32,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 2-4 Wochen
  • Gebundenes Buch

Wie erklärt sich der »Erfolg« der Institution Lager über Zeiten und Grenzen hinweg?
Die Welt der Lager ist keine Geschichte, sie ist Realität: Über den heutigen Tag hinaus sind Lager ein Instrument, dessen sich Diktaturen und Demokratien weltweit bedienen. Wie lässt sich die Langlebigkeit und Wandlungsfähigkeit dieser Einrichtung erklären? Worin liegt ihre politische und funktionale Attraktivität über Zeiten, Kontinente und Systeme hinweg?
Bettina Greiner und Alan Kramer haben ausgewiesene Spezialisten der Lager- und Gewaltforschung gebeten, sich ihrem Gegenstand neu zu nähern und dabei
…mehr

Produktbeschreibung
Wie erklärt sich der »Erfolg« der Institution Lager über Zeiten und Grenzen hinweg?

Die Welt der Lager ist keine Geschichte, sie ist Realität: Über den heutigen Tag hinaus sind Lager ein Instrument, dessen sich Diktaturen und Demokratien weltweit bedienen. Wie lässt sich die Langlebigkeit und Wandlungsfähigkeit dieser Einrichtung erklären? Worin liegt ihre politische und funktionale Attraktivität über Zeiten, Kontinente und Systeme hinweg?

Bettina Greiner und Alan Kramer haben ausgewiesene Spezialisten der Lager- und Gewaltforschung gebeten, sich ihrem Gegenstand neu zu nähern und dabei besonders jene Dynamisierungs- und Radikalisierungsprozesse in den Blick zu nehmen, die das Lager zu einem globalen Signum für das Repressionspotenzial des modernen Staates gemacht haben. In allen Fällen geht es um eine dämonische »Erfolgsgeschichte«.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Andreas Stucki, Dr. phil., Historiker, Gastwissenschaftler an der Universität Sydney und assoziierter Forscher am Historischen Institut der Universität Bern.

Felix Schnell, PD Dr. phil., Osteuropahistoriker, ist Senior Lecturer am Department of History der University of Essex.

Michael Wildt ist Historiker und war bis 2022 Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit einem Schwerpunkt in der Zeit des Nationalsozialismus an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Sara Berger, Dr. phil, koordinierte und kuratierte als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Fondazione Museo della Shoah in Rom mehrere Ausstellungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2014

Weggezerrt und weggesperrt . . .
Das Lager als Typus von Herrschaftsausübung: Repressionsinstrument und Hebel für Umerziehung

Das Buch beginnt ungewöhnlich: nicht mit Titel und Inhalt, sondern mit einer Serie von 34 kleinformatigen, zum Teil kolorierten Bildern, die zeitlich von einem britischen Kriegsgefangenenlager von 1797 bis Guantánamo auf Kuba heute reichen. Das ist ebenso wie der provokante und in Anführungsstriche gesetzte Untertitel natürlich gewollt: Es geht hier nicht um einen weiteren Sammelband zur Geschichte von KZs oder zum GULag, sondern um einen Typus von Herrschafts- und Gewaltausübung, der fundamental zur globalen Geschichte der Moderne gehört. Im einleitenden Beitrag gibt Alan Kramer einen instruktiven Überblick über diesen Typus in seiner Entstehung, seinen vielfältigen Erscheinungsformen und Funktionen. Als Repressionsinstrument, aber auch als Hebel für Umerziehung oder für Gemeinschaftsstiftung ist er ein Schlüsselphänomen insbesondere der neueren und Zeitgeschichte. Der Band bietet keine handliche Typologie und strebt auch keinen Vergleich an. Er ist aber gerade in seiner breiten zeitlichen Staffelung und Ausweitung auf nichteuropäische Beispiele sehr informativ und innovativ. Die einzelnen Beiträge bieten ausgewählte Beispiele, die durchweg hervorragend gelungen sind.

Migration in der frühen Neuzeit war schon mit Xenophobie und lagerähnlicher Segregation verbunden; im Umgang mit Kriegsgefangenen setzte sich seit dem Dreißigjährigen Krieg allmählich ein Prozess der Zivilisierung durch; die sibirische Verbannung im zaristischen Russland und Deutsch-Südwestafrika sind zentrale Aspekte der Lagergeschichte. Vor allem aber ist der Erste Weltkrieg, der im öffentlichen Bewusstsein allzu ausschließlich im Schatten der Vernichtungslager in Hitlers Krieg gestanden hat, eine wichtige Zäsur. Acht bis neun Millionen Kriegsgefangene schufen eine völlig neue Größenordnung im europäischen Kriegsgefangenenwesen. Aus improvisierten Unterbringungsformen wurden auf Dauer angelegte Lager.

Für die generell gut aufgearbeiteten Lager im Nationalsozialismus bringen die Beiträge von Marc Buggeln/Michael Wildt etliche überraschende neue Aspekte. Die breite Palette unterschiedlicher Lager im "Dritten Reich" entfaltete sich früh. Dass Lager auch mit sehr positiv besetzten Erfahrungen und Erinnerungen verbunden waren, gehört ebenfalls zu diesem Themenfeld. Die BDM-Führerin Melitta Maschmann hat das schon in ihrem 1964 veröffentlichten Rückblick, aus dem zitiert wird, eindrucksvoll beschrieben. Aber erst mit Kriegsbeginn in Polen und vor allem mit dem "Unternehmen Barbarossa" wurden die Kriegsgefangenen- und Konzentrationslager zum bestimmenden Phänomen der Kriegführung, der Kriegswirtschaft und der Vernichtungspolitik. Beklemmend nüchtern sind die Analysen von Sara Berger zu den drei Vernichtungslagern der "Aktion Reinhardt" (Belzec, Sobibor und Treblinka), das heißt der Vernichtung der Juden im Generalgouvernement. Diese Lager erwiesen sich im Vergleich zu den anderen Vernichtungslagern als Prototypen und aus Sicht des Regimes als die "effizientesten" Tötungssysteme. Sie wurden fast ausschließlich mit Personal aus der T4-Aktion zur "Euthanasie" betrieben. Sie werden in ihrer Topographie und ihren Funktionsabläufen minutiös nachgezeichnet und ergänzen bekannte Bilder im besetzten Polen.

Weniger bekannt und eher unterschätzt ist die Rolle verschiedener Lager im italienischen und spanischen Faschismus. Sie dienten nicht explizit der Vernichtung, sondern vor allem der präventiven Isolation innerer Feinde und der "nationalen Wiedergeburt durch Säuberung". Ein anderes Bild bietet der Beitrag zu den Lagern der in japanische Gefangenschaft geratenen Soldaten und internierten Zivilisten. In Japan gab es zunächst keinerlei Tradition und Planung, wie man mit der großen Zahl von Gefangenen aus allen Teilen des ostasiatischen Kriegsgeschehens umgehen solle. Für die eigenen Soldaten galt die Maxime, bis zum Untergang zu kämpfen. In Gefangenschaft zu geraten, war entsprechend dem Kampfethos der Samurai eine nationale Schande. Kriegsgefangene wurden rücksichtslos behandelt, die Todesraten waren hoch.

Einem wenig beachteten und für die Dekolonisierungsgeschichte wichtigen Aspekt gilt die Darstellung der massenhaften Zwangsumsiedlungen im Rahmen der "counterinsurgency". Als Teil von Antiguerillaaktionen in den 1950er und 1960er Jahren in Afrika und Südostasien waren sie aber nur scheinbar eine humane Alternative zur reinen Repression und Militäraktion.

Die GULag-Geschichte ist mittlerweile relativ breit erforscht, bleibt aber im Detail kompliziert. Es gab verschiedene Phasen, und selbst innerhalb der Phasen "changiert das Bild zwischen Repression, Zwangsarbeit, Mord und Umerziehung", betont Felix Schnell in seinem Beitrag. Der GULag war aber von Anfang an ein integraler Teil des Systems, sowohl in seiner repressiven wie ökonomischen Funktion. Auch die Mitherausgeberin Bettina Greiner verweist auf noch viele offene Fragen für die "Speziallager" in der SBZ, die erst nach 1990 ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit und in den Streit der Opferverbände gerieten.

Und was lehrt Guantánamo nach zehn Jahren "Anti-Terror-Krieg"? Bernd Greiners hervorragend recherchierter Beitrag ist erschreckend: Allein die in die minutiöse Analyse eingefügten, in Auszügen zitierten Richtlinien der CIA für die Behandlung "besonders wichtiger Gefangener" sind ein perverses Dokument bürokratisierter Folteranweisungen, das in der neueren Geschichte seinesgleichen sucht. Gegen die Selbstermächtigung der Exekutive bei der Behandlung von Terrorismusverdächtigen in Guantánamo und auch in Gefängnissen und Lagern Afghanistans und anderer Länder blieben höchstrichterliche Urteile gegen derlei Beispiele eines zivilisatorischen Rückfalls nahezu folgenlos und Obamas Versuche, etwas zu ändern, scheinen bestenfalls halbherzig.

CHRISTOPH KLESSMANN.

Bettina Greiner/Alan Kramer (Herausgeber): Welt der Lager. Zur "Erfolgsgeschichte" einer Institution. Hamburger Edition, Hamburg 2013. 359 S., 32,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

So hat Christoph Klessmann die Geschichte der Lager noch nicht gelesen. Denn die beiden Herausgeber Bettina Greiner und Alan Kramer beschränken sich nicht auf die nationalsozialistsichen Vernichtunglager und die sowjetischen Arbeitslager. Sie weiten den Blick räumlich und zeitlich aus und nehmen Kriegsgefangenenlager, Flüchtlingslager und sogar Guantanamo mit in den Blick. Die damit einhergehende Provokation winkt der Rezensent durch. Instruktiv findet Klessmann nämlich, was er dabei über das Lager als Instrument von Herrschaft und Gewalt, von Repression und Umerziehung lernt, das fundamental zur Geschichte der Moderne gehört. 

© Perlentaucher Medien GmbH