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Erzählt wird hier vom Schicksal zweier Mädchen im Stockholm des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts. Aufgewachsen im Kinderheim der Bibelfrauen, jung, hübsch, begehrenswert, aber leider arm, haben sie schlechte Chancen für ihr weiteres Leben. Die eine stirbt allzu früh, die andere hat mehr Glück...

Produktbeschreibung
Erzählt wird hier vom Schicksal zweier Mädchen im Stockholm des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts. Aufgewachsen im Kinderheim der Bibelfrauen, jung, hübsch, begehrenswert, aber leider arm, haben sie schlechte Chancen für ihr weiteres Leben. Die eine stirbt allzu früh, die andere hat mehr Glück...
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.01.2001

Ein zweifelhaftes Glück
Der Überlebenskampf zweier junger Frauen im 19. Jahrhundert
Ist man nur fleißig und folgsam, dann geht es einem gut”, glaubt Signe, die brave, schüchterne Signe und lässt sich als Magd anstellen. Groß ist die Auswahl schließlich nicht für eine aus dem Kinderheim. Alice, die bei den Nonnen Signes beste Freundin war, will sich mit einem solchen Leben in Rechtlosigkeit und Armut nicht abfinden. Sie wird ein Apfelsinenmädchen, so heißen in Stockholm Ende des 19. Jahrhunderts die Mädchen, die in den Schenken zur Tarnung Südfrüchte, tatsächlich aber ihren Körper anbieten.
Alice ist frecher, lebenslustiger und rebellischer als die etwas fade Signe – eigentlich ist sie viel sympathischer. Aber Prostituierte? Viele junge Leserinnen dürften doch ein wenig schockiert sein und verwundert über die Zielstrebigkeit und den naiven Optimismus, mit der Alice ihren Berufsweg anstrebt. Alice will endlich schöne Kleider tragen, reichlich zu essen und ein Dach über dem Kopf haben und sich von niemandem mehr etwas befehlen lassen. Man lebt sein Leben schließlich nur einmal! Lena Kallenberg erzählt das so, dass wir Alices Entscheidung verstehen.
Immer wieder wechselt die Perspektive, von Signe zu Alice und wieder zu Signe, dabei werden wichtige Ereignisse einfach übersprungen. Die Dinge sind meist schon entschieden, wenn wir von ihnen hören: Alice hat die Apfelsinen schon gekauft und ihren Beruf gewählt; Signe ist von ihrem Bauern vergewaltigt worden; Alice die Geliebte eines wohlhabenden Großhändlers geworden. Die Auslassungen bringen einen lakonischen Ton in die Geschichte, ein angenehmes Gegengewicht zu den dramatischen Ereignissen. Und vermutlich war es früher tatsächlich so, dass die Dinge schnell entschieden waren, der Weg für junge Frauen ohne Geld und Familie bald feststand und die Frauen selbst oft nicht viel mitgeredet hatten.
Das Apfelsinenmädchen spielt in den Jahren 1882 und 1883; eine, wie es scheint, ferne, fremde Zeit. Lena Kallenberg entwirft ein Sittenbild in kräftigen Farben und mit oft drastischen Details: da sind etwa die Flohstiche und Läusebisse, unter denen Signe leidet; das immer gleiche Essen beim Bauern – Hering und Kartoffeln –, Signes selbstverständliche Königstreue, der lungenkranke, vernachlässigte Nachbarsjunge oder die Abtreibung auf dem Abort mit Phosphorstäbchen.
Obwohl die Erzählperspektive immer wieder wechselt, ist Signe die Hauptfigur des Buches. Mit ihr können sich junge Mädchen leichter identifizieren. Aber auch Alice ist glücklicherweise keine reine Elendsgestalt, entworfen zur Abschreckung. Ihre Träume von einem besseren Leben sind nur zu verständlich, ihre Aufmüpfigkeit ist sympathisch – dass ihr Lebensplan scheitert, liegt vor allem an einer ungerechten und grausamen Gesetzgebung, die die Höhenflüge von Frauen schrecklich ahndete.
Das Apfelsinenmädchen ist ein Mädchenbuch, eines, das jungen Frauen vor Augen führt, wie noch die Generation ihrer Ur-Ur-Großmütter gelebt hat – so lange ist das ja eigentlich gar nicht her. Lena Kallenberg beschreibt sehr genau die Bigotterie der damaligen Gesellschaft, die Frauen für eine Abtreibung oder uneheliche Schwangerschaft schwer bestrafte, die Männer dagegen unbehelligt ließ. Zur Gleichheit vor dem Gesetz war es ein weiter Weg. Wie klein Alices und Signes Chancen auf ein würdiges, halbwegs gutes Leben sind, begreift der Leser erst nach und nach, auch Signe und Alice sind am Anfang viel zu optimistisch. Alice kennt nicht die Gefahren des Hurenlebens, weiß nichts von brutalen Freiern, den Tücken des Alkohols, hofft, vor Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaft gefeit zu sein. Und Signe? Dass sie fleißig und folgsam ist, nützt ihr nicht viel. Sie hat immer wieder Glück, überlebt vielleicht nur, weil Alice zwischendurch auch für sie auf die Straße geht. Vor allem aber ist es ihr zäher Widerstand, ihre Weigerung, sich selbst aufzugeben, die sie einen akzeptablen Platz im Leben finden lassen.
Es ist ein Weg, der ganz, ganz kleinen Schritte. Nur so – das ist Lena Kallenbergs gleichzeitig trauriges und aufmunterndes Fazit – haben es Frauen zu mehr Unabhängigkeit gebracht. Und sie deutet an, dass es auch ein politischer Weg sein wird, schon kündigen sich die ersten Arbeiterstreiks an und die Gründung der Gewerkschaften. (ab 14 Jahre und Erwachsene)
MARTINA KNOBEN
LENA KALLENBERG: Das Apfelsinenmädchen. Aus dem Schwedisch. von Angelika Kutsch. Gabriel Verlag 2000. 197 Seiten, 28 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ein Sittenbild in kräftigen Farben und mit oft drastischen Details, befindet die Rezensentin Martina Knoben über die Geschichte der armen Waisenkinder Alice und Signe. "Das Apfelsinenmädchen" sei ein Mädchenbuch, das jungen Frauen anschaulich zeige, wie das Leben vieler Frauen zu Zeiten ihrer Ur-Ur-Großmütter verlaufen sei. Der Rezensentin gefällt aber nicht nur die Geschichte selbst, sondern sie findet auch die Erzählweise der Autorin Lena Kallenberg interessant. Hier werde ohne lange Worte oder Sequenzen entschieden. Auslassungen brächten einen lakonischen Ton in die Geschichte, der ein angenehmes Gegengewicht zu den dramatischen und traurigen Lebenswegen der Protagonistinnen herstelle.

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