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Der Bericht stellt die Flüchtlinge, die vor der nationalsozialistischen Verfolgung in die Schweiz zu fliehen versuchten, ins Zentrum, und er fragt nach den Bedingungen und Ursachen der Flüchtlingspolitik der Schweiz, die im Sommer 1942 die Grenze für 'Flüchtlinge nur aus Rassegründen, (z.B. Juden)' schloss. Die schweizerisch-deutschen Verhandlungen, die im Jahre 1938 zur Einführung des 'J'-Stempels führten, und die Gründe der Grenzschliessung von 1942 werden nachgezeichnet und diskutiert. Dass sich trotz der Grenzschliessung zahlreiche Flüchtlinge dank der Zivilcourage von einzelnen Beamten,…mehr

Produktbeschreibung
Der Bericht stellt die Flüchtlinge, die vor der nationalsozialistischen Verfolgung in die Schweiz zu fliehen versuchten, ins Zentrum, und er fragt nach den Bedingungen und Ursachen der Flüchtlingspolitik der Schweiz, die im Sommer 1942 die Grenze für 'Flüchtlinge nur aus Rassegründen, (z.B. Juden)' schloss. Die schweizerisch-deutschen Verhandlungen, die im Jahre 1938 zur Einführung des 'J'-Stempels führten, und die Gründe der Grenzschliessung von 1942 werden nachgezeichnet und diskutiert. Dass sich trotz der Grenzschliessung zahlreiche Flüchtlinge dank der Zivilcourage von einzelnen Beamten, Fluchthelfern und Privaten in die Schweiz retten konnten, wird anhand der Analyse von Einzelschicksalen aufgezeigt. Dabei wird ebenso deutlich, dass die restriktive Politik an verschiedenen Grenzabschnitten und zu bestimmten Zeiten mit menschenverachtender, teils kaum vorstellbarer Härte durchgesetzt wurde. Die Untersuchung finanzieller und vermögensrechtlicher Aspekte wird im Vergleich zur Publikation von 1999 präzisiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2002

Kriegsverschonte Insel in Hitlers Europa
Die umstrittene Politik der Schweiz gegenüber Flüchtlingen aus und vor dem "Dritten Reich"

Unabhängige Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg (Herausgeber): Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus. Chronos Verlag, Zürich 2001. 487 Seiten, 36,- Euro.

Die schweizerische Regierung setzte Ende 1996 eine Kommission ein, die der emeritierte Zürcher Historiker Jean-François Bergier leitet. Bern reagierte damit auf die Angriffe, die amerikanisch-jüdische Organisationen gegen die Schweiz gerichtet hatten. Eine der Anschuldigungen lautete sinngemäß: Der neutrale Kleinstaat habe angesichts der Judenverfolgungen im "Dritten Reich" kurz vor und während des Zweiten Weltkrieges seine verbal immer wieder beschworene Asyltradition de facto über Bord geworfen.

Wie immer es um die Berechtigung solcher Kritik bestellt sein mochte, den Vorwurf, das damit angesprochene Problem nicht schon von selbst erkannt und untersucht zu haben, konnte man den Schweizern schwerlich machen. Bereits Mitte der fünfziger Jahre hatte der Jurist Carl Ludwig die schweizerische Flüchtlingspolitik seit 1933 in amtlichem Auftrag akribisch durchleuchtet. Zahlreiche Einzelstudien und auch eine zusammenfassende Darstellung sollten das von ihm entworfene - alles andere als schönfärberische - Bild in der Folge ergänzen. An Breitenwirkung wurden diese Veröffentlichungen von dem Buch des Publizisten Alfred A. Häsler, betitelt "Das Boot ist voll" (1967), übertroffen. Die Metapher vom Rettungsboot Schweiz, dessen Aufnahmekapazität für Schutzsuchende sehr beschränkt sei, entlieh Häsler einer Rede, die der für Asylfragen zuständige Justizminister Eduard von Steiger im Spätsommer 1942 gehalten hatte. Die schweizerische Flüchtlingspolitik war damit auf einprägsame Weise als restriktiv - allzu restriktiv - gekennzeichnet.

Daß diese wenig schmeichelhafte Charakterisierung im wesentlichen zutraf, wird von der Expertenkommission Bergier jetzt auf Grund teilweise neu erschlossenen Quellenmaterials bestätigt. Einzelne erschütternde Fallbeispiele veranschaulichen den Befund. Unter dem Eindruck des von ihnen diagnostizierten humanitären Defizits erheben die Autoren harte Anklagen gegen die damaligen schweizerischen Verantwortungsträger. Mildernde Umstände werden diesen Akteuren nicht zugebilligt, obschon die Schweiz - durch die Achsenmächte eingekreist und ihrer Kontaktmöglichkeiten zur weiteren Außenwelt nahezu gänzlich beraubt - nach dem deutschen "Blitzsieg" vom Sommer 1940 in eine Zwangslage geraten war: Weder politisch noch versorgungsmäßig hätte das Land es sich leisten können, seine Grenzen für sämtliche Verfolgungsopfer des nationalsozialistischen Regimes einfach offenzuhalten.

Nach Ansicht Bergiers und seiner Mitarbeiter war die beschränkte Aufnahmebereitschaft für jüdische Flüchtlinge indes nicht nur durch Sachzwänge bestimmt. Vielmehr glauben sie dafür einen in der Schweiz damals weitverbreiteten Antisemitismus verantwortlich machen zu können. Die Anschuldigung ist nicht völlig aus der Luft gegriffen, aber ihre Urheber schießen über das Ziel hinaus. So mit der Behauptung, Juden habe es im Offizierskorps der Armee - wenn überhaupt - nur in den unteren Rängen gegeben. Dabei zählte zu den prominentesten Vertretern der schweizerischen Generalität ein Offizier jüdischer Herkunft: Herbert Constam. Er kommandierte nicht nur eine der vier großen Heereseinheiten, sondern prägte auch die Einsatzdoktrin der Armee maßgeblich mit. Andererseits bekannte sich etwa ein Heinrich Rothmund, auf Beamtenebene oberster Verantwortlicher für das schweizerische Asylwesen, unumwunden dazu, einer "Verjudung" der Schweiz entgegenwirken zu wollen. Als "rassenbiologisch" motivierte Parole hat man diese Absichtserklärung allerdings nicht zu verstehen. Bezweckt war damit primär die Abwehr der Einwanderung von "Ostjuden". Diese Zielsetzung suchte Rothmund - zeitweise nicht ohne Erfolg - auch den alteingesessenen Schweizer Juden als in ihrem Interesse liegend zu präsentieren.

Manche Stellen des Bergier-Berichtes könnten vermuten lassen, es habe sich bei dem in der Schweiz der dreißiger und vierziger Jahre tatsächlich feststellbaren Antisemitismus um ein landesspezifisches Übel gehandelt. Aber starke, den schweizerischen durchaus vergleichbare Vorbehalte gegen eine Erhöhung des jüdischen Bevölkerungsanteils und die Aufnahme jüdischer Naziopfer bestanden auch in den meisten anderen westlichen Demokratien, nicht zuletzt in den Vereinigten Staaten. Der Bericht erwähnt nicht, daß die Zahl der während des Krieges von der nordamerikanischen Großmacht aufgenommenen jüdischen Flüchtlinge (21 000) geringer war als jene der damals in der Schweiz untergekommenen Juden. Wegen der exponierten geographischen Lage des Landes als kriegsverschonte Insel in Hitlers Europa erlangte die schweizerische Variante der zu jener Zeit international vorherrschenden asylpolitischen Engherzigkeit allerdings erhöhte Bedeutung - und wirkte sich für abgewiesene Flüchtlinge nicht selten verhängnisvoll aus.

Wie viele waren es, denen die Aufnahme in das vielberufene Rettungsboot verwehrt wurde? Daß sich an der Schweizer Grenze Flüchtlingstragödien abspielten, von denen manche durch eine flexiblere Haltung der Behörden hätten vermieden werden können, ist an sich und unabhängig von der Anzahl solcher Fälle beklagenswert genug. Nichts wäre in diesem Zusammenhang deplazierter, als eine einseitig auf Zahlen fixierte Sicht der Dinge. Gleichwohl war es zweifellos legitim, von der personell und finanziell wohldotierten Kommission Bergier zu erwarten, daß sie sich auch des quantitativen Aspektes ihres Forschungsthemas annehmen würde. Erstaunlicherweise war dies jedoch nicht der Fall. Das Expertengremium begnügte sich damit, aus einer bereits vorliegenden Studie die Zahl von rund 24 500 Rückweisungen unhinterfragt zu übernehmen. Es präzisierte auch nicht, daß in dieser Zahl keineswegs nur jüdische Schutzsuchende enthalten waren, sondern beispielsweise auch Franzosen, die sich dem Arbeitseinsatz in Deutschland entziehen wollten. Als die Bergier-Kommission ihren Flüchtlingsbericht im Jahre 1999 erstmals veröffentlichte, erhob sich gegen die erwähnte Zahlenangabe Einspruch. Methodisch von drei ganz verschiedenen Ansätzen ausgehend, gelangten Fachleute zu durchwegs erheblich niedrigeren Zahlen abgewiesener Flüchtlinge. So stellte der international bekannte französische Holocaust-Forscher Serge Klarsfeld, den man kaum verdächtigen wird, das Ausmaß des an Juden begangenen Unrechts bagatellisieren zu wollen, fest, daß schweizerischerseits weniger als 5000 jüdischen Flüchtlingen die Aufnahme verweigert worden sein dürfte.

Verschiedene Faktoren trugen dazu bei, daß sich die humanitäre Leistungsbilanz des Aufnahmelandes Schweiz bei unvoreingenommener Betrachtung zwar nicht glanzvoll, aber doch weniger beschämend präsentiert, als im Kommissionsbericht behauptet wird. Die von den Schweizer Bundesbehörden wiederholt - so namentlich Mitte August 1942 - erlassenen Grenzsperren wurden in der Praxis vielenorts alles andere als rigide gehandhabt. Überdies blieben die restriktiven Weisungen in ihrer vollen Strenge damals gerade zehn Tage in Kraft. Lebhafte Kritik seitens der Hilfswerke, der Presse und von Parlamentariern erzwang innert kürzester Zeit eine Aufweichung der harten behördlichen Linie. Von der Kommission selbst vorgelegte Zahlen beweisen, daß trotz "geschlossener" Grenzen laufend und in ansehnlichem Umfang Flüchtlinge aufgenommen wurden. Aber der Bericht ignoriert diese seine eigene Evidenz, um anklägerisch von "hermetischer Grenzschließung" sprechen zu können. Darin äußert sich eine moralisierende Tendenz, welche die Darstellung über weite Strecken beherrscht.

In der Anwendung moralischer - genauer: wissenschaftsethischer - Maßstäbe auf ihre eigene Arbeitsweise zeigen sich die Berichtsverfasser weniger rigoros. Ihre 1999 erstmals erschienene Publikation legten sie 2001 in einer abgeänderten Version wieder vor. Von der Erstfassung sind sie darin nur gerade soweit abgewichen, als es ihnen ins interpretatorische Konzept paßte. Die gewichtigen Einwände namhafter Kritiker zu zentralen Aussagen ihres Berichtes würdigen sie keiner Stellungnahme. Nachgewiesenermaßen falsche oder ungenaue Angaben werden weiter kolportiert, Widersprüche zwischen verschiedenen Beiträgen der mangelhaft koordinierten Kollektivarbeit bleiben unaufgelöst. Durch diese Flucht in eine anachronistische Unfehlbarkeitsattitüde geben die Autoren die Schwäche ihrer Position zu erkennen. Leider schalten sie sich damit auch selbst aus einer Diskussion aus, die angeregt zu haben ihr Verdienst bleiben wird.

PAUL STAUFFER

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "mangelhaft koordinierte Kollektivarbeit" bezeichnet Paul Stauffer den Band der "Unabhängigen Expertenkommission Schweiz" um den Züricher Historiker Jean-Francois Bergier. Zwar bestätigt der Bericht die grundlegenden Anschuldigungen zur Flüchtlingspolitik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg- jedoch ohne die "Zwangslage" in der sich das Land befand, auch nur mit ein zu bedenken, ärgert sich der Rezensent. Dass der damals auch in der Schweiz existierende Antisemitismus als faktischer Mitgrund für verweigerte Hilfsmassnahmen gesehen werden muss, kann Stauffer gut nachvollziehen, dass die Kommission den Antisemitismus als "landesspezifisches Übel" herausarbeitet, findet er jedoch reichlich übertrieben. Auch sind Flüchtlingsstatistiken nicht hinreichend ausgewertet, und der "Quantität" der Problematik wird dieser Bericht nicht gerecht, bemerkt der Rezensent weiter. Quasi kommentarlos jongliere die Arbeit mit ungenauen Zahlen früherer Erkenntnisse. Zu "moralisierend", teilweise "widersprüchlich" sei dieses Werk, das zwar einen Diskurs zu seinem Thema entfachen könne, jedoch in ebendiesem Diskurs die "Schwäche der eigenen Position" offenbare, resümiert der Rezensent.

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