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Produktdetails
  • Verlag: Jung und Jung
  • Seitenzahl: 215
  • Deutsch
  • Abmessung: 22mm x 124mm x 190mm
  • Gewicht: 281g
  • ISBN-13: 9783902144669
  • ISBN-10: 3902144661
  • Artikelnr.: 11824424
Autorenporträt
Ursula Krechel, geboren 1947 in Trier. Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte. Lehrtätigkeit an verschiedenen Universitäten. Erste Lyrikveröffentlichungen 1977, danach erschienen Gedichtbände, Prosa, Hörspiele und Essays. 2009 erhielt Ursula Krechel den "Joseph-Breitbach-Preis". 2012 erhielt Sie den Deutschen Buchpreis für den Roman "Landgericht" Die Autorin lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2004

Voilà Inspiration!
Skalpell, bitte: Ursula Krechel kennt den Quellcode der Literatur

Der Mensch als animal symbolicum ist eine Erfindung von Schreibenden und mithin eine Autorsuggestion. Ausdruck der Introspektion dieses poesiebegabten Wesens sind seit ehedem die Poetiken, der Quellcode der Literatur. Die Reise zum Herzen der Fiktionen ist dabei nicht notwendig eine empfindsame. Im vielleicht berühmtesten Manifest über die "Deutsche Poeterey", verfaßt noch zur Regierungszeit der Rhetorik, steht etwa der ungeheure Satz: "Die Poeterey ist anfanges nichts anders gewesen als eine verborgene Theologie / vnd vnterricht von Göttlichen Sachen." Es brauchte erst eine genieästhetische Unverfrorenheit, um aus dem sublimen Offenbarungsmedium ein intersubjektives Übertragungssystem des Sentiments zu machen, vom Kreatürlichen zur Kreativität: Sieg nach Punkten für das Symbol.

Die Lyrikerin Ursula Krechel, seit Jahrzehnten in der "creative writing"-Szene um den nach Worten ringenden Nachwuchs bemüht, hat den Autoren-Poetiken nun eine weitere hinzugefügt: "In Zukunft schreiben", ein "Handbuch für alle, die schreiben wollen". Erfrischend wie der Titel, der an Wendungen wie ,In Holz machen' erinnert, ist der unmittelbare Zugang Krechels, wobei sie die Klippen der Elokutionslehre weiträumig umschifft. Lediglich von der Peripherie lugt die Tradition oder auch nur die gängige Terminologie herein, auch wenn beides der studierten Germanistin bestens vertraut ist.

Als approbierte Autorin aber hat Krechel ein eigenes Erfahrungsarchiv zur Hand, das ihr näher an der Erzählwirklichkeit zu liegen scheint. In der Rolle der "Mentorin" nimmt sie alle, die schreiben wollen, bei der Hand und führt sie - Mut, Vertrauen oder auch Trost zusprechend - in einem ersten Rundgang durch die Fährnisse der "Schriftstellerhölle". Man muß dabei nicht gleich an Dantes Vergil denken, eher an eine Schülerlotsin im Leuchtkostüm. Und doch sei es eben das Opitzsche Pamphlet über die Poeterey von 1624 gewesen, das gemeinsam mit Archibald MacLeishs "Elementen der Lyrik" die Autorin als junges Mädchen zur Literatur verführt habe, nicht die heimlich gelesenen Anamnese-Protokolle aus der väterlichen Arztpraxis. Allerdings bewunderte sie bereits Opitz' Manifest vor allem dafür, "was sich ein Dichter trauen dürfen muß", und weniger aufgrund der Adaption der lateinischen Regelpoetik in der Volkssprache.

So leichtfüßig Krechels Ratgeber daherkommt, verbirgt sich doch im Unausgesprochenen eine weitreichende Axiomatik, nämlich eine Verortung der Literatur im Bereich der Bedürfnisse. Ausgehend vom "Menschenrecht, sich mitzuteilen", erscheint der Schreibfluß als vitale Fortsetzung der Wahrnehmung, als Lebenslaut. Der Schriftsteller ist ein Erleidender (seiner Geschichten), ein "Patient", der sich zum eigenen "Unfallchirurgen" aufzuschwingen habe. Das durchweg pathologische Vokabular ist mehr als nur Allegorie: Leben und Poesie, gealterte WG-Genossen, bilden immer noch eine Schicksalsgemeinschaft, auch wenn inzwischen das Animalische die Führungsrolle übernommen hat.

Krechels Stoffwechsel-Poetik setzt bereits ein mit einer Falsifikation der absoluten Sinnlichkeit: der vermeintlich aller Ästhetik entgegenstehende Satz "Ich bin krank" wird durchdekliniert, zur rhythmisch-klanglichen Ohrfälligkeit aufgerüstet und durch Digressionen literarisch erweitert, bis ein infusionsflaschenschiebender Troß aus Molière, Thomas Bernhard und Fritz Zorn den endgültigen Beweis erbringen darf, daß selbst auf dem Krankenhausflur kein Außen der Literatur existiert. Vielmehr ist es gerade umgekehrt: Ich kränkele, also bin ich - nämlich nur ein paar Gruppensitzungen vom Schriftsteller entfernt.

Geht alles gut, wird bald das gesamte vegetative System affiziert. Der überwältigende Einfall, keine Inventio, eher ein eingefallener Virus, "nistet sich ein", sofern die Abwehrkräfte das zulassen, und führt zur poetischen Erkrankung: ein Enthusiasmuskonzept, bei dem die heilige Ekstase der Besessenheit von der Ich-Perspektive gewichen ist. So nachvollziehbar wie alarmierend erscheint Krechel denn auch die "erstaunliche Kluft zwischen der statistischen Lebenserwartung von Verlegern und Autoren", wobei Verleger immer noch ein erhöhtes Infektionsrisiko aufwiesen im Vergleich zu den ästhetisch immunen Sachwaltern der Göttlichkeit, den Pfarrern eben. Der "innere Drang", nur demjenigen des Hungers und der Liebe vergleichbar, beherrscht im Falle des morbus poeticus Leib und Seele, nötigt den Einfall über die geführte Hand aufs Papier. Befruchtend wirkt das Eindringen in fremde Texte, das liebevolle Nachzeichnen ihres Körpers im Abschreibevorgang. Zuletzt gerät der "werdende Autor" in andere Erzählumstände und gebiert unter Schmerzen das Werk.

Wenn man dieses impressionistisch-somatische Apriori vom Schreiben als Fortsetzung des Körpers einmal akzeptiert hat, läßt sich Krechels Text von der Lust am Texten mit großer Lust verschlingen. Denn sosehr es sich auch um ein Handbuch der Poetik handeln mag, ist es doch selbst nicht wenig poetisch: In Assoziationsketten, Paronomasien, ganzen Kaskaden von Improvisationen und pointierten Miniaturen wird das Thema umspielt, die angerufene Kreativität eindrucksvoll vorgeführt. Die eigene Regel: "Schwätze nicht nach, was andere vor dir gesagt oder geschrieben haben", erfüllt Krechel damit nicht zuletzt in stilistischer Hinsicht. "Der Reim", heißt es beispielsweise, "wirft um ein Gedicht ein verläßliches Netz, das ihm einwächst." Auch abgegriffene Grundbegrifflichkeiten bekommen so ein neues Gewand, ungekannte Techniken wie das poetologisch legitimierte "Warten" treten gleichberechtigt neben subjektive Erzählbasis und sinnlichen Überbau, Idee und Laut. Dazwischen plaudert Krechel amüsant und inspirierend aus dem Nähkästchen ihrer kreativen Texturfabriken, wobei vor allem das "Literarische Colloquium Berlin" einigen der bekanntesten deutschen Gegenwartsautoren als Entbindungsstation für ihre Erstlinge diente.

Bei allem Charme der Überblendung von Schreibstube und Kreißsaal erweist sich der lyrisch-subjektive Zugang zum Schreiben allerdings als Öffnung und Beschränkung zugleich. Radikal Erlogenes, Erstunkenes, Zerbrochenes, Maschinelles oder auch kühle, depersonierte Erzählarchitekturen fallen leicht durch das Raster der affektiven Stimmungsschilderung hindurch. Andererseits fördert Krechel, dem Impetus eines Aquarell-Volkshochschulkurses vergleichbar, jedes künstlerische coming out, wenn nur der Ausdruckswille stark genug ist. Alles sehr edel und schreibpädagogisch wertvoll. Nur manchmal wünscht man sich im Namen der Technik einen Hieb von Opitzscher Wucht. Dieser hatte in einer letzten Volte den Verächtern der göttlichen Wissenschaft von der Poetik, die ihre Zeit naturgemäß mit "Fressereyen / Bretspiel / vnnütze geschwätze" zubringen, eine Rolle in seinen künftigen Trauerspielen versprochen, und zwar als himmelhochschluchzende Choristen, "da sie sich denn vber jhren vnverstand vnd grobheit nach der lenge beklagen mögen". Aber darin mag nicht die Zukunft liegen.

OLIVER JUNGEN

Ursula Krechel: "In Zukunft schreiben". Handbuch für alle, die schreiben wollen. Verlag Jung und Jung, Salzburg und Wien 2003. 215 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

So, wie Martin Krumbholz das Buch von Ursula Krechel beschreibt, kommt einem das Prosaschreiben wie ein Brettspiel vor, bei dem man ständig Gefahr läuft, wieder von vorne anfangen zu müssen: der Einfall, der Zweifel, was für ein Plot, wie finde ich Figuren, wie entsteht der Rhythmus - und überall lauern Sackgassen, Fallstricke und Schläge gegen die mentale Balance des Autors. Dem der Rezensent daher umso dringender diese vorzügliche Anleitung ans Herz legt. Krechel sei eine erfahrene Schreiblehrerin (Leipziger Literaturinstitut, Literarisches Colloquium) und habe ein "ebenso hilfreiches wie hellsichtiges Buch" verfasst, das mit wirklich guten Ratschlägen und bewährten Übungen aufwarte, aber dabei die Gefahren nicht unterschlägt, die auch den ausgeschlafensten Anfänger schon kurz vor dem Mittagessen ereilen können. Auf das ihm immer wieder aufs Neue das "Glück des Beginnens" (Krechel) zuteil werde.

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