Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 10,00 €
Produktdetails
  • Verlag: Berlin Verlag
  • Originaltitel: Zero
  • Seitenzahl: 272
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 449g
  • ISBN-13: 9783827003140
  • ISBN-10: 3827003148
  • Artikelnr.: 25410745
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.06.2000

Die natürliche Überlegenheit des Dezimalsystems
Für Charles Seife und Robert Kaplan ist es noch immer eine Lust, im zwanzigsten Jahrhundert zu leben

Zu früh gefreut! Das Y2K-Problem ist noch nicht überstanden, ja, es hat wohl seinen Zenit noch nicht erreicht. Eigentlich hätte man es sich ja denken können: Das Jahr mit den drei Nullen wird noch Anlass zu mancherlei Marketingfantasien geben. Und nicht zu Unrecht vermutet man einen Zusammenhang mit dem Datum, wenn gleich zwei Bücher über die Null im Postfach des Rezensenten eintreffen: "Zwilling der Unendlichkeit - Eine Biografie der Zahl Null" von Charles Seife und "Die Geschichte der Null" von Robert Kaplan. Beide Autoren beschreiben neben vielem anderen den Kalender der Maya und versäumen natürlich auch nicht, uns noch einmal zu erklären, warum wir immer noch im zwanzigsten Jahrhundert leben.

Jeweils ein ganzes Buch nur über die Null! Das kommt einem a priori völlig willkürlich vor. Wer möchte denn alles über null Bock, Nullsummenspiele und den Nullmeridian lesen und nichts über die Dreifaltigkeit, die sieben Zwerge und die Zwölftonmusik? Aber vielleicht sind wir ja zu pessimistisch. Beginnen wir einfach einmal mit der Lektüre. "Die Null hatte im pythagoreischen Gedankengebäude keinen Platz", heißt es bei Seife im zweiten Kapitel nach einer gründlichen Erklärung des pythagoreischen Gedankengebäudes. Ja, das ist natürlich des Pudels Kern. Eine Geschichte des Zölibats wird doch gleich viel interessanter, wenn man ausführlich den coitus a tergo schildert, der im Zölibat keinen Platz hat. Und genau nach diesem Prinzip geht Seife vor. "Zwilling der Unendlichkeit" ist subversiv. Es ist eine amüsante Einführung in wichtige Teile der Mathematik und Physik im historischen Kontext, die ihren banalen Anlass transzendiert. Es stimmt schon: In einem gewissen Sinne kann man die ganze Mathematik aus der Null erzeugen. Nur ist diese Sichtweise genauso irrelevant, wie wenn man sagen wollte, dass ein Paradiesvogel aus Molekülen besteht. Wer zu der Minderheit derjenigen gehört, die die harten Naturwissenschaften und die Mathematik lieben, kennt schon vieles, was bei Seife steht. Aber den Ahnungslosen, die an sich lieber Heimito von Doderer als Hoimar von Ditfurth lesen, denen kann man vielleicht eine angenehme Überraschung bereiten, wenn man ihnen dieses Buch schenkt.

Irgendwie hat tatsächlich alles mit der Null angefangen. Das Wort kommt aus dem Lateinischen. Natürlich wussten die Römer, was es bedeutet, null Sesterzen in den Taschen der Toga zu haben. Aber eine richtige Zahl war die Null für sie eigentlich nicht. Ihr Zahlensystem fing mit der Eins "I" an und war eher unpraktisch. Schon eine einfache Aufgabe wie die Berechnung der Lottoquoten hätte sie vor große Schwierigkeiten gestellt. Gerade weil die römischen Zahlen so undurchsichtig sind, verwendet man sie gerne für das Copyright im Abspann von Fernsehserien, weil das Publikum dann nicht merkt, wie alt die Schinken eigentlich sind, die man ihm vorsetzt. Erst das Dezimalsystem machte das Rechnen halbwegs einfach. In der Zeichenkette 313 beispielsweise steht die "3" sowohl für drei als auch für dreihundert. Die "1" steht für zehn. Schwieriger wird es bei der 303. Hier benötigen wir die Ziffer "0", die die zweite Dezimalstelle markiert, ohne etwas zum Wert der Zahl beizutragen. Dieses Stellensystem wurde von den Indern perfektioniert und erreichte uns über die Araber.

Die Null liefert auch einen Zugang zur so genannten "höheren" Mathematik. Schließlich ist die Ableitung einer Funktion nur der Grenzwert eines Quotienten, bei dem Zähler und Nenner gegen null konvergieren. Auch bei der Integration arbeitet man mit der Zerlegung einer Fläche in Streifen, deren Breite gegen null geht. Seife hat keine Skrupel, alles und jedes über die Null zu motivieren. Die imaginäre Einheit i ist natürlich eine Lösung der Gleichung x2 + 1 = 0. Schließlich kann man jede Gleichung mit rechter Seite null schreiben. Und plötzlich sind wir schon bei den komplexen Zahlen und der Riemannschen Zahlenkugel. Dort gilt 1/0 = ®, und wir haben einen Grund, uns mit Unendlich, der Zwillingsschwester der Null, zu befassen. Georg Cantor, der 1918 im Irrenhaus starb, war der Vater der Mengenlehre, die vor dreißig Jahren so viel Unheil an unseren Schulen anrichtete. Ihm verdanken wir die Erkenntnis, dass es nicht nur ein Unendlich, sondern sogar unendlich viele Stufen der Unendlichkeit gibt. Das vorliegende Buch erzählt von Cantors "Kardinalzahlen" bis hin zur berühmten Kontinuumshypothese.

Die letzten drei Kapitel sind der Physik gewidmet. Bekanntlich gibt es einen absoluten Nullpunkt der Temperatur. Warum es bei dieser Kälte immer noch Energie gibt, erklärt uns die Quantenphysik. Null ist gleichzeitig die Ausdehnung eines Schwarzen Lochs. Damit sind wir schon bei der Relativitätstheorie angelangt. Einen einheitlichen Zugang zu beiden Wissenschaften liefert die String-Theorie mit ihren zusätzlichen Dimensionen. Spätestens an dieser Stelle dürfte jedem Leser der Kopf schwirren. Natürlich kann man mit der Lektüre von 250 Buchseiten kein viersemestriges Studium ersetzen, aber eine kleine Ahnung von dessen Inhalten bekommt man doch.

In seiner wunderbaren Kurzgeschichte "Eupompus Gave Splendour to Art by Numbers" schildert Aldous Huxley einen antiken Maler, der sich plötzlich in die Zahlen verliebt. Bewundert von seinen Anhängern, den Philarithmetikern, malt er mystische Bilder wie das mit den 33 000 schwarzen Schwänen und den drei Sonnen. In Robert Kaplan steckt etwas von Eupompus. 1994 gründete er mit seiner Frau Ellen einen Mathematik-Zirkel für alle, die Spaß an Zahlen und Formeln haben.

"Die Geschichte der Null" ist das Robert-Evangelium, die frohe Botschaft für bereits bekehrte Philarithmetiker. Oberflächlich betrachtet, ist das Buch dem von Seife recht ähnlich. Die Themen sind teilweise die gleichen wie in den elementareren Teilen von "Zwilling der Unendlichkeit". Nur ist es leider so, dass man vermutlich wenig lernen wird. Kaplan kommt vom Hundertsten ins Zehnmillionste. Der Stil ist gewollt manieriert. Ein kleines Beispiel: "Dann ,reduzierte' man sie zu x2 + 10x = 39, das heißt, man fasste gleiche Terme zusammen. Nun konnte man Strategie und Hinterlist einsetzen, um die Unbekannte wie Rumpelstilzchen zu zwingen, ihren Namen preiszugeben: in diesem Fall 3 - und auch -13, wenn Sie negative Wurzeln besser ertragen als Bhaskara."

Seifes Buch ist unangenehm illustriert. Das von Kaplan enthält leider viele amateurhafte Zeichnungen ("Der junge Buddha beim Rechnen"), wo man besser die Originalvorlagen, soweit vorhanden, abgedruckt hätte. Ein Register findet man leider nur bei Kaplan.

ERNST HORST

Charles Seife: "Zwilling der Unendlichkeit". Eine Biografie der Zahl Null. Aus dem Amerikanischen von Michael Zillgitt. Berlin Verlag, Berlin 2000. 272 S., zahlr. Abb., geb., 39,80 DM.

Robert Kaplan: "Die Geschichte der Null". Aus dem Englischen von Andreas Simon. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2000. 248 S., zahlr. Abb., geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

"2) Robert Kaplan: "Die Geschichte der Null" (Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2000)
Dieses Buch gefällt dem Rezensenten besonders deswegen, weil Kaplan nicht nur auf den "