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Christopher Baylys weltumspannender Blick auf das Agieren der Staaten, die vielfältigen Ausprägungen von Gesellschaftsordnungen, Religionen und Lebensweisen zeigt auf verblüffende Weise, wie eng schon im 19. Jahrhundert die Entwicklung Europas mit dem Geschehen in den anderen Erdteilen verknüpft war.

Produktbeschreibung
Christopher Baylys weltumspannender Blick auf das Agieren der Staaten, die vielfältigen Ausprägungen von Gesellschaftsordnungen, Religionen und Lebensweisen zeigt auf verblüffende Weise, wie eng schon im 19. Jahrhundert die Entwicklung Europas mit dem Geschehen in den anderen Erdteilen verknüpft war.
Autorenporträt
Christopher A. Bayly ist Professor für Imperial and Naval History an der Cambridge University in Großbritannien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2006

Geflochtene Moderne
Christopher Baylys Gang durch die Universalgeschichte

Heute, sagt Christopher Bayly in seiner gewaltigen Studie über die Geburt der modernen Welt, seien alle Historiker Universalhistoriker. Er selbst hat sich eine herkulische Aufgabe vorgenommen und meistert sie mit Bravour.

Die Universalgeschichte hielt man bis vor kurzer Zeit für eine ausgestorbene Gattung. Sie galt als Inbegriff der vormodernen Historiographie, mit Wurzeln, die man bis zu Adam und Eva zurückverfolgen konnte: Am Anfang war der Pentateuch, die biblische Menschheitsgeschichte von der Schöpfung bis zu Moses Tod. Die Weltchroniken des Mittelalters haben diese Erzählung in einen Heilsplan eingebaut, dessen Dramaturgie ein endzeitliches Reich der Geretteten vorsah. Innerweltlich gewendet, hatte es noch ein spätes Fortleben in den aufklärerischen Träumen vom universalen Vernunftreich und in der marxistischen Phantasie der klassenlosen Gesellschaft. Sobald die Geschichte aber als kritische Wissenschaft auftrat, verweigerte sie sich der Prophetie und gehorchte einer prononcierten Gegendramaturgie. "Universalgeschichte" stand nun für das, was die historische Erkenntnis behinderte: für Deduktion und Spekulation, für Anachronismus und Idealismus. Je weiter die wissenschaftliche Spezialisierung voranschritt, desto mehr wurden alle Formen weltumspannender Darstellungen diesem Urteil unterworfen.

Damit ist es vorbei, seit die Globalisierung zum Wegweiser einer neuen finalen Universalordnung geworden ist. In den Vereinigten Staaten haben Gelehrte rasch reagiert und in den achtziger Jahren ein akademisches Fach mit dem Titel "world history" etabliert. Sie plädieren für eine weiträumige und langzeitliche Betrachtung historischer Prozesse und argumentieren, daß die Geschichte viel länger von Kausalitäten globalen Ausmaßes bestimmt werde, als es die Globalisierungsdebatte suggeriere.

Damit sehen sich spezialisierte Historiker in ihrem Selbstverständnis als Speerspitze der Forschung einem neuen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Ihn zu erhöhen ist das Ziel der gewaltigen Studie von Christopher Bayly über das "lange neunzehnte Jahrhundert" von der Vorgeschichte der amerikanischen Revolution bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges. Bayly, Professor für "British Imperial History" an der Universität Cambridge, hält lakonisch fest: "Heute sind alle Historiker Universalhistoriker, auch wenn viele sich dessen noch nicht bewußt geworden sind." Wie man diese Aussage zu lesen hat, wird nicht ganz klar.

In der gleichen Passage stellt Bayly sein Buch als Experiment darüber vor, "was passiert, wenn wir die Schranken niederreißen, die Historiker zwischen dieser und jener Region oder zwischen dieser und jener Unterdisziplin der Geschichte errichtet haben". Universalgeschichte als Akt der "Dekonstruktion"? Auf den ersten Blick ja. Was spezialisierten Historikern als Grundvoraussetzung seriöser Wissenschaft gilt, die Beschränkung auf einen Ausschnitt der Geschichte, denunziert Bayly als Beschränktheit. Bei genauerem Hinsehen kontrastiert seine Abbruchmetaphorik jedoch mit einem methodischen Vorgehen, das auf Spezialstudien aufbaut und über diesen eine Dachkonstruktion erstellt. Der Autor beißt die Hand, die ihn füttert; insofern könnte man sagen: Heute sind alle Universalhistoriker Regionalhistoriker, auch wenn viele sich dessen nicht bewußt sind. Wirklich zu überzeugen vermag Baylys Kritik da, wo er sie auf jene Mikrohistoriker münzt, die alle großen Erzählungen der Komplizenschaft mit den "Siegern der Geschichte" anklagen und sich der Betrachtung des Belanglosen hingeben, ohne für vergleichende Perspektiven eine Hilfestellung zu geben.

Das Versprechen einer Universalgeschichte jedoch wird von Bayly mehr als eingelöst. Was er bietet, ist eine Leistung der eher unheimlichen Art. Eine hundertvierzigjährige Periode unerhörten Wandels im globalen Zusammenhang darzustellen, war ihm nicht Herausforderung genug, er wählte den totalen wissenschaftlichen Zugriff - sozial-, kultur-, wirtschafts-, verfassungs-, wissenschafts-, religions-, literatur- und kunstgeschichtlich. Mit dieser herkulischen Aufgabe scheint der Autor sich nicht überfordert zu haben; daß man dasselbe von den Lesern sagen kann, ist zu bezweifeln.

Baylys Bemühen, die Moderne als Produkt globaler Abhängigkeitsgeflechte und die Geschichte der Modernisierungstheorie als eurozentrischen Irrweg auszuweisen, zwingt zu einer Argumentation an der Grenze der Darstellbarkeit. Die Kausalitäten erreichen eine Komplexität, die kaum noch zu vermitteln ist und daher nur selten über den Status von Behauptungen hinausgelangt. Auch Baylys klare Sprache und sein Reflexionsniveau verhindern nicht, daß er den Bogen von einer gewissen Stufe an überspannt. Bei der Herleitung der modernen wirtschaftlichen Dynamik etwa kann er überzeugend darlegen, daß die Industrialisierung erst in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts zu einem entscheidenden Faktor wurde.

Zentrale Bedeutung kommt deshalb seinem Argument einer der industriellen Revolution vorgelagerten "industrious revolution", einer Revolution des Fleißes, zu. Diese von Jan de Vries für den nordwesteuropäischen Wirtschaftsraum von 1650 bis 1850 eingeführte Kategorie will Bayly als globales Phänomen verstanden wissen. Von Japan über China und Indien bis nach Afrika versucht er Formen höherer Produktivität und intensiverer Arbeitstätigkeit nachzuweisen und die Einzigartigkeit der europäischen Entwicklung auf ein Minimum zu reduzieren.

Im Gegensatz zu de Vries, dem er ein "zahmes und hausbackenes" Verständnis der Revolution des Fleißes unterstellt, vermag Bayly aber nicht zu erklären, warum und wie dieser Prozeß in getrennten Kulturräumen zeitgleich in Gang gekommen sein soll und letztlich auf eine Überlegenheit des Westens hinauslief. Dasselbe Problem stellt sich bei seinen Versuchen, einen kausalen Zusammenhang zwischen den 1848-Revolutionen in Europa und einer Aufstandskaskade in Süd- und Ostasien herzustellen sowie die Nationalisierung der Weltkarte als einen nur partiell von Europa initiierten Vorgang auszuweisen.

Die Stärken des Buches liegen dort, wo Bayly kausale Erklärungen zurückstellt und allgemeine Entwicklungen weniger ambitiös anhand von generalisierenden Vergleichen beschreibt. Seine Ausführungen über die Modernisierung der "Weltreligionen" bilden eine gelungene Gegengeschichte zur "Entzauberung der Welt" im neunzehnten Jahrhundert, und der weltweite Vergleich der Kriegskulturen fördert eine europäische "Errungenschaft" zutage: die Effizienz des Tötens.

Dank solcher Passagen tritt die Globalisierung in Baylys Werk plastisch als doppelgesichtige Erscheinung hervor. Horizontal gesehen, stellt sie eine Geschichte der kulturellen Verarmung dar, indem sie alle Weltregionen einander angleicht. Am auffälligsten dürfte die Uniformisierung der Kleider gewesen sein, wobei Bayly darauf hinweist, daß sie bei Männern viel schneller voranschritt als bei Frauen. War moderne Kleidung an Männern ein Statussymbol, so an Frauen ein Ausdruck der Gefährdung: "Modernität, zugleich ein gefährlicher Prozeß und ein gefährliches Bestreben, schien für Männer geeigneter zu sein als für Frauen."

Vertikal gesehen, steht die Globalisierung dagegen für höhere Differenzierung und Komplexität; sie vergrößert die Unterschiede in einer Gesellschaft, vervielfacht die Auswahl an Lebensentwürfen und potenziert die Mobilität. Besonders beachtenswert ist Baylys Beobachtung, daß die kurz- und langfristigen Profiteure dieser Umwälzungen in der Regel die alten Eliten gewesen seien, in Europa Könige, Adlige und Priester. Wegen Baylys Mut zu solch pointierten Globalannahmen möchte man seine Universalgeschichte nicht missen.

CASPAR HIRSCHI

Christopher A. Bayly: "Die Geburt der modernen Welt". Eine Globalgeschichte 1780-1914. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2006. 700 S., geb., 59,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.01.2007

Die Welt als Dorf
Für Christopher A. Bayly hängt alles mit allem zusammen
Selbst die Geschichtsschreibung, deren Gegenstand unerschöpflich ist, da jede Zeit die Vergangenheit mit ihren Augen ansieht und aus je aktuell gewonnenen Erfahrungen beurteilt, hat ihre Moden. Derzeit angesagt ist der große, globale Epochenquerschnitt, ein Trend, für den Bücher wie Tony Judts „Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart” oder „Krieg der Welt – Was ging schief im 20. Jahrhundert?” von Niall Ferguson einstehen. Ihrem raumgreifenden, universalhistorischen Anspruch nach werden diese gewaltigen Panoramen noch von dem Wälzer des in Cambridge lehrenden englischen Historikers Christopher A. Bayly „Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780-1914” mühelos übertroffen. Wie schon der Untertitel andeutet, versucht Bayly nichts weniger als jenes die Gemüter derzeit verwirrende Phänomen der Globalisierung in eine historische Perspektive zu stellen und damit dessen erlebte vermeintliche Neuartigkeit oder Aktualität zu relativieren.
Die Welt, so seine These, war schon lange bevor Nachrichtenkabel, interkontinentale Verkehrsverbindungen oder gar eine medial vermittelte Weltöffentlichkeit reibungslos und kontinuierlich funktionierten, bereits derart eng vernetzt, dass es strukturell bedingte gleichzeitige Ungleichzeitigkeiten nicht gab. Entgegen der geläufigen Wahrnehmung, der Europa mit den USA als Impulsgeber des zivilisatorischen Fortschritts gilt, dessen Vorbild im Guten wie im Schlechten der Rest der Welt seit dem 18. Jahrhundert infolge von dessen „Europäisierung”, vulgo Kolonialisierung gefolgt sei, habe es, so Bayly, tatsächlich einen Prozess des Gebens und Nehmens gegeben, der sich in wechselseitigen Beeinflussungen und Abhängigkeiten materialisierte. Mit anderen Worten: Die Weltgeschichte der Moderne hat nicht nur ein europäisches Epizentrum, dessen revolutionäre Eruptionen in anderen Weltgegenden Evolutionen anstießen, sondern ist von Anfang an gekennzeichnet durch eine multipolare Dynamik mit der Folge, dass Kausalitäten globaler Dimension schon vor 1945 oder gar 1914 aufeinander reagierten.
Baylys These führt mithin eine erfrischende Ikonoklastik im Schilde, insofern er die bislang als historisches Mantra geltende eurozentrische Interpretation für den globalen Prozess der Moderne radikal infrage stellt. Das Vorhaben hat eine Kühnheit, die umso größer anmutet, als Bayly bestrebt ist, die behauptete kausale Multipolarität in so gut wie jedem Aspekt zivilisatorischer Entwicklung, sei es nun in sozial-, verfassungs-, kultur-, wirtschafts- oder religionsgeschichtlicher Hinsicht, aufzuweisen. Um dies zu leisten, musste sich Bayly gleichsam einen archimedischen Punkt konstruieren, auf dem stehend er das Gebäude der bisherigen eurozentrischen Interpretation aus den Angeln heben konnte.
Diese Voraussetzung ist gleichzeitig aber auch die große strukturelle Schwäche seines Unterfangens, denn Bayly musste sich seine Argumentationsgrundlage im wesentlichen aus einer immensen Fülle anderer Arbeiten zusammenklauben, die im methodischen Gegensatz zu seiner globalen Perspektive „Spezialstudien” waren und deren Aussagen nur einen je lokalen, regionalen oder nationalen Horizont ausleuchteten. Wer jemals versuchte, die Einbauküche aus der alten in der neuen Wohnung passgenau zu installieren, hat eine ungefähre Ahnung von den großen Schwierigkeiten eines solchen Unterfangen stellt, auch wenn dieser Vergleich mehr als nur hinkt.
„Die Pflicht des Historikers”, so lautet eine Maxime von Goethe, „ist zwiefach: erst gegen sich selbst, dann gegen den Leser. Bei sich selbst muss er genau prüfen, was wohl geschehen sein könnte, und um des Lesers willen muss er festsetzen, was geschehen sei. Wie er mit sich selbst handelt, mag er mit seinen Kollegen ausmachen; das Publikum muss aber nicht hineinsehen, wie wenig in der Geschichte als entschieden ausgemacht kann angesprochen werden”.
Eben diese Skepsis beschreibt den Stein des weisen Historikers, über den Bayly indes gelegentlich stolpert. Zwar unternimmt er eine ausführliche Prüfung dessen, was und wie es geschehen sein könnte, aber an der plausiblen Vermittlung, was geschehen sei, scheitert er häufig einfach deshalb, weil er den Gordischen Knoten der von ihm behaupteten globalen Komplexität nicht argumentativ nachvollziehbar, und damit für den Leser verständlich, aufzudröseln vermag. Stattdessen versucht er es mit dem Schwerthieb, der mit schlichter Behauptung durchtrennt, was sich sprachlich nicht mehr darstellen lässt. Das mutet schneidig an, bleibt aber den Beweis, der auch geführt werden sollte, schuldig.
Ein Beispiel dafür liefert die von dem Historiker Jan de Vries für den nordwesteuropäischen Raum vindizierte „industrious revolution”, eine Revolution gewerblichen Fleißes, die unmittelbar der Industriellen Revolution vorausgegangen sei. Diese „Fleißrevolution” sei, das versucht Bayly nachzuweisen, ein globales Phänomen gewesen und als solches auch zeitgleich in China, Indien und Afrika festzustellen, wo sie ebenfalls eine Produktivitätssteigerung zur Folge gehabt habe. Das mag so gewesen sein, allein die Industrielle Revolution, die quantitativ und qualitativ ein wesentlich anderes und auch viel präziser zu fassendes Phänomen darstellt, nahm ihren Ausgang in Europa und war hier eminent ursächlich für die objektive Überlegenheit der westlichen Zivilisation, die so lange fraglos bestand, wie diese Revolution sich nicht global ausbreitete und nachvollzogen wurde. Diese Differenz lässt sich auch nicht mit der kahlen, durch keinerlei Beispiele erläuterten Behauptung relativieren: „Historiker sind allmählich darauf aufmerksam geworden, in welchem Maße kleine technische Fortschritte in der europäischen Welt, die mit der Industriellen Revolution in Verbindung gebracht werden, ursprünglich aus nichteuropäischen Vorbildern entstanden”.
Entsprechendes gilt auch für die politischen Revolutionen und in deren Folge die Entstehung moderner Nationalstaaten, eine Entwicklung, die sich von Nordamerika und Europa aus über die Welt verbreitete. Dass es gleichzeitig auch in anderen Weltteilen zu Revolutionen und zur Ausbildung von nationalstaatlichen Vergesellschaftungsformen kam, vermag das beispielgebende Phänomen der eurozentrischen Blüte dieser Entwicklung nicht zu relativieren.
Unter der Lektüre fällt den Rezensenten zwar bisweilen der Verdacht an, dass sein Verständnis womöglich zutiefst eurozentrisch fixiert sei und sich seine Wahrnehmung deshalb der Einsicht in das globale Geflecht von Abhängigkeiten, das ihm Bayly mit faktensatter Wortgewalt zu entwirren sucht, schlicht verweigert. Aber gemach, auch Bayly muss zugestehen, dass es ein der europäischen Aufklärung beispielsweise vergleichbares Phänomen nirgendwo sonst gab, selbst wenn „hinter der konfuzianischen Renaissance des Wissens oder den islamischen Lehrstreitigkeiten wir Herrscher und Intellektuelle erkennen (können), die versuchten, mit den Problemen gesellschaftlicher Organisation und menschlicher Erfahrung zurechtzukommen”. Oder wenn er schreibt, dass auch in anderen Erdteilen „die Regierung durch Kritik von Seiten der Gebildeten sowie von Religions- und Verwaltungsexperten effizienter, vielleicht auch zuverlässiger (wurde). Handel und nützliches Wissen waren nicht nur Europäern und Amerikanern vorbehalten”. Dem wird man kaum widersprechen können, aber was wird damit bewiesen?
Aber trotz solcher Platitüden und auch mancher allzu schneller Analogieschlüsse à la „In seinem Entwurf einer neuen Rechtfertigung von Hierarchie und Stabilität folgte er (i. e. Napoleon) dem Perser Nadir Shah, der die Stadt Delhi an sich brachte”, ist die von Christopher Bayly vorgelegte Universalgeschichte ein alles in allem mutiger Wurf, der geeignet ist, eingefahrene Sichtweisen aufzubrechen. Das, sowie die von Bayly historiographisch erhärtete und so bislang nur von Soziologen formulierte Einsicht, dass Globalisierung nicht nur, wie deren Kritiker behaupten, eine weltweite Anpassung und damit kulturelle Ausdrucksverarmung bewirkt, sondern vor allem auch eine größere Differenzierung ermöglicht, die dem Individuum neue, selbstverantwortete Gestaltungs- und Freiheitsräume eröffnet, macht dieses Buch zu einer ebenso anspruchsvollen wie lohnenden Lektüre. JOHANNES WILLMS
CHRISTOPHER A. BAYLY: Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780-1914. Aus dem Englischen von Thomas Bertram und Martin Klaus. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2006. 650 Seiten, 59,90 Euro.
Eine große, kühne Geschichte der Globalisierung soll den Eurozentrismus aushebeln
Lässt sich die Komplexität der Weltgeschichte mit einem Schwerthieb durchschlagen?
Die englische Handelsniederlassung in Kanton. Die Zeichnung entstand 1843, nach der Niederlage Chinas im „Opiumkrieg”. Foto: SV Bilderdienst
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Großen Eindruck hat Christopher Baylys Globalgeschichte bei Balthasar Haussmann hinterlassen. Dem Historiker gelinge eine überzeugende Schilderung der "Geburt der modernen Welt" als globalgeschichtlicher Vorgang und damit die Verabschiedung des traditionellen Bilds, nach dem die Geschichte ihren Ausgang in Europa nahm und sich von dort aus über die restliche Welt verbreitete. Bayly weise nach, dass die Moderne der Welt nicht von Europa aufgezwungen wurde, sondern sich in vielen Ländern mit indigenen Entwicklungen herausbildete. Balthasar bescheinigt dem Werk, ein neues Geschichtsbild geschaffen zu haben. Man werde nach der Lektüre "nie mehr anders als weltgeschichtlich über Europa nachdenken können". Demgegenüber fallen die Schwächen des Buchs - sein bisweilen mühsamer Stil, die "lieblose Übersetzung", die voraussetzungsreiche Darstellung - seines Erachtens kaum ins Gewicht.

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