35,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 2-4 Wochen
  • Broschiertes Buch

Was hat eine Aktfotografie Wilhelm von Gloedens mit Zeichnungen von extrahierten Geschlechtsorganen zu tun? Was die Studiofotografie eines 'Mannweibs' vor romantischem Prospekt mit der vielspaltigen Tabelle sexueller Zwischenstufen? Oder die Künstleranatomie des Anthropologen Gustav Fritsch mit dem Röntgenbild eines Beckens, das Rudolf Virchow zur Begutachtung vorlag? Ikonografisch und medientechnisch kaum etwas, epistemologisch sehr viel. Innerhalb der Prozeduren, mittels derer um 1900 bestimmt werden sollte, was das Geschlecht ist und wie es sich zeigt, wurden zahllose Bilder in Umlauf…mehr

Produktbeschreibung
Was hat eine Aktfotografie Wilhelm von Gloedens mit Zeichnungen von extrahierten Geschlechtsorganen zu tun? Was die Studiofotografie eines 'Mannweibs' vor romantischem Prospekt mit der vielspaltigen Tabelle sexueller Zwischenstufen? Oder die Künstleranatomie des Anthropologen Gustav Fritsch mit dem Röntgenbild eines Beckens, das Rudolf Virchow zur Begutachtung vorlag?
Ikonografisch und medientechnisch kaum etwas, epistemologisch sehr viel. Innerhalb der Prozeduren, mittels derer um 1900 bestimmt werden sollte, was das Geschlecht ist und wie es sich zeigt, wurden zahllose Bilder in Umlauf gesetzt. Zuweilen aber trat dabei nicht nur die Unbestimmbarkeit des Geschlechts, sondern auch die Unbestimmtheit der Bilder zu Tage.

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Peters, KathrinKathrin Peters ist Professorin für Geschichte und Theorie visueller Kultur an der Universität der Künste Berlin. Zuvor war sie kuratorisch tätig und hat an verschiedenen Universitäten und Kunsthochschulen im Bereich Medienwissenschaft, Fotografietheorie, Gender Studies, Kunst und Medien gelehrt und geforscht, von 2011-2014 als Professorin an der Universität Oldenburg. Sie ist Redaktionsleiterin der Zeitschrift für Medienwissenschaft.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2011

Sichtbar sei die Ordnung der Geschlechter
Kathrin Peters führt vor Augen, wie die Medizin um 1900 das Rätsel des Hermaphrodismus in Bilder brachte

In seinem 1906 erschienenen Buch "Geschlechter" stellte der Berliner Kritiker Leo Berg nicht weniger als die Gretchenfrage der vorletzten Jahrhundertwende: "Wo beginnt der Mann? wo hört das Weib auf?" Und um auf solche Fragen mit wissenschaftlichem Sachverstand zu reagieren, stand man in Berlin erstaunlich früh auf. Am 2. Februar 1898 versammelten sich um sieben Uhr morgens die Mitglieder der Berliner medicinischen Gesellschaft, um noch vor Beginn der eigentlichen Tagesordnung ein tunesisches "Mannweib" namens Zephthe Akaira zu inspizieren. Für gewöhnlich als ein biologisches Kuriosum im Panoptikum der nahe gelegenen Kaisergalerie präsentiert, wurde es zur grauen Morgenstunde den Medizinern zur genauen Untersuchung regelrecht ausgeborgt. Wie eng Schausteller und Wissenschaftler hier Hand in Hand arbeiteten, ist bereits für sich genommen erstaunlich genug. Merkwürdiger aber noch ist der Ablauf jener Inspektion, über den das Sitzungsprotokoll genaue Auskunft gibt.

Der apparative Aufwand, der im Beisein des Vorsitzenden der Versammlung - kein anderer als Rudolf Virchow - getrieben wurde, war beträchtlich. Galt es doch, dem Geheimnis dieses "Mannweibs" auf die Spur zu kommen. Und so wurden der ärztlichen Autopsie fotografische Nahaufnahmen der Genitalien sowie Röntgenbilder an die Seite gestellt, Kehlkopfspiegelungen und Zeichnungen angefertigt, tabellarische Messreihen und auch ausführliche schriftliche Beschreibungen angelegt. Das Phänomen des noch um 1900 so benannten "Hermaphrodismus" stellte eine Ordnung der Geschlechter auf die Probe, die nicht mehr als auf zwei zu zählen gewillt ist. Und an den medizinischen Blick richtet sich die hohe Erwartung, "le sexe véritable", das wahre Geschlecht also, zu bestimmen.

Bereits vor mehr als dreißig Jahren gab Michel Foucault die Akten zum Fall Herculine Barbins heraus. Und vor inzwischen eineinhalb Jahrzehnten erschien Annette Runtes wegweisende Studie zu den "Biographischen Operationen" um 1900 und den mit ihnen verbundenen Diskursen zur Transsexualität. Doch muss, wie die eigentümliche Berliner Szene jenes 2. Februar anzeigt, erstaunen, dass Foucaults Pioniertat und auch Runtes magistrale Untersuchung seinerzeit ganz ohne einen Blick auf Bilder auskamen. Scheint doch - von der Handzeichnung über die fotografische Anthropometrie bis hin zur Röntgenaufnahme - gerade die Vielfalt von Bildmedien zum unverzichtbaren Werkzeug jener Geschlechterkunde zu gehören, die sich für den diffusen Grenzverlauf zwischen "Mann" und "Weib" interessiert.

Das nun erschienene Buch zu den "Rätselbildern des Geschlechts" der Medienwissenschaftlerin Kathrin Peters ist bedeutend mehr als ein überfälliger Nachtrag aus der Sicht der Bildgeschichte zu einer bereits in großem Umfang geleisteten Forschung. Denn das Rätsel, dem alle diese Bilder gelten, erschöpft sich gerade nicht in der wissenschaftlichen Erkundung und fachgerechten Darstellung geschlechtlicher Ambiguität. Es sind vielmehr die Bilder selbst, die, gewissermaßen unter der Hand, die größten Probleme aufwerfen.

Ausgerechnet der Pariser Prominentenfotograf Nadar untersuchte bereits um 1860 mit einer Folge von neun Aufnahmen den "zweifelhaften" Körper eines Hermaphroditen. An der aufdringlichen Rücksichtslosigkeit, mit der der ehemalige Medizinstudent Nadar auf der Suche nach eindeutigen körperlichen Merkmalen seine Bilder anfertigte, hat sich auch in den folgenden Jahrzehnten unter den Bedingungen der professionellen medizinischen Fotografie nichts Wesentliches geändert. Man kann, wie Peters anhand verschiedener Fallstudien zeigt, von einer geradezu obsessiven visuellen Sammeltätigkeit sprechen, mit der zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen nach der irritierenden Erscheinungsweise eines "dritten Geschlechts" gefahndet wurde. Doch sind alle diese hierbei entstandenen und in Bildfolgen arrangierten Dokumente stets mehr als einzig belegende Darstellungen eines ärztlichen Befundes. Sie müssen vielmehr als die entscheidenden Instrumente zur Herstellung polarer Geschlechtlichkeit interpretiert werden.

Denn die Merkmale eines Geschlechts mit den Mitteln der Fotografie erfassen zu wollen setzt ja voraus, das Geschlecht am körperlichen Faktum überhaupt ablesen zu können. Oder mit den Worten jüngerer Theoriebildung gesprochen: Das mit diesen Bildern erhobene Postulat unbedingter Sichtbarkeit muss "gender" auf "sex" reduzieren. Erfasst wird auf diese Weise das soziale Geschlecht einzig unter den Bedingungen des biologischen.

Doch steht, wie Peters überzeugend zeigt, hinter dem "erreur de sexe", von dem seinerzeit mit Blick auf den transsexuellen Körper die Rede war, immer dann der "erreur" des ärztlichen Blicks, wenn dieser glaubt, den fundamentalen Unterschied zwischen Körpern und abgebildeten Körpern ausstreichen zu können. Gewiss am eindrücklichsten demonstriert hierbei der Einsatz von Wilhelm von Gloedens Fotografien in sexualwissenschaftlichen Abhandlungen, worauf es hinausläuft, wenn das mediale Apriori der Bilder ignoriert wird. Was im sizilianischen Taormina als die homophile Reinszenierung einer imaginären Antike unternommen wurde, sah sich wenige Jahre später bei Magnus Hirschfelds als Beleg für die These von den "Geschlechtsübergängen" ernst genommen und entsprechend interpretiert.

Das Wissen um die untersuchten Körper wird sich in einer solchen Durchdringung von wissenschaftlichem und ästhetischem Blick wohl nur weiter verrätseln können. Gewiss nicht der geringste Nebeneffekt aber ist es, im sexualwissenschaftlichen Diskurs um 1900 nicht allein die Ordnung der Geschlechter nachhaltig irritiert zu sehen, sondern darüber hinaus ein besonders eindrückliches Argument für die unvermeidliche Ambiguität der Bilder zu finden.

STEFFEN SIEGEL

Kathrin Peters: "Rätselbilder des Geschlechts". Körperwissen und Medialität um 1900.

diaphanes Verlag, Zürich 2010. 231 S., Abb., br., 25,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Steffen Siegel findet es nachgerade erstaunlich, dass die intensive Untersuchung des Hermaphroditismus in der Wissenschaft bislang ohne eine nähere Betrachtung ihrer Abbildungen ausgekommen ist. Als längst "überfällig" lobt er deshalb den Band der Medienwissenschaftlerin Kathrin Peters, die darin systematisch die Bilddokumente medizinischer Untersuchungen zur Geschlechtererforschung sichtet und analysiert. Die obsessiv gesammelten Körperbilder reduzieren das Geschlecht auf das biologische Geschlecht, die das soziale Geschlecht diesem untergeordnet sieht, so der Rezensent. Nicht nur das hat ihm dieser Band eindrucksvoll vor Augen geführt, sondern vor allem die "unvermeidliche Ambiguität der Bilder" arbeitet die Autorin hier erhellend heraus, wie er lobt.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Das nun erschienene Buch zu den 'Rätselbildern des Geschlechts' der Medienwissenschaftlerin Kathrin Peters ist bedeutend mehr als ein überfälliger Nachtrag aus der Sicht der Bildgeschichte zu einer bereits in großem Umfang geleisteten Forschung. Denn das Rätsel, dem alle diese Bilder gelten, erschöpft sich gerade nicht in der wissenschaftlichen Erkundung und fachgerechten Darstellung geschlechtlicher Ambiguität. Es sind vielmehr die Bilder selbst, die, gewissermaßen unter der Hand, die größten Probleme aufwerfen.« Steffen Siegel, FAZ