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Sarah Wode-Douglas, eine adlige Engländerin, folgt einem Freund von London nach Kuala Lumpur. Hier lernt sie einen seltsamen und vergessenen Dichter kennen, dessen Geheimnis sie fasziniert.

Produktbeschreibung
Sarah Wode-Douglas, eine adlige Engländerin, folgt einem Freund von London nach Kuala Lumpur. Hier lernt sie einen seltsamen und vergessenen Dichter kennen, dessen Geheimnis sie fasziniert.
Autorenporträt
Peter Carey, 1943 in Australien geboren, lebt in New York. Den renommierten Booker-Prize bekam er zweimal verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2004

Fiktion mit Rachedurst
Lauter betrogene Betrüger: Peter Careys neustes Vexierspiel

Eine Stimme kann man nicht fälschen", stellt Sarah Wode-Douglass fest, als sie sich noch in Kontrolle von Ereignissen wähnt, die sie alsbald überrollen werden. Dieser Satz ist die größte von all den Lügen, die Peter Carey uns in seinem neuen Roman auftischt - und sein Buch eine geistreiche Widerlegung dieser dreisten Behauptung. Mit Herbert Badgery, dem fabulierenden Gauner aus Careys "Illywhacker" (1985), möchte man dem Leser raten: "Versuchen Sie nicht, Lüge und Wahrheit zu trennen, sondern entspannen Sie sich und genießen Sie die Show."

Als spontane Eingebungen gehen Lügen den meisten Menschen leicht über die Lippen, ob in Form von Schmeichelei, Ausreden oder als sogenannte Notlügen, deren gesundheitsstabilisierende Wirkung auch die Wissenschaft inzwischen bestätigt hat. Etwas anderes ist es mit einem richtigen, ausgewachsenen Schwindel, mit jemandem, der sich von vorne bis hinten selbst erfunden hat. Davon abgesehen, daß es recht anstrengend ist, Ereignisse und Wendungen nicht nur ersinnen, sondern sich fortan auch noch merken zu müssen, besteht die Gefahr, daß der Lügenbold selbst irgendwann nicht mehr zwischen Wahrheit und Fälschung unterscheiden kann. Wer eine Hintertür in sein Leben einbaut, benutzt sie eines Tages als Haupteingang.

Maskerade gehört zum Wesen von Literatur. Indem ein Schriftsteller einer Figur eine Stimme gibt, setzt er an zu einer Täuschung. Dem Australier Carey, der sich in seinen bisherigen sieben Romanen zu einem der virtuosesten Bauchredner der angelsächsischen Literatur entwickelt hat, ist dieser schauspielerische Impetus seiner Kunst durchaus bewußt. Die Fähigkeit, sich selbst vollkommen zurückzunehmen, um Stimmen zu Gehör zu bringen, die sonst für immer stumm geblieben wären, besitzt er in hohem Maße. Vom toten Werbefachmann aus "Bliss" über den hundertneununddreißigjährigen Badgery aus "Illywhacker" und einem viktorianischen Anglikanerpriester aus "Oscar und Lucinda" bis hin zum australischen Volkshelden Ned Kelly hat Carey unterschiedlichste Charaktere zum Leben erweckt. Wem er auch sein Ohr lieh, seine besondere Gabe lag stets in der Glaubwürdigkeit, mit der er diese Stimmen nachzuahmen wußte. Zwar steht der hehre Nobelpreis für Carey nicht unmittelbar zu erwarten, auch wenn er für "Die Geschichte von Ned Kelly und seiner Gang" 2001 als einziger Autor außer J. M. Coetzee zum zweiten Mal mit dem populären Booker-Preis ausgezeichnet wurde. Doch bleibt der Einundsechzigjährige, der seit vielen Jahren in New York lebt, seiner Heimat schreiberisch treu. Und der fünfte Kontinent hat genug Ereignisse und Themen zu bieten, die seine literarische Inspektion lohnen.

Auch das folgenreiche, im angelsächsischen Literaturbetrieb legendäre Täuschungsmanöver, auf dem die Idee zu "Mein Leben als Fälschung" beruht, hat sich dort ereignet. Im Jahr 1944 veröffentlichte "Angry Penguins", eine angesehene Literaturzeitschrift in Adelaide, Gedichte von Ern Malley, einem angeblichen Mechaniker, der zum Versicherungsvertreter wurde und mit nur fünfundzwanzig Jahren gestorben war. Der gefeierte junge Herausgeber der Zeitschrift, Max Harris, stellte Malleys Gedichte als Zeugnisse eines Genies vor. Dann flog der Schwindel auf: Zwei Literaturwissenschaftler hatten die Figur Ern Malley mitsamt seinen Gedichten erfunden, um die von ihnen als "progressiv" verachtete Ausrichtung der Zeitschrift zu parodieren. Harris wurde von der Presse verhöhnt und mußte sich sogar vor Gericht gegen den Vorwurf der Obszönität der Malley-Gedichte verteidigen.

Bei Carey hört das erfundene Dichtergenie auf den Namen Bob McCorkle, der geleimte Journalist heißt David Weiss, und derjenige, der sich das ganze Spiel ausgedacht hat, ist ein gewisser Christopher Chubb. Uns wird die Geschichte im gouvernantenhaft strengen Ton von Sarah Wode-Douglass vermittelt, ihres Zeichens ebenfalls Redakteurin einer angesehenen, geringauflagigen englischen Literaturzeitschrift. Sarah stößt bei einem Aufenthalt in Kuala Lumpur auf eben jenen Christopher Chubb, der dreißig Jahre zuvor unter dem Pseudonym Bob McCorkle seinem ehemaligen Studienfreund David Weiss eine perfide intellektuelle Falle stellte, in welche dieser prompt hineintappte. Hier enden die Parallelen zur Realität. Weiss kommt noch während des Gerichtsprozesses unter mysteriösen Umständen um.

Doch nicht nur in dieser Whodunnit-Erweiterung ist Careys Roman weitaus komplexer als die wahre Begebenheit. Der Autor hat seiner Geschichte noch ganz andere doppelte Böden eingezogen. So weiß etwa die Ich-Erzählerin Sarah um Chubbs Schwindel, ist aber so beeindruckt von dem Gedicht, das dieser ihr vorlegt, daß sie versucht ist, ihm trotzdem Glauben zu schenken. Denn Chubb versichert, es handle sich um keine seiner Fälschungen, sondern um ein "echtes" Werk des von ihm kreierten, inzwischen lebendig gewordenen McCorkle. Sarah ist besessen von der Idee, das Gedicht in ihrer Zeitschrift zu veröffentlichen und damit den Coup ihres Lebens zu landen, eine Entdeckung vom Range von Eliots "The Waste Land".

Carey läßt den imaginierten Poeten auferstehen als Dichtermonster in der Nachfolge von Mary Shelleys Frankenstein. Dieser gespenstische Bob McCorkle kommt mit vierundzwanzig Jahren auf die Welt, genau in dem Alter, wie Chubb ihn ersonnen hat. Das der Macht der Vorstellung entsprungene Phantom hat keine Heimat, keine Eltern und keine Kindheit, aber eine Mechanikerausbildung und die Gedichte im Kopf, die Chubb in seinem Namen niedergeschrieben hat - und noch einige mehr. Vor allem aber ist die Kreatur gar nicht gut auf ihren Erfinder zu sprechen, ohne den sie andererseits nicht existieren könnte.

Spätestens als Chubb diesen Punkt seiner Erzählung erreicht, geht es endgültig drunter und drüber; ein Verwirrspiel mit echten und vorgetäuschten Identitäten und Lebensläufen nimmt seinen Lauf, für das Carey verschiedene Zeitebenen und Erzählperspektiven kunterbunt mischt. Am Ende weiß der Leser kaum noch, wer in dieser Fabel um betrogene Betrüger und Fiktion in der Fiktion die Wahrheit sagt - falls es überhaupt jemand tut. Auch Sarah ist zunehmend verwirrt von der Schilderung Chubbs, in der auch eine Frau und eine vaterlose Tochter wichtige Rollen spielen. Chubbs Fluch, ein Wesen erschaffen zu haben, das weitaus talentierter ist als er selbst, erscheint als geringer Preis für eine derart kapitale Lebenslüge.

Anders als in der bildenden Kunst, wo erfolgreiche Fälschungen in der Regel auf bereits existierendem Ruhm basieren, läßt sich in der Literatur nach Herzenslust flunkern. So phantasierte Thomas Chatterton im achtzehnten Jahrhundert in Bristol den mittelalterlichen Priester Thomas Rowley herbei, während der schottische Dichter James Macpherson mit Ossian einen Highland-Barden von griechischen Proportionen ersann, dessen angebliches Hauptwerk "Fingal" (1861) Vergleiche mit Homer, Vergil und Milton inspirierte, bevor der Humbug als solcher entlarvt wurde.

Carey geht es weniger um die Leichtgläubigkeit des Publikums oder um den Akt der Erfindung als vielmehr um das Wesen aller Kunst. Ist ein Werk der Fiktion, von wem auch immer geschaffen, erst einmal in der Welt, erreicht es Leser und führt in deren Imagination fortan ein Eigenleben. Chubb schreibt einige Verse, um dem beneideten David Weiss eine Lektion zu erteilen. Doch auch für ihn hat der Schwindel Folgen, egal, ob er Bob McCorkle nun wirklich zum Leben erweckt hat oder dieser nur ein furchterregendes Gebilde seiner Vorstellung ist.

Auch mit Carey scheint die Phantasie durchgegangen zu sein; nicht immer wahrt er das Gleichgewicht zwischen den vermeintlich realen und abstrusen Elementen seiner ausgeklügelten Romanhandlung. Er will keine Antworten geben, sondern Fragen aufwerfen - wobei seine Geschichte in ihrer betont originellen Konstruiertheit am Ende zu konventionell bleibt, um diese Überlegungen dringlich erscheinen zu lassen. Der begabte Stimmenimitator hat diesmal einfach zu vielen Stimmen gleichzeitig gelauscht. "Mein Leben als Täuschung" ist nicht Careys bestes Buch (um diesen Titel ringen "Illywhacker" und "Oscar und Lucinda"), aber es ist ein elegantes Jonglierspiel mit Identitäten um die Frage, ob die Täuschung nicht manchmal näher an der Wahrheit ist, als man selbst für möglich hält. Auch die gekonnte Fälschung der Fälschung ist eben Kunst - nur sind Originale wertvoller.

Peter Carey: "Mein Leben als Fälschung". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Regina Rawlinson. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 282 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Brillant, lebendig, treffsicher und verblüffend." John Updike, The New Yorker

"...ein Meistererzähler." Sunday Times

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Fast durchweg mit Vergnügen hat Rezensentin Felicitas von Lovenberg diesen Roman über einen Literaturschwindel gelesen. Den Roman des australischen Autors beschreibt sie als Verwirrspiel mit echten und vorgetäuschten Identitäten und Lebensläufen. Eine an Aberwitz reiche Geschichte über ein gefälschtes literarisches Werk nimmt, wie wir lesen, seinen Lauf und die Rezensentin weiß am Ende kaum noch, wer in dieser Fabel "um betrogene Betrüger und Fiktion in der Fiktion" eigentlich die Wahrheit sagt. Im Kern gehe es Peter Carey in seiner Geschichte um das Wesen aller Kunst überhaupt. Allerdings ist Carey zum Leidwesen der Rezensentin offensichtlich oft die Fantasie durchgegangen. Nicht immer wahrt er in ihren Augen das Gleichgewicht zwischen den vermeintlich realen Elementen und den vielen doppelten Böden seiner ausgeklügelten Romanhandlung. Die Romankonstruktion selbst findet die Rezensentin schließlich zu betont originell, um seine Überlegungen zur Kunst für sie wirklich dringlich erscheinen zu lassen. Deshalb ist ihr der Roman insgesamt letztlich für seinen Anspruch zu konventionell.

© Perlentaucher Medien GmbH"