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Am berühmtesten Strand Brasiliens, der Copacabana, wimmeltes nur so von Popcornverkäufern - und gleich mehrereder jungen brasilianischen Autoren der hier versammeltenErzählungen wählen den weltberühmten Stadtteil Rio deJaneiros als Schauplatz ihrer Geschichten.Allerdings wird in diesem Buch nicht nur Popcorn verzehrt,sondern gerne auch einmal eine Portion Hühnerherzen- und der Leser lernt andere Regionen kennen: So rastman etwa auf einem Chopper durch eine Stadt im Süden,trifft Bolaño auf dem Campingplatz, haut ab nach Rishikeshoder flieht vor den aufdringlichen Nachbarn in den Wohnsilosvon…mehr

Produktbeschreibung
Am berühmtesten Strand Brasiliens, der Copacabana, wimmeltes nur so von Popcornverkäufern - und gleich mehrereder jungen brasilianischen Autoren der hier versammeltenErzählungen wählen den weltberühmten Stadtteil Rio deJaneiros als Schauplatz ihrer Geschichten.Allerdings wird in diesem Buch nicht nur Popcorn verzehrt,sondern gerne auch einmal eine Portion Hühnerherzen- und der Leser lernt andere Regionen kennen: So rastman etwa auf einem Chopper durch eine Stadt im Süden,trifft Bolaño auf dem Campingplatz, haut ab nach Rishikeshoder flieht vor den aufdringlichen Nachbarn in den Wohnsilosvon São Paulo - nur um danach in eine noch schrecklichereGegend zu ziehen.Wer sich von der jungen Literatur Brasiliens ein Bild verschaffenwill, ist mit dieser repräsentativen Anthologie bestensberaten.
Autorenporträt
Timo Berger, geboren 1974 in Stuttgart, ist Autor, Übersetzer undMitbegründer des Poesiefestivals Latinale. Für den Verlag Klaus Wagenbachhat er bereits die Anthologie "Asado verbal. Junge argentinischeLiteratur" mit herausgegeben.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.07.2013

LITERATURLAND BRASILIEN
Scharf gewürzt muss die Liebe sein:
Katherine Funkes „Hühnerherz“
In Salvador da Bahia, der drittgrößten Stadt Brasiliens, wo alle drei Stunden und zwanzig Minuten ein Mord passiert und deren Bevölkerung zu achtzig Prozent schwarz ist, lebt und arbeitet die Journalistin und Autorin Katherine Funke. Blassweiß ist sie, knapp einen Meter sechzig groß, und hat ein sympathisch schallendes Lachen.
  Mit 22 Jahren kam Funke von Joinville im Süden Brasiliens, wo viele Familien auch heute noch Deutsch sprechen, in die baianische Hauptstadt. Anfangs arbeitete sie als Polizeireporterin. „Da liegen Tote mitten auf der Straße. Der Anfang war sehr schwer“, sagt die 31-Jährige. Sie schrieb über Kinderarbeit und fehlende Lehrer in den Schulen und lief achtzig Kilometer weit mit Vertretern der Bewegung der Landlosen. „Ich ging mit, um es festzuhalten. Da sterben viele Menschen, es gibt Massaker, deshalb muss die Presse dabei sein“, sagt Funke. Dann flüchteten sogar ihr Fahrer und der Fotograf, doch sie blieb, obwohl Schüsse fielen. Einer musste ja registrieren, was hier passierte, und dadurch die Leute vielleicht noch schützen.
  So ist Katherine Funke. Mit dieser Energie scheint sie ihr ganzes Leben anzugehen. Auch die Literatur. So viele Ideen sprudeln aus ihr heraus, dass es schwer ist, den Überblick zu bewahren. Schon seit ihrer Kindheit schreibt sie Mikrotexte, Erzählungen, Gedichte und derzeit ihren ersten Roman. Gerade wurde ihre Kurzgeschichte „Hühnerherz“ für die Anthologie „Popcorn unterm Zuckerhut“ ins Deutsche übertragen. Darin finden sich zwanzig Kurzgeschichten junger brasilianischer Autoren wie Michel Laub, Carola Saavedra, Andréa del Fuego, Tatiana Salem Levy und João Paulo Cuenca.
  Als Motto greift die Sammlung den brasilianischen Modernismus des frühen 20. Jahrhunderts auf, speziell die anthropophagische Bewegung. Eine brasilianische Lust, sich alles einzuverleiben, was kulturell in das mythenreiche Land hineindrängte, um dann etwas zutiefst Eigenes daraus entstehen zu lassen.
  In allen Beiträgen des Bandes geht es also im weitesten Sinne um Fleischliches. Zum Beispiel um Hühnerherzen vom Grill, scharf gewürzt mit Zwiebeln und frischen Kräutern, mit einem gut gekühlten Bier. Rithina, ein weiblicher Gast, bestellt sie in Katherine Funkes Geschichte mit rauchiger Stimme in einem kleinen Bistro bei dem Aushilfskellner José. Doch Hühnerherzen sind aus. Also drückt ihm der Chef die Schlüssel seiner Harley in die Hand, er möge den Wunsch der schönen Blonden erfüllen und – schnell – Hühnerherzen besorgen. Was tun? Auf der unverhofft gewonnenen Harley die grenzenlose Freiheit genießen und nie mehr zurückkehren, den stressigen Job hinwerfen? Oder mit einer Leckerei das Herz dieser reizvollen Frau gewinnen? Funke beschreibt diese Episode, einen winzigen Ausschnitt aus dem brasilianischen Alltag wie ein Spiel, leicht und doch nicht lapidar.
  Katherine Funkes Großeltern kamen aus Sachsen nach Brasilien, ihre 93-jährige Großmutter, die im Bundesstaat Santa Catarina im Süden des Landes lebt, spricht nur radebrechend Portugiesisch. Funke dagegen versteht fast kein Deutsch und war auch noch nie in Deutschland, doch ihr Bruder wurde in Berlin geboren. Ihre Spezialität: nicht Hühnerherzen, sondern Apfelstrudel. In ihrem Haus gibt es den wahrscheinlich besten in ganz Brasilien.
  In Funkes erstem Buch, „notas mínimas“ (2010) sammelte die Südbrasilianerin Kurztexte aus ihrem Blog, Beobachtungen und Gedanken aus dem Alltag. Sie schrieb zum Beispiel „Im Regen“: „Der Regen fiel seit fünf Tagen ohne die Absicht, seine Heftigkeit zu reduzieren. Man sah keinen halben Meter weit. Aber ich erkannte, dass ich transparent war und stark, wie die Wassertropfen, die mich antrieben, nicht stehenzubleiben.“
  In Brasilien erscheint gerade ihr Buch „Sem Pressa“ (Ohne Eile). Eine Mischung aus Essays, Gedichten und Kurztexten. Darin vertieft Funke journalistische Recherchen über die Themen, die ihr am Herzen liegen, in literarischer Form. Inspiriert dazu wurde sie von den Romanen französischer Realisten des 19. Jahrhunderts wie Émile Zola, Gustave Flaubert und Honoré de Balzac.
  Derzeit schreibt Funke als „Artist in Residence“ in der Stadt Florianópolis an ihrem ersten Roman. Sechs Monate wird sie mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn auf der Halbinsel im Süden des Landes bleiben. Einem der schönsten Orte Brasiliens. Es ist eine Rückkehr zu ihren Wurzeln, und entstehen wird daraus ein Bildungsroman. Die Geschichte einer Fahrt durch Brasilien vom tropischen Norden in den europäisch geprägten Süden. Eine Identitätssuche mit dem Titel „Walters Reise“. Was passiert, wenn man seinen Ursprungsort verlässt? Man geht ja weg, weil sich im eigenen Leben etwas verändert hat. Aber was? Das will sie herausfinden.
  Manchmal komponiert die quirlige Autorin auch eigene Lieder. In ihrem Haus, das, obwohl mitten in Salvador, im Urwald zu liegen scheint, so wild wuchern die tropischen Stauden in ihrem kleinen Garten, hat sie eine Gitarre und eine Bassgitarre. Früher übte sie sechs Stunden am Tag Geige. Doch die will sie nicht mehr spielen. Zu steif und streng ist ihr das Instrument geworden. Als sie nach Salvador kam, traf sie sich mit Freunden, um gemeinsam Musik zu machen, packte ihre Noten aus und war irritiert. Die anderen begannen einfach zu improvisieren. Das hat Katherine Funke in ihrer neuen Heimat gelernt. Das Leben folgt nicht festgeschriebenen Regeln. Schon gar nicht in Salvador.
MICHAELA METZ
Timo Berger (Hrsg.): Popcorn unterm Zuckerhut. Junge brasilianische Literatur. Wagenbach Verlag, Berlin 2013, 144 Seiten, 9,90 Euro.
Ihre Großeltern kamen
aus Sachsen, doch sie selbst war
noch nie in Deutschland
Katherine Funke wurde 1981 in der südbrasilianischen Stadt Joinville geboren. Seit 2003 lebt sie in Salvador, der Hauptstadt Bahias, wo sie zunächst als Journalistin arbeitete. 2010 kündigte sie und ist seitdem freie Autorin.  FOTO: OH
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