehen hat, was ihn gewalttätig hat werden lassen. Gregor Hens bringt einen harten, gehetzten Rhythmus in seine distanzierte Sprache, die sichtbar macht, dass Mattas Amok-Aktion die eines Zwangsneurotikers ist. Er ist aber auch ein cooler Kerl, der vor einer seiner Abreisen in die Krisengebiete der Welt zu Freunden sagt: „Ich trinke auf den Krieg, mal wieder.”
Nie ohne Leidenschaft
Mattas plötzlicher Ausbruch ist kein Abschied vom strahlenden Glück, aus dem der Held unverhofft fiele. Sein Leben war schon „vorher” ein Es-geht-gerade-noch, ein Ausbalancieren des Scheiterns. Malin also, denkt sich Rebecca, Mattas Frau: „Immerhin, sie lebten seit Jahren so, sie hatten den Ausdruck offene Beziehung immer gemieden, aber das war die Grundlage ihres Zusammenlebens. Sie kamen sich nicht in die Quere. Sie lebten zusammen wegen der Kinder, weil sie sich geliebt hatten, irgendwann einmal.” Manchmal schlafen sie miteinander, „nie ohne Leidenschaft”, stehen „nachts auf dem Balkon und teilen sich eine Zigarette wie richtige Eheleute, und sie redeten über Dinge, die sonst niemanden etwas angingen. Oft redeten sie nicht, auch nicht nach seinen Reisen.”
Geschickt wie ein klassischer Erzähler setzt Hens in einem Satz ambivalente Zeichen, doch unter dem Strich kommt heraus: Rebecca und Matta sind ganz allein. Was für beide erst sichtbar wird, als Matta den Ausbruchs-Satz sagt, den zufällig die Kinder hören, die er mit ihm verlässt; denn, so genau ist der Titel: seine Frau hat Matta längst verlassen. Und sie ihn.
Hens organisiert sein Thema gleichermaßen realistisch wie modellhaft, und versucht dabei, auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Das wirkt interessant. Denn hier wird zwar keine neue Ästhetik erprobt, aber die Problematik zeitgenössischer Lebensformen der klassischen Novellenästhetik eingepasst: Der Aufbruch nach dem unverhofften Ereignis ist wirklich nicht mehr, was er einmal war. Selbstverständlich kannten sich Rebecca und Malin, diese liebte die Kinder, „wie alle dreiunddreißigjährigen Frauen Kinder im Vorschulalter lieben”, und mit der Flucht beginnt natürlich nicht die Reise ins Glück, sondern Diskussionsbedarf. Keine Gattin könnte besser gegen den Ausbruch sprechen als die Geliebte: „Deine eigenen Kinder.” Dazu passt, dass Chris, der ältere Sohn, gleich heult, nachdem er den Ausbruchs-Satz gehört hat: „Auch Malin werden wir nicht mehr sehen!”
Zieht man eine Linie von Fontane über Schnitzler und Frisch bis in die Gegenwart, kann man sagen: der Perversionsgrad, die Komplexität der Lebensverhältnisse nehmen offenbar zu. Ein Zeichen dafür ist auch der trendnahe Beruf des Helden: der zeitgenössische Homo Faber ist kein problemlösender Techniker mehr, sondern einer, der von den Weltproblemen profitiert. Und Hens dicht gedrängter, direkter Stil passt dazu. Er erzeugt den Eindruck, Matta könnte tatsächlich ein Hintergrundmacher des Zeitgeschehens sein.
Überzeugend auch das Egomanische an diesem Charakter. Die Flucht aus der Familie führt nicht zu erhöhter Öffnung für die Probleme anderer Menschen. Nein, es ist, als flüchte Matta in einen immer enger werdenden Käfig, an dessen Ende nur sein eigenes, zerfallendes Spiegelbild steht. In etwas überdeutlicher Symbolik setzt Matta zum Schluss des Buchs eine Hochzeit in Brand. Ein Chaos entsteht, dass die klare Linie der Erzählung schwinden lässt.
Hens setzt auf die subjektive Kamera privaten Erlebens, die das Feuer und die Fahrerflucht nur langsam verstehen macht. Max Frisch und David Lynch würden sich gern treffen. Eine inszenierte Unübersichtlichkeit, die den Leser etwas ratlos lässt. Trotzdem hat der 1965 geborene Hens seinen Ruf als ebenso traditionsinteressierter wie vielversprechender Erzähler mit diesem Buch gefestigt.
HANS-PETER KUNISCH
GREGOR HENS: Matta verlässt seine Kinder. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 150 S., 14,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2004

Nach der Krise ist vor der Krise
Flucht ins Unbekannte: Gregor Hens dreht am Weltempfänger

Irgendwann muß jeder schon einmal vom Aufbruch in ein anderes Leben geträumt haben: einfach aufstehen, rausgehen, den Job kündigen und alles neu beginnen. Die Wunschvorstellung, seine soziale Existenz so vollständig im Griff zu haben, daß man sie jederzeit ganz neu erfinden kann, ist offenbar ein Gründungsmythos unserer Lebensform, der selbst den Niedergang des bürgerlichen Zeitalters, dem er entstammt, noch überdauert. Womöglich hat er sogar in Zeiten virtueller Wirklichkeiten noch an Kraft gewonnen. Wer morgens jagt und mittags tischlert, mag sich abends wohl an den PC setzen und verrichtet dennoch alle Arbeit unentfremdet. Was macht dagegen ein "post-conflict analyst"?

Das ist der Beruf von Karsten Matta, Protagonist in Gregor Hens' jüngster Erzählung. Er jettet durch die Welt, besucht Krisenregionen wie Bosnien, Ruanda oder Pakistan, beobachtet vor Ort den mühseligen Aufbau zivilgesellschaftlicher Ordnungsformen und verfaßt darüber Gutachten für internationale Investoren. Genauer gesagt, dies alles tat er jahrelang, bis er eines Tages hinschmeißt. Mit dieser großen Szene, gewiß einer der stärksten des Buchs, setzt die Erzählung ein: Im überheizten Warteraum einer heruntergekommenen Botschaft, wo nicht einmal mehr der Minutenzeiger richtig tickt, wartet Matta wie so oft auf irgendein Visum und muß sich wie so oft vom arroganten Stumpfsinn subalterner Bürokraten schikanieren lassen. Da platzt der Knoten, und alles geht ganz schnell. Ein Wutausbruch, eine E-Mail an den Chef in London, ein flüchtiger Abschiedsgruß an die Familie. Rückblickend erklärt er: "Ich wollte nichts sein, keine Rolle haben, keinen Beruf. Ohne Verantwortung für irgend jemanden." Ist so etwas nun wahres Lebensglück, schierer Hochmut oder wüste Spielerei?

Es zeichnet den Text aus, daß er die Antworten auf solche Fragen, mit denen er uns konfrontiert, lange in der Schwebe hält. Wie schon im Titel seines Debütromans "Himmelssturz" vor zwei Jahren angedeutet, erkundet Hens auch diesmal wieder, ob ein Zusammenbrechen des Vertrauten für die Betroffenen Befreiung oder Auslieferung bedeutet. Matta muß jedenfalls erfahren, sobald er Rolle und Beruf verläßt, wie rasant die neu gewonnene Freiheit seine gesamte Existenz ins Schlingern bringt. Nach seinem Aufbruch aus dem Alltag entwickelt die Erzählung sich zu einem knappen Roadmovie, bei dem die Flucht ins Unbekannte letztlich in einer Katastrophe endet. Was genau sich da ereignet, bleibt allerdings Vermutung. Denn durchweg müssen wir als Leser das Geschehen aus Gedankenprotokollen und Berichten, die sich teils überschneiden, teils durchkreuzen, selbst ermitteln. Aber zunehmend wird zur Gewißheit, was man seit dem Anfang ahnt: Die mutwillige Auflösung aller sozialen Bindungen ist weniger Wunschtraum als purer Wahn.

Dies alles teilt sich uns in einem dichten Geflecht aus Stimmen, Erinnerungsfetzen und Beobachtungen mit. Immer wieder wechselt die Erzählung unversehens die Perspektive. Was wir lesen, changiert zwischen Innensicht und Außenblicken, gleitet zwischen den Figuren, ihrer Wahrnehmung und Vorstellung, flackert zwischen jetzt und damals und läßt übergangslos auch mal Schreckensmeldungen von entfernten Krisenzonen einbrechen. Wie bei einem alten Radio, das die Sender beim Empfang nicht richtig trennt, überlagern sich hier ständig Übertragungen aus einer unsicheren Welt. Keine Frage, dieser Autor ist ein Könner und läuft zumal auf engbegrenztem Raum - die Handlung der Erzählung umfaßt lediglich zwei Tage - zu großer Form auf. Besonders eindringlich gelingen ihm dabei solche Szenen wie Mattas Warterei im Vorzimmer, sein Besuch bei einer Straßenhure oder die Routine seiner üblichen Ankunft zu Hause, in denen eigentlich gar nichts geschieht.

Dagegen wirken manche ereignisstarken Passagen, wie Mattas atemloser Sex mit seiner schwedischen Geliebten oder das tödliche Finale, eher angestrengt - ganz so, als habe der Erzähler sein Können hier erst recht beweisen wollen. Auch durch die Reihe literaturhistorischer Zaunpfähle, die Hens offenbar einschlagen zu müssen meint, wird die Erzählung weniger gesichert als in ihrem Sog gebremst. Ob sich nun "Malte", der Rufname von Mattas Sohn, von Rilke oder doch eher von Malzbier herleitet, mag man als kleine Diskussion am Rande lustig finden. Die weiteren Verbeugungen vor dem Autor des "Malte Laurids Brigge" aber sind ebenso bemüht und letzthin überflüssig wie die erstaunlich plumpe Abrechnung mit Rainald Goetz.

Am spannendsten und zugleich unheimlichsten wird der Text vielmehr dann, wenn er mit bemerkenswertem Spürsinn registriert, wie aus dem Banalen täglich das Brutale hervorbrechen kann. Auf einer Hochzeitsgesellschaft beispielsweise, in die Matta zufällig gerät, wird einem lokalen Brauch zufolge ein junges Mädchen zur sogenannten "Hundsbraut" gekürt und entsprechend ausstaffiert: "Jetzt wird die Braut geschmückt unter lautem Gejohle, ein Tischtuch dient als Schleier, sie legen ihr eine Kette aus Bierdeckeln um den Hals und jemand kniet sich hin und hebt ihren Fuß hoch und schiebt ihr ein Gummiband bis hinauf übers Knie und an dem Gummiband unter dem Rock befestigen sie Blumen, die sie aus den Tischgedecken ziehen, und geblümte Servietten."

Während das Spiel sich schnell zu einem irren Spuk steigert, zeigt es im Zerrspiegel, wie brüchig jene bürgerliche Welt, die mit dem Eheschluß gefeiert wird, doch ist, kaum daß ihre Versatzstücke in Unordnung geraten. Die eigentlichen Konflikte stehen dem "post-conflict analyst" jedenfalls erst noch bevor, als er aus seiner Rolle ausgebrochen ist. Daß wir von ihnen kaum mehr als vage Ahnungen gewinnen, macht sicher die Begrenzung, aber auch die Stärke dieser Erzählung aus.

TOBIAS DÖRING

Gregor Hens: "Matta verläßt seine Kinder". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 141 S., geb., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Auch wenn man dem Autor vorwerfen könne, er habe seine Geschichte "allzu kaltblütig inszeniert", kann man sich der "erbitterten Energie" und der "Präzision" seiner Phantasie nicht entziehen, resümiert Jörg Magenau nach der Lektüre des neuen Werks von Gregor Hens. Die Geschichte, in der ein Mann erst den Job als Agent einer Consultingfirma hinschmeißt, seine Frau und Kinder verlässt, um in einem Autounfall kläglich zu verrecken, sei "gewürzt" mit den Zutaten "Sex, Gewalt, Elend und Krieg" und könne mitunter sehr "durchkonstruiert" wirken. Doch Hens habe aus der schmalen Erzählung eine "brisante Parabel" über "Gleichgültigkeit, Sehnsucht und Verlorenheit" gemacht, die den Leser "hilflos" zurücklasse. Ihm ist es gelungen, den Absturz eines Menschen ins Bodenlose so zu beschreiben, dass die "Bodenlosigkeit der Verhältnisse" selbst sichtbar wird, lobt Magenau.

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