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Mit seiner Friedenspreisrede eröffnete Jürgen Habermas 2001 die Auseinandersetzung mit Vertretern der katholischen Kirche: Er traf sich mit Joseph Kardinal Ratzinger. Unter dem Titel "Ein Bewußtsein von dem, was fehlt" führte er nun ein Gespräch mit renommierten Philosophen der Hochschule für Philosophie der Jesuiten. Habermas betont, daß die moderne Vernunft sich selbst nur verstehen könne, wenn sie ihre Stellung zum religiösen Bewußtsein kläre. Hintergrund für seine Argumentation ist u.a. auch die Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft, die Papst Benedikt XVI. in seiner Regensburger…mehr

Produktbeschreibung
Mit seiner Friedenspreisrede eröffnete Jürgen Habermas 2001 die Auseinandersetzung mit Vertretern der katholischen Kirche: Er traf sich mit Joseph Kardinal Ratzinger. Unter dem Titel "Ein Bewußtsein von dem, was fehlt" führte er nun ein Gespräch mit renommierten Philosophen der Hochschule für Philosophie der Jesuiten. Habermas betont, daß die moderne Vernunft sich selbst nur verstehen könne, wenn sie ihre Stellung zum religiösen Bewußtsein kläre. Hintergrund für seine Argumentation ist u.a. auch die Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft, die Papst Benedikt XVI. in seiner Regensburger Rede formuliert hatte. Der Band versammelt den Essay sowie die Beiträge der Debatte. Die Einleitung gibt einen Überblick über Habermas' religionsphilosophische Interventionen.
Autorenporträt
Reder, MichaelMichael Reder ist Dozent für Sozial- und Religionsphilosophie an der Hochschule für Philosophie in München.

Schmidt, JosefJosef Schmitt (SJ) lehrt an der Hochschule für Philosophie in München Gotteslehre und Philosophiegeschichte.

Habermas, JürgenJürgen Habermas wurde am 18. Juni 1929 in Düsseldorf geboren. Von 1949 bis 1954 studierte er in Göttingen, Zürich und Bonn die Fächer Philosophie, Geschichte, Psychologie, Deutsche Literatur und Ökonomie. Er lehrte unter anderem an den Universitäten Heidelberg und Frankfurt am Main sowie der University of California in Berkeley und war Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg. Jürgen Habermas erhielt zahlreiche Ehrendoktorwürden und Preise, darunter den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2001) und den Kyoto-Preis (2004).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2008

Ein Bewusstsein von dem, was zum Himmel schreit

Jürgen Habermas im Religionsstreit mit Jesuiten: Die Debatte, die dieser Band dokumentiert, berührt die konfliktreichen Fragen einer religiösen Lebensführung im säkularen Staat.

Den Verdacht, er werde im Alter fromm, hat Jürgen Habermas gelegentlich selbstironisch kommentiert. Dieser Verdacht wird allerdings nicht schon dadurch zerstreut, dass Habermas strikt einem nachmetaphysischen Denken verpflichtet bleibt und den "Riss zwischen Weltwissen und Offenbarungswissen" für irreversibel hält. Die vorneuzeitliche Synthese von Glaube und Wissen ist heute nicht nur für die säkulare Vernunft obsolet, sondern auch für die religiöse Frömmigkeitspraxis nicht mehr obligatorisch. Das gilt auch für eine Theologie auf der Höhe der Zeit, die gleichwohl genötigt ist, Glaube und Wissen als unterschiedliche Modi des Geistes ins Verhältnis zu setzen.

Wie das geschehen kann, darüber wird nicht erst seit der Regensburger Rede des Papstes gestritten. Diese Frage hat auch eine Podiumsdiskussion zwischen Habermas und Vertretern der Münchner Hochschule für Philosophie der Jesuiten im Februar 2007 bewegt. Sie wird in einem schmalen Bändchen der edition suhrkamp dokumentiert. Abgedruckt ist das Eingangsstatement von Habermas, das dem Buch den Titel gibt. Norbert Brieskorn, Michael Reder, Friedo Ricken und Josef Schmidt haben ihre Diskussionsbeiträge für die Veröffentlichung ausgearbeitet. Abgeschlossen wird der Band durch eine Replik von Habermas. Man kann das Büchlein als eine Zwischenbilanz seiner Auseinandersetzung mit dem Thema Glaube und Wissen lesen, die nicht erst mit der Friedenspreisrede von 2001 begann, dann sich 2004 in seinem Gespräch mit Joseph Ratzinger fortsetzte und die vorerst in "Zwischen Naturalismus und Religion" von 2005 gipfelte.

Es geht Habermas "nicht um einen schwiemeligen Kompromiss zwischen Unvereinbarem". Das Gespräch nötigt eben deshalb, neben der Wiederholung bereits bekannter Positionen und Argumente, zu Klarstellungen. So wenig er bei den Jesuiten "Befürchtungen vor falschen Umarmungen" hegt, so sehr weist er jenen anderen Verdacht zurück, er begegne der Religion, zu der er sich "gleichzeitig agnostisch und lernbereit verhält", mit der "instrumentellen Einstellung gegenüber dem Objekt einer feindlichen Übernahme". Nun findet dieser Vorwurf, den vor allem Manfred Reder im Ton konziliant, in der Sache klar äußert, durchaus Anhaltspunkte. Habermas legt als Motiv seiner Beschäftigung mit dem Thema Glaube und Wissen den Wunsch offen, die "moderne Vernunft gegen den Defätismus, der in ihr selbst brütet, zu mobilisieren".

Freilich: Mit dem Vernunftsdefätismus, der sich entweder als postmoderne Kritik der Aufklärungsdialektik oder als naturalistischer Wissenschaftsglaube äußere, könne - das wird der Papst anders sehen - "das nachmetaphysische Denken alleine fertig werden". Ein gravierenderes Problem jedoch stelle sich der praktischen Vernunft, sofern sie "ohne geschichtsphilosophischen Rückhalt an der motivierenden Kraft ihrer guten Gründe verzweifelt, weil die Tendenzen einer entgleisenden Modernisierung den Geboten ihrer Gerechtigkeitsmoral weniger entgegenkommen als entgegenarbeiten". Es geht also darum, dass das solidarische politische Handeln, um dessen Möglichkeit Habermas' Denken seit jeher kreist, nicht nur auf vernünftige Einsichten hoffen darf, sondern nach stärkeren Beweggründen verlangt. Die werden indes durch die praktische Vernunft nicht selbst generiert, "wenn sie nicht mehr die Kraft hat, in profanen Gemütern ein Bewusstsein für die weltweit verletzte Solidarität, ein Bewusstsein von dem, was fehlt, von dem, was zum Himmel schreit, zu wecken und wachzuhalten". Es geht also gleichsam um eine begrenzte Koalitionsvereinbarung mit der Religion, die ebendieses Bewusstsein, dass etwas fehlt, wachhält und damit der säkularen Vernunft dort zur Seite springen soll, wo sie ihr Pulver verschossen hat. Kann man darin ein funktionalisierendes Interesse sehen, schärfer noch: eine Instrumentalisierung der Religion für die öffentliche Moral?

Habermas insistiert - ich meine: zu Recht - darauf, dass aus der Sicht einer politischen Theorie, auch wenn sie normativ ansetzt, "die Empfehlung eines schonenden Umgangs mit religiösen Überlieferungen funktional begründet sein" darf. Wer nicht aus der Teilnahmeperspektive eines Gläubigen spricht, beobachtet die Religion zwangsläufig so von außen, dass funktionale Aspekte in den Vordergrund rücken. Auch der gläubige Sozialwissenschaftler hat, solange er als Sozialwissenschaftler spricht, Glaubensaussagen zu suspendieren - was etwas anderes ist, als sie zu dementieren. Habermas unterscheidet damit zugleich zwischen jener ihm nicht zu Gebote stehenden theologischen Vernunft, die der internen Rationalisierung religiöser Überlieferungen dient, und jenem ganz anderen Vorgang, durch den "sich die säkulare Vernunft mit den Mitteln nachmetaphysischen Denkens Gehalte der christlichen Überlieferung nach eigenen Maßstäben anzueignen versucht".

Einzuwenden ist nicht, dass Habermas die Religion gleichsam von außen beobachtet, wohl aber, dass er dabei nach wie vor an einem zu engen Religionsverständnis festhält. In dem für den protestantischen Rezensenten interessantesten Beitrag weist Reder mit Bezug auf Schleiermacher darauf hin, dass Religion weder auf Metaphysik noch auf Moral zu reduzieren sei. Sie halte das Bewusstsein des Scheiterns autonomer Selbstbegründung der Vernunft wach und verweise auf einen transzendenten Grund, der dem Selbstbewusstsein immer schon vorausgehe. So könnten beide, Glaube und Vernunft, im Horizont des Unverfügbaren in ein produktiveres Verhältnis treten, als es sowohl der Papst als auch Habermas auf unterschiedliche Weise zu sehen vermögen.

Zu fragen wäre ferner, ob sich die "säkulare Vernunft" wirklich darin von der Religion unterscheidet, dass sie von präreflexiv-normativen Prämissen unabhängig ist? Die Wahrheitsfrage wird zwar von der Religion ebenso wenig monopolisiert wie von der säkularen Vernunft, sie stellt sich aber religiös in einem anderen Modus. Es geht um einen Sprachspielwechsel. Die rettende Aneignung religiöser Semantiken für den säkularen Vernunftgebrauch hat ihre Grenze darin, dass der Bedeutungsüberschuss narrativer und performativ-symbolischer Sprachformen durch Propositionen nie vollständig aufgefangen werden kann. Bleibt das anerkannt, wenn Habermas für die säkulare Vernunft nunmehr "weniger die Funktion eines Filters" reklamiert, "der Traditionsgehalte ausscheidet, als die eines Transformators, der den Strom der Tradition umwandelt"?

Religion als eine Kultur des Verhaltens zum Unverfügbaren hat jedenfalls gegenüber der Philosophie einen entscheidenden Vorzug. Das Verblassen der Weltbilder, ihre Einschrumpfung auf immer formalere Geltungsansprüche, ist ein hoher Preis, der für den Versuch der Identitätsbildung im Horizont abstrakter Universalität zu zahlen ist. Demgegenüber eröffnet die narrative und rituelle Praxis der Religion den Menschen die Möglichkeit, sich nicht nur als Stimmen ohne Körper wechselseitig mit Geltungsansprüchen zu traktieren, sondern sich als leib-seelische Wesen zueinander und zum Umstand ihrer Freiheit und ihrer Endlichkeit zugleich zu verhalten. Dann aber haben sich nicht mehr partikulare Normen und Vorstellungen gegenüber einem abstrakten Universalismus zu rechtfertigen.

Umgekehrt wären universalistische Normen und Vorstellungen daraufhin zu prüfen, wie weit sie mit partikularen Lebensformen koexistieren können beziehungsweise in ihnen zur Geltung kommen können, ohne sie aufzusprengen. Aus religiöser Sicht könnte für diese Diskussionslage mehr Sensibilität erwartet werden als aus einer allein säkularen Rationalitätskriterien verpflichteten Position, die mit dem nicht auflösbaren Spannungsverhältnis von Universalität und Pluralität der Moral größere Probleme zu haben scheint als eine über sich selbst aufgeklärte Religion.

Gleich zu Anfang seines Gesprächsimpulses erinnert Habermas an die Totenfeier für Max Frisch, die 1991 nach dem Willen des Verstorbenen zwar in der Stiftskirche St. Peter in Zürich stattfand, aber ohne jeden Anklang an ein religiöses Ritual: "Kein Priester, kein Segen." - "Damals habe ich die Veranstaltung nicht für merkwürdig gehalten. Aber deren Form, Ort und Verlauf sind merkwürdig. (. . .) Max Frisch - ein Agnostiker, der jedes Glaubensbekenntnis verweigerte - hat offenbar die Peinlichkeit nichtreligiöser Bestattungsformen empfunden und durch die Wahl des Ortes öffentlich die Tatsache dokumentiert, dass die aufgeklärte Moderne kein angemessenes Äquivalent für eine religiöse Bewältigung des letzten, eine Lebensgeschichte abschließenden rite de passage gefunden hat."

Hier nun geht das "Bewusstsein, dass etwas fehlt", über Legitimations- und Motivationsdefizite öffentlicher Moral doch entschieden hinaus. Und an dieser Stelle würde das Thema für den "religiös musikalischen" Leser erst richtig interessant. Aber Habermas belässt es bei dieser Andeutung. Gegenüber jenen Fragen, die für die Religion konstitutiv sind, bleibt er, jedenfalls im öffentlichen Diskurs, abstinent. Und als Sozialphilosoph respektiert er bei der Klärung seines Verhältnisses zur Religion die Grenze zur Religionsphilosophie. Darin wird immerhin ein Sinn für Unterscheidungen erkennbar, der auch der Theologie bisweilen stärker zu wünschen ist.

BERNHARD DRESSLER.

Michael Reder, Josef Schmidt (Hrsg.): "Ein Bewußtsein von dem, was fehlt". Eine Diskussion mit Jürgen Habermas. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 109 S., br., 8,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Bei allem Sinn für Unterscheidungen, den Bernhard Dressler Jürgen Habermas zugesteht, etwas mehr Offenheit in Bezug auf jene "Fragen, die für die Religion konstitutiv" sind, hätte er sich als "religiös-musikalischer" Leser schon gewünscht. Den auf eine Podiumsdiskussion mit Habermas und Vertretern der Münchner Hochschule für Philosophie der Jesuiten zurückgehenden Band begreift er als Zwischenbilanz von Habermas' Beschäftigung mit dem Verhältnis von Glauben und Wissen. Dass diese Bilanz Positionen wiederholt und mit Klarstellungen aufwartet, nimmt der Rezensent zur Kenntnis, ebenso die Auseinandersetzung zwischen Habermas und Michael Reder (einer der Herausgeber des Bandes) über die Funktionalisierung der Religion, etwa für die öffentliche Moral.

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