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In ihrem herausragenden Romandebüt erzählt Isabella Huser die Geschichte des Ettore Camelli (1876 - 1944) aus Versano, einem kleinen Dorf im Trentino. Eingebettet in ein Tal, nicht weit vom Meer. 1902 wird er nach New York fahren. So ist es zumindest geplant. Ein letztes Mal reist er nach Versano. Und bleibt. Er übernimmt den Kolonialwarenladen und mit ihm die Geschichte, die Geschichten des Hauses, des Dorfes und seiner Bewohner; die Geschichte seiner Ahnen, die Geschichte des Benefiziums und mit ihm die Legende um einen Fluch.Das Benefizium des Ettore Camelli erzählt aber auch die Geschichte…mehr

Produktbeschreibung
In ihrem herausragenden Romandebüt erzählt Isabella Huser die Geschichte des Ettore Camelli (1876 - 1944) aus Versano, einem kleinen Dorf im Trentino. Eingebettet in ein Tal, nicht weit vom Meer. 1902 wird er nach New York fahren. So ist es zumindest geplant. Ein letztes Mal reist er nach Versano. Und bleibt. Er übernimmt den Kolonialwarenladen und mit ihm die Geschichte, die Geschichten des Hauses, des Dorfes und seiner Bewohner; die Geschichte seiner Ahnen, die Geschichte des Benefiziums und mit ihm die Legende um einen Fluch.Das Benefizium des Ettore Camelli erzählt aber auch die Geschichte der Journalistin Heather Hughan, die in New York lebt, sich für ein Sabbatical in Venedig entscheidet und dort, beim Besuch der Toteninsel San Michele ihrer eigenen Geschichte auf die Spur kommt. Ein fliegendes Gefährt auf einem Grabstein, unter dem in ergreifender Schlichtheit nur In Amore steht, erinnert sie an eine ebensolche Skulptur, die bei ihr zuhause steht. Was verbindet die Skulptur in ihrem Besitz mit dem Relief auf dem Grabstein? Ihre Suche führt sie weg von der venezianischen Lagune in die rauere Welt des Trentino, dort wo sich die Dörfer und Borghi hinter dem Gardasee in die dunklen Täler schmiegen. Nach Versano.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2008

Da ahnt man doch gleich die Ahnen

Mit dem Stocherkahn auf dem Faktenstrom: Das späte Romandebüt der Schweizerin Isabella Huser.

Von Richard Kämmerlings

Lesen kann eine zweischneidige Sache sein. Weil Nähe und Distanz, Illusion und Reflexion, Präsenz und analytischer Fernblick dabei stets als Paar auftreten, scheinen sich manche Bücher unter der Hand zu verwandeln, als würde die Brennweite der Betrachtung plötzlich geändert. Es gibt Romane, die mit dem zeitlichen Abstand immer besser werden, weil womöglich ein Detail der Handlung oder eine unvergessliche Figur im Rückblick andere Schwächen überstrahlen. Umgekehrt gibt es Werke, die man während der Lektüre überzeugender findet als hinterher: Das ist bei vielen Büchern analytischer, also kriminalistischer Machart so, etwa weil sich die Auflösung der Rätsel als banal oder vorhersehbar erweist.

Der späte Debütroman der 1958 geborenen Schweizerin Isabella Huser gehört, so viel gleich vorweg, zur zweiten Sorte. Erzählt wird eine Familiengeschichte als genealogisches Puzzle: Die New Yorker Journalistin Heather, Mitte dreißig, verwendet nach dem Tod der Mutter ihr Erbe für ein Sabbatjahr in Venedig, wo ein Zufallsfund ihrem Müßiggang plötzlich eine Richtung vorgibt. Als sie auf der Toteninsel San Michele auf einem Grabstein eine mysteriöse Verbindung zu ihrer Familie entdeckt, wird die Touristin zur besessenen Ahnenforscherin in eigener Sache. Die Wurzeln der vermeintlich Ungebundenen stecken tief in einem Weinberg, der mit dem Fleiß von Generationen beackert werden will.

Die Camellis aus Versano, einem Dorf im Trentino, konnten dort seit dem siebzehnten Jahrhundert Anspruch auf ein attraktives Stück Land erheben, das in der Rechtsform eines der Kirche vermachten "Benefiziums" jeweils einem geweihten Priester aus der Familie zustehen und sein Auskommen sichern sollte. In den vormodernen Verhältnissen der Donaumonarchie wurde der prekäre Besitztitel aber zu einem nachhaltigen Störfaktor für die Dorfgemeinschaft. Auf dem Gut, einst gestiftet zur Sühne eines ungeheuerlichen Brudermords, scheint ein Fluch zu liegen, den noch so viele Seelenmessen nicht vertreiben können.

Am Anfang steht ein Brudermord.

In grammatischem Präsens und wechselnder Perspektive setzt Isabella Huser sehr geschickt von verschiedenen Seiten her ein Panorama zusammen, ein Epos aus Episoden, das selbst etwas vom Flickenteppich alter Grundbücher hat. Im Kontrast zwischen den dürren Fakten der konsultierten Taufbücher und Kurienakten und einer süffigen, lebensnahen, auch das Melodrama streifenden Historienmalerei wird zugleich die Rolle der Einbildungskraft bei der Aneignung von Geschichte illustriert. Wie jeder Grundbesitz müssen auch trockene Fakten gewässert und bestellt werden. Das Benefizium ist nur ein Rechtstitel, was darauf wächst, ist Sache der Phantasie.

Im Zentrum steht die Lebensgeschichte des Ettore Camelli, der, zugleich rationaler Kaufmann und von Sehnsüchten getriebener Visionär, das Scharnier zwischen Tradition und Moderne bildet. Glänzend sind die Eingangskapitel gelungen, in denen der sterbende Ettore entscheidende Stationen seines Lebens im Fieberwahn kurzschließt: die geplante Auswanderung zu Beginn des Jahrhunderts, die scheinbar irrationale Entscheidung, zu bleiben und den abgewirtschafteten Dorfladen zu einem Delikatessengeschäft zu machen, dann die Teilnahme am Ersten Weltkrieg und eine Tat, die die familiäre Urszene des Brudermords wiederholt, schließlich der Neuanfang nach dem Ende Österreich-Ungarns, die Pleite in den zwanziger Jahren, der Faschismus und der nächste Krieg.

In der Lebensgeschichte Ettores erzählt Isabella Huser auch vom Sieg der Vernunft über den Mythos. Heather erkennt die Leistung des Kaufmanns gerade darin, das vermaledeite Benefizium auch um den Preis des eigenen Ruins aufgelöst und so den Bann der Geschichte gebrochen zu haben: Ihre Herkunft ist für Heather keine Bürde mehr, sondern nur noch Stoff. Aus dieser Anlage hätte ein kleines Meisterwerk im Geiste Claude Simons werden können, wenn Huser die (auch verwirrende) Dichte des Beginns stärker zum Formprinzip gemacht hätte. Stattdessen wird dem Leser eine Ahnentafel an die Hand gegeben, die Ordnung in die einander überlagernden Schmerzzentren der Erinnerung bringt. Das ist hilfreich, wirkt aber so, als vertrauten Autorin oder Verlag der Leuchtkraft der Erzählung nicht. Alles geht auf, kein Fleckchen der erdverbundenen Geschichte bleibt Terra incognita.

Je deutlicher aber die zunächst verborgenen Zusammenhänge hervortreten, desto störender die Kunstgriffe der Konstruktion, etwa der hanebüchene Zufall, dass Heather im Vorübergehen das Grab eines ihr doch unbekannten Vorfahren entdeckt: So simpel sind die Ahnen nicht zu ahnen. Und auch ihre Stocherkahnfahrt im Nebel der Historie schreitet arg lehrbuchmäßig voran. Wenn es ein alter Trick der Fiktion ist, beim Leser für eine Weile jeden Zweifel zu suspendieren, dann kann das am Ende auch nach hinten losgehen. Und plötzlich kauft man dem Gemischtwarenhändler Camelli die eigene Geschichte nicht mehr ab.

Isabella Huser: "Das Benefizium des Ettore Camelli". Roman. Bilgerverlag, Zürich 2008. 328 S., geb., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hätte die Lektüre dieses Romandebüts ewig gedauert, der Rezensent wäre glücklich geworden damit. Das Problem der von Isabelle Huser als genealogisches Puzzle entworfenen Familiengeschichte nämlich wird für Richard Kämmerlings erst so richtig offenbar, als er damit zum Ende kommt. Was beim Lesen noch als geschickt arrangiertes Mosaik aus wechselnden Perspektiven Freude bereitet, knarrt am Ende für den Rezensenten deutlich vernehmbar mit den Scharnieren einer "lehrbuchmäßigen" Konstruktion. Zwar steht in der Mitte des Mosaiks die Lebensgeschichte des Ettore Camelli, die dafür sorgt, wie Kämmerlings noch erleichtert feststellt, dass der Mythos der Herkunft besiegt wird und Fakten regieren, Stoff, wie es heißt. Die Ordnung der eben erst freigelegten Erinnerungsschichten, einer für Kämmerlings äußerst vielversprechenden, wenn auch verwirrenden Dichte, durch die allzu fürsorgliche Autorin wirkt auf die "Leuchtkraft" des Textes allerdings verdunkelnd, bedauert sichtlich: der Rezensent.

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