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Zwanzig Jahre ist es her, dass Jerry und Max sich zuletzt gesehen haben. Doch jetzt holt Max den älteren Bruder an einem grenznahen Bahnhof in der Schweiz ab und schmuggelt ihn auf Skiern über die Berge nach Frankreich. Kaum ein Wort fällt zwischen den ungleichen Brüdern, denn der Plan steht fest: Jerry, ehemals Kämpfer in Afghanistan, soll helfen, die Tochter von Max' Chef zu entführen. Es geht um eine halbe Million Euro - und ein perfektes Verbrechen. Denn niemand im Ort wird Jerry wiedererkennen und niemand würde auf die Idee kommen, Max, den langjährigen Vertrauten des Chefs, zu…mehr

Produktbeschreibung
Zwanzig Jahre ist es her, dass Jerry und Max sich zuletzt gesehen haben. Doch jetzt holt Max den älteren Bruder an einem grenznahen Bahnhof in der Schweiz ab und schmuggelt ihn auf Skiern über die Berge nach Frankreich. Kaum ein Wort fällt zwischen den ungleichen Brüdern, denn der Plan steht fest: Jerry, ehemals Kämpfer in Afghanistan, soll helfen, die Tochter von Max' Chef zu entführen. Es geht um eine halbe Million Euro - und ein perfektes Verbrechen. Denn niemand im Ort wird Jerry wiedererkennen und niemand würde auf die Idee kommen, Max, den langjährigen Vertrauten des Chefs, zu verdächtigen. Doch bald stockt die perfekte Maschinerie, ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt. Hat Jerry andere Absichten mit dem selbstbewussten Mädchen, das Max zurückgewiesen hatte? Warum zeigt er sich dem Entführungsopfer ohne Maske? Wer hat das Spiel in der Hand, bestimmt die Regeln?
Autorenporträt
Ravey, Yves§Yves Ravey lehrt als Professor für bildende Kunst in seiner Geburtsstadt Besançon. Er ist Autor zahlreicher Romane und Theaterstücke und wurde für sein Gesamtwerk mit dem Schweizer Prix Renfer ausgezeichnet. In Deutschland erschien von ihm "Bruderliebe" (Kunstmann 2012).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jochen Schimmang begrüßt die nun vorliegende Übersetzung von Yves Raveys Krimi "Bruderliebe", dem ersten Roman des französischen Autors, der ins Deutsche übersetzt wurde. Das Buch wurde in Frankreich mit Jean-Pierre Melvilles Film "Der eiskalte Engel" verglichen, ein Vergleich, den Schimmang passend findet, auch weil Ravey seinen Figuren wie mit einer Kamera konsequent von außen betrachtet. Er liest "Bruderliebe" als abgebrühte Variation auf Kain und Abel, die eine kaputte Familiengeschichte nur andeutet. Sein Fazit: ein Roman, der etwas Zeitloses hat, auch wenn er vermutlich Ende der siebziger, Anfang der achtziger Spielt, und zugleich sehr heutig wirkt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2012

Kain und Abel in den Schweizer Bergen
Minimalistisch erzählt: Die erstaunliche Krimikunst des Franzosen Yves Ravey

Die Übersetzung des Originaltitels dieses erstaunlichen Buches heißt "Entführung mit Lösegeld". Das ist die sprödeste Bezeichnung dessen, worum es in diesem Kriminalroman geht, und passt zur minimalistischen Erzählweise und kargen Sprache des Autors, Verfasser von gut zwanzig Romanen, von denen dieser der erste ist, der ins Deutsche übertragen wurde. Dass das französische Original in den Éditions de Minuit erschienen ist, dem Verlag Becketts und der Autoren des Nouveau Roman, passt ebenfalls.

Ravey kommt mit 110 Seiten und vier Protagonisten aus, um seine Geschichte zu erzählen. Mehr brauchte Jean-Pierre Melvilles legendärer Film "Der eiskalte Engel", mit dem in Frankreich den Krimi verglichen hat, auch nicht. Der Vergleich ist auch in anderer Hinsicht stimmig. Der Blick des Erzählers nämlich richtet sich konsequent von außen auf die Figuren und auf alles, was geschieht. Es ist ein Kamerablick, allerdings, wie bei Melville, nicht dokumentarisch, sondern inszeniert, wenn auch sparsam. Wenn wir etwas über Innenwelten erfahren, so nur aus beobachteten Gesten, Bewegungen und den kleinen Rissen in den Dialogen der Brüder. Das ist umso erstaunlicher, als der Erzähler einer der Protagonisten selbst ist: Max, der jüngere der beiden Brüder.

Anfangs holt Max abends Jerry auf einem kleinen Schweizer Bahnhof nahe der französischen Grenze ab. Die beiden haben sich zwanzig Jahre nicht gesehen, denn so lange ist Jerry in Afghanistan. Man darf vermuten, dass er dort in einer terroristischen Organisation mitarbeitet. Mehr erfahren wir aber nicht. Die beiden fahren auf Skiern schwarz über die Grenze. Möglichst niemand soll wissen, dass Jerry wieder im Land ist, auch wenn ihn nach zwanzig Jahren wohl kaum noch jemand erkennen würde. In der Morgendämmerung entführen die Brüder wie geplant Samantha, die Tochter von Max' Chef, in einem Lieferwagen, und setzen dann ihre Lösegeldforderung ab, eine halbe Million Euro. Die Hälfte der brüderlich zu teilenden Summe soll an Jerry gehen, er braucht sie für "die Bewegung".

Die Lösegeldübergabe klappt. Das darf man alles erzählen, ohne dem geübten Krimileser den Spaß zu verderben. Der nämlich wird eher darauf warten, dass ein entscheidender Fehler gemacht wird, zumal Entführungsfälle die Kapitalverbrechen mit der höchsten Aufklärungsquote sind. Auf der anderen Seite wird er sich vielleicht wundern, wieso einer der beiden Entführer die Geschichte im Nachhinein erzählen kann und wo er das tut. Vielleicht wird er auf das Auftreten der Polizei warten. Aber Ravey kann auf die Polizei verzichten. Es gibt keinen Kommissar mit Macken, keinen Inspektor, dem er auf die Nerven geht, keine Irrwege, keine falschen Spuren.

Doch. Es gibt Schwierigkeiten mit Jerrys Abreise, und es gibt Sand im Getriebe. Beim Lesen mag man sich erinnern, dass die Geschichte von einem der Beteiligten erzählt wird, was stark auf den klassischen unzuverlässigen Erzähler hindeutet. Der aufmerksame Leser mag irgendwann auf den Gedanken kommen, dass die auftretenden Komplikationen nicht ungewollt sind. Jeff Costello in Melvilles Film war ein eiskalter Engel, ein schöner noch dazu, wenn man bedenkt, dass Alain Delon damals erst 32 Jahre alt war. In diesem Roman ist ein eiskalter, aber hässlicher Teufel am Werk. Sympathieträger gibt es hier ohnehin keine.

Es ist auch die Geschichte von Kain und Abel, die hier erzählt wird. Dass Jerry weder das Grab seines Vaters sehen will noch seine Mutter, die im Altersheim lebt, dass er seit zwanzig Jahren weg ist aus diesem Kaff im französisch-schweizerischen Grenzgebiet, dass sein Bruder, Prokurist in der Firma von Samanthas Vater (die illegale syrische Arbeiter ausbeutet), nichts darüber weiß, was Jerry eigentlich in Afghanistan treibt, und dass die Dialoge zwischen den beiden überaus spannungsgeladen sind - das deutet auf eine verkorkste Familiengeschichte hin. Zum Glück erspart uns Ravey diese Geschichte, sonst hätten wir schon wieder einen Familienroman. Ein paar Andeutungen genügen. Das Innuendo, das unaufdringlich gesetzte Zeichen, ist überhaupt ein Charakteristikum von Raveys Buch - das andere ist die krude Schilderung der nackten Gewalt.

Außer der geographischen Angabe zum Grenzgebiet ist der Roman merkwürdig ortlos, aber keineswegs konturlos. Fast ist er auch zeitlos. Der Vater hat den Söhnen gezeigt, wo er während der Besatzung als Angehöriger der Forces Françaises Libres seine Waffe versteckt hatte. Das wird vermutlich in der Nachkriegszeit gewesen sein, und bedenkt man, dass Jerry zwanzig Jahre weg war und man die Brüder im Alter um die Vierzig schätzen kann, dann spielte dieser Roman vielleicht in den späten Siebzigern, frühen Achtzigern. Dazu passt, dass es sich erkennbar um eine Welt ohne Handys und ohne Internet handelt. Dennoch imaginiert man beim Lesen ständig die Gegenwart. Dafür gibt es einen Grund: Raveys Erzählen fehlt jegliche Betulichkeit, und es gibt darin kein Wort zu viel. Deshalb ist es von heute.

JOCHEN SCHIMMANG

Yves Ravey: "Bruderliebe". Roman.

Aus dem Französischen von Angela Wicharz-Lindner. Verlag Antje Kunstmann, München 2012. 110 S., geb., 14,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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